Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

lischen Bildungsgang für den natürlichen zu erklären; finden wir ihn doch auch
bei Kleist und selbst bei Schiller, der nicht eigentlich humanistisch gebildet war,
und dem die Lateiner und Griechen sein Leben lang Mühe machten. Hebbel
hat bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahre in Wesselburen als Schreiber
gelebt, niemals von einem geistig oder nur der Bildung nach Höherstehenden
irgend welche Förderung erfahren, dagegen die spärlichen Bücher, die ihm in
die Hände fielen, natürlich nicht bloß gelesen, sondern durchlebt. In der Heimat
sowohl wie in Hamburg versuchte er dann noch Lateinisch zu lernen, brachte
es aber nicht weit und erhielt eine vom Rektor des Hamburger Johanneums
erbetue Bescheinigung seiner geistigen Reife nicht. So zog er ans die Uni¬
versität nach Heidelberg, aber weder hier, noch später in München hat er, von
spärlichen juristischen Ansaugen abgesehen, eine Fachwissenschaft getrieben, wohl
manche Vorlesungen gehört, aber nichts studirt. Ludwig hat zweimal eine
Zeit lang ein Gymnasium besucht, aber mit zweifelhaftem Erfolg, ist dann
Kaufmannslehrling gewesen, hat unendliche Zeit auf seine Musik verwandt und
selbst viel komponirt -- sein Studium war wie das Hebbels Lektüre, nament¬
lich Dichterlektüre, und durch diese und die eigne unabhängige Geistesarbeit
sind beide frühzeitig etwas geworden. Ludwig war insofern wieder glücklicher
als Hebbel, als er noch sehr jung die deutschen Klassiker und Romantiker,
auch Shakespeare kennen lernte; Hebbel hat in Wesselburen nur einzelnes aus
Goethe und Shakespeare (Kuh läßt das letztere sogar noch unentschieden, aber
ich weiß bestimmt, daß Hebbel wenigstens den "Julius Cäsar" gelesen und
mit Anmerkungen versehen hat) kennen gelernt, aber dann freilich später nach
Kräften nachgeholt. Beide begegneten sich in einer Vorliebe für E. T. A. Hoff¬
mann, dessen "Fräulein von Senden" Ludwig bekanntlich später zum Drama
gestaltete. Auch Tieck war beiden wert, beide haben ihm ihre Produktionen zur
Begutachtung vorgelegt, und ihre Abneigung gegen das junge Deutschland mag
auf dessen Verhalten gegen den verehrten Meister mit zurückzuführen sein. Be¬
kannt ist, daß Otto Ludwig zuerst auf den Musiker zustrebte, er wurde fast
dreißig Jahre alt, ehe er seinen wahren Beruf erkannte; Hebbel wußte von
vornherein, daß er zum Dichter bestimmt sei, und schon in Wesselburen ge¬
langen ihm einige seiner schönsten lyrischen Gedichte.

Aber die geistige Entwicklung der beiden Dichter hat uns schon etwas zu
weit in ihr Leben hineingeführt, es sind noch einige Schicksale nachzuholen.
