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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Rirche und Schule

entscheidungen der letzten Instanz den Laien durch die Organe der Kirche,
durch die Bischöfe und Priester, vermittelt werden, verwies Luther von vorn¬
herein das nach reiner Wahrheit, nach sicherer Erkenntnis dürstende Volk un¬
mittelbar an die Quelle selbst, aus der er seine religiöse Erkenntnis, seine wie
etwas ganz neues wirkende Botschaft geschöpft hatte: er übersetzte die Bibel.
Aber die Bibelübersetzung konnte nur dann das bewirken, was sie bewirken
sollte, wenn alle evangelischen Laien imstande waren, sie zu lesen. Darum
wurden frühzeitig die Organe der Kirche angewiesen, die Laien -- namentlich
die Jugend -- im Lesen zu unterrichten; daß man diesen Unterricht nur als
einen Handlangerdienst für die Kirche ansah, geht schon daraus hervor, daß
man damit die niedrigsten Kirchendiener, die Küster, beauftragte. Diese sind
die ältesten Vorgänger der "Herren" Volksschullehrer von heute. Sie hatten
freilich zu der Aufgabe, die man ihnen stellte, zunächst ebenso wenig Kennt¬
nisse wie Lust. Daß es ihnen an den nötigen Kenntnissen fehlte, ist nicht
weiter verwunderlich. Denn die Geschäfte eines Küsters -- als da sind das
Öffnen und Schließen, das Ordnen und Reinigen der Kirche, das Läuten der
Glocken zu den drei Gebetszeiten und zum Gottesdienste, das Aufziehen der
Kirchenuhr, das Begleiten des Pfarrers auf seinen Amtsgängen, insbesondre
das Tragen des Talars und der Abendmahlsgeräte u. dergl. -- sind uicht
von der Art, daß sie nicht ein Handwerksmann neben seinem sonstigen Beruf
mit hätte besorgen können; und wenn auch vielfach frühzeitig gefordert worden
sein mag, daß ein Küster die Orgel schlage oder, wo es keine gab, als Vor¬
sänger den Gemeindegesang leite, und daß er, etwa wenn der Pfarrer krank
oder verreist war, oder in den Filialkirchen eine Predigt vorlesen könne, so
ist damit nicht gesagt, daß dieses Lesen immer eine besondre oratorische
Leistung gewesen wäre. Mag aber auch der Küster selbst ganz leidlich haben
lesen können, daß er, als man es von ihm forderte, gleich imstande war, es
zu lehren, muß bezweifelt werden; die "Methode," auf die ja heute in der
Pädagogik ein so großer Nachdruck gelegt wird, mag manchmal recht mangel¬
haft gewesen sein. Diesem Übelstande ließ sich aber nach und nach abhelfen,
wenn bei der Kirche und dem Küster der gute Wille dazu vorhanden war.
Die Kirche hat ihren guten Willen dadurch bethätigt, daß sie vou den alten
Küsteru das höchste verlangte, was sie leisten konnten, und sich bei neuen
Küstern vergewisserte, daß sie die nötigen Kenntnisse hatten; es war auch gar
nicht so schwer, geeignete Leute zu finden, denn die Universitäten lieferten auch
damals viel gelehrtes Proletariat, Leute, die froh waren, wenn sie in den
immerhin geschützten Hafen einer Küsterstelle einlaufen konnten. Dagegen fehlte
es bei den Küstern selbst sehr oft an dem guten Willen, mit der Kirche in
dieser Angelegenheit Hand in Hand zu gehen. Man kaun ihnen das auch gar
nicht verdenken. Denn während sie bis dahin das Küsteramt außer Sonntags
nur wenig in Anspruch genommen hatte, sodaß sie ganz gut als Schuster oder


