Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

(Z 195) Der Staat hat auf sein Dasein und auf die Existenz derjenigen
Einrichtungen, ohne welche er aufhören würde, als Staat überhaupt oder als
dieser bestimmte Staat zu existiren, ein ursprüngliches und notwendiges Recht.
Der es verletzt, ist Feind des Staats; ein Unterthan, welcher es verletzt, ist
der größte Verbrecher und wird Hochverräter genannt.

G 344) Daß die Gottheit injuriirt werde, ist unmöglich, daß sie wegen
Injurien sich an Menschen räche, ist undenkbar, daß man sie durch Strafen
ihrer Beleidiger rächen müsse, ist Thorheit. Aber die Kirche hat als moralische
Person ein Recht auf Ehre. Sie existirt als Gesellschaft durch ihren Zweck.
Wer diesen entwürdigt, der entwürdigt die Gesellschaft selbst u. s. w.

Zu dem ersten Satze fügt er in einer Anmerkung hinzu: Ein Gesetzgeber
kann uns nicht nötigen, einen undenkbaren und ungereimten Grund des Gesetzes
zu denken.

Von der Folter sagt er 613): Die Vernunft verwirft sie, Gesetze
haben sie sanktionirt, der Gebrauch oder Partikulargesetze haben sie entweder
aufgehoben oder gemildert.

Ob solcher Sprache sträubten sich die Zöpfe der alten Praktiker vor Ent¬
setzen, während sie das junge Geschlecht mit Jubel aufnahm. Vier Universi¬
täten suchten ihn kurz nach einander für sich zu gewinnen. Er ging zuerst
nach Kiel, wohin sein verehrter Lehrer Reinhold einige Jahre zuvor über¬
gesiedelt war, folgte dann aber bald einem Rufe nach Landshut als kurpfcilz-
bairischer Hofrat und Professor. Diesen Ruf verdankte er hauptsächlich seiner
gründlichen Kritik des Kleinschrvdschen Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für
die kurpfalz-bairischen Staaten, dessen selbständige Ausarbeitung ihm daraufhin
übertragen wurde. In Landshut fand er sehr unerquickliche Verhältnisse, und
besonders waren es die Ränke seines begabten, aber charakterlosen Kollegen
Gönner, die ihm den Aufenthalt gründlich verleideten. Ende 1805, kurz vor
der Erhebung Baierns zum Königreich, trat er als Geheimer Referendar in
das Justizministerium in München und damit in die praktische Thätigkeit des
Gesetzgebers über.

In dieser Stellung hat er in den folgenden acht Jahren fast Übermensch¬
liches geleistet. Zu der Abfassung des neuen Strafgesetzbuchs kam bald der
Auftrag hinzu -- als "Hausarbeit," schreibt er an den Vater --, den Ooäs
vivit als Gesetzbuch für das junge Nheinbundskönigreich umzugestalten; sodann
die Übergangsgesetze für die neuerworbnen Landesteile und eine "Reichskon¬
stitution" zu entwerfen, endlich der Vortrag beim König über sämtliche Gnaden¬
gesuche. Und das alles unter den schwierigsten Verhältnissen. Als Protestant
stieß er allenthalben auf Mißtrauen und Übelwollen, und der freundliche Rat
an die "Ausländer," das reiche Kanaan Baiern wieder mit ihren Steppen zu
vertauschen, ließ sich damals wie später bei jeder Gelegenheit hören. Am Hofe
befehdeten sich die französische und die österreichische Partei, und da er bald


(Z 195) Der Staat hat auf sein Dasein und auf die Existenz derjenigen
Einrichtungen, ohne welche er aufhören würde, als Staat überhaupt oder als
dieser bestimmte Staat zu existiren, ein ursprüngliches und notwendiges Recht.
Der es verletzt, ist Feind des Staats; ein Unterthan, welcher es verletzt, ist
der größte Verbrecher und wird Hochverräter genannt.

G 344) Daß die Gottheit injuriirt werde, ist unmöglich, daß sie wegen
Injurien sich an Menschen räche, ist undenkbar, daß man sie durch Strafen
ihrer Beleidiger rächen müsse, ist Thorheit. Aber die Kirche hat als moralische
Person ein Recht auf Ehre. Sie existirt als Gesellschaft durch ihren Zweck.
Wer diesen entwürdigt, der entwürdigt die Gesellschaft selbst u. s. w.

Zu dem ersten Satze fügt er in einer Anmerkung hinzu: Ein Gesetzgeber
kann uns nicht nötigen, einen undenkbaren und ungereimten Grund des Gesetzes
zu denken.

Von der Folter sagt er 613): Die Vernunft verwirft sie, Gesetze
haben sie sanktionirt, der Gebrauch oder Partikulargesetze haben sie entweder
aufgehoben oder gemildert.