Bei Hebbel wie bei Ludwig sind die Jünglingsjahre die trübsten des ganzen
Lebens gewesen, eine Fülle düsterer Eindrücke haben sie aus diesen mit auf
den Weg genommen. Hebbel war acht Jahre lang Schreiber auf der Wesfel-
burner Kirchspielvogtei und wurde als solcher nicht besser behandelt als ein
Bedienter, ja es kamen gewisse Mißhandlungen seines innern Menschen vor,
die er völlig eigentlich nie überwunden hat. Dann brachte auch sein Be¬
ruf als solcher eine Reihe trauriger Eindrücke und mißlicher Erfahrungen


Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

lischen Bildungsgang für den natürlichen zu erklären; finden wir ihn doch auch
bei Kleist und selbst bei Schiller, der nicht eigentlich humanistisch gebildet war,
und dem die Lateiner und Griechen sein Leben lang Mühe machten. Hebbel
hat bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahre in Wesselburen als Schreiber
gelebt, niemals von einem geistig oder nur der Bildung nach Höherstehenden
irgend welche Förderung erfahren, dagegen die spärlichen Bücher, die ihm in
die Hände fielen, natürlich nicht bloß gelesen, sondern durchlebt. In der Heimat
sowohl wie in Hamburg versuchte er dann noch Lateinisch zu lernen, brachte
es aber nicht weit und erhielt eine vom Rektor des Hamburger Johanneums
erbetue Bescheinigung seiner geistigen Reife nicht. So zog er ans die Uni¬
versität nach Heidelberg, aber weder hier, noch später in München hat er, von
spärlichen juristischen Ansaugen abgesehen, eine Fachwissenschaft getrieben, wohl
manche Vorlesungen gehört, aber nichts studirt. Ludwig hat zweimal eine
Zeit lang ein Gymnasium besucht, aber mit zweifelhaftem Erfolg, ist dann
Kaufmannslehrling gewesen, hat unendliche Zeit auf seine Musik verwandt und
selbst viel komponirt — sein Studium war wie das Hebbels Lektüre, nament¬
lich Dichterlektüre, und durch diese und die eigne unabhängige Geistesarbeit
sind beide frühzeitig etwas geworden. Ludwig war insofern wieder glücklicher
als Hebbel, als er noch sehr jung die deutschen Klassiker und Romantiker,
auch Shakespeare kennen lernte; Hebbel hat in Wesselburen nur einzelnes aus
Goethe und Shakespeare (Kuh läßt das letztere sogar noch unentschieden, aber
ich weiß bestimmt, daß Hebbel wenigstens den „Julius Cäsar" gelesen und
mit Anmerkungen versehen hat) kennen gelernt, aber dann freilich später nach
Kräften nachgeholt. Beide begegneten sich in einer Vorliebe für E. T. A. Hoff¬
mann, dessen „Fräulein von Senden" Ludwig bekanntlich später zum Drama
gestaltete. Auch Tieck war beiden wert, beide haben ihm ihre Produktionen zur
Begutachtung vorgelegt, und ihre Abneigung gegen das junge Deutschland mag
auf dessen Verhalten gegen den verehrten Meister mit zurückzuführen sein. Be¬
kannt ist, daß Otto Ludwig zuerst auf den Musiker zustrebte, er wurde fast
dreißig Jahre alt, ehe er seinen wahren Beruf erkannte; Hebbel wußte von
vornherein, daß er zum Dichter bestimmt sei, und schon in Wesselburen ge¬
langen ihm einige seiner schönsten lyrischen Gedichte.

Aber die geistige Entwicklung der beiden Dichter hat uns schon etwas zu
weit in ihr Leben hineingeführt, es sind noch einige Schicksale nachzuholen.
