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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Schluß, ob mir, was im Interesse der Anstalten sehr zu bedauern wäre, auch die
Erteilung des Religionsunterrichts am Gymnasium und an der Mittelschule ver¬
wehrt ist.

Indem ich jetzt diesen Protest abschreibe, wird mir die Angabe, daß ich
am Sonnabend Nachmittag niemand getroffen Hütte, zweifelhaft. Die Forderung
des kanonischen Prozesses und der Satz von dem Manne, der vor die Wahl
zwischen Existcnzverlust und Verleugnung der Überzeugung gestellt wird, er¬
innern mich an Reinkens, sie sind aber nicht erst eingeflickt worden, sondern
stehen in dem Bleistiftmanuskript. Es ist mir, als hätte ich Reinkens bei
einem zweiten Versuche am Abend doch uoch getroffen. Jedenfalls bin ich
am Sonntag Morgen dort gewesen und habe ihm und Elvenich, der sich
auch eingefunden hatte, das Manuskript vorgelesen. Die Herren fanden nur ein
paar Worte zu ändern, als ich aber die Stelle von der Veröffentlichung des
Protestes gelesen hatte, sagte Reinkens: Nein, dazu ists noch zu früh! Auf
den Rat der beiden Herren strich ich die Stelle und ließ meinen Vorsatz,
noch an demselben Tage eine Abschrift an die Schlesische Zeitung zu schicken,
unausgeführt.

Dieser Rat entsprach durchaus den Gewohnheiten unsers weisen, gesitteten
und vorsichtigen Jahrhunderts, alle oppositionellen Maßregeln auf einen Zeit¬
punkt zu verschieben, wo sie nichts mehr nützen. Hätte ich das Ding ver¬
öffentlicht, so hätte ich damit nicht bloß mir selbst den Rückweg in die Kirche
schon damals versperrt, sondern auch die oppositionelle Bewegung zu einer
Zeit in Fluß gebracht, wo nicht, wie drei Monate später, die Bischöfe sich
schon durch ihre Unterwerfung gebunden hatten und die Geister durch den
Krieg in Anspruch genommen waren. Meine erste Erklärung hatte in Breslau
eine gewaltige Gährung hervorgerufen, und dieser Protest würde wie ein
Dammbruch gewirkt haben. Die katholische Kirche wäre dadurch freilich nicht
umgeworfen worden, nicht einmal in Deutschland, aber ein etwas breiteres
Bett hätte sich die Bewegung, die später die altkntholische genannt wurde,
doch gegraben. Ich danke aber Gott, daß die Herren so vorsichtig waren,
und daß ich ihren Rat, wenn auch sehr ungern, befolgt habe. Meine Mutter
hätte den Tod davon gehabt, und mir wäre die Rolle eines Agitators und
Parteiführers zugefallen, der mein ganzes Wesen durchaus widerstrebt, und
mit dem Ergebnis würde schließlich niemand unzufriedner gewesen sein als
ich selbst.

Ich fertigte also nur die fürs Amt bestimmte Reinschrift an, warf sie in
den Kasten und suchte dann meinen Bruder den Braumeister aus, der meine
Schritte mit sehr gemischten Gefühlen begleitete, da die Sorge um unsre
Zukunft und die Freude über meine Haltung in seinem Herzen mit einander
kämpften. Abends fuhr ich nach Hause. Da ich vorläufig keine Amtsgeschüfte
mehr hatte, konnte ich die nächsten Tage ganz und gar meinen Schreibereien


Schluß, ob mir, was im Interesse der Anstalten sehr zu bedauern wäre, auch die
Erteilung des Religionsunterrichts am Gymnasium und an der Mittelschule ver¬
wehrt ist.

Indem ich jetzt diesen Protest abschreibe, wird mir die Angabe, daß ich
am Sonnabend Nachmittag niemand getroffen Hütte, zweifelhaft. Die Forderung
des kanonischen Prozesses und der Satz von dem Manne, der vor die Wahl
zwischen Existcnzverlust und Verleugnung der Überzeugung gestellt wird, er¬
innern mich an Reinkens, sie sind aber nicht erst eingeflickt worden, sondern
stehen in dem Bleistiftmanuskript. Es ist mir, als hätte ich Reinkens bei
einem zweiten Versuche am Abend doch uoch getroffen. Jedenfalls bin ich
am Sonntag Morgen dort gewesen und habe ihm und Elvenich, der sich
auch eingefunden hatte, das Manuskript vorgelesen. Die Herren fanden nur ein
paar Worte zu ändern, als ich aber die Stelle von der Veröffentlichung des
Protestes gelesen hatte, sagte Reinkens: Nein, dazu ists noch zu früh! Auf
den Rat der beiden Herren strich ich die Stelle und ließ meinen Vorsatz,
noch an demselben Tage eine Abschrift an die Schlesische Zeitung zu schicken,
unausgeführt.

