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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

verpflichtet. Aber eine Pflicht ist kein Privilegium. Die Pflicht der einen,
zu reden, ist nicht die Pflicht der andern, zu schweigen. Der heilige Apostel
Paulus sagt wohl: mulisr eg,esg.t in sovlssm Mer hätte ich bemerken können,
daß die Breslauer und Liegnitzer Kirchenmütter dieses Gebot auf der ganzen
Linie gröblich übertraten^, aber er sagt nicht einmal: uomo laicus, viel weniger
xrssd^ehr wovat in svolssiiZ.. Die Erklärung der drei Striegauer Herren
könnte ich jederzeit zu der meinigen machen, da sie einen Widerruf nicht in-
volvirt."

Mein jüngster Bruder, der Theologie im letzten Semester studirte und
die Osterferien bei mir zugebracht hatte, war mittlerweile nach Vreslau zurück¬
gefahren und verhandelte eifrig mit dem Kanonikus Professor Lämmer, dem
bekannten Konvertiten. Der persönlich sehr liebe Herr, der in seinem (dog¬
matischen) Seminar meinen Bruder und mich in Franzensbad kennen gelernt
hatte, war für unser beider Wohl sehr besorgt, und ich empfing in jenen kri¬
tischen Tagen von ihm eine Reihe von Briefen. Sie macheu seinem Charakter
Ehre; er wird es mir daher hoffentlich nicht übelnehmen, wenn ich, ohne ihn
um Erlaubnis zu bitten, daraus soviel mitteile, als zum Verständnis des Zu¬
sammenhangs der Begebenheiten nötig ist. Am 6. Mai schrieb er: "Vor einer
halben Stunde war Ihr Bruder bei mir, mit dem ich über Ihre Angelegen¬
heit gesprochen und den ich gebeten, noch heute Ihnen die Hauptmomente
unsrer Unterredung mitzuteilen. Nach seinem Weggange wurde mir ein Schreiben
des Herrn Generalvikars, mit dem ich vormittags mündlich konferirt, über¬
bracht, in dem ich den Auftrag erhalte, Ihnen auf die Eingabe vom 5. d. M.
in nicht strikt amtlicher Form zu reskribiren... . Anlangend den Hochwürdigsten
Herrn Fürstbischof, an den Sie sich laut Ihres Protests vom 1. Mai ge¬
wendet, so bin ich ermächtigt, den Wortlaut seines Reskripts vom 30. April
herzusetzen. "Ich beauftrage das Hochwürdigste Gencralvikariatamt sofort in
meinem Auftrage -- was zu bemerken ist -- dem Jentsch zu schreiben: daß
er hiermit väterlich ermahnt werde, seine Auslassungen in der Schlesischen
Zeitung binnen drei Tagen zu widerrufen; b) weigert er sich, so ist er ohne
weiteres 1. wegen Auflehnung gegen kirchliche Bestimmungen. 2. wegen Un-
ehrerbietigkeit gegen das Oberhaupt der Kirche, 3. wegen Ungehorsam gegen
die geistliche Behörde ab oWoio zu suspendiren und sein Gehalt zu sperren.
o) Will er seine Orthodoxie durch eine Schrift vor der Welt darlegen, so bleibt
ihm das unbenommen, er hat die Schrift aber der geistlichen Behörde zur
Zensur einzureichen.""

Später hörte ich, man habe mich im Publikum sür ein Werkzeug Försters
gehalten und die Frage aufgeworfen, wieviel mir dieser wohl für meine Er¬
klärung bezahlt haben möge. Nein, einer solchen Handlungsweise war Förster
nicht fähig. Der Widerspruch zwischen der innern Überzeugung und der amt¬
lichen Haltung der Bischöfe erklärt sich sehr einfach aus dem Wesen der Kirchen.


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

verpflichtet. Aber eine Pflicht ist kein Privilegium. Die Pflicht der einen,
zu reden, ist nicht die Pflicht der andern, zu schweigen. Der heilige Apostel
Paulus sagt wohl: mulisr eg,esg.t in sovlssm Mer hätte ich bemerken können,
daß die Breslauer und Liegnitzer Kirchenmütter dieses Gebot auf der ganzen
Linie gröblich übertraten^, aber er sagt nicht einmal: uomo laicus, viel weniger
xrssd^ehr wovat in svolssiiZ.. Die Erklärung der drei Striegauer Herren
könnte ich jederzeit zu der meinigen machen, da sie einen Widerruf nicht in-
volvirt."

