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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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mehr Nachdruck und Wert gelegt wurde. Namentlich in Preußen hat der
Pietismus der Volksschule die größten Dienste geleistet, und gerade in Preußen
war die^ Entwicklung der Volksschule von besondrer Bedeutung, denn es wuchs
damals bereits zusehends in die Ftthrerrolle hinein, die es seitdem in Deutsch¬
land vollständig übernommen hat. Daß es gerade die Pietisten gewesen sind,
die der deutschen Volksschule, noch mehr aber dem Volksschullehrerstande den
ersten wesentlichen Fortschritt gebracht haben, wird freilich vielen Volksschul¬
lehrern der Gegenwart sehr unangenehm sein, aber ändern läßt sich daran
nichts (vgl. übrigens Fischer I, 221 ff.).

Daß sich aber gerade der Pietismus der Volksschule besonders annahm,
lag wieder nicht daran, daß seine Vertreter ein besondres Interesse an der
Verbreitung allgemeiner praktischer Kenntnisse gehabt hätten. Ihre Bestre¬
bungen waren einerseits auf die Erweckung einer reinen Frömmigkeit, auf die
Verinnerlichung der christlichen Lehren gerichtet, und man ging dabei von der
richtigen Meinung aus, daß diese Bestrebungen dann den meisten Erfolg haben
würden, wenn die Menschen so früh als möglich guten Einflüssen ausgesetzt
würden. Andrerseits fühlten sich die Pietisten zu allen niedrigen, verachteten,
verlassenen hingezogen. Diese ihre ganze Richtung führte zur Fürsorge für
die Kinder überhaupt und dadurch zur Hebung der Volksschule, die sich als
geeignetes Mittel für die pietistischen Bestrebungen von selbst darbot. Mit
der Fürsorge für die Kinder und der Hebung der Volksschule gingen aber
notwendig Bemühungen für bessere Vorbildung der Lehrer Hand in Hand,
und fo ist das Hallische Waisenhaus, dieses glänzende Beispiel pietistischen
Gottvertrauens und zugleich pietistischen Erbarmens mit den verlassensten
unter den Kleinen, nicht nur eine musterhafte Kindererziehungsanstalt, sondern
auch eine Lehrerbildungsanstalt, das Vorbild für viele andre ihresgleichen
geworden. Teils unmittelbar pietistische Einflüsse, teils die pietistischen Vor¬
bilder haben dann den Aufschwung der Volksschule in Preußen unter König
Friedrich Wilhelm I. herbeigeführt; man kann ihn am besten daran sehen, daß
in dem armen Lande in kürzer Zeit 1800 Volksschulen gegründet wurden, und
daß die Schulpflicht als allgemeiner Grundsatz anerkannt und mit großer Kraft
der Anfang zu ihrer Durchführung gemacht wurde.

Der Pietismus hat der Volksschule die staatliche Anerkennung gebracht
und begonnen, einen Volksschullehrerstand mit bestimmten Fachkenntnisscn zu
schaffen. Dem Zeitalter der Aufklärung hat es die Volksschule zu verdanken,
daß sie nach und uach beim Volke als eine notwendige und segensreiche Ein¬
richtung angesehen wurde; im Zeitalter der Aufklärung beginnt auch die Volks¬
schule sich von der Kirche abzulösen und nach Selbständigkeit zu streben. Ob
der Einfluß der Aufklärungszeit für die Volksschule oder richtiger für das
Volk, um deswillen sie doch da ist, von Segen gewesen ist, ist zweifelhaft.
Mir will es so scheinen, als ob er sie auf einen Abweg gebracht habe, auf dem


mehr Nachdruck und Wert gelegt wurde. Namentlich in Preußen hat der
Pietismus der Volksschule die größten Dienste geleistet, und gerade in Preußen
war die^ Entwicklung der Volksschule von besondrer Bedeutung, denn es wuchs
damals bereits zusehends in die Ftthrerrolle hinein, die es seitdem in Deutsch¬
land vollständig übernommen hat. Daß es gerade die Pietisten gewesen sind,
die der deutschen Volksschule, noch mehr aber dem Volksschullehrerstande den
ersten wesentlichen Fortschritt gebracht haben, wird freilich vielen Volksschul¬
lehrern der Gegenwart sehr unangenehm sein, aber ändern läßt sich daran
nichts (vgl. übrigens Fischer I, 221 ff.).

Daß sich aber gerade der Pietismus der Volksschule besonders annahm,
lag wieder nicht daran, daß seine Vertreter ein besondres Interesse an der
Verbreitung allgemeiner praktischer Kenntnisse gehabt hätten. Ihre Bestre¬
bungen waren einerseits auf die Erweckung einer reinen Frömmigkeit, auf die
Verinnerlichung der christlichen Lehren gerichtet, und man ging dabei von der
richtigen Meinung aus, daß diese Bestrebungen dann den meisten Erfolg haben
würden, wenn die Menschen so früh als möglich guten Einflüssen ausgesetzt
würden. Andrerseits fühlten sich die Pietisten zu allen niedrigen, verachteten,
verlassenen hingezogen. Diese ihre ganze Richtung führte zur Fürsorge für
die Kinder überhaupt und dadurch zur Hebung der Volksschule, die sich als
geeignetes Mittel für die pietistischen Bestrebungen von selbst darbot. Mit
der Fürsorge für die Kinder und der Hebung der Volksschule gingen aber
notwendig Bemühungen für bessere Vorbildung der Lehrer Hand in Hand,
und fo ist das Hallische Waisenhaus, dieses glänzende Beispiel pietistischen
Gottvertrauens und zugleich pietistischen Erbarmens mit den verlassensten
unter den Kleinen, nicht nur eine musterhafte Kindererziehungsanstalt, sondern
auch eine Lehrerbildungsanstalt, das Vorbild für viele andre ihresgleichen
geworden. Teils unmittelbar pietistische Einflüsse, teils die pietistischen Vor¬
bilder haben dann den Aufschwung der Volksschule in Preußen unter König
Friedrich Wilhelm I. herbeigeführt; man kann ihn am besten daran sehen, daß
in dem armen Lande in kürzer Zeit 1800 Volksschulen gegründet wurden, und
daß die Schulpflicht als allgemeiner Grundsatz anerkannt und mit großer Kraft
der Anfang zu ihrer Durchführung gemacht wurde.

Der Pietismus hat der Volksschule die staatliche Anerkennung gebracht
und begonnen, einen Volksschullehrerstand mit bestimmten Fachkenntnisscn zu
schaffen. Dem Zeitalter der Aufklärung hat es die Volksschule zu verdanken,
daß sie nach und uach beim Volke als eine notwendige und segensreiche Ein¬
richtung angesehen wurde; im Zeitalter der Aufklärung beginnt auch die Volks¬
schule sich von der Kirche abzulösen und nach Selbständigkeit zu streben. Ob
der Einfluß der Aufklärungszeit für die Volksschule oder richtiger für das
Volk, um deswillen sie doch da ist, von Segen gewesen ist, ist zweifelhaft.
Mir will es so scheinen, als ob er sie auf einen Abweg gebracht habe, auf dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/464>, abgerufen am 24.06.2024.