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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Airche und Schule

schwächsten und am heftigsten angegriffnen zuerst, den festesten zuletzt ge¬
nannt habe.

Das Ortsschulinspeltorat, d. h. die Aufsicht des Ortsgeistlichen über den
Volksschulunterricht in seiner Gemeinde ist schon deswegen der schwächste
Punkt, weil der Geistliche mit diesem Amte genau genommen nicht deshalb
beauftragt ist, weil er Diener der Kirche ist, sondern nur weil er sich durch
seine ganze Bildung am besten dazu eignet. Es ist auch keineswegs die Kirche,
die ihn damit beauftragt, sondern der Staat. Wenigstens heißt es im säch¬
sischen Volksschulgesetze Z 29: "Die dem Ortsschulvorstcmde obliegende Be¬
aufsichtigung der Schule^) wird im Auftrage des Staates ausgeübt d) über
solche Schulen, denen ein Direktor nicht vorsteht, durch den dem Schulvor¬
stande ungehörigen Geistlichen, dafern nicht die oberste Schulbehörde diesen
Auftrag widerruft oder von vornherein einer andern geeigneten Persönlichkeit
übergiebt. Das Amt des Ortsschulinspektors ist ein unentgeltlich zu verwal¬
tendes Ehrenamt." Nun vergegenwärtige man sich doch einmal, welche Stellung
dem Geistlichen hierdurch in der Volksschule zugemutet wird! In den meisten
Geistlichen lebt noch die Erinnerung daran, daß sie früher die rechtmäßigen
Herren der Schule gewesen sind, daß sie die Schule zu leiten und zu beauf¬
sichtigen hatten im Auftrage der Kirche, die ihnen genau genommen allein
einen solchen Auftrag geben kann. Der Staat hat die Kirche im Laufe der
Zeiten ihrer Herrschaft über die Volksschule beraubt; die Diener der Kirche
aber zwingt er durch sein Gesetz, zunächst noch die alten Pflichten gegenüber
der Schule zu übernehmen, nun aber in seinem Auftrage. Er thut das unter
dem Vorgeben, die alte Verbindung der Schule mit der Kirche in diesem
Punkte aufrecht erhalten zu wollen, während er doch nur deswegen die Dienste
der Geistlichen in Anspruch nimmt, weil er sie am billigsten haben kann,
nämlich ganz unentgeltlich. Die Geistlichen haben das ja früher, wo es im
Auftrage der Kirche geschah, ganz natürlicherweise unentgeltlich gethan, woraus
aber doch noch nicht folgt, daß der Staat dieselben Dienste von ihnen auch
unentgeltlich fordern kann; er folgert es aber doch daraus. Es würde aber
dem Staate gar nicht einfallen, gerade die Geistlichen damit zu beauftragen,
wenn er andre Leute damit beauftragen könnte. Andre Leute aber wollen
bezahlt sein, vorläufig aber hat das Geld des Staates nur dazu ausgereicht,
den Superintendenten ihr Schulamt abzunehmen und besondre Bezirksschul-



Es handelt sich dabei hauptsächlich um s 24i, der bestimmt: Zum Wirkungskreise des
Schulvorstandcs gehört die Beaufsichtigung des Verhaltens und der Leistungen der Lehrer im
Amte, mit dem Rechte, denselben wegen Pflichtvernachlässigung Zurechtweisung zu erteilen.
Das ist offenbar eine sehr wichtige Befugnis. Hier wird sie dem Schnlvorstandc feierlich zu¬
gesprochen, in Z 29 aber wieder abgenommen und dem Ortsschulinspektor beigelegt, der sie
aber nicht im Austrage des Schulvorstandes, sondern des Staates ausübt. Ist das nicht
köstlich?
Airche und Schule

schwächsten und am heftigsten angegriffnen zuerst, den festesten zuletzt ge¬
nannt habe.

Das Ortsschulinspeltorat, d. h. die Aufsicht des Ortsgeistlichen über den
Volksschulunterricht in seiner Gemeinde ist schon deswegen der schwächste
Punkt, weil der Geistliche mit diesem Amte genau genommen nicht deshalb
beauftragt ist, weil er Diener der Kirche ist, sondern nur weil er sich durch
seine ganze Bildung am besten dazu eignet. Es ist auch keineswegs die Kirche,
die ihn damit beauftragt, sondern der Staat. Wenigstens heißt es im säch¬
sischen Volksschulgesetze Z 29: „Die dem Ortsschulvorstcmde obliegende Be¬
aufsichtigung der Schule^) wird im Auftrage des Staates ausgeübt d) über
solche Schulen, denen ein Direktor nicht vorsteht, durch den dem Schulvor¬
stande ungehörigen Geistlichen, dafern nicht die oberste Schulbehörde diesen
Auftrag widerruft oder von vornherein einer andern geeigneten Persönlichkeit
übergiebt. Das Amt des Ortsschulinspektors ist ein unentgeltlich zu verwal¬
tendes Ehrenamt." Nun vergegenwärtige man sich doch einmal, welche Stellung
dem Geistlichen hierdurch in der Volksschule zugemutet wird! In den meisten
Geistlichen lebt noch die Erinnerung daran, daß sie früher die rechtmäßigen
Herren der Schule gewesen sind, daß sie die Schule zu leiten und zu beauf¬
sichtigen hatten im Auftrage der Kirche, die ihnen genau genommen allein
einen solchen Auftrag geben kann. Der Staat hat die Kirche im Laufe der
Zeiten ihrer Herrschaft über die Volksschule beraubt; die Diener der Kirche
aber zwingt er durch sein Gesetz, zunächst noch die alten Pflichten gegenüber
der Schule zu übernehmen, nun aber in seinem Auftrage. Er thut das unter
dem Vorgeben, die alte Verbindung der Schule mit der Kirche in diesem
Punkte aufrecht erhalten zu wollen, während er doch nur deswegen die Dienste
der Geistlichen in Anspruch nimmt, weil er sie am billigsten haben kann,
nämlich ganz unentgeltlich. Die Geistlichen haben das ja früher, wo es im
Auftrage der Kirche geschah, ganz natürlicherweise unentgeltlich gethan, woraus
aber doch noch nicht folgt, daß der Staat dieselben Dienste von ihnen auch
unentgeltlich fordern kann; er folgert es aber doch daraus. Es würde aber
dem Staate gar nicht einfallen, gerade die Geistlichen damit zu beauftragen,
wenn er andre Leute damit beauftragen könnte. Andre Leute aber wollen
bezahlt sein, vorläufig aber hat das Geld des Staates nur dazu ausgereicht,
den Superintendenten ihr Schulamt abzunehmen und besondre Bezirksschul-



