Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

Durch die klare Ordnung des Ganzen, durch die scharfe Bestimmung des That¬
bestands der einzelnen Verbrechen, durch den Grundsatz, dem richterlichen Er¬
messen innerhalb fester Grenzen hinreichenden Spielraum zu lassen, endlich durch
die schlichte, edle Sprache ist Feuerbachs Arbeit bis auf unsre Zeit muster-
giltig geblieben. Daß er im Strafmaß vielfach zu hoch gegriffen hatte, war
bei der Unsicherheit der damaligen Maßstäbe nicht zu verwundern, zumal da
seine Theorie der Abschreckung, auf die wir hier nicht eingehen können, in
dieser Richtung wirkte.

Die Umarbeitung des Ooäs eivil blieb unbenutzt liegen. Es mag aber
nicht unerwähnt bleiben, wie Feuerbach über Napoleons Gesetzbuch dachte. Er
rühmt es als eines der schönsten Ehrendenkmale des französischen Namens,
als ein verbindendes Mittelglied zwischen dem überkommnen römischen Recht
und der Gegenwart mit ihren veränderten Bedürfnissen. Die Anpassung auf
Baiern hatte er gleichwohl nur von dem Gesichtspunkt aus empfohlen, daß
Vaiern nun einmal dem Rheinbunde beigetreten war: "In dem Bunde sein
und sich von den Grundsätzen des Bundes isoliren, sind widersprechende Dinge.
Diesem Widerspruche auszuweichen, das ist es, was allein die Veranlassung
werden konnte, den Loüs U^volLori auf Baiern zur Anwendung zu bringen."

Bis in den Herbst 1813 hatte Baiern dem fremden Gewalthaber an¬
gehangen. Auch der Abschluß des Rieder Vertrags, durch den es zu den Ver¬
bündeten übertrat, bedeutete weder einen unzweideutigen Wandel der Gesinnung
in den Regierungskrisen, noch vermochte er die dumpfe Schwüle der Stim¬
mung in München zu lösen. Als die Kunde von der Völkerschlacht bei Leipzig
und von dem Rückzug Napoleons eintraf, da war es zunächst wohl nur ein
kleines Häuflein, das die Nachricht mit ungelenker Begeisterung aufnahm,
allen voran Feuerbach.

Wenige Tage nach der Schlacht gab dieser den Gefühlen und Gesinnungen,
die ihn und die Besten der Nation beseelten, in der schon genannten Schrift
öffentlichen Ausdruck. Leider verbietet mir hier der Raum, dieses Meister¬
werk von Anfang bis zum Eude mitzuteilen. Ich will versuchen, den Ge¬
dankengang wiederzugeben und die bezeichnendsten Stellen zur wörtlichen Mit¬
teilung auszuwählen.

In den Raum weniger Jahrzehnte, so beginnt er, habe sich eine Fülle
der denkwürdigstell Ereignisse zusammengedrängt, wie sie sonst kaum von Jahr¬
hunderten gesehen werden. "Die erhabensten wie die verabschemmgswllrdigsten
Szenen der Weltgeschichte, das Beste, was die Menschheit erhebt und ver¬
herrlicht, das Ärgste, was sie zu tiefster Schmach entwürdigt, drängte sich in
grell abspringenden Gegensätzen schnellen Wechsels, in dem großen Weltschau¬
spiele zusammen, zu dem wir mit eignem Elende den Eintrittspreis bezahlten,
und um das uns dereinst die durch unsre Leiden glücklichere Nachwelt be¬
neiden wird."


Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

Durch die klare Ordnung des Ganzen, durch die scharfe Bestimmung des That¬
bestands der einzelnen Verbrechen, durch den Grundsatz, dem richterlichen Er¬
messen innerhalb fester Grenzen hinreichenden Spielraum zu lassen, endlich durch
die schlichte, edle Sprache ist Feuerbachs Arbeit bis auf unsre Zeit muster-
giltig geblieben. Daß er im Strafmaß vielfach zu hoch gegriffen hatte, war
bei der Unsicherheit der damaligen Maßstäbe nicht zu verwundern, zumal da
seine Theorie der Abschreckung, auf die wir hier nicht eingehen können, in
dieser Richtung wirkte.

Die Umarbeitung des Ooäs eivil blieb unbenutzt liegen. Es mag aber
nicht unerwähnt bleiben, wie Feuerbach über Napoleons Gesetzbuch dachte. Er
rühmt es als eines der schönsten Ehrendenkmale des französischen Namens,
als ein verbindendes Mittelglied zwischen dem überkommnen römischen Recht
und der Gegenwart mit ihren veränderten Bedürfnissen. Die Anpassung auf
Baiern hatte er gleichwohl nur von dem Gesichtspunkt aus empfohlen, daß
Vaiern nun einmal dem Rheinbunde beigetreten war: „In dem Bunde sein
und sich von den Grundsätzen des Bundes isoliren, sind widersprechende Dinge.
Diesem Widerspruche auszuweichen, das ist es, was allein die Veranlassung
werden konnte, den Loüs U^volLori auf Baiern zur Anwendung zu bringen."

