Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr

sich selbständig zu machen, wird die Ausführung dieses Entschlusses > nicht
schwer; mit Leichtigkeit gelingt es ihm, ein Obdach und oft recht stattliche
Lagerräume zu mieten. Der Vermieter sieht zwar mit Sicherheit voraus, daß
die höchst leichtfertig begonnene wirtschaftliche Selbständigkeit des Mieters nicht
von langer Dauer sein wird, daß sie gegenüber der drückenden Konkurrenz
kaum die Mietperivde ausdauern wird, aber das hindert ihn nicht, an den
jungen Anfänger zu vermieten. Steht ihm doch an dem zusammengeborgten
Lager wie an der übrigen Habe des Mieters das Pfandrecht zu, und dies
Warenlager nebst der sonstigen Habe ist ja immer hinreichend, den Mietzins
zu decken; selbst beim Konkurs des Mieters äußert dieses Pfandrecht seine
Wirkung zu Gunsten des Vermieters. Auf jeden Fall wird auch der Miet¬
zins schon im voraus recht hoch gegriffen; der junge Anfänger zahlt eine
Miete, die der redliche und strebsame Geschäftsmann unmöglich bewilligen
kann. So wirkt jenes Vorrecht des Vermieters auch schädigend auf die all¬
gemeinen Kreditverhältnisse.

Der junge Anfänger, der sich so leichtsinnig wirtschaftlich selbständig macht,
ist freilich nach seinen Begriffen gar nicht so leichtsinnig. Zwar muß er die
nahe liegende Erwägung anstellen, daß es bei seinem Mangel an Betriebs¬
kapital und bei seinen mangelhaften Kenntnissen oder auch infolge der un¬
günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse und der übermäßigen Konkurrenz schwer
halten wird, sich die kühn unternommne wirtschaftliche Selbständigkeit zu er¬
halten. Aber das ist ja nicht schlimm; er stellt dann eben seine Zahlungen
ein. Daraus folgt nicht, daß sich seine Gläubiger nun haufenweise auf ihn
stürzen, seine Habe durch den Gerichtsvollzieher plündern, einer alles bekommen
und die andern leer ausgehen werden und er lebenslänglich Schuldner der
geschädigten Gläubiger bleibt. Nein, der Staat hat ein Verfahren geschaffen,
wodurch er es den Besitzenden und ganz besonders dem Teil, der sich Kauf¬
mann nennt, ermöglicht, sich ihren Besitz, mag er nun ein wahrer Besitz oder
nur ein Scheinbesitz gewesen sein, zu erhalten und nicht in die Klasse der
Besitzlosen herunterzusinken. Dieses Hilfsmittel ist das Konkursverfahren. Der
Staat nimmt hier dem, der seine Zahlungen eingestellt hat, die Sorge für die
Befriedigung der Gläubiger, die Last der Verwaltung des zu diesem Zweck
nicht zureichenden Vermögens ab und überträgt sie einem besondern Verwalter.
Während dieses Verfahrens ist der "Gemeinschuldner" vor dem Gerichtsvoll¬
zieher geschützt, auch der Not und dem Hunger durchaus nicht ausgesetzt; im
Gegenteil, es wird ihm gewöhnlich ans dem zur Befriedigung der Gläubiger
nicht zureichenden Vermögen ein zu seinem und seiner Angehörigen Unterhalt aus¬
reichender Betrag von täglich etwa fünf bis acht Mark ausgezahlt, also mehr
als ein strebsamer Handwerker im günstigsten Fall täglich verdienen kann. In¬
zwischen haben der Verwalter und das Gericht die Gläubiger zu ermitteln,
und der Verwalter hat das Vermögen des Schuldners zur gleichmäßigen Ve-


Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr

sich selbständig zu machen, wird die Ausführung dieses Entschlusses > nicht
schwer; mit Leichtigkeit gelingt es ihm, ein Obdach und oft recht stattliche
Lagerräume zu mieten. Der Vermieter sieht zwar mit Sicherheit voraus, daß
die höchst leichtfertig begonnene wirtschaftliche Selbständigkeit des Mieters nicht
von langer Dauer sein wird, daß sie gegenüber der drückenden Konkurrenz
kaum die Mietperivde ausdauern wird, aber das hindert ihn nicht, an den
jungen Anfänger zu vermieten. Steht ihm doch an dem zusammengeborgten
Lager wie an der übrigen Habe des Mieters das Pfandrecht zu, und dies
Warenlager nebst der sonstigen Habe ist ja immer hinreichend, den Mietzins
zu decken; selbst beim Konkurs des Mieters äußert dieses Pfandrecht seine
Wirkung zu Gunsten des Vermieters. Auf jeden Fall wird auch der Miet¬
zins schon im voraus recht hoch gegriffen; der junge Anfänger zahlt eine
Miete, die der redliche und strebsame Geschäftsmann unmöglich bewilligen
kann. So wirkt jenes Vorrecht des Vermieters auch schädigend auf die all¬
gemeinen Kreditverhältnisse.

