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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Rirche und Schule

Vor noch nach der Reformation der Gedanke der allgemeinen Volksbildung,
die ja die Volksschule erstrebt, wenn sie sie auch ganz unvollkommen erreicht,
besonders erfreulich sein; denn wenn die Volksbildung wirklich allgemein er¬
höht wurde, so lag darin eine Gefahr sür den Einfluß der katholischen Kirche
auf das Volk, und es ist immerhin sonderbar, wenn man der katholischen Kirche
zumutet, daß sie ihren Einfluß dazu verwenden soll, ihren Einfluß zu schwächen,
vielleicht gar zu vernichten. Die katholische Kirche hat sich demgemäß lange
ablehnend gegen die Volksschule verhalten, hat sogar die Volksschulen, die in
ihrem Machtbereich entstanden waren, wieder unterdrückt, so in Baiern, wo
im Jahre 1578 "um vieler erheblichen Ursachen willen" die Dorfschulen wieder
aufgehoben werden sollten, und wo die Schulordnung vom Jahre 1582 vor¬
schrieb, daß "der Schulen Anzahl soviel als thu"- und möglich" verringert
würde (Fischer I, 102); sie hat dagegen, sobald sich die Verhältnisse soweit
entwickelt hatten, daß die Volksschule ein gutes Mittel war, Einfluß auf das
Volk zu gewinnen, sofort die Volksschule für ihre Zwecke benutzt und sie eben,
damit sie das könnte, in ihre Gewalt zu bekommen gesucht. Man wird ihr
vernünftigerweise daraus nicht einmal einen Vorwurf machen können; denn
eine Kirche, die keinen Einfluß auf das Volk hat, die nicht unausgesetzt be¬
müht ist, ihren Einfluß mit allen Mitteln zu erhalten, zu befestigen, zu ver¬
tiefen und zu erweitern, hat überhaupt keine Daseinsberechtigung.

Faßt man das alles zusammen, so wird man sagen müssen, daß die
katholische Kirche kein geschichtliches Recht auf die Volksschule hat, daß für sie
die Volksschule immer nur ein Mittel für ihre Zwecke gewesen ist und immer
bleiben wird.

Ganz anders liegen die Verhältnisse zwischen der Volksschule und der
evangelischen Kirche. Zwar wird niemand im Ernst behaupten wollen, die
evangelische Kirche habe die Volksschule mit Absicht und Bewußtsein als eine
Anstalt zur Verbreitung allgemeiner Kenntnisse gerade als Volksschule ge¬
schaffen. Das Bedürfnis nach allgemeinen Kenntnissen hat zwar seinen Ur¬
sprung in demselben Zeitalter wie die Reformation, denn es ist offenbar durch
die Entdeckung des Seewegs nach Südafrika, Indien, Amerika und den da¬
durch hervorgernfnen Aufschwung des Verkehrs und Handels entstanden. Aber
was hätte die evangelische Kirche veranlassen sollen, für die Befriedigung dieses
Praktischen Bedürfnisses, das sie doch gar nichts anging, zu sorgen, während
sie mit sich selbst genug zu thu" hatte? Trotzdem hat sie es in den Anstalten,
die sie für ihre Zwecke schuf, schließlich mit befriedigt und ist so doch die
Mutter der Volksschule geworden.

Die evangelische Kirche mußte darauf hinarbeiten, daß jeder, der zu ihr
gehörte, imstande war, die Bibel zu lesen. Denn was in der katholischen
Kirche der Papst ist: die letzte Instanz in Lehrstreitigkeiten, das ist in der
evangelischen die Bibel. Während aber in der katholischen Kirche die Lehr-


Rirche und Schule

Vor noch nach der Reformation der Gedanke der allgemeinen Volksbildung,
die ja die Volksschule erstrebt, wenn sie sie auch ganz unvollkommen erreicht,
besonders erfreulich sein; denn wenn die Volksbildung wirklich allgemein er¬
höht wurde, so lag darin eine Gefahr sür den Einfluß der katholischen Kirche
auf das Volk, und es ist immerhin sonderbar, wenn man der katholischen Kirche
zumutet, daß sie ihren Einfluß dazu verwenden soll, ihren Einfluß zu schwächen,
vielleicht gar zu vernichten. Die katholische Kirche hat sich demgemäß lange
ablehnend gegen die Volksschule verhalten, hat sogar die Volksschulen, die in
ihrem Machtbereich entstanden waren, wieder unterdrückt, so in Baiern, wo
im Jahre 1578 „um vieler erheblichen Ursachen willen" die Dorfschulen wieder
aufgehoben werden sollten, und wo die Schulordnung vom Jahre 1582 vor¬
schrieb, daß „der Schulen Anzahl soviel als thu»- und möglich" verringert
würde (Fischer I, 102); sie hat dagegen, sobald sich die Verhältnisse soweit
entwickelt hatten, daß die Volksschule ein gutes Mittel war, Einfluß auf das
Volk zu gewinnen, sofort die Volksschule für ihre Zwecke benutzt und sie eben,
damit sie das könnte, in ihre Gewalt zu bekommen gesucht. Man wird ihr
vernünftigerweise daraus nicht einmal einen Vorwurf machen können; denn
eine Kirche, die keinen Einfluß auf das Volk hat, die nicht unausgesetzt be¬
müht ist, ihren Einfluß mit allen Mitteln zu erhalten, zu befestigen, zu ver¬
tiefen und zu erweitern, hat überhaupt keine Daseinsberechtigung.