Dieser Rat entsprach durchaus den Gewohnheiten unsers weisen, gesitteten
und vorsichtigen Jahrhunderts, alle oppositionellen Maßregeln auf einen Zeit¬
punkt zu verschieben, wo sie nichts mehr nützen. Hätte ich das Ding ver¬
öffentlicht, so hätte ich damit nicht bloß mir selbst den Rückweg in die Kirche
schon damals versperrt, sondern auch die oppositionelle Bewegung zu einer
Zeit in Fluß gebracht, wo nicht, wie drei Monate später, die Bischöfe sich
schon durch ihre Unterwerfung gebunden hatten und die Geister durch den
Krieg in Anspruch genommen waren. Meine erste Erklärung hatte in Breslau
eine gewaltige Gährung hervorgerufen, und dieser Protest würde wie ein
Dammbruch gewirkt haben. Die katholische Kirche wäre dadurch freilich nicht
umgeworfen worden, nicht einmal in Deutschland, aber ein etwas breiteres
Bett hätte sich die Bewegung, die später die altkntholische genannt wurde,
doch gegraben. Ich danke aber Gott, daß die Herren so vorsichtig waren,
und daß ich ihren Rat, wenn auch sehr ungern, befolgt habe. Meine Mutter
hätte den Tod davon gehabt, und mir wäre die Rolle eines Agitators und
Parteiführers zugefallen, der mein ganzes Wesen durchaus widerstrebt, und
mit dem Ergebnis würde schließlich niemand unzufriedner gewesen sein als
ich selbst.

Ich fertigte also nur die fürs Amt bestimmte Reinschrift an, warf sie in
den Kasten und suchte dann meinen Bruder den Braumeister aus, der meine
Schritte mit sehr gemischten Gefühlen begleitete, da die Sorge um unsre
Zukunft und die Freude über meine Haltung in seinem Herzen mit einander
kämpften. Abends fuhr ich nach Hause. Da ich vorläufig keine Amtsgeschüfte
mehr hatte, konnte ich die nächsten Tage ganz und gar meinen Schreibereien


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[0477] Schluß, ob mir, was im Interesse der Anstalten sehr zu bedauern wäre, auch die Erteilung des Religionsunterrichts am Gymnasium und an der Mittelschule ver¬ wehrt ist. Indem ich jetzt diesen Protest abschreibe, wird mir die Angabe, daß ich am Sonnabend Nachmittag niemand getroffen Hütte, zweifelhaft. Die Forderung des kanonischen Prozesses und der Satz von dem Manne, der vor die Wahl zwischen Existcnzverlust und Verleugnung der Überzeugung gestellt wird, er¬ innern mich an Reinkens, sie sind aber nicht erst eingeflickt worden, sondern stehen in dem Bleistiftmanuskript. Es ist mir, als hätte ich Reinkens bei einem zweiten Versuche am Abend doch uoch getroffen. Jedenfalls bin ich am Sonntag Morgen dort gewesen und habe ihm und Elvenich, der sich auch eingefunden hatte, das Manuskript vorgelesen. Die Herren fanden nur ein paar Worte zu ändern, als ich aber die Stelle von der Veröffentlichung des Protestes gelesen hatte, sagte Reinkens: Nein, dazu ists noch zu früh! Auf den Rat der beiden Herren strich ich die Stelle und ließ meinen Vorsatz, noch an demselben Tage eine Abschrift an die Schlesische Zeitung zu schicken, unausgeführt. Dieser Rat entsprach durchaus den Gewohnheiten unsers weisen, gesitteten und vorsichtigen Jahrhunderts, alle oppositionellen Maßregeln auf einen Zeit¬ punkt zu verschieben, wo sie nichts mehr nützen. Hätte ich das Ding ver¬ öffentlicht, so hätte ich damit nicht bloß mir selbst den Rückweg in die Kirche schon damals versperrt, sondern auch die oppositionelle Bewegung zu einer Zeit in Fluß gebracht, wo nicht, wie drei Monate später, die Bischöfe sich schon durch ihre Unterwerfung gebunden hatten und die Geister durch den Krieg in Anspruch genommen waren. Meine erste Erklärung hatte in Breslau eine gewaltige Gährung hervorgerufen, und dieser Protest würde wie ein Dammbruch gewirkt haben. Die katholische Kirche wäre dadurch freilich nicht umgeworfen worden, nicht einmal in Deutschland, aber ein etwas breiteres Bett hätte sich die Bewegung, die später die altkntholische genannt wurde, doch gegraben. Ich danke aber Gott, daß die Herren so vorsichtig waren, und daß ich ihren Rat, wenn auch sehr ungern, befolgt habe. Meine Mutter hätte den Tod davon gehabt, und mir wäre die Rolle eines Agitators und Parteiführers zugefallen, der mein ganzes Wesen durchaus widerstrebt, und mit dem Ergebnis würde schließlich niemand unzufriedner gewesen sein als ich selbst. Ich fertigte also nur die fürs Amt bestimmte Reinschrift an, warf sie in den Kasten und suchte dann meinen Bruder den Braumeister aus, der meine Schritte mit sehr gemischten Gefühlen begleitete, da die Sorge um unsre Zukunft und die Freude über meine Haltung in seinem Herzen mit einander kämpften. Abends fuhr ich nach Hause. Da ich vorläufig keine Amtsgeschüfte mehr hatte, konnte ich die nächsten Tage ganz und gar meinen Schreibereien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/477>, abgerufen am 24.06.2024.