Bis in den Herbst 1813 hatte Baiern dem fremden Gewalthaber an¬
gehangen. Auch der Abschluß des Rieder Vertrags, durch den es zu den Ver¬
bündeten übertrat, bedeutete weder einen unzweideutigen Wandel der Gesinnung
in den Regierungskrisen, noch vermochte er die dumpfe Schwüle der Stim¬
mung in München zu lösen. Als die Kunde von der Völkerschlacht bei Leipzig
und von dem Rückzug Napoleons eintraf, da war es zunächst wohl nur ein
kleines Häuflein, das die Nachricht mit ungelenker Begeisterung aufnahm,
allen voran Feuerbach.

Wenige Tage nach der Schlacht gab dieser den Gefühlen und Gesinnungen,
die ihn und die Besten der Nation beseelten, in der schon genannten Schrift
öffentlichen Ausdruck. Leider verbietet mir hier der Raum, dieses Meister¬
werk von Anfang bis zum Eude mitzuteilen. Ich will versuchen, den Ge¬
dankengang wiederzugeben und die bezeichnendsten Stellen zur wörtlichen Mit¬
teilung auszuwählen.

In den Raum weniger Jahrzehnte, so beginnt er, habe sich eine Fülle
der denkwürdigstell Ereignisse zusammengedrängt, wie sie sonst kaum von Jahr¬
hunderten gesehen werden. „Die erhabensten wie die verabschemmgswllrdigsten
Szenen der Weltgeschichte, das Beste, was die Menschheit erhebt und ver¬
herrlicht, das Ärgste, was sie zu tiefster Schmach entwürdigt, drängte sich in
grell abspringenden Gegensätzen schnellen Wechsels, in dem großen Weltschau¬
spiele zusammen, zu dem wir mit eignem Elende den Eintrittspreis bezahlten,
und um das uns dereinst die durch unsre Leiden glücklichere Nachwelt be¬
neiden wird."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220694"/>
          <fw type="header" place="top"> Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1560" prev="#ID_1559"> Durch die klare Ordnung des Ganzen, durch die scharfe Bestimmung des That¬<lb/>
bestands der einzelnen Verbrechen, durch den Grundsatz, dem richterlichen Er¬<lb/>
messen innerhalb fester Grenzen hinreichenden Spielraum zu lassen, endlich durch<lb/>
die schlichte, edle Sprache ist Feuerbachs Arbeit bis auf unsre Zeit muster-<lb/>
giltig geblieben. Daß er im Strafmaß vielfach zu hoch gegriffen hatte, war<lb/>
bei der Unsicherheit der damaligen Maßstäbe nicht zu verwundern, zumal da<lb/>
seine Theorie der Abschreckung, auf die wir hier nicht eingehen können, in<lb/>
dieser Richtung wirkte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1561"> Die Umarbeitung des Ooäs eivil blieb unbenutzt liegen. Es mag aber<lb/>
nicht unerwähnt bleiben, wie Feuerbach über Napoleons Gesetzbuch dachte. Er<lb/>
rühmt es als eines der schönsten Ehrendenkmale des französischen Namens,<lb/>
als ein verbindendes Mittelglied zwischen dem überkommnen römischen Recht<lb/>
und der Gegenwart mit ihren veränderten Bedürfnissen. Die Anpassung auf<lb/>
Baiern hatte er gleichwohl nur von dem Gesichtspunkt aus empfohlen, daß<lb/>
Vaiern nun einmal dem Rheinbunde beigetreten war: &#x201E;In dem Bunde sein<lb/>
und sich von den Grundsätzen des Bundes isoliren, sind widersprechende Dinge.<lb/>
Diesem Widerspruche auszuweichen, das ist es, was allein die Veranlassung<lb/>
werden konnte, den Loüs U^volLori auf Baiern zur Anwendung zu bringen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1562"> Bis in den Herbst 1813 hatte Baiern dem fremden Gewalthaber an¬<lb/>
gehangen. Auch der Abschluß des Rieder Vertrags, durch den es zu den Ver¬<lb/>
bündeten übertrat, bedeutete weder einen unzweideutigen Wandel der Gesinnung<lb/>
in den Regierungskrisen, noch vermochte er die dumpfe Schwüle der Stim¬<lb/>
mung in München zu lösen. Als die Kunde von der Völkerschlacht bei Leipzig<lb/>
und von dem Rückzug Napoleons eintraf, da war es zunächst wohl nur ein<lb/>
kleines Häuflein, das die Nachricht mit ungelenker Begeisterung aufnahm,<lb/>
allen voran Feuerbach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1563"> Wenige Tage nach der Schlacht gab dieser den Gefühlen und Gesinnungen,<lb/>
die ihn und die Besten der Nation beseelten, in der schon genannten Schrift<lb/>