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entscheidungen der letzten Instanz den Laien durch die Organe der Kirche,
durch die Bischöfe und Priester, vermittelt werden, verwies Luther von vorn¬
herein das nach reiner Wahrheit, nach sicherer Erkenntnis dürstende Volk un¬
mittelbar an die Quelle selbst, aus der er seine religiöse Erkenntnis, seine wie
etwas ganz neues wirkende Botschaft geschöpft hatte: er übersetzte die Bibel.
Aber die Bibelübersetzung konnte nur dann das bewirken, was sie bewirken
sollte, wenn alle evangelischen Laien imstande waren, sie zu lesen. Darum
wurden frühzeitig die Organe der Kirche angewiesen, die Laien — namentlich
die Jugend — im Lesen zu unterrichten; daß man diesen Unterricht nur als
einen Handlangerdienst für die Kirche ansah, geht schon daraus hervor, daß
man damit die niedrigsten Kirchendiener, die Küster, beauftragte. Diese sind
die ältesten Vorgänger der „Herren" Volksschullehrer von heute. Sie hatten
freilich zu der Aufgabe, die man ihnen stellte, zunächst ebenso wenig Kennt¬
nisse wie Lust. Daß es ihnen an den nötigen Kenntnissen fehlte, ist nicht
weiter verwunderlich. Denn die Geschäfte eines Küsters — als da sind das
Öffnen und Schließen, das Ordnen und Reinigen der Kirche, das Läuten der
Glocken zu den drei Gebetszeiten und zum Gottesdienste, das Aufziehen der
Kirchenuhr, das Begleiten des Pfarrers auf seinen Amtsgängen, insbesondre
das Tragen des Talars und der Abendmahlsgeräte u. dergl. — sind uicht
von der Art, daß sie nicht ein Handwerksmann neben seinem sonstigen Beruf
mit hätte besorgen können; und wenn auch vielfach frühzeitig gefordert worden
sein mag, daß ein Küster die Orgel schlage oder, wo es keine gab, als Vor¬
sänger den Gemeindegesang leite, und daß er, etwa wenn der Pfarrer krank
oder verreist war, oder in den Filialkirchen eine Predigt vorlesen könne, so
ist damit nicht gesagt, daß dieses Lesen immer eine besondre oratorische
Leistung gewesen wäre. Mag aber auch der Küster selbst ganz leidlich haben
lesen können, daß er, als man es von ihm forderte, gleich imstande war, es
zu lehren, muß bezweifelt werden; die „Methode," auf die ja heute in der
Pädagogik ein so großer Nachdruck gelegt wird, mag manchmal recht mangel¬
haft gewesen sein. Diesem Übelstande ließ sich aber nach und nach abhelfen,
wenn bei der Kirche und dem Küster der gute Wille dazu vorhanden war.
Die Kirche hat ihren guten Willen dadurch bethätigt, daß sie vou den alten
Küsteru das höchste verlangte, was sie leisten konnten, und sich bei neuen
Küstern vergewisserte, daß sie die nötigen Kenntnisse hatten; es war auch gar
nicht so schwer, geeignete Leute zu finden, denn die Universitäten lieferten auch
damals viel gelehrtes Proletariat, Leute, die froh waren, wenn sie in den
immerhin geschützten Hafen einer Küsterstelle einlaufen konnten. Dagegen fehlte
es bei den Küstern selbst sehr oft an dem guten Willen, mit der Kirche in
dieser Angelegenheit Hand in Hand zu gehen. Man kaun ihnen das auch gar
nicht verdenken. Denn während sie bis dahin das Küsteramt außer Sonntags
nur wenig in Anspruch genommen hatte, sodaß sie ganz gut als Schuster oder


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[0460] Rirche und Schule entscheidungen der letzten Instanz den Laien durch die Organe der Kirche, durch die Bischöfe und Priester, vermittelt werden, verwies Luther von vorn¬ herein das nach reiner Wahrheit, nach sicherer Erkenntnis dürstende Volk un¬ mittelbar an die Quelle selbst, aus der er seine religiöse Erkenntnis, seine wie etwas ganz neues wirkende Botschaft geschöpft hatte: er übersetzte die Bibel. Aber die Bibelübersetzung konnte nur dann das bewirken, was sie bewirken sollte, wenn alle evangelischen Laien imstande waren, sie zu lesen. Darum wurden frühzeitig die Organe der Kirche angewiesen, die Laien — namentlich die Jugend — im Lesen zu unterrichten; daß man diesen Unterricht nur als einen Handlangerdienst für die Kirche ansah, geht schon daraus hervor, daß man damit die niedrigsten Kirchendiener, die Küster, beauftragte. Diese sind die ältesten Vorgänger der „Herren" Volksschullehrer von heute. Sie hatten freilich zu der Aufgabe, die man ihnen stellte, zunächst ebenso wenig Kennt¬ nisse wie Lust. Daß es ihnen an den nötigen Kenntnissen fehlte, ist nicht weiter verwunderlich. Denn die Geschäfte eines Küsters — als da sind das Öffnen und Schließen, das Ordnen und Reinigen der Kirche, das Läuten der Glocken zu den drei Gebetszeiten und zum Gottesdienste, das Aufziehen der Kirchenuhr, das Begleiten des Pfarrers auf seinen Amtsgängen, insbesondre das Tragen des Talars und der Abendmahlsgeräte u. dergl. — sind uicht von der Art, daß sie nicht ein Handwerksmann neben seinem sonstigen Beruf mit hätte besorgen können; und wenn auch vielfach frühzeitig gefordert worden sein mag, daß ein Küster die Orgel schlage oder, wo es keine gab, als Vor¬ sänger den Gemeindegesang leite, und daß er, etwa wenn der Pfarrer krank oder verreist war, oder in den Filialkirchen eine Predigt vorlesen könne, so ist damit nicht gesagt, daß dieses Lesen immer eine besondre oratorische Leistung gewesen wäre. Mag aber auch der Küster selbst ganz leidlich haben lesen können, daß er, als man es von ihm forderte, gleich imstande war, es zu lehren, muß bezweifelt werden; die „Methode," auf die ja heute in der Pädagogik ein so großer Nachdruck gelegt wird, mag manchmal recht mangel¬ haft gewesen sein. Diesem Übelstande ließ sich aber nach und nach abhelfen, wenn bei der Kirche und dem Küster der gute Wille dazu vorhanden war. Die Kirche hat ihren guten Willen dadurch bethätigt, daß sie vou den alten Küsteru das höchste verlangte, was sie leisten konnten, und sich bei neuen Küstern vergewisserte, daß sie die nötigen Kenntnisse hatten; es war auch gar nicht so schwer, geeignete Leute zu finden, denn die Universitäten lieferten auch damals viel gelehrtes Proletariat, Leute, die froh waren, wenn sie in den immerhin geschützten Hafen einer Küsterstelle einlaufen konnten. Dagegen fehlte es bei den Küstern selbst sehr oft an dem guten Willen, mit der Kirche in dieser Angelegenheit Hand in Hand zu gehen. Man kaun ihnen das auch gar nicht verdenken. Denn während sie bis dahin das Küsteramt außer Sonntags nur wenig in Anspruch genommen hatte, sodaß sie ganz gut als Schuster oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/460>, abgerufen am 24.06.2024.