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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

der einen, bald der andern gegenübertreten mußte, so konnte er in einem Briefe
vom Christtage 1809 von sich sagen: "So würde mich also zuvörderst die
österreichische Partei als Anhänger des französischen Kaisers köpfen, dann die
französische als Anhänger und Verschwornen von Österreich hängen." Die ver¬
einbarten Bezüge wurden ihm gekürzt, die Bearbeitung der Motive zu seinem
Strafgesetzbuche seinem inzwischen ebenfalls nach München berufnen Feinde
Gönner übertragen. Eines Morgens wurden Kränze und Karten in sein Haus
geschickt, da man mit Bedauern gehört haben wollte, daß er tags zuvor an
"Alteration" gestorben sei. Der König Max Joseph selbst ließ sich in seiner
Wertschätzung des freimütiger Mannes nicht beirren, und ebenso hatte dieser
an dem Kronprinzen Ludwig eine Stütze. Sein bester Trost aber war, daß
seine Arbeiten auf das Wohl von Millionen abzielten, die ihm vielleicht einmal
noch spät eine bessere Gesetzgebung danken würden.

Einer der ersten wichtigen Schritte war die Abschaffung der Folter, "dieses
furchtbaren und blinden Ungeheuers." Schon 1804 hatte er von Landshut
aus eine Abhandlung darüber an den Minister Montgelas geschickt: "Ich er¬
kenne, schrieb er diesem, die Pflicht meines Berufs, und ich darf nicht ver¬
stummen, wo meine Überzeugung spricht." Bald nach seinem Eintritt in das
Ministerium erwirkte er sich vom König den Auftrag, ein Gesetz darüber aus¬
zuarbeiten; aber so widerstrebend hatte dieser in die bedenkliche Neuerung ge¬
willigt, daß das Edikt darüber vom 7. Juli 1806 den Gerichten nur unter
der Hand zur Befolgung mitgeteilt werden durfte. Auch sonst drang Feuer¬
bach von vornherein auf Verbesserung des Verfahrens und der Gerichtsorga¬
nisation, da ohne sie auch das beste Strafgesetz wenig nützen könne; allein mit
geringem Erfolg, da im Geheimen Rat seine schönsten Ideen zu Boden fielen.

Die Hauptaufgabe des Strafgesetzbuchs -- das gehört auch zur Politik
im weitern Sinne -- bezeichnet er dahin: die Gerechtigkeit mit der Milde,
die Strenge mit der Humanität geschickt zu vereinigen, die richterliche
Willkür ihrer angemaßten Herrschaft zu entsetzen, ohne darum die Vernunft
des Richters bloß an tote Buchstaben zu fesseln. Um die Bedeutung dieser
Worte zu verstehen, müssen wir uns die damaligen Zustände vergegenwärtigen.
Neben der hochnotpeinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V., über deren
grausame Bestimmungen sich der Gerichtsbrauch mehr öder weniger frei hin¬
wegsetzte, galten in lieblicher Buutscheckigkeit unvermittelt neuere Gesetze aus
der Aufklärungszeit. "Da giebt es, sagt Feuerbach, Gerichte, die oft in dem
Fall sind, heute einen Verbrecher zum Tode verurteile" zu müssen, während
sie morgen einem andern wegen ganz derselben That ebenso gesetzmäßig das
Zuchthaus auf einige Jahre zuerkennen. Mit den Meilenzeigern wechselt die
Strafbarkeit der Handlungen." In halbwegs schwierigen Fällen halfen sich
die Gerichte am liebsten damit, daß sie die Akten einfach an eine Juristen¬
fakultät versandten. Solchen Zuständen sollte das neue Gesetzbuch abhelfen.


Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

der einen, bald der andern gegenübertreten mußte, so konnte er in einem Briefe
vom Christtage 1809 von sich sagen: „So würde mich also zuvörderst die
österreichische Partei als Anhänger des französischen Kaisers köpfen, dann die
französische als Anhänger und Verschwornen von Österreich hängen." Die ver¬
einbarten Bezüge wurden ihm gekürzt, die Bearbeitung der Motive zu seinem
Strafgesetzbuche seinem inzwischen ebenfalls nach München berufnen Feinde
Gönner übertragen. Eines Morgens wurden Kränze und Karten in sein Haus
geschickt, da man mit Bedauern gehört haben wollte, daß er tags zuvor an
„Alteration" gestorben sei. Der König Max Joseph selbst ließ sich in seiner
Wertschätzung des freimütiger Mannes nicht beirren, und ebenso hatte dieser
an dem Kronprinzen Ludwig eine Stütze. Sein bester Trost aber war, daß
seine Arbeiten auf das Wohl von Millionen abzielten, die ihm vielleicht einmal
noch spät eine bessere Gesetzgebung danken würden.

Einer der ersten wichtigen Schritte war die Abschaffung der Folter, „dieses
furchtbaren und blinden Ungeheuers." Schon 1804 hatte er von Landshut
aus eine Abhandlung darüber an den Minister Montgelas geschickt: „Ich er¬
kenne, schrieb er diesem, die Pflicht meines Berufs, und ich darf nicht ver¬
stummen, wo meine Überzeugung spricht." Bald nach seinem Eintritt in das
Ministerium erwirkte er sich vom König den Auftrag, ein Gesetz darüber aus¬
zuarbeiten; aber so widerstrebend hatte dieser in die bedenkliche Neuerung ge¬
willigt, daß das Edikt darüber vom 7. Juli 1806 den Gerichten nur unter
der Hand zur Befolgung mitgeteilt werden durfte. Auch sonst drang Feuer¬
bach von vornherein auf Verbesserung des Verfahrens und der Gerichtsorga¬
nisation, da ohne sie auch das beste Strafgesetz wenig nützen könne; allein mit
geringem Erfolg, da im Geheimen Rat seine schönsten Ideen zu Boden fielen.