Bei Hebbel wie bei Ludwig sind die Jünglingsjahre die trübsten des ganzen
Lebens gewesen, eine Fülle düsterer Eindrücke haben sie aus diesen mit auf
den Weg genommen. Hebbel war acht Jahre lang Schreiber auf der Wesfel-
burner Kirchspielvogtei und wurde als solcher nicht besser behandelt als ein
Bedienter, ja es kamen gewisse Mißhandlungen seines innern Menschen vor,
die er völlig eigentlich nie überwunden hat. Dann brachte auch sein Be¬
ruf als solcher eine Reihe trauriger Eindrücke und mißlicher Erfahrungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0048" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220374"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_86" prev="#ID_85"> lischen Bildungsgang für den natürlichen zu erklären; finden wir ihn doch auch<lb/>
bei Kleist und selbst bei Schiller, der nicht eigentlich humanistisch gebildet war,<lb/>
und dem die Lateiner und Griechen sein Leben lang Mühe machten. Hebbel<lb/>
hat bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahre in Wesselburen als Schreiber<lb/>
gelebt, niemals von einem geistig oder nur der Bildung nach Höherstehenden<lb/>
irgend welche Förderung erfahren, dagegen die spärlichen Bücher, die ihm in<lb/>
die Hände fielen, natürlich nicht bloß gelesen, sondern durchlebt. In der Heimat<lb/>
sowohl wie in Hamburg versuchte er dann noch Lateinisch zu lernen, brachte<lb/>
es aber nicht weit und erhielt eine vom Rektor des Hamburger Johanneums<lb/>
erbetue Bescheinigung seiner geistigen Reife nicht. So zog er ans die Uni¬<lb/>
versität nach Heidelberg, aber weder hier, noch später in München hat er, von<lb/>
spärlichen juristischen Ansaugen abgesehen, eine Fachwissenschaft getrieben, wohl<lb/>
manche Vorlesungen gehört, aber nichts studirt. Ludwig hat zweimal eine<lb/>
Zeit lang ein Gymnasium besucht, aber mit zweifelhaftem Erfolg, ist dann<lb/>
Kaufmannslehrling gewesen, hat unendliche Zeit auf seine Musik verwandt und<lb/>
selbst viel komponirt &#x2014; sein Studium war wie das Hebbels Lektüre, nament¬<lb/>
lich Dichterlektüre, und durch diese und die eigne unabhängige Geistesarbeit<lb/>
sind beide frühzeitig etwas geworden. Ludwig war insofern wieder glücklicher<lb/>
als Hebbel, als er noch sehr jung die deutschen Klassiker und Romantiker,<lb/>
auch Shakespeare kennen lernte; Hebbel hat in Wesselburen nur einzelnes aus<lb/>
Goethe und Shakespeare (Kuh läßt das letztere sogar noch unentschieden, aber<lb/>
ich weiß bestimmt, daß Hebbel wenigstens den &#x201E;Julius Cäsar" gelesen und<lb/>
mit Anmerkungen versehen hat) kennen gelernt, aber dann freilich später nach<lb/>
Kräften nachgeholt. Beide begegneten sich in einer Vorliebe für E. T. A. Hoff¬<lb/>
mann, dessen &#x201E;Fräulein von Senden" Ludwig bekanntlich später zum Drama<lb/>
gestaltete. Auch Tieck war beiden wert, beide haben ihm ihre Produktionen zur<lb/>
Begutachtung vorgelegt, und ihre Abneigung gegen das junge Deutschland mag<lb/>
auf dessen Verhalten gegen den verehrten Meister mit zurückzuführen sein. Be¬<lb/>
kannt ist, daß Otto Ludwig zuerst auf den Musiker zustrebte, er wurde fast<lb/>
dreißig Jahre alt, ehe er seinen wahren Beruf erkannte; Hebbel wußte von<lb/>
vornherein, daß er zum Dichter bestimmt sei, und schon in Wesselburen ge¬<lb/>
langen ihm einige seiner schönsten lyrischen Gedichte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_87" next="#ID_88"> Aber die geistige Entwicklung der beiden Dichter hat uns schon etwas zu<lb/>
weit in ihr Leben hineingeführt, es sind noch einige Schicksale nachzuholen.<lb/>
Bei Hebbel wie bei Ludwig sind die Jünglingsjahre die trübsten des ganzen<lb/>
Lebens gewesen, eine Fülle düsterer Eindrücke haben sie aus diesen mit auf<lb/>
