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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

widmen. Zunächst fertigte ich den Bericht für den Fürstbischof an und machte
mich dann an meine Broschüre. Der erste Verleger, an den ich mich wandte,
lehnte ab, es meldeten sich aber sofort ein paar andre, denen er Mitteilung
gemacht hatte. Daneben waren zustimmende und abmahnende Briefe zu be¬
antworten, darunter einer von dem Sekretär des Fürstbischofs, den ich Reinrens
schickte. Dieser antwortete mir: "Ich danke Ihnen für die Mitteilung des
Briefes von ,L, dessen frommer Hochmut mir widerwärtig ist. Er weiß nicht
einmal die Encyklika vom Syllabus zu unterscheiden. Was mir vor allem
an dem Briefe mißfällt, ist, daß er von dem "Schmerze" und der eventuellen
"Freude" des Herrn Fürstbischofs redet, ohne daß der Verfasser bemerkt, er
wisse das aus einer Unterredung mit diesem, und ohne daß er auch nur an¬
deutet, derselbe habe Kenntnis von seinem so thöricht abgefaßten Schreiben.
Die Bemerkung, daß Sie außer von den Striegauern keine ^öffentliches Zu¬
stimmung mehr erhalten würden, verschweigt wiederum den Grund, worauf
sie sich stützt. Hätte die hiesige geistliche Behörde das ^mir nicht mehr er¬
innerliches Zirkulär vom 27. April nicht erlassen, und wäre sie überhaupt nicht
Partei, indem sie alle entgegengesetzten Kundgebungen auch in der rohesten
Form gestattet, so würden wohl zahlreiche Zustimmungen erfolgt sein."

Am Mittwoch oder Donnerstag erschien der geistliche Rat und päpstliche
Hausprälat v. B. bei mir, ein sehr aristokratischer Herr und feiner Diplomat.
Er sagte mir ungefähr: Eben von einer Reise zurückgekehrt, erfahre ich diese
entsetzliche Geschichte und habe mich, ohne Auftrag, bloß aus persönlicher
Freundschaft für dich j^wir standen einander durch nichts weiter nahe, als daß
er ein paarmal, wo er Geschäfte in Liegnitz hatte, bei mir über Nacht ge¬
wesen war^ sofort entschlossen, herzufahren und zu vermitteln. Du wirst
wohl einsehen, daß dir das Generalvikariatamt aus deinen Protest nicht ant¬
worten kann. Schicke doch also ein Schreiben nach, das wenigstens der Form
nach die Anknüpfung von Unterhandlungen möglich macht.

Das that ich denn auch am 5. Mai. In dem Schreiben heißt es n. a.:
"Der Hochmut, mir eine besondre Mission beizulegen, liegt mir fern. Hätten
die Hausblätter nicht gefragt, so hätte ich nicht geantwortet. Aber Schweigen
wäre unter den obwaltenden Umständen ein Beitrag zur Fälschung der öffent¬
lichen Meinung, eine Verleugnung der Wahrheit, nach meinen sittlichen Be¬
griffen, die ich ja niemandem aufdränge, eine schwere Sünde gewesen. ...
Einen Widerruf zu leisten, bin ich nicht imstande, da zur Überwindung meiner
Überzeugung Wohl ebenso viel Jahre notwendig sein würden wie zu ihrer Bil¬
dung. Auch halte das Hochwürdigste Fürstbischvfliche Generalvikariatamt ich
nicht für kompetent, einen solchen zu verlangen, da ich, wie gesagt, weder einen
Glaubenssatz geleugnet uoch ein Kirchengebot übertreten habe. Nolgt eine
kurze Kritik des Verhaltens der Kurie.^ Sagt man: die Bischöfe sind es, die
darüber zu sprechen berufen sind, so sage ich: die Bischöfe sind in erster Reihe


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

widmen. Zunächst fertigte ich den Bericht für den Fürstbischof an und machte
mich dann an meine Broschüre. Der erste Verleger, an den ich mich wandte,
lehnte ab, es meldeten sich aber sofort ein paar andre, denen er Mitteilung
gemacht hatte. Daneben waren zustimmende und abmahnende Briefe zu be¬
antworten, darunter einer von dem Sekretär des Fürstbischofs, den ich Reinrens
schickte. Dieser antwortete mir: „Ich danke Ihnen für die Mitteilung des
Briefes von ,L, dessen frommer Hochmut mir widerwärtig ist. Er weiß nicht
einmal die Encyklika vom Syllabus zu unterscheiden. Was mir vor allem
an dem Briefe mißfällt, ist, daß er von dem »Schmerze« und der eventuellen
»Freude« des Herrn Fürstbischofs redet, ohne daß der Verfasser bemerkt, er
wisse das aus einer Unterredung mit diesem, und ohne daß er auch nur an¬
deutet, derselbe habe Kenntnis von seinem so thöricht abgefaßten Schreiben.
Die Bemerkung, daß Sie außer von den Striegauern keine ^öffentliches Zu¬
stimmung mehr erhalten würden, verschweigt wiederum den Grund, worauf
sie sich stützt. Hätte die hiesige geistliche Behörde das ^mir nicht mehr er¬
innerliches Zirkulär vom 27. April nicht erlassen, und wäre sie überhaupt nicht
Partei, indem sie alle entgegengesetzten Kundgebungen auch in der rohesten
Form gestattet, so würden wohl zahlreiche Zustimmungen erfolgt sein."

Am Mittwoch oder Donnerstag erschien der geistliche Rat und päpstliche
Hausprälat v. B. bei mir, ein sehr aristokratischer Herr und feiner Diplomat.
Er sagte mir ungefähr: Eben von einer Reise zurückgekehrt, erfahre ich diese
entsetzliche Geschichte und habe mich, ohne Auftrag, bloß aus persönlicher
Freundschaft für dich j^wir standen einander durch nichts weiter nahe, als daß
er ein paarmal, wo er Geschäfte in Liegnitz hatte, bei mir über Nacht ge¬
wesen war^ sofort entschlossen, herzufahren und zu vermitteln. Du wirst
wohl einsehen, daß dir das Generalvikariatamt aus deinen Protest nicht ant¬
worten kann. Schicke doch also ein Schreiben nach, das wenigstens der Form
nach die Anknüpfung von Unterhandlungen möglich macht.

Das that ich denn auch am 5. Mai. In dem Schreiben heißt es n. a.:
„Der Hochmut, mir eine besondre Mission beizulegen, liegt mir fern. Hätten
die Hausblätter nicht gefragt, so hätte ich nicht geantwortet. Aber Schweigen
wäre unter den obwaltenden Umständen ein Beitrag zur Fälschung der öffent¬
lichen Meinung, eine Verleugnung der Wahrheit, nach meinen sittlichen Be¬
griffen, die ich ja niemandem aufdränge, eine schwere Sünde gewesen. ...
Einen Widerruf zu leisten, bin ich nicht imstande, da zur Überwindung meiner
Überzeugung Wohl ebenso viel Jahre notwendig sein würden wie zu ihrer Bil¬
dung. Auch halte das Hochwürdigste Fürstbischvfliche Generalvikariatamt ich
nicht für kompetent, einen solchen zu verlangen, da ich, wie gesagt, weder einen
Glaubenssatz geleugnet uoch ein Kirchengebot übertreten habe. Nolgt eine
kurze Kritik des Verhaltens der Kurie.^ Sagt man: die Bischöfe sind es, die
darüber zu sprechen berufen sind, so sage ich: die Bischöfe sind in erster Reihe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/478>, abgerufen am 24.06.2024.