Die Hauptaufgabe des Strafgesetzbuchs — das gehört auch zur Politik
im weitern Sinne — bezeichnet er dahin: die Gerechtigkeit mit der Milde,
die Strenge mit der Humanität geschickt zu vereinigen, die richterliche
Willkür ihrer angemaßten Herrschaft zu entsetzen, ohne darum die Vernunft
des Richters bloß an tote Buchstaben zu fesseln. Um die Bedeutung dieser
Worte zu verstehen, müssen wir uns die damaligen Zustände vergegenwärtigen.
Neben der hochnotpeinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V., über deren
grausame Bestimmungen sich der Gerichtsbrauch mehr öder weniger frei hin¬
wegsetzte, galten in lieblicher Buutscheckigkeit unvermittelt neuere Gesetze aus
der Aufklärungszeit. „Da giebt es, sagt Feuerbach, Gerichte, die oft in dem
Fall sind, heute einen Verbrecher zum Tode verurteile» zu müssen, während
sie morgen einem andern wegen ganz derselben That ebenso gesetzmäßig das
Zuchthaus auf einige Jahre zuerkennen. Mit den Meilenzeigern wechselt die
Strafbarkeit der Handlungen." In halbwegs schwierigen Fällen halfen sich
die Gerichte am liebsten damit, daß sie die Akten einfach an eine Juristen¬
fakultät versandten. Solchen Zuständen sollte das neue Gesetzbuch abhelfen.


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[0367] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller der einen, bald der andern gegenübertreten mußte, so konnte er in einem Briefe vom Christtage 1809 von sich sagen: „So würde mich also zuvörderst die österreichische Partei als Anhänger des französischen Kaisers köpfen, dann die französische als Anhänger und Verschwornen von Österreich hängen." Die ver¬ einbarten Bezüge wurden ihm gekürzt, die Bearbeitung der Motive zu seinem Strafgesetzbuche seinem inzwischen ebenfalls nach München berufnen Feinde Gönner übertragen. Eines Morgens wurden Kränze und Karten in sein Haus geschickt, da man mit Bedauern gehört haben wollte, daß er tags zuvor an „Alteration" gestorben sei. Der König Max Joseph selbst ließ sich in seiner Wertschätzung des freimütiger Mannes nicht beirren, und ebenso hatte dieser an dem Kronprinzen Ludwig eine Stütze. Sein bester Trost aber war, daß seine Arbeiten auf das Wohl von Millionen abzielten, die ihm vielleicht einmal noch spät eine bessere Gesetzgebung danken würden. Einer der ersten wichtigen Schritte war die Abschaffung der Folter, „dieses furchtbaren und blinden Ungeheuers." Schon 1804 hatte er von Landshut aus eine Abhandlung darüber an den Minister Montgelas geschickt: „Ich er¬ kenne, schrieb er diesem, die Pflicht meines Berufs, und ich darf nicht ver¬ stummen, wo meine Überzeugung spricht." Bald nach seinem Eintritt in das Ministerium erwirkte er sich vom König den Auftrag, ein Gesetz darüber aus¬ zuarbeiten; aber so widerstrebend hatte dieser in die bedenkliche Neuerung ge¬ willigt, daß das Edikt darüber vom 7. Juli 1806 den Gerichten nur unter der Hand zur Befolgung mitgeteilt werden durfte. Auch sonst drang Feuer¬ bach von vornherein auf Verbesserung des Verfahrens und der Gerichtsorga¬ nisation, da ohne sie auch das beste Strafgesetz wenig nützen könne; allein mit geringem Erfolg, da im Geheimen Rat seine schönsten Ideen zu Boden fielen. Die Hauptaufgabe des Strafgesetzbuchs — das gehört auch zur Politik im weitern Sinne — bezeichnet er dahin: die Gerechtigkeit mit der Milde, die Strenge mit der Humanität geschickt zu vereinigen, die richterliche Willkür ihrer angemaßten Herrschaft zu entsetzen, ohne darum die Vernunft des Richters bloß an tote Buchstaben zu fesseln. Um die Bedeutung dieser Worte zu verstehen, müssen wir uns die damaligen Zustände vergegenwärtigen. Neben der hochnotpeinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V., über deren grausame Bestimmungen sich der Gerichtsbrauch mehr öder weniger frei hin¬ wegsetzte, galten in lieblicher Buutscheckigkeit unvermittelt neuere Gesetze aus der Aufklärungszeit. „Da giebt es, sagt Feuerbach, Gerichte, die oft in dem Fall sind, heute einen Verbrecher zum Tode verurteile» zu müssen, während sie morgen einem andern wegen ganz derselben That ebenso gesetzmäßig das Zuchthaus auf einige Jahre zuerkennen. Mit den Meilenzeigern wechselt die Strafbarkeit der Handlungen." In halbwegs schwierigen Fällen halfen sich die Gerichte am liebsten damit, daß sie die Akten einfach an eine Juristen¬ fakultät versandten. Solchen Zuständen sollte das neue Gesetzbuch abhelfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/367>, abgerufen am 28.07.2024.