Mein jüngster Bruder, der Theologie im letzten Semester studirte und
die Osterferien bei mir zugebracht hatte, war mittlerweile nach Vreslau zurück¬
gefahren und verhandelte eifrig mit dem Kanonikus Professor Lämmer, dem
bekannten Konvertiten. Der persönlich sehr liebe Herr, der in seinem (dog¬
matischen) Seminar meinen Bruder und mich in Franzensbad kennen gelernt
hatte, war für unser beider Wohl sehr besorgt, und ich empfing in jenen kri¬
tischen Tagen von ihm eine Reihe von Briefen. Sie macheu seinem Charakter
Ehre; er wird es mir daher hoffentlich nicht übelnehmen, wenn ich, ohne ihn
um Erlaubnis zu bitten, daraus soviel mitteile, als zum Verständnis des Zu¬
sammenhangs der Begebenheiten nötig ist. Am 6. Mai schrieb er: „Vor einer
halben Stunde war Ihr Bruder bei mir, mit dem ich über Ihre Angelegen¬
heit gesprochen und den ich gebeten, noch heute Ihnen die Hauptmomente
unsrer Unterredung mitzuteilen. Nach seinem Weggange wurde mir ein Schreiben
des Herrn Generalvikars, mit dem ich vormittags mündlich konferirt, über¬
bracht, in dem ich den Auftrag erhalte, Ihnen auf die Eingabe vom 5. d. M.
in nicht strikt amtlicher Form zu reskribiren... . Anlangend den Hochwürdigsten
Herrn Fürstbischof, an den Sie sich laut Ihres Protests vom 1. Mai ge¬
wendet, so bin ich ermächtigt, den Wortlaut seines Reskripts vom 30. April
herzusetzen. »Ich beauftrage das Hochwürdigste Gencralvikariatamt sofort in
meinem Auftrage — was zu bemerken ist — dem Jentsch zu schreiben: daß
er hiermit väterlich ermahnt werde, seine Auslassungen in der Schlesischen
Zeitung binnen drei Tagen zu widerrufen; b) weigert er sich, so ist er ohne
weiteres 1. wegen Auflehnung gegen kirchliche Bestimmungen. 2. wegen Un-
ehrerbietigkeit gegen das Oberhaupt der Kirche, 3. wegen Ungehorsam gegen
die geistliche Behörde ab oWoio zu suspendiren und sein Gehalt zu sperren.
o) Will er seine Orthodoxie durch eine Schrift vor der Welt darlegen, so bleibt
ihm das unbenommen, er hat die Schrift aber der geistlichen Behörde zur
Zensur einzureichen.«"

Später hörte ich, man habe mich im Publikum sür ein Werkzeug Försters
gehalten und die Frage aufgeworfen, wieviel mir dieser wohl für meine Er¬
klärung bezahlt haben möge. Nein, einer solchen Handlungsweise war Förster
nicht fähig. Der Widerspruch zwischen der innern Überzeugung und der amt¬
lichen Haltung der Bischöfe erklärt sich sehr einfach aus dem Wesen der Kirchen.


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[0479] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome verpflichtet. Aber eine Pflicht ist kein Privilegium. Die Pflicht der einen, zu reden, ist nicht die Pflicht der andern, zu schweigen. Der heilige Apostel Paulus sagt wohl: mulisr eg,esg.t in sovlssm Mer hätte ich bemerken können, daß die Breslauer und Liegnitzer Kirchenmütter dieses Gebot auf der ganzen Linie gröblich übertraten^, aber er sagt nicht einmal: uomo laicus, viel weniger xrssd^ehr wovat in svolssiiZ.. Die Erklärung der drei Striegauer Herren könnte ich jederzeit zu der meinigen machen, da sie einen Widerruf nicht in- volvirt." Mein jüngster Bruder, der Theologie im letzten Semester studirte und die Osterferien bei mir zugebracht hatte, war mittlerweile nach Vreslau zurück¬ gefahren und verhandelte eifrig mit dem Kanonikus Professor Lämmer, dem bekannten Konvertiten. Der persönlich sehr liebe Herr, der in seinem (dog¬ matischen) Seminar meinen Bruder und mich in Franzensbad kennen gelernt hatte, war für unser beider Wohl sehr besorgt, und ich empfing in jenen kri¬ tischen Tagen von ihm eine Reihe von Briefen. Sie macheu seinem Charakter Ehre; er wird es mir daher hoffentlich nicht übelnehmen, wenn ich, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten, daraus soviel mitteile, als zum Verständnis des Zu¬ sammenhangs der Begebenheiten nötig ist. Am 6. Mai schrieb er: „Vor einer halben Stunde war Ihr Bruder bei mir, mit dem ich über Ihre Angelegen¬ heit gesprochen und den ich gebeten, noch heute Ihnen die Hauptmomente unsrer Unterredung mitzuteilen. Nach seinem Weggange wurde mir ein Schreiben des Herrn Generalvikars, mit dem ich vormittags mündlich konferirt, über¬ bracht, in dem ich den Auftrag erhalte, Ihnen auf die Eingabe vom 5. d. M. in nicht strikt amtlicher Form zu reskribiren... . Anlangend den Hochwürdigsten Herrn Fürstbischof, an den Sie sich laut Ihres Protests vom 1. Mai ge¬ wendet, so bin ich ermächtigt, den Wortlaut seines Reskripts vom 30. April herzusetzen. »Ich beauftrage das Hochwürdigste Gencralvikariatamt sofort in meinem Auftrage — was zu bemerken ist — dem Jentsch zu schreiben: daß er hiermit väterlich ermahnt werde, seine Auslassungen in der Schlesischen Zeitung binnen drei Tagen zu widerrufen; b) weigert er sich, so ist er ohne weiteres 1. wegen Auflehnung gegen kirchliche Bestimmungen. 2. wegen Un- ehrerbietigkeit gegen das Oberhaupt der Kirche, 3. wegen Ungehorsam gegen die geistliche Behörde ab oWoio zu suspendiren und sein Gehalt zu sperren. o) Will er seine Orthodoxie durch eine Schrift vor der Welt darlegen, so bleibt ihm das unbenommen, er hat die Schrift aber der geistlichen Behörde zur Zensur einzureichen.«" Später hörte ich, man habe mich im Publikum sür ein Werkzeug Försters gehalten und die Frage aufgeworfen, wieviel mir dieser wohl für meine Er¬ klärung bezahlt haben möge. Nein, einer solchen Handlungsweise war Förster nicht fähig. Der Widerspruch zwischen der innern Überzeugung und der amt¬ lichen Haltung der Bischöfe erklärt sich sehr einfach aus dem Wesen der Kirchen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/479>, abgerufen am 24.06.2024.