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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Kirche und Schule

Inspektoren anzustellen -- in Sachsen wenigstens, in Preußen fehlt auch dazu
noch das Geld, da ist auch noch der Superintendent oder ein andrer Pfarrer
Königlicher Kreisschulinspektor im Nebenamts. Sobald aber erst das liebe
Geld zur Verfügung steht, wird der Staat den Geistlichen schleunigst den
Laufpaß geben und etwa die Zahl der Bezirksschulinspektoren so vermehren,
daß auf etwa fünfzig Lehrer ein Bezirksschulinspektor kommt.") Und die Geist¬
lichen werden froh sein, wenn es erst glücklich so weit ist. Denn was haben
sie jetzt von ihrer Ortsschulaufsicht? Ja, das Ortsschulinspektorat ist ein
Ehrenamt, wie aus dem Volksschulgesetze unwiderleglich hervorgeht, also muß
es doch Ehren einbringen. Ist aber das etwa eine Ehre, daß einem das
Ortsschulinspektorat zufällt, ohne daß man gefragt wird, ob mans übernehmen
will, oder auch, ohne daß untersucht wird, ob man dazu befähigt ist? Ist
das eine Ehre, daß man das Amt weder ablehnen, noch niederlegen kann?
Ist das eine Ehre, daß der Geistliche, indem er zwangsweise Ortsschulinspektor
wird, einer weltlichen Behörde die Gewalt über sich zuerkennt, ihm Befehle,
aber auch Verweise zu erteilen, ihn in Disziplinaruntersuchung zu nehmen
und ihn schimpflich abzusetzen? Ist das eine Ehre, daß die Lehrer in ihren
Versammlungen und Zeitungen verächtlich von der geistlichen Schulaufsicht
reden -- hat doch letzthin einer die geistlichen Ortsschulinspektoren als die
Drohnen im Bienenstock der Volksschule bezeichnet! Und dabei sehen die Lehrer
im Ortsschulinspektor niemals deu Beauftragten des Staats, sondern immer
den Diener der Kirche, der ja allerdings in dieser Eigenschaft in der Schule
nichts mehr zu sagen hat. Und die Laien werden es niemals fertig bringen,
den Ortsschulinspektor vom Geistlichen zu trennen, sie werden immer, wenn
sie mit Klagen über einen Lehrer zu ihm kommen, und er den Lehrer in Schutz
nehmen muß, das dem Geistlichen nachtragen, sodaß vielfach sein Hauptamt
durch das "Ehren"amt, mit dem ihn der Staat zwangsweise geschmückt hat,
in einer Weise beeinträchtigt wird, die ein fernstehender gar nicht würdigen kann.

Man vergegenwärtige sich doch das alles, und man wird ahnen, was ein
Geistlicher empfindet, wenn ihm aus dem Lehrerstande gehässige Bemerkungen
über die Herrschsucht der Geistlichen über die Schule entgegentreten, man
wird einsehen, daß die Lehrer, wenn sie die Beseitigung der geistlichen Orts¬
schulaufsicht erstreben, die Geistlichen nicht zu Gegnern, fondern zu Bundes¬
genossen haben, daß die Geistlichen froh sein werden, wenn ihnen dies Amt voll
Verantwortung, Mühe und Ärger, das nur deshalb für ein Ehrenamt ausgegeben
wird, weil man nichts für feine Leistungen bezahlen will, endlich abnimmt.