öffentlichen Ausdruck. Leider verbietet mir hier der Raum, dieses Meister¬<lb/>
werk von Anfang bis zum Eude mitzuteilen. Ich will versuchen, den Ge¬<lb/>
dankengang wiederzugeben und die bezeichnendsten Stellen zur wörtlichen Mit¬<lb/>
teilung auszuwählen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1564"> In den Raum weniger Jahrzehnte, so beginnt er, habe sich eine Fülle<lb/>
der denkwürdigstell Ereignisse zusammengedrängt, wie sie sonst kaum von Jahr¬<lb/>
hunderten gesehen werden. &#x201E;Die erhabensten wie die verabschemmgswllrdigsten<lb/>
Szenen der Weltgeschichte, das Beste, was die Menschheit erhebt und ver¬<lb/>
herrlicht, das Ärgste, was sie zu tiefster Schmach entwürdigt, drängte sich in<lb/>
grell abspringenden Gegensätzen schnellen Wechsels, in dem großen Weltschau¬<lb/>
spiele zusammen, zu dem wir mit eignem Elende den Eintrittspreis bezahlten,<lb/>
und um das uns dereinst die durch unsre Leiden glücklichere Nachwelt be¬<lb/>
neiden wird."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller Durch die klare Ordnung des Ganzen, durch die scharfe Bestimmung des That¬ bestands der einzelnen Verbrechen, durch den Grundsatz, dem richterlichen Er¬ messen innerhalb fester Grenzen hinreichenden Spielraum zu lassen, endlich durch die schlichte, edle Sprache ist Feuerbachs Arbeit bis auf unsre Zeit muster- giltig geblieben. Daß er im Strafmaß vielfach zu hoch gegriffen hatte, war bei der Unsicherheit der damaligen Maßstäbe nicht zu verwundern, zumal da seine Theorie der Abschreckung, auf die wir hier nicht eingehen können, in dieser Richtung wirkte. Die Umarbeitung des Ooäs eivil blieb unbenutzt liegen. Es mag aber nicht unerwähnt bleiben, wie Feuerbach über Napoleons Gesetzbuch dachte. Er rühmt es als eines der schönsten Ehrendenkmale des französischen Namens, als ein verbindendes Mittelglied zwischen dem überkommnen römischen Recht und der Gegenwart mit ihren veränderten Bedürfnissen. Die Anpassung auf Baiern hatte er gleichwohl nur von dem Gesichtspunkt aus empfohlen, daß Vaiern nun einmal dem Rheinbunde beigetreten war: „In dem Bunde sein und sich von den Grundsätzen des Bundes isoliren, sind widersprechende Dinge. Diesem Widerspruche auszuweichen, das ist es, was allein die Veranlassung werden konnte, den Loüs U^volLori auf Baiern zur Anwendung zu bringen." Bis in den Herbst 1813 hatte Baiern dem fremden Gewalthaber an¬ gehangen. Auch der Abschluß des Rieder Vertrags, durch den es zu den Ver¬ bündeten übertrat, bedeutete weder einen unzweideutigen Wandel der Gesinnung in den Regierungskrisen, noch vermochte er die dumpfe Schwüle der Stim¬ mung in München zu lösen. Als die Kunde von der Völkerschlacht bei Leipzig und von dem Rückzug Napoleons eintraf, da war es zunächst wohl nur ein kleines Häuflein, das die Nachricht mit ungelenker Begeisterung aufnahm, allen voran Feuerbach. Wenige Tage nach der Schlacht gab dieser den Gefühlen und Gesinnungen, die ihn und die Besten der Nation beseelten, in der schon genannten Schrift öffentlichen Ausdruck. Leider verbietet mir hier der Raum, dieses Meister¬ werk von Anfang bis zum Eude mitzuteilen. Ich will versuchen, den Ge¬ dankengang wiederzugeben und die bezeichnendsten Stellen zur wörtlichen Mit¬ teilung auszuwählen. In den Raum weniger Jahrzehnte, so beginnt er, habe sich eine Fülle der denkwürdigstell Ereignisse zusammengedrängt, wie sie sonst kaum von Jahr¬ hunderten gesehen werden. „Die erhabensten wie die verabschemmgswllrdigsten Szenen der Weltgeschichte, das Beste, was die Menschheit erhebt und ver¬ herrlicht, das Ärgste, was sie zu tiefster Schmach entwürdigt, drängte sich in grell abspringenden Gegensätzen schnellen Wechsels, in dem großen Weltschau¬ spiele zusammen, zu dem wir mit eignem Elende den Eintrittspreis bezahlten, und um das uns dereinst die durch unsre Leiden glücklichere Nachwelt be¬ neiden wird."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/368>, abgerufen am 28.07.2024.