Es handelt sich dabei hauptsächlich um s 24i, der bestimmt: Zum Wirkungskreise des
Schulvorstandcs gehört die Beaufsichtigung des Verhaltens und der Leistungen der Lehrer im
Amte, mit dem Rechte, denselben wegen Pflichtvernachlässigung Zurechtweisung zu erteilen.
Das ist offenbar eine sehr wichtige Befugnis. Hier wird sie dem Schnlvorstandc feierlich zu¬
gesprochen, in Z 29 aber wieder abgenommen und dem Ortsschulinspektor beigelegt, der sie
aber nicht im Austrage des Schulvorstandes, sondern des Staates ausübt. Ist das nicht
köstlich?
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[0467] Airche und Schule schwächsten und am heftigsten angegriffnen zuerst, den festesten zuletzt ge¬ nannt habe. Das Ortsschulinspeltorat, d. h. die Aufsicht des Ortsgeistlichen über den Volksschulunterricht in seiner Gemeinde ist schon deswegen der schwächste Punkt, weil der Geistliche mit diesem Amte genau genommen nicht deshalb beauftragt ist, weil er Diener der Kirche ist, sondern nur weil er sich durch seine ganze Bildung am besten dazu eignet. Es ist auch keineswegs die Kirche, die ihn damit beauftragt, sondern der Staat. Wenigstens heißt es im säch¬ sischen Volksschulgesetze Z 29: „Die dem Ortsschulvorstcmde obliegende Be¬ aufsichtigung der Schule^) wird im Auftrage des Staates ausgeübt d) über solche Schulen, denen ein Direktor nicht vorsteht, durch den dem Schulvor¬ stande ungehörigen Geistlichen, dafern nicht die oberste Schulbehörde diesen Auftrag widerruft oder von vornherein einer andern geeigneten Persönlichkeit übergiebt. Das Amt des Ortsschulinspektors ist ein unentgeltlich zu verwal¬ tendes Ehrenamt." Nun vergegenwärtige man sich doch einmal, welche Stellung dem Geistlichen hierdurch in der Volksschule zugemutet wird! In den meisten Geistlichen lebt noch die Erinnerung daran, daß sie früher die rechtmäßigen Herren der Schule gewesen sind, daß sie die Schule zu leiten und zu beauf¬ sichtigen hatten im Auftrage der Kirche, die ihnen genau genommen allein einen solchen Auftrag geben kann. Der Staat hat die Kirche im Laufe der Zeiten ihrer Herrschaft über die Volksschule beraubt; die Diener der Kirche aber zwingt er durch sein Gesetz, zunächst noch die alten Pflichten gegenüber der Schule zu übernehmen, nun aber in seinem Auftrage. Er thut das unter dem Vorgeben, die alte Verbindung der Schule mit der Kirche in diesem Punkte aufrecht erhalten zu wollen, während er doch nur deswegen die Dienste der Geistlichen in Anspruch nimmt, weil er sie am billigsten haben kann, nämlich ganz unentgeltlich. Die Geistlichen haben das ja früher, wo es im Auftrage der Kirche geschah, ganz natürlicherweise unentgeltlich gethan, woraus aber doch noch nicht folgt, daß der Staat dieselben Dienste von ihnen auch unentgeltlich fordern kann; er folgert es aber doch daraus. Es würde aber dem Staate gar nicht einfallen, gerade die Geistlichen damit zu beauftragen, wenn er andre Leute damit beauftragen könnte. Andre Leute aber wollen bezahlt sein, vorläufig aber hat das Geld des Staates nur dazu ausgereicht, den Superintendenten ihr Schulamt abzunehmen und besondre Bezirksschul- Es handelt sich dabei hauptsächlich um s 24i, der bestimmt: Zum Wirkungskreise des Schulvorstandcs gehört die Beaufsichtigung des Verhaltens und der Leistungen der Lehrer im Amte, mit dem Rechte, denselben wegen Pflichtvernachlässigung Zurechtweisung zu erteilen. Das ist offenbar eine sehr wichtige Befugnis. Hier wird sie dem Schnlvorstandc feierlich zu¬ gesprochen, in Z 29 aber wieder abgenommen und dem Ortsschulinspektor beigelegt, der sie aber nicht im Austrage des Schulvorstandes, sondern des Staates ausübt. Ist das nicht köstlich?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/467>, abgerufen am 24.06.2024.