*) In Sachsen giebt es jetzt 28 Bezirksschulinspektoren, die 9186 Lehrer unter sich
haben. Wenn die Bezirksschulinspektoren die Schulaufsicht allein ausüben sollten, so müßte
aus 50 Lehrer 1 Bezirksschülinspektor mit mindestens 3000 Mark kommen, d. h. anstatt etwa
10000" Mark müßten etwa 600000 Mark für die Aussicht aufgewendet werden; die säch¬
sischen Geistlichen ersparen also dem Staate eine halbe Million!
Kirche und Schule

Inspektoren anzustellen — in Sachsen wenigstens, in Preußen fehlt auch dazu
noch das Geld, da ist auch noch der Superintendent oder ein andrer Pfarrer
Königlicher Kreisschulinspektor im Nebenamts. Sobald aber erst das liebe
Geld zur Verfügung steht, wird der Staat den Geistlichen schleunigst den
Laufpaß geben und etwa die Zahl der Bezirksschulinspektoren so vermehren,
daß auf etwa fünfzig Lehrer ein Bezirksschulinspektor kommt.") Und die Geist¬
lichen werden froh sein, wenn es erst glücklich so weit ist. Denn was haben
sie jetzt von ihrer Ortsschulaufsicht? Ja, das Ortsschulinspektorat ist ein
Ehrenamt, wie aus dem Volksschulgesetze unwiderleglich hervorgeht, also muß
es doch Ehren einbringen. Ist aber das etwa eine Ehre, daß einem das
Ortsschulinspektorat zufällt, ohne daß man gefragt wird, ob mans übernehmen
will, oder auch, ohne daß untersucht wird, ob man dazu befähigt ist? Ist
das eine Ehre, daß man das Amt weder ablehnen, noch niederlegen kann?
Ist das eine Ehre, daß der Geistliche, indem er zwangsweise Ortsschulinspektor
wird, einer weltlichen Behörde die Gewalt über sich zuerkennt, ihm Befehle,
aber auch Verweise zu erteilen, ihn in Disziplinaruntersuchung zu nehmen
und ihn schimpflich abzusetzen? Ist das eine Ehre, daß die Lehrer in ihren
Versammlungen und Zeitungen verächtlich von der geistlichen Schulaufsicht
reden — hat doch letzthin einer die geistlichen Ortsschulinspektoren als die
Drohnen im Bienenstock der Volksschule bezeichnet! Und dabei sehen die Lehrer
im Ortsschulinspektor niemals deu Beauftragten des Staats, sondern immer
den Diener der Kirche, der ja allerdings in dieser Eigenschaft in der Schule
nichts mehr zu sagen hat. Und die Laien werden es niemals fertig bringen,
den Ortsschulinspektor vom Geistlichen zu trennen, sie werden immer, wenn
sie mit Klagen über einen Lehrer zu ihm kommen, und er den Lehrer in Schutz
nehmen muß, das dem Geistlichen nachtragen, sodaß vielfach sein Hauptamt
durch das „Ehren"amt, mit dem ihn der Staat zwangsweise geschmückt hat,
in einer Weise beeinträchtigt wird, die ein fernstehender gar nicht würdigen kann.

Man vergegenwärtige sich doch das alles, und man wird ahnen, was ein
Geistlicher empfindet, wenn ihm aus dem Lehrerstande gehässige Bemerkungen
über die Herrschsucht der Geistlichen über die Schule entgegentreten, man
wird einsehen, daß die Lehrer, wenn sie die Beseitigung der geistlichen Orts¬
schulaufsicht erstreben, die Geistlichen nicht zu Gegnern, fondern zu Bundes¬
genossen haben, daß die Geistlichen froh sein werden, wenn ihnen dies Amt voll
Verantwortung, Mühe und Ärger, das nur deshalb für ein Ehrenamt ausgegeben
wird, weil man nichts für feine Leistungen bezahlen will, endlich abnimmt.



