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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Airche und Schule

der Gemeinde und des Staats, sondern überall von der Kirche hervorgerufen,
gestützt, genährt. Hauptaufgabe des Unterrichts war, den Kindern die Kennt¬
nisse und Künste beizubringen, die sie als evangelische Christen zum Ver¬
ständnis der Bibel und bei der Teilnahme am Gottesdienste brauchten; von
andern Dingen, z.B. vom Rechnen, von der Erdkunde u. a. in., ist damals,
wenn überhaupt, wohl nur ganz vereinzelt die Rede gewesen.

Dann kam die furchtbare Zeit des dreißigjährigen Kriegs, der so viel
blühendes Leben vernichtet hat. Daß ihn die Keime der Volksschule über¬
dauert haben, haben sie nur dem Umstände zu verdanken, daß die Volks¬
schule eine Einrichtung der evangelischen Kirche war, deren Bestand ja durch
den westfälischen Frieden in jeder Hinsicht gesetzlich anerkannt wurde. Aber
nach dem westfälischen Frieden begannen nun erst die Folgen des Kriegs sich
geltend zu machen und so lange und nachhaltig zu wirken, daß sie noch fühlbar
waren, als die französische Revolution die europäischen Verhältnisse durch¬
einanderwarf. Diese Folgen traten natürlich auf wirtschaftlichem Gebiete am
schärfsten zu Tage und wirkten in der Weise auf die Kirche und durch sie
mittelbar aus die Schule, daß es für sie kein Geld gab, wenn sie sich nicht
selbst ans der Zeit der Not Besitztümer gerettet hatten.

Freilich steht in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die
Gestalt Herzog Ernsts des Frommen von Gotha. Aber wie trefflich die
433 Paragraphen seines Schulmethodus waren, wie bedeutungsvoll sein Ge¬
danke des Schulzwaugs auch für die Entwicklung der Volksschule geworden
ist, so kann der Herzog doch nur ein Wegweiser, nicht ein Bahnbrecher der
Volksschule genannt werden. Sein Land war zu klein, als daß es andre in
das Streben, die allgemeinen Kenntnisse des Volkes zu mehren, mit Hütte
hineinziehen können. Und wenn auch Herzog Ernst die Schulaugelcgenheit zur
Staatssache erklärte, so darf man doch nicht vergessen, daß der Staat damals
christlich war und sein und bleiben wollte, und daß Herzog Ernst auch der
Bischof seiner Landeskirche war. Wenn die Gedanken, daß die Schule von
der Kirche zu trennen sei, daß der Geistliche in ihr nichts zu sagen habe,
daß die Religion nicht in ihr gelehrt werden dürfe, damals überhaupt denkbar
gewesen wären, sie hätten wohl kaum einen grimmigem Gegner finden können
als Herzog Ernst den Frommen.

Am Ende des siebzehnten Jahrhunderts hatte die Volksschule unter vielen
Mühen und Drangsalen kaum den Stand wieder erreicht, den sie vor dem
dreißigjährigen Kriege gehabt hatte. Bon einer Strömung in der Kirche, von
dem Pietismus Speners und Frankes, hat sie dann den ersten neuen Antrieb
zur Weiterentwicklung erhalten; denn seinem Einfluß ist es zu verdanken, daß
die allgemeine Schulpflicht immer mehr durchgeführt, daß für die Schule
(Schulgebäude, Lehrerbesvldung) endlich Staats- und Gemeindegelder flüssig
wurden, daß die Vorbildung der Lehrer geregelt, daß überhaupt auf das Lehramt


Airche und Schule

der Gemeinde und des Staats, sondern überall von der Kirche hervorgerufen,
gestützt, genährt. Hauptaufgabe des Unterrichts war, den Kindern die Kennt¬
nisse und Künste beizubringen, die sie als evangelische Christen zum Ver¬
ständnis der Bibel und bei der Teilnahme am Gottesdienste brauchten; von
andern Dingen, z.B. vom Rechnen, von der Erdkunde u. a. in., ist damals,
wenn überhaupt, wohl nur ganz vereinzelt die Rede gewesen.

Dann kam die furchtbare Zeit des dreißigjährigen Kriegs, der so viel
blühendes Leben vernichtet hat. Daß ihn die Keime der Volksschule über¬
dauert haben, haben sie nur dem Umstände zu verdanken, daß die Volks¬
schule eine Einrichtung der evangelischen Kirche war, deren Bestand ja durch
den westfälischen Frieden in jeder Hinsicht gesetzlich anerkannt wurde. Aber
nach dem westfälischen Frieden begannen nun erst die Folgen des Kriegs sich
geltend zu machen und so lange und nachhaltig zu wirken, daß sie noch fühlbar
waren, als die französische Revolution die europäischen Verhältnisse durch¬
einanderwarf. Diese Folgen traten natürlich auf wirtschaftlichem Gebiete am
schärfsten zu Tage und wirkten in der Weise auf die Kirche und durch sie
mittelbar aus die Schule, daß es für sie kein Geld gab, wenn sie sich nicht
selbst ans der Zeit der Not Besitztümer gerettet hatten.

