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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Kirche und Schule

Schneider oder Tischler, sogar als Gastwirte ihr Brot verdienten und das
Küsteramt nur nebenbei mit versorgten, sollten sie nun auf einmal jeden
Wochentag eine oder auch mehrere Stunden auf den Unterricht der lieben
Jugend verwenden; das hinderte sie natürlich, ihr Handwerk oder ihre sonstige
Hauptbeschäftigung in dem frühern Umfange weiter zu betreiben, ihr Einkommen
wurde also geschmälert -- denn an "Funktions-" oder Alters- oder persön¬
liche Zulagen dachte niemand --, und auch darüber wurden bald Klagen laut,
daß sich ihr Verhältnis zur Gemeinde verschlechterte, weil sie, um die Herr¬
schaft über die widerspenstige" Buben und Mädel zu behalten, bisweilen scharf
mit dem Bakel dazwischen fahren mußten, was dann wieder eine Verringerung
ihres Einkommens zur Folge hatte; denn wenn dem Bauernsohn die Hosen
straff gezogen worden waren, so sandte natürlich die Mutter keine Schlncht-
schüssel mehr im Herbst, und die Kuchenspenden zu den Festzeiten blieben auch
aus, was die Frau Küsterin schwer empfand. So entbrannte bald ein heißer
Kampf der Küster gegen die Pfarrer, ein Kampf, in dem sich die Küster da¬
gegen wehrten, daß sie -- Volksschullehrer werden sollten. Der Kampf war
freilich für die Küster von vornherein aussichtlos; denn wenn man die unbot¬
mäßigen nicht ohne weiteres entließ, so wird man doch wohl auch anderwärts
das Mittel angewendet haben, das der Visitationsabschied von Salzwedel vom
Jahre 1550 verordnet: Es sollen auch die Küster hinfüro bei Vermeidung von
3 Gulden Strafe Schule zu halten schuldig sein, welche Strafe dem Pfarrer
zu seiner Besoldung, als lange der Küster keine Schule hält, zugelegt werden
sollen (bei Fischer I, 91). Jedenfalls aber war man in der Lage, bei Neu¬
besetzung der Küsterstellen dem Bewerber den Vorzug zu geben, der zum Unter¬
richt geeignet und bereit war.

Das Ende des Kampfes war, daß schließlich doch das Schnlehalten eine
der Pflichten des Küsters wurde. Wohlgemerkt: eine Pflicht, die nur die
Kirche, nicht etwa der Staat oder die Gemeinde von ihm forderte, und
die Kirche eben auch nur, weil es ihrem Bedürfnis entsprach. Mit der Be¬
zahlung dafür sah es ganz schlecht aus, nicht einmal, daß man die dadurch
hervvrgernfne Einbuße ersetzte; und wenn überhaupt jemand etwas bewilligte,
so war es die Kirche, die sür ihren Diener sorgte.

Wie die Dinge ungefähr hundert Jahre nach der Reformation lagen, dafür
ist die Bestallung der Dorfküster in der Grafschaft Wernigerode aus dem Jahre
1604 so charakteristisch, daß ich mir nicht versagen kam?, sie hier ganz wieder¬
zugeben (nach Fischer I, 110):

1. Soll ein Küster seinen Pfarrherrn wegen des Amts in gebührenden Ehren
halten und in allen Kirchenämtern bei Predigten, Taufen, Sakramentreichen, Ve-
stuhung der Kranken uff ihn warten, wenn er nach Hause geht, bis vors Pfarr¬
haus geleiten und ohne sein Vorwissen und Willen nicht verreisen.

2. Soll er beides, uff Festtage und Sonntage, auch zur Wochenpredigt und


Kirche und Schule

Schneider oder Tischler, sogar als Gastwirte ihr Brot verdienten und das
Küsteramt nur nebenbei mit versorgten, sollten sie nun auf einmal jeden
Wochentag eine oder auch mehrere Stunden auf den Unterricht der lieben
Jugend verwenden; das hinderte sie natürlich, ihr Handwerk oder ihre sonstige
Hauptbeschäftigung in dem frühern Umfange weiter zu betreiben, ihr Einkommen
wurde also geschmälert — denn an „Funktions-" oder Alters- oder persön¬
liche Zulagen dachte niemand —, und auch darüber wurden bald Klagen laut,
daß sich ihr Verhältnis zur Gemeinde verschlechterte, weil sie, um die Herr¬
schaft über die widerspenstige» Buben und Mädel zu behalten, bisweilen scharf
mit dem Bakel dazwischen fahren mußten, was dann wieder eine Verringerung
ihres Einkommens zur Folge hatte; denn wenn dem Bauernsohn die Hosen
straff gezogen worden waren, so sandte natürlich die Mutter keine Schlncht-
schüssel mehr im Herbst, und die Kuchenspenden zu den Festzeiten blieben auch
aus, was die Frau Küsterin schwer empfand. So entbrannte bald ein heißer
Kampf der Küster gegen die Pfarrer, ein Kampf, in dem sich die Küster da¬
gegen wehrten, daß sie — Volksschullehrer werden sollten. Der Kampf war
freilich für die Küster von vornherein aussichtlos; denn wenn man die unbot¬
mäßigen nicht ohne weiteres entließ, so wird man doch wohl auch anderwärts
das Mittel angewendet haben, das der Visitationsabschied von Salzwedel vom
Jahre 1550 verordnet: Es sollen auch die Küster hinfüro bei Vermeidung von
3 Gulden Strafe Schule zu halten schuldig sein, welche Strafe dem Pfarrer
zu seiner Besoldung, als lange der Küster keine Schule hält, zugelegt werden
sollen (bei Fischer I, 91). Jedenfalls aber war man in der Lage, bei Neu¬
besetzung der Küsterstellen dem Bewerber den Vorzug zu geben, der zum Unter¬
richt geeignet und bereit war.