*) In Sachsen giebt es jetzt 28 Bezirksschulinspektoren, die 9186 Lehrer unter sich
haben. Wenn die Bezirksschulinspektoren die Schulaufsicht allein ausüben sollten, so müßte
aus 50 Lehrer 1 Bezirksschülinspektor mit mindestens 3000 Mark kommen, d. h. anstatt etwa
10000» Mark müßten etwa 600000 Mark für die Aussicht aufgewendet werden; die säch¬
sischen Geistlichen ersparen also dem Staate eine halbe Million!
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[0468] Kirche und Schule Inspektoren anzustellen — in Sachsen wenigstens, in Preußen fehlt auch dazu noch das Geld, da ist auch noch der Superintendent oder ein andrer Pfarrer Königlicher Kreisschulinspektor im Nebenamts. Sobald aber erst das liebe Geld zur Verfügung steht, wird der Staat den Geistlichen schleunigst den Laufpaß geben und etwa die Zahl der Bezirksschulinspektoren so vermehren, daß auf etwa fünfzig Lehrer ein Bezirksschulinspektor kommt.") Und die Geist¬ lichen werden froh sein, wenn es erst glücklich so weit ist. Denn was haben sie jetzt von ihrer Ortsschulaufsicht? Ja, das Ortsschulinspektorat ist ein Ehrenamt, wie aus dem Volksschulgesetze unwiderleglich hervorgeht, also muß es doch Ehren einbringen. Ist aber das etwa eine Ehre, daß einem das Ortsschulinspektorat zufällt, ohne daß man gefragt wird, ob mans übernehmen will, oder auch, ohne daß untersucht wird, ob man dazu befähigt ist? Ist das eine Ehre, daß man das Amt weder ablehnen, noch niederlegen kann? Ist das eine Ehre, daß der Geistliche, indem er zwangsweise Ortsschulinspektor wird, einer weltlichen Behörde die Gewalt über sich zuerkennt, ihm Befehle, aber auch Verweise zu erteilen, ihn in Disziplinaruntersuchung zu nehmen und ihn schimpflich abzusetzen? Ist das eine Ehre, daß die Lehrer in ihren Versammlungen und Zeitungen verächtlich von der geistlichen Schulaufsicht reden — hat doch letzthin einer die geistlichen Ortsschulinspektoren als die Drohnen im Bienenstock der Volksschule bezeichnet! Und dabei sehen die Lehrer im Ortsschulinspektor niemals deu Beauftragten des Staats, sondern immer den Diener der Kirche, der ja allerdings in dieser Eigenschaft in der Schule nichts mehr zu sagen hat. Und die Laien werden es niemals fertig bringen, den Ortsschulinspektor vom Geistlichen zu trennen, sie werden immer, wenn sie mit Klagen über einen Lehrer zu ihm kommen, und er den Lehrer in Schutz nehmen muß, das dem Geistlichen nachtragen, sodaß vielfach sein Hauptamt durch das „Ehren"amt, mit dem ihn der Staat zwangsweise geschmückt hat, in einer Weise beeinträchtigt wird, die ein fernstehender gar nicht würdigen kann. Man vergegenwärtige sich doch das alles, und man wird ahnen, was ein Geistlicher empfindet, wenn ihm aus dem Lehrerstande gehässige Bemerkungen über die Herrschsucht der Geistlichen über die Schule entgegentreten, man wird einsehen, daß die Lehrer, wenn sie die Beseitigung der geistlichen Orts¬ schulaufsicht erstreben, die Geistlichen nicht zu Gegnern, fondern zu Bundes¬ genossen haben, daß die Geistlichen froh sein werden, wenn ihnen dies Amt voll Verantwortung, Mühe und Ärger, das nur deshalb für ein Ehrenamt ausgegeben wird, weil man nichts für feine Leistungen bezahlen will, endlich abnimmt. *) In Sachsen giebt es jetzt 28 Bezirksschulinspektoren, die 9186 Lehrer unter sich haben. Wenn die Bezirksschulinspektoren die Schulaufsicht allein ausüben sollten, so müßte aus 50 Lehrer 1 Bezirksschülinspektor mit mindestens 3000 Mark kommen, d. h. anstatt etwa 10000» Mark müßten etwa 600000 Mark für die Aussicht aufgewendet werden; die säch¬ sischen Geistlichen ersparen also dem Staate eine halbe Million!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/468>, abgerufen am 24.06.2024.