Der junge Anfänger, der sich so leichtsinnig wirtschaftlich selbständig macht,
ist freilich nach seinen Begriffen gar nicht so leichtsinnig. Zwar muß er die
nahe liegende Erwägung anstellen, daß es bei seinem Mangel an Betriebs¬
kapital und bei seinen mangelhaften Kenntnissen oder auch infolge der un¬
günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse und der übermäßigen Konkurrenz schwer
halten wird, sich die kühn unternommne wirtschaftliche Selbständigkeit zu er¬
halten. Aber das ist ja nicht schlimm; er stellt dann eben seine Zahlungen
ein. Daraus folgt nicht, daß sich seine Gläubiger nun haufenweise auf ihn
stürzen, seine Habe durch den Gerichtsvollzieher plündern, einer alles bekommen
und die andern leer ausgehen werden und er lebenslänglich Schuldner der
geschädigten Gläubiger bleibt. Nein, der Staat hat ein Verfahren geschaffen,
wodurch er es den Besitzenden und ganz besonders dem Teil, der sich Kauf¬
mann nennt, ermöglicht, sich ihren Besitz, mag er nun ein wahrer Besitz oder
nur ein Scheinbesitz gewesen sein, zu erhalten und nicht in die Klasse der
Besitzlosen herunterzusinken. Dieses Hilfsmittel ist das Konkursverfahren. Der
Staat nimmt hier dem, der seine Zahlungen eingestellt hat, die Sorge für die
Befriedigung der Gläubiger, die Last der Verwaltung des zu diesem Zweck
nicht zureichenden Vermögens ab und überträgt sie einem besondern Verwalter.
Während dieses Verfahrens ist der „Gemeinschuldner" vor dem Gerichtsvoll¬
zieher geschützt, auch der Not und dem Hunger durchaus nicht ausgesetzt; im
Gegenteil, es wird ihm gewöhnlich ans dem zur Befriedigung der Gläubiger
nicht zureichenden Vermögen ein zu seinem und seiner Angehörigen Unterhalt aus¬
reichender Betrag von täglich etwa fünf bis acht Mark ausgezahlt, also mehr
als ein strebsamer Handwerker im günstigsten Fall täglich verdienen kann. In¬
zwischen haben der Verwalter und das Gericht die Gläubiger zu ermitteln,
und der Verwalter hat das Vermögen des Schuldners zur gleichmäßigen Ve-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220842"/>
          <fw type="header" place="top"> Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2007" prev="#ID_2006"> sich selbständig zu machen, wird die Ausführung dieses Entschlusses &gt; nicht<lb/>
schwer; mit Leichtigkeit gelingt es ihm, ein Obdach und oft recht stattliche<lb/>
Lagerräume zu mieten. Der Vermieter sieht zwar mit Sicherheit voraus, daß<lb/>
die höchst leichtfertig begonnene wirtschaftliche Selbständigkeit des Mieters nicht<lb/>
von langer Dauer sein wird, daß sie gegenüber der drückenden Konkurrenz<lb/>
kaum die Mietperivde ausdauern wird, aber das hindert ihn nicht, an den<lb/>
jungen Anfänger zu vermieten. Steht ihm doch an dem zusammengeborgten<lb/>
Lager wie an der übrigen Habe des Mieters das Pfandrecht zu, und dies<lb/>
Warenlager nebst der sonstigen Habe ist ja immer hinreichend, den Mietzins<lb/>
zu decken; selbst beim Konkurs des Mieters äußert dieses Pfandrecht seine<lb/>
Wirkung zu Gunsten des Vermieters. Auf jeden Fall wird auch der Miet¬<lb/>
zins schon im voraus recht hoch gegriffen; der junge Anfänger zahlt eine<lb/>
Miete, die der redliche und strebsame Geschäftsmann unmöglich bewilligen<lb/>
kann. So wirkt jenes Vorrecht des Vermieters auch schädigend auf die all¬<lb/>
gemeinen Kreditverhältnisse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2008" next="#ID_2009"> Der junge Anfänger, der sich so leichtsinnig wirtschaftlich selbständig macht,<lb/>
ist freilich nach seinen Begriffen gar nicht so leichtsinnig. Zwar muß er die<lb/>
nahe liegende Erwägung anstellen, daß es bei seinem Mangel an Betriebs¬<lb/>
kapital und bei seinen mangelhaften Kenntnissen oder auch infolge der un¬<lb/>
günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse und der übermäßigen Konkurrenz schwer<lb/>
halten wird, sich die kühn unternommne wirtschaftliche Selbständigkeit zu er¬<lb/>
halten. Aber das ist ja nicht schlimm; er stellt dann eben seine Zahlungen<lb/>
ein. Daraus folgt nicht, daß sich seine Gläubiger nun haufenweise auf ihn<lb/>
stürzen, seine Habe durch den Gerichtsvollzieher plündern, einer alles bekommen<lb/>
und die andern leer ausgehen werden und er lebenslänglich Schuldner der<lb/>
geschädigten Gläubiger bleibt. Nein, der Staat hat ein Verfahren geschaffen,<lb/>
wodurch er es den Besitzenden und ganz besonders dem Teil, der sich Kauf¬<lb/>