den Weg genommen. Hebbel war acht Jahre lang Schreiber auf der Wesfel-<lb/>
burner Kirchspielvogtei und wurde als solcher nicht besser behandelt als ein<lb/>
Bedienter, ja es kamen gewisse Mißhandlungen seines innern Menschen vor,<lb/>
die er völlig eigentlich nie überwunden hat. Dann brachte auch sein Be¬<lb/>
ruf als solcher eine Reihe trauriger Eindrücke und mißlicher Erfahrungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig lischen Bildungsgang für den natürlichen zu erklären; finden wir ihn doch auch bei Kleist und selbst bei Schiller, der nicht eigentlich humanistisch gebildet war, und dem die Lateiner und Griechen sein Leben lang Mühe machten. Hebbel hat bis zu seinem zweiundzwanzigsten Jahre in Wesselburen als Schreiber gelebt, niemals von einem geistig oder nur der Bildung nach Höherstehenden irgend welche Förderung erfahren, dagegen die spärlichen Bücher, die ihm in die Hände fielen, natürlich nicht bloß gelesen, sondern durchlebt. In der Heimat sowohl wie in Hamburg versuchte er dann noch Lateinisch zu lernen, brachte es aber nicht weit und erhielt eine vom Rektor des Hamburger Johanneums erbetue Bescheinigung seiner geistigen Reife nicht. So zog er ans die Uni¬ versität nach Heidelberg, aber weder hier, noch später in München hat er, von spärlichen juristischen Ansaugen abgesehen, eine Fachwissenschaft getrieben, wohl manche Vorlesungen gehört, aber nichts studirt. Ludwig hat zweimal eine Zeit lang ein Gymnasium besucht, aber mit zweifelhaftem Erfolg, ist dann Kaufmannslehrling gewesen, hat unendliche Zeit auf seine Musik verwandt und selbst viel komponirt — sein Studium war wie das Hebbels Lektüre, nament¬ lich Dichterlektüre, und durch diese und die eigne unabhängige Geistesarbeit sind beide frühzeitig etwas geworden. Ludwig war insofern wieder glücklicher als Hebbel, als er noch sehr jung die deutschen Klassiker und Romantiker, auch Shakespeare kennen lernte; Hebbel hat in Wesselburen nur einzelnes aus Goethe und Shakespeare (Kuh läßt das letztere sogar noch unentschieden, aber ich weiß bestimmt, daß Hebbel wenigstens den „Julius Cäsar" gelesen und mit Anmerkungen versehen hat) kennen gelernt, aber dann freilich später nach Kräften nachgeholt. Beide begegneten sich in einer Vorliebe für E. T. A. Hoff¬ mann, dessen „Fräulein von Senden" Ludwig bekanntlich später zum Drama gestaltete. Auch Tieck war beiden wert, beide haben ihm ihre Produktionen zur Begutachtung vorgelegt, und ihre Abneigung gegen das junge Deutschland mag auf dessen Verhalten gegen den verehrten Meister mit zurückzuführen sein. Be¬ kannt ist, daß Otto Ludwig zuerst auf den Musiker zustrebte, er wurde fast dreißig Jahre alt, ehe er seinen wahren Beruf erkannte; Hebbel wußte von vornherein, daß er zum Dichter bestimmt sei, und schon in Wesselburen ge¬ langen ihm einige seiner schönsten lyrischen Gedichte. Aber die geistige Entwicklung der beiden Dichter hat uns schon etwas zu weit in ihr Leben hineingeführt, es sind noch einige Schicksale nachzuholen. Bei Hebbel wie bei Ludwig sind die Jünglingsjahre die trübsten des ganzen Lebens gewesen, eine Fülle düsterer Eindrücke haben sie aus diesen mit auf den Weg genommen. Hebbel war acht Jahre lang Schreiber auf der Wesfel- burner Kirchspielvogtei und wurde als solcher nicht besser behandelt als ein Bedienter, ja es kamen gewisse Mißhandlungen seines innern Menschen vor, die er völlig eigentlich nie überwunden hat. Dann brachte auch sein Be¬ ruf als solcher eine Reihe trauriger Eindrücke und mißlicher Erfahrungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/48
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/48>, abgerufen am 27.07.2024.