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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und <Z)tlo Ludwig

mit sich- Der Kirchspielvogt hatte in Dithmarsen nämlich außer der Verwal¬
tung auch die niedere Gerichtsbarkeit, und da die Arbeitslast zunächst auf dem
Schreiber ruhte, so hatte dieser nur zuviel Gelegenheit, die weniger erfreulichen
Seiten der Menschennatur kennen zu lernen. Man merkt denn auch dem
spätern Dramatiker sowohl diese Kenntnis wie eine gewisse praktisch-juristische
Schulung an. Die letzten Jahre in Wesselburen mit ihrem vergeblichen Ringen,
von der Sklaverei des Schreiberdienstes frei zu werden und doch noch zum
Studium zu gelangen, kann man sich bei der damals schon erreichten Reife
Hebbels und feinem nicht eben glückliche" Naturell gar nicht düster genug aus¬
malen. Außerordentlich niederdrückend hat auf Hebbel aber auch die Ham¬
burger Freitischcxisteuz eingewirkt, die ihm die wohlmeinende Amalie Schoppe,
ihrer Zeit eine vielgelesene Schriftstellerin, verschafft hatte, und selbstverständ¬
lich war eine Studentenzeit, die eine Kette aller möglichen Entbehrungen dar¬
stellt, nicht imstande, diese Eindrücke wieder zu verwischen. Während dieser
ganzen Periode und noch, nachdem er 1839 sein Hamburger Litteratenleben
begonnen hatte, hielt ihn weiter nichts aufrecht als das auch hin und wieder
erschütterte Vertrauen auf seine noch unerprobtc Dichterkraft. Seine Mutter
war während seines Münchner Aufenthalts gestorben, sein bester Freund Rousseau
gleichfalls, und das einzige menschliche Verhältnis, das ihn noch mit der Welt
verknüpfte, sollte im Laufe seiner Entwicklung gleich Verhängnis- und schuldvoll
werden.

Auch Otto Ludwig verlor als Jüngling, noch früher als Hebbel, feine
Mutter, wie dieser schien er auf höhere Bildung verzichten zu müssen, doch
hatte er wenigstens seine Musik, die ihm auch seine ersten kleinen Erfolge brachte
und ihm das Meiningische Stipendium verschaffte. Der Einblick in das schau¬
rige Familienleben seines Onkels Otto bot für Ludwig sicher nicht weniger
Trübes und niederdrückendes als Hebbels Schreiberpraxis, berührte ihn mensch¬
lich wohl noch näher. Mit Hebbels Studienzeit dann ist Otto Ludwigs erster
Leipziger Aufenthalt, der ihn als Schüler Mendelssohns fördern sollte, aber
keinen einzigen unmittelbaren Erfolg hatte, an Trostlosigkeit sehr wohl zu ver¬
gleichen, nur daß Hebbels Prüfungszeit länger dauerte und er nicht wie Lud¬
wig die doch auch beglückende Sehnsucht nach einem Heimatsidyll, das in
Wirklichkeit da war und nicht allzu fern lag, in der Seele trug. Etwas wie
die Hebbelsche Winterreise zu Fuß von München nach Hamburg hat schwerlich
ein andrer deutscher Dichter durchgemacht. Beiden Dichtern eigentümlich ist
es wieder, daß sich gerade in ihren schwersten Zeiten ihr Widerspruch gegen
die damals die Litteratur beherrschende und also Erfolg versprechende Richtung
des jungen Deutschlands energisch regte. Hebbel faßte den Gedanken, einen
Band Kritiken, namentlich über die gerühmten Produktionen der modernen
Litteratur, zusammenzustellen und herauszugeben. So lange diese Gesellen oben
wären, äußerte er, sei für ihn an kein Aufkommen zu denken; er glaube ihnen


Grenzboten III 1895 g
Friedrich Hebbel und <Z)tlo Ludwig

mit sich- Der Kirchspielvogt hatte in Dithmarsen nämlich außer der Verwal¬
tung auch die niedere Gerichtsbarkeit, und da die Arbeitslast zunächst auf dem
Schreiber ruhte, so hatte dieser nur zuviel Gelegenheit, die weniger erfreulichen
Seiten der Menschennatur kennen zu lernen. Man merkt denn auch dem
spätern Dramatiker sowohl diese Kenntnis wie eine gewisse praktisch-juristische
Schulung an. Die letzten Jahre in Wesselburen mit ihrem vergeblichen Ringen,
von der Sklaverei des Schreiberdienstes frei zu werden und doch noch zum
Studium zu gelangen, kann man sich bei der damals schon erreichten Reife
Hebbels und feinem nicht eben glückliche» Naturell gar nicht düster genug aus¬
malen. Außerordentlich niederdrückend hat auf Hebbel aber auch die Ham¬
burger Freitischcxisteuz eingewirkt, die ihm die wohlmeinende Amalie Schoppe,
ihrer Zeit eine vielgelesene Schriftstellerin, verschafft hatte, und selbstverständ¬
lich war eine Studentenzeit, die eine Kette aller möglichen Entbehrungen dar¬
stellt, nicht imstande, diese Eindrücke wieder zu verwischen. Während dieser
ganzen Periode und noch, nachdem er 1839 sein Hamburger Litteratenleben
begonnen hatte, hielt ihn weiter nichts aufrecht als das auch hin und wieder
erschütterte Vertrauen auf seine noch unerprobtc Dichterkraft. Seine Mutter
war während seines Münchner Aufenthalts gestorben, sein bester Freund Rousseau
gleichfalls, und das einzige menschliche Verhältnis, das ihn noch mit der Welt
verknüpfte, sollte im Laufe seiner Entwicklung gleich Verhängnis- und schuldvoll
werden.