mann nennt, ermöglicht, sich ihren Besitz, mag er nun ein wahrer Besitz oder<lb/>
nur ein Scheinbesitz gewesen sein, zu erhalten und nicht in die Klasse der<lb/>
Besitzlosen herunterzusinken. Dieses Hilfsmittel ist das Konkursverfahren. Der<lb/>
Staat nimmt hier dem, der seine Zahlungen eingestellt hat, die Sorge für die<lb/>
Befriedigung der Gläubiger, die Last der Verwaltung des zu diesem Zweck<lb/>
nicht zureichenden Vermögens ab und überträgt sie einem besondern Verwalter.<lb/>
Während dieses Verfahrens ist der &#x201E;Gemeinschuldner" vor dem Gerichtsvoll¬<lb/>
zieher geschützt, auch der Not und dem Hunger durchaus nicht ausgesetzt; im<lb/>
Gegenteil, es wird ihm gewöhnlich ans dem zur Befriedigung der Gläubiger<lb/>
nicht zureichenden Vermögen ein zu seinem und seiner Angehörigen Unterhalt aus¬<lb/>
reichender Betrag von täglich etwa fünf bis acht Mark ausgezahlt, also mehr<lb/>
als ein strebsamer Handwerker im günstigsten Fall täglich verdienen kann. In¬<lb/>
zwischen haben der Verwalter und das Gericht die Gläubiger zu ermitteln,<lb/>
und der Verwalter hat das Vermögen des Schuldners zur gleichmäßigen Ve-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0516] Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr sich selbständig zu machen, wird die Ausführung dieses Entschlusses > nicht schwer; mit Leichtigkeit gelingt es ihm, ein Obdach und oft recht stattliche Lagerräume zu mieten. Der Vermieter sieht zwar mit Sicherheit voraus, daß die höchst leichtfertig begonnene wirtschaftliche Selbständigkeit des Mieters nicht von langer Dauer sein wird, daß sie gegenüber der drückenden Konkurrenz kaum die Mietperivde ausdauern wird, aber das hindert ihn nicht, an den jungen Anfänger zu vermieten. Steht ihm doch an dem zusammengeborgten Lager wie an der übrigen Habe des Mieters das Pfandrecht zu, und dies Warenlager nebst der sonstigen Habe ist ja immer hinreichend, den Mietzins zu decken; selbst beim Konkurs des Mieters äußert dieses Pfandrecht seine Wirkung zu Gunsten des Vermieters. Auf jeden Fall wird auch der Miet¬ zins schon im voraus recht hoch gegriffen; der junge Anfänger zahlt eine Miete, die der redliche und strebsame Geschäftsmann unmöglich bewilligen kann. So wirkt jenes Vorrecht des Vermieters auch schädigend auf die all¬ gemeinen Kreditverhältnisse. Der junge Anfänger, der sich so leichtsinnig wirtschaftlich selbständig macht, ist freilich nach seinen Begriffen gar nicht so leichtsinnig. Zwar muß er die nahe liegende Erwägung anstellen, daß es bei seinem Mangel an Betriebs¬ kapital und bei seinen mangelhaften Kenntnissen oder auch infolge der un¬ günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse und der übermäßigen Konkurrenz schwer halten wird, sich die kühn unternommne wirtschaftliche Selbständigkeit zu er¬ halten. Aber das ist ja nicht schlimm; er stellt dann eben seine Zahlungen ein. Daraus folgt nicht, daß sich seine Gläubiger nun haufenweise auf ihn stürzen, seine Habe durch den Gerichtsvollzieher plündern, einer alles bekommen und die andern leer ausgehen werden und er lebenslänglich Schuldner der geschädigten Gläubiger bleibt. Nein, der Staat hat ein Verfahren geschaffen, wodurch er es den Besitzenden und ganz besonders dem Teil, der sich Kauf¬ mann nennt, ermöglicht, sich ihren Besitz, mag er nun ein wahrer Besitz oder nur ein Scheinbesitz gewesen sein, zu erhalten und nicht in die Klasse der Besitzlosen herunterzusinken. Dieses Hilfsmittel ist das Konkursverfahren. Der Staat nimmt hier dem, der seine Zahlungen eingestellt hat, die Sorge für die Befriedigung der Gläubiger, die Last der Verwaltung des zu diesem Zweck nicht zureichenden Vermögens ab und überträgt sie einem besondern Verwalter. Während dieses Verfahrens ist der „Gemeinschuldner" vor dem Gerichtsvoll¬ zieher geschützt, auch der Not und dem Hunger durchaus nicht ausgesetzt; im Gegenteil, es wird ihm gewöhnlich ans dem zur Befriedigung der Gläubiger nicht zureichenden Vermögen ein zu seinem und seiner Angehörigen Unterhalt aus¬ reichender Betrag von täglich etwa fünf bis acht Mark ausgezahlt, also mehr als ein strebsamer Handwerker im günstigsten Fall täglich verdienen kann. In¬ zwischen haben der Verwalter und das Gericht die Gläubiger zu ermitteln, und der Verwalter hat das Vermögen des Schuldners zur gleichmäßigen Ve-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/516
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/516>, abgerufen am 23.06.2024.