Das Ende des Kampfes war, daß schließlich doch das Schnlehalten eine
der Pflichten des Küsters wurde. Wohlgemerkt: eine Pflicht, die nur die
Kirche, nicht etwa der Staat oder die Gemeinde von ihm forderte, und
die Kirche eben auch nur, weil es ihrem Bedürfnis entsprach. Mit der Be¬
zahlung dafür sah es ganz schlecht aus, nicht einmal, daß man die dadurch
hervvrgernfne Einbuße ersetzte; und wenn überhaupt jemand etwas bewilligte,
so war es die Kirche, die sür ihren Diener sorgte.

Wie die Dinge ungefähr hundert Jahre nach der Reformation lagen, dafür
ist die Bestallung der Dorfküster in der Grafschaft Wernigerode aus dem Jahre
1604 so charakteristisch, daß ich mir nicht versagen kam?, sie hier ganz wieder¬
zugeben (nach Fischer I, 110):

1. Soll ein Küster seinen Pfarrherrn wegen des Amts in gebührenden Ehren
halten und in allen Kirchenämtern bei Predigten, Taufen, Sakramentreichen, Ve-
stuhung der Kranken uff ihn warten, wenn er nach Hause geht, bis vors Pfarr¬
haus geleiten und ohne sein Vorwissen und Willen nicht verreisen.

2. Soll er beides, uff Festtage und Sonntage, auch zur Wochenpredigt und


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[0461] Kirche und Schule Schneider oder Tischler, sogar als Gastwirte ihr Brot verdienten und das Küsteramt nur nebenbei mit versorgten, sollten sie nun auf einmal jeden Wochentag eine oder auch mehrere Stunden auf den Unterricht der lieben Jugend verwenden; das hinderte sie natürlich, ihr Handwerk oder ihre sonstige Hauptbeschäftigung in dem frühern Umfange weiter zu betreiben, ihr Einkommen wurde also geschmälert — denn an „Funktions-" oder Alters- oder persön¬ liche Zulagen dachte niemand —, und auch darüber wurden bald Klagen laut, daß sich ihr Verhältnis zur Gemeinde verschlechterte, weil sie, um die Herr¬ schaft über die widerspenstige» Buben und Mädel zu behalten, bisweilen scharf mit dem Bakel dazwischen fahren mußten, was dann wieder eine Verringerung ihres Einkommens zur Folge hatte; denn wenn dem Bauernsohn die Hosen straff gezogen worden waren, so sandte natürlich die Mutter keine Schlncht- schüssel mehr im Herbst, und die Kuchenspenden zu den Festzeiten blieben auch aus, was die Frau Küsterin schwer empfand. So entbrannte bald ein heißer Kampf der Küster gegen die Pfarrer, ein Kampf, in dem sich die Küster da¬ gegen wehrten, daß sie — Volksschullehrer werden sollten. Der Kampf war freilich für die Küster von vornherein aussichtlos; denn wenn man die unbot¬ mäßigen nicht ohne weiteres entließ, so wird man doch wohl auch anderwärts das Mittel angewendet haben, das der Visitationsabschied von Salzwedel vom Jahre 1550 verordnet: Es sollen auch die Küster hinfüro bei Vermeidung von 3 Gulden Strafe Schule zu halten schuldig sein, welche Strafe dem Pfarrer zu seiner Besoldung, als lange der Küster keine Schule hält, zugelegt werden sollen (bei Fischer I, 91). Jedenfalls aber war man in der Lage, bei Neu¬ besetzung der Küsterstellen dem Bewerber den Vorzug zu geben, der zum Unter¬ richt geeignet und bereit war. Das Ende des Kampfes war, daß schließlich doch das Schnlehalten eine der Pflichten des Küsters wurde. Wohlgemerkt: eine Pflicht, die nur die Kirche, nicht etwa der Staat oder die Gemeinde von ihm forderte, und die Kirche eben auch nur, weil es ihrem Bedürfnis entsprach. Mit der Be¬ zahlung dafür sah es ganz schlecht aus, nicht einmal, daß man die dadurch hervvrgernfne Einbuße ersetzte; und wenn überhaupt jemand etwas bewilligte, so war es die Kirche, die sür ihren Diener sorgte. Wie die Dinge ungefähr hundert Jahre nach der Reformation lagen, dafür ist die Bestallung der Dorfküster in der Grafschaft Wernigerode aus dem Jahre 1604 so charakteristisch, daß ich mir nicht versagen kam?, sie hier ganz wieder¬ zugeben (nach Fischer I, 110): 1. Soll ein Küster seinen Pfarrherrn wegen des Amts in gebührenden Ehren halten und in allen Kirchenämtern bei Predigten, Taufen, Sakramentreichen, Ve- stuhung der Kranken uff ihn warten, wenn er nach Hause geht, bis vors Pfarr¬ haus geleiten und ohne sein Vorwissen und Willen nicht verreisen. 2. Soll er beides, uff Festtage und Sonntage, auch zur Wochenpredigt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/461>, abgerufen am 24.06.2024.