Auch Otto Ludwig verlor als Jüngling, noch früher als Hebbel, feine
Mutter, wie dieser schien er auf höhere Bildung verzichten zu müssen, doch
hatte er wenigstens seine Musik, die ihm auch seine ersten kleinen Erfolge brachte
und ihm das Meiningische Stipendium verschaffte. Der Einblick in das schau¬
rige Familienleben seines Onkels Otto bot für Ludwig sicher nicht weniger
Trübes und niederdrückendes als Hebbels Schreiberpraxis, berührte ihn mensch¬
lich wohl noch näher. Mit Hebbels Studienzeit dann ist Otto Ludwigs erster
Leipziger Aufenthalt, der ihn als Schüler Mendelssohns fördern sollte, aber
keinen einzigen unmittelbaren Erfolg hatte, an Trostlosigkeit sehr wohl zu ver¬
gleichen, nur daß Hebbels Prüfungszeit länger dauerte und er nicht wie Lud¬
wig die doch auch beglückende Sehnsucht nach einem Heimatsidyll, das in
Wirklichkeit da war und nicht allzu fern lag, in der Seele trug. Etwas wie
die Hebbelsche Winterreise zu Fuß von München nach Hamburg hat schwerlich
ein andrer deutscher Dichter durchgemacht. Beiden Dichtern eigentümlich ist
es wieder, daß sich gerade in ihren schwersten Zeiten ihr Widerspruch gegen
die damals die Litteratur beherrschende und also Erfolg versprechende Richtung
des jungen Deutschlands energisch regte. Hebbel faßte den Gedanken, einen
Band Kritiken, namentlich über die gerühmten Produktionen der modernen
Litteratur, zusammenzustellen und herauszugeben. So lange diese Gesellen oben
wären, äußerte er, sei für ihn an kein Aufkommen zu denken; er glaube ihnen


Grenzboten III 1895 g
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[0049] Friedrich Hebbel und <Z)tlo Ludwig mit sich- Der Kirchspielvogt hatte in Dithmarsen nämlich außer der Verwal¬ tung auch die niedere Gerichtsbarkeit, und da die Arbeitslast zunächst auf dem Schreiber ruhte, so hatte dieser nur zuviel Gelegenheit, die weniger erfreulichen Seiten der Menschennatur kennen zu lernen. Man merkt denn auch dem spätern Dramatiker sowohl diese Kenntnis wie eine gewisse praktisch-juristische Schulung an. Die letzten Jahre in Wesselburen mit ihrem vergeblichen Ringen, von der Sklaverei des Schreiberdienstes frei zu werden und doch noch zum Studium zu gelangen, kann man sich bei der damals schon erreichten Reife Hebbels und feinem nicht eben glückliche» Naturell gar nicht düster genug aus¬ malen. Außerordentlich niederdrückend hat auf Hebbel aber auch die Ham¬ burger Freitischcxisteuz eingewirkt, die ihm die wohlmeinende Amalie Schoppe, ihrer Zeit eine vielgelesene Schriftstellerin, verschafft hatte, und selbstverständ¬ lich war eine Studentenzeit, die eine Kette aller möglichen Entbehrungen dar¬ stellt, nicht imstande, diese Eindrücke wieder zu verwischen. Während dieser ganzen Periode und noch, nachdem er 1839 sein Hamburger Litteratenleben begonnen hatte, hielt ihn weiter nichts aufrecht als das auch hin und wieder erschütterte Vertrauen auf seine noch unerprobtc Dichterkraft. Seine Mutter war während seines Münchner Aufenthalts gestorben, sein bester Freund Rousseau gleichfalls, und das einzige menschliche Verhältnis, das ihn noch mit der Welt verknüpfte, sollte im Laufe seiner Entwicklung gleich Verhängnis- und schuldvoll werden. Auch Otto Ludwig verlor als Jüngling, noch früher als Hebbel, feine Mutter, wie dieser schien er auf höhere Bildung verzichten zu müssen, doch hatte er wenigstens seine Musik, die ihm auch seine ersten kleinen Erfolge brachte und ihm das Meiningische Stipendium verschaffte. Der Einblick in das schau¬ rige Familienleben seines Onkels Otto bot für Ludwig sicher nicht weniger Trübes und niederdrückendes als Hebbels Schreiberpraxis, berührte ihn mensch¬ lich wohl noch näher. Mit Hebbels Studienzeit dann ist Otto Ludwigs erster Leipziger Aufenthalt, der ihn als Schüler Mendelssohns fördern sollte, aber keinen einzigen unmittelbaren Erfolg hatte, an Trostlosigkeit sehr wohl zu ver¬ gleichen, nur daß Hebbels Prüfungszeit länger dauerte und er nicht wie Lud¬ wig die doch auch beglückende Sehnsucht nach einem Heimatsidyll, das in Wirklichkeit da war und nicht allzu fern lag, in der Seele trug. Etwas wie die Hebbelsche Winterreise zu Fuß von München nach Hamburg hat schwerlich ein andrer deutscher Dichter durchgemacht. Beiden Dichtern eigentümlich ist es wieder, daß sich gerade in ihren schwersten Zeiten ihr Widerspruch gegen die damals die Litteratur beherrschende und also Erfolg versprechende Richtung des jungen Deutschlands energisch regte. Hebbel faßte den Gedanken, einen Band Kritiken, namentlich über die gerühmten Produktionen der modernen Litteratur, zusammenzustellen und herauszugeben. So lange diese Gesellen oben wären, äußerte er, sei für ihn an kein Aufkommen zu denken; er glaube ihnen Grenzboten III 1895 g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/49>, abgerufen am 28.06.2024.