Freilich steht in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die
Gestalt Herzog Ernsts des Frommen von Gotha. Aber wie trefflich die
433 Paragraphen seines Schulmethodus waren, wie bedeutungsvoll sein Ge¬
danke des Schulzwaugs auch für die Entwicklung der Volksschule geworden
ist, so kann der Herzog doch nur ein Wegweiser, nicht ein Bahnbrecher der
Volksschule genannt werden. Sein Land war zu klein, als daß es andre in
das Streben, die allgemeinen Kenntnisse des Volkes zu mehren, mit Hütte
hineinziehen können. Und wenn auch Herzog Ernst die Schulaugelcgenheit zur
Staatssache erklärte, so darf man doch nicht vergessen, daß der Staat damals
christlich war und sein und bleiben wollte, und daß Herzog Ernst auch der
Bischof seiner Landeskirche war. Wenn die Gedanken, daß die Schule von
der Kirche zu trennen sei, daß der Geistliche in ihr nichts zu sagen habe,
daß die Religion nicht in ihr gelehrt werden dürfe, damals überhaupt denkbar
gewesen wären, sie hätten wohl kaum einen grimmigem Gegner finden können
als Herzog Ernst den Frommen.

Am Ende des siebzehnten Jahrhunderts hatte die Volksschule unter vielen
Mühen und Drangsalen kaum den Stand wieder erreicht, den sie vor dem
dreißigjährigen Kriege gehabt hatte. Bon einer Strömung in der Kirche, von
dem Pietismus Speners und Frankes, hat sie dann den ersten neuen Antrieb
zur Weiterentwicklung erhalten; denn seinem Einfluß ist es zu verdanken, daß
die allgemeine Schulpflicht immer mehr durchgeführt, daß für die Schule
(Schulgebäude, Lehrerbesvldung) endlich Staats- und Gemeindegelder flüssig
wurden, daß die Vorbildung der Lehrer geregelt, daß überhaupt auf das Lehramt


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[0463] Airche und Schule der Gemeinde und des Staats, sondern überall von der Kirche hervorgerufen, gestützt, genährt. Hauptaufgabe des Unterrichts war, den Kindern die Kennt¬ nisse und Künste beizubringen, die sie als evangelische Christen zum Ver¬ ständnis der Bibel und bei der Teilnahme am Gottesdienste brauchten; von andern Dingen, z.B. vom Rechnen, von der Erdkunde u. a. in., ist damals, wenn überhaupt, wohl nur ganz vereinzelt die Rede gewesen. Dann kam die furchtbare Zeit des dreißigjährigen Kriegs, der so viel blühendes Leben vernichtet hat. Daß ihn die Keime der Volksschule über¬ dauert haben, haben sie nur dem Umstände zu verdanken, daß die Volks¬ schule eine Einrichtung der evangelischen Kirche war, deren Bestand ja durch den westfälischen Frieden in jeder Hinsicht gesetzlich anerkannt wurde. Aber nach dem westfälischen Frieden begannen nun erst die Folgen des Kriegs sich geltend zu machen und so lange und nachhaltig zu wirken, daß sie noch fühlbar waren, als die französische Revolution die europäischen Verhältnisse durch¬ einanderwarf. Diese Folgen traten natürlich auf wirtschaftlichem Gebiete am schärfsten zu Tage und wirkten in der Weise auf die Kirche und durch sie mittelbar aus die Schule, daß es für sie kein Geld gab, wenn sie sich nicht selbst ans der Zeit der Not Besitztümer gerettet hatten. Freilich steht in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die Gestalt Herzog Ernsts des Frommen von Gotha. Aber wie trefflich die 433 Paragraphen seines Schulmethodus waren, wie bedeutungsvoll sein Ge¬ danke des Schulzwaugs auch für die Entwicklung der Volksschule geworden ist, so kann der Herzog doch nur ein Wegweiser, nicht ein Bahnbrecher der Volksschule genannt werden. Sein Land war zu klein, als daß es andre in das Streben, die allgemeinen Kenntnisse des Volkes zu mehren, mit Hütte hineinziehen können. Und wenn auch Herzog Ernst die Schulaugelcgenheit zur Staatssache erklärte, so darf man doch nicht vergessen, daß der Staat damals christlich war und sein und bleiben wollte, und daß Herzog Ernst auch der Bischof seiner Landeskirche war. Wenn die Gedanken, daß die Schule von der Kirche zu trennen sei, daß der Geistliche in ihr nichts zu sagen habe, daß die Religion nicht in ihr gelehrt werden dürfe, damals überhaupt denkbar gewesen wären, sie hätten wohl kaum einen grimmigem Gegner finden können als Herzog Ernst den Frommen. Am Ende des siebzehnten Jahrhunderts hatte die Volksschule unter vielen Mühen und Drangsalen kaum den Stand wieder erreicht, den sie vor dem dreißigjährigen Kriege gehabt hatte. Bon einer Strömung in der Kirche, von dem Pietismus Speners und Frankes, hat sie dann den ersten neuen Antrieb zur Weiterentwicklung erhalten; denn seinem Einfluß ist es zu verdanken, daß die allgemeine Schulpflicht immer mehr durchgeführt, daß für die Schule (Schulgebäude, Lehrerbesvldung) endlich Staats- und Gemeindegelder flüssig wurden, daß die Vorbildung der Lehrer geregelt, daß überhaupt auf das Lehramt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/463>, abgerufen am 24.06.2024.