Faßt man das alles zusammen, so wird man sagen müssen, daß die
katholische Kirche kein geschichtliches Recht auf die Volksschule hat, daß für sie
die Volksschule immer nur ein Mittel für ihre Zwecke gewesen ist und immer
bleiben wird.

Ganz anders liegen die Verhältnisse zwischen der Volksschule und der
evangelischen Kirche. Zwar wird niemand im Ernst behaupten wollen, die
evangelische Kirche habe die Volksschule mit Absicht und Bewußtsein als eine
Anstalt zur Verbreitung allgemeiner Kenntnisse gerade als Volksschule ge¬
schaffen. Das Bedürfnis nach allgemeinen Kenntnissen hat zwar seinen Ur¬
sprung in demselben Zeitalter wie die Reformation, denn es ist offenbar durch
die Entdeckung des Seewegs nach Südafrika, Indien, Amerika und den da¬
durch hervorgernfnen Aufschwung des Verkehrs und Handels entstanden. Aber
was hätte die evangelische Kirche veranlassen sollen, für die Befriedigung dieses
Praktischen Bedürfnisses, das sie doch gar nichts anging, zu sorgen, während
sie mit sich selbst genug zu thu» hatte? Trotzdem hat sie es in den Anstalten,
die sie für ihre Zwecke schuf, schließlich mit befriedigt und ist so doch die
Mutter der Volksschule geworden.

Die evangelische Kirche mußte darauf hinarbeiten, daß jeder, der zu ihr
gehörte, imstande war, die Bibel zu lesen. Denn was in der katholischen
Kirche der Papst ist: die letzte Instanz in Lehrstreitigkeiten, das ist in der
evangelischen die Bibel. Während aber in der katholischen Kirche die Lehr-


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[0459] Rirche und Schule Vor noch nach der Reformation der Gedanke der allgemeinen Volksbildung, die ja die Volksschule erstrebt, wenn sie sie auch ganz unvollkommen erreicht, besonders erfreulich sein; denn wenn die Volksbildung wirklich allgemein er¬ höht wurde, so lag darin eine Gefahr sür den Einfluß der katholischen Kirche auf das Volk, und es ist immerhin sonderbar, wenn man der katholischen Kirche zumutet, daß sie ihren Einfluß dazu verwenden soll, ihren Einfluß zu schwächen, vielleicht gar zu vernichten. Die katholische Kirche hat sich demgemäß lange ablehnend gegen die Volksschule verhalten, hat sogar die Volksschulen, die in ihrem Machtbereich entstanden waren, wieder unterdrückt, so in Baiern, wo im Jahre 1578 „um vieler erheblichen Ursachen willen" die Dorfschulen wieder aufgehoben werden sollten, und wo die Schulordnung vom Jahre 1582 vor¬ schrieb, daß „der Schulen Anzahl soviel als thu»- und möglich" verringert würde (Fischer I, 102); sie hat dagegen, sobald sich die Verhältnisse soweit entwickelt hatten, daß die Volksschule ein gutes Mittel war, Einfluß auf das Volk zu gewinnen, sofort die Volksschule für ihre Zwecke benutzt und sie eben, damit sie das könnte, in ihre Gewalt zu bekommen gesucht. Man wird ihr vernünftigerweise daraus nicht einmal einen Vorwurf machen können; denn eine Kirche, die keinen Einfluß auf das Volk hat, die nicht unausgesetzt be¬ müht ist, ihren Einfluß mit allen Mitteln zu erhalten, zu befestigen, zu ver¬ tiefen und zu erweitern, hat überhaupt keine Daseinsberechtigung. Faßt man das alles zusammen, so wird man sagen müssen, daß die katholische Kirche kein geschichtliches Recht auf die Volksschule hat, daß für sie die Volksschule immer nur ein Mittel für ihre Zwecke gewesen ist und immer bleiben wird. Ganz anders liegen die Verhältnisse zwischen der Volksschule und der evangelischen Kirche. Zwar wird niemand im Ernst behaupten wollen, die evangelische Kirche habe die Volksschule mit Absicht und Bewußtsein als eine Anstalt zur Verbreitung allgemeiner Kenntnisse gerade als Volksschule ge¬ schaffen. Das Bedürfnis nach allgemeinen Kenntnissen hat zwar seinen Ur¬ sprung in demselben Zeitalter wie die Reformation, denn es ist offenbar durch die Entdeckung des Seewegs nach Südafrika, Indien, Amerika und den da¬ durch hervorgernfnen Aufschwung des Verkehrs und Handels entstanden. Aber was hätte die evangelische Kirche veranlassen sollen, für die Befriedigung dieses Praktischen Bedürfnisses, das sie doch gar nichts anging, zu sorgen, während sie mit sich selbst genug zu thu» hatte? Trotzdem hat sie es in den Anstalten, die sie für ihre Zwecke schuf, schließlich mit befriedigt und ist so doch die Mutter der Volksschule geworden. Die evangelische Kirche mußte darauf hinarbeiten, daß jeder, der zu ihr gehörte, imstande war, die Bibel zu lesen. Denn was in der katholischen Kirche der Papst ist: die letzte Instanz in Lehrstreitigkeiten, das ist in der evangelischen die Bibel. Während aber in der katholischen Kirche die Lehr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/459>, abgerufen am 24.06.2024.