Ob solcher Sprache sträubten sich die Zöpfe der alten Praktiker vor Ent¬
setzen, während sie das junge Geschlecht mit Jubel aufnahm. Vier Universi¬
täten suchten ihn kurz nach einander für sich zu gewinnen. Er ging zuerst
nach Kiel, wohin sein verehrter Lehrer Reinhold einige Jahre zuvor über¬
gesiedelt war, folgte dann aber bald einem Rufe nach Landshut als kurpfcilz-
bairischer Hofrat und Professor. Diesen Ruf verdankte er hauptsächlich seiner
gründlichen Kritik des Kleinschrvdschen Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für
die kurpfalz-bairischen Staaten, dessen selbständige Ausarbeitung ihm daraufhin
übertragen wurde. In Landshut fand er sehr unerquickliche Verhältnisse, und
besonders waren es die Ränke seines begabten, aber charakterlosen Kollegen
Gönner, die ihm den Aufenthalt gründlich verleideten. Ende 1805, kurz vor
der Erhebung Baierns zum Königreich, trat er als Geheimer Referendar in
das Justizministerium in München und damit in die praktische Thätigkeit des
Gesetzgebers über.

In dieser Stellung hat er in den folgenden acht Jahren fast Übermensch¬
liches geleistet. Zu der Abfassung des neuen Strafgesetzbuchs kam bald der
Auftrag hinzu — als „Hausarbeit," schreibt er an den Vater —, den Ooäs
vivit als Gesetzbuch für das junge Nheinbundskönigreich umzugestalten; sodann
die Übergangsgesetze für die neuerworbnen Landesteile und eine „Reichskon¬
stitution" zu entwerfen, endlich der Vortrag beim König über sämtliche Gnaden¬
gesuche. Und das alles unter den schwierigsten Verhältnissen. Als Protestant
stieß er allenthalben auf Mißtrauen und Übelwollen, und der freundliche Rat
an die „Ausländer," das reiche Kanaan Baiern wieder mit ihren Steppen zu
vertauschen, ließ sich damals wie später bei jeder Gelegenheit hören. Am Hofe
befehdeten sich die französische und die österreichische Partei, und da er bald


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220692"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1551"> (Z 195) Der Staat hat auf sein Dasein und auf die Existenz derjenigen<lb/>
Einrichtungen, ohne welche er aufhören würde, als Staat überhaupt oder als<lb/>
dieser bestimmte Staat zu existiren, ein ursprüngliches und notwendiges Recht.<lb/>
Der es verletzt, ist Feind des Staats; ein Unterthan, welcher es verletzt, ist<lb/>
der größte Verbrecher und wird Hochverräter genannt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1552"> G 344) Daß die Gottheit injuriirt werde, ist unmöglich, daß sie wegen<lb/>
Injurien sich an Menschen räche, ist undenkbar, daß man sie durch Strafen<lb/>
ihrer Beleidiger rächen müsse, ist Thorheit. Aber die Kirche hat als moralische<lb/>
Person ein Recht auf Ehre. Sie existirt als Gesellschaft durch ihren Zweck.<lb/>
Wer diesen entwürdigt, der entwürdigt die Gesellschaft selbst u. s. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1553"> Zu dem ersten Satze fügt er in einer Anmerkung hinzu: Ein Gesetzgeber<lb/>
kann uns nicht nötigen, einen undenkbaren und ungereimten Grund des Gesetzes<lb/>
zu denken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1554"> Von der Folter sagt er 613): Die Vernunft verwirft sie, Gesetze<lb/>
haben sie sanktionirt, der Gebrauch oder Partikulargesetze haben sie entweder<lb/>
aufgehoben oder gemildert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1555"> Ob solcher Sprache sträubten sich die Zöpfe der alten Praktiker vor Ent¬<lb/>
setzen, während sie das junge Geschlecht mit Jubel aufnahm. Vier Universi¬<lb/>
täten suchten ihn kurz nach einander für sich zu gewinnen. Er ging zuerst<lb/>
nach Kiel, wohin sein verehrter Lehrer Reinhold einige Jahre zuvor über¬<lb/>
gesiedelt war, folgte dann aber bald einem Rufe nach Landshut als kurpfcilz-<lb/>
bairischer Hofrat und Professor. Diesen Ruf verdankte er hauptsächlich seiner<lb/>
gründlichen Kritik des Kleinschrvdschen Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für<lb/>
die kurpfalz-bairischen Staaten, dessen selbständige Ausarbeitung ihm daraufhin<lb/>
übertragen wurde. In Landshut fand er sehr unerquickliche Verhältnisse, und<lb/>
besonders waren es die Ränke seines begabten, aber charakterlosen Kollegen<lb/>
Gönner, die ihm den Aufenthalt gründlich verleideten. Ende 1805, kurz vor<lb/>
der Erhebung Baierns zum Königreich, trat er als Geheimer Referendar in<lb/>
das Justizministerium in München und damit in die praktische Thätigkeit des<lb/>
Gesetzgebers über.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1556" next="#ID_1557"> In dieser Stellung hat er in den folgenden acht Jahren fast Übermensch¬<lb/>
liches geleistet. Zu der Abfassung des neuen Strafgesetzbuchs kam bald der<lb/>
Auftrag hinzu &#x2014; als &#x201E;Hausarbeit," schreibt er an den Vater &#x2014;, den Ooäs<lb/>
vivit als Gesetzbuch für das junge Nheinbundskönigreich umzugestalten; sodann<lb/>
die Übergangsgesetze für die neuerworbnen Landesteile und eine &#x201E;Reichskon¬<lb/>
stitution" zu entwerfen, endlich der Vortrag beim König über sämtliche Gnaden¬<lb/>
gesuche. Und das alles unter den schwierigsten Verhältnissen. Als Protestant<lb/>
stieß er allenthalben auf Mißtrauen und Übelwollen, und der freundliche Rat<lb/>
an die &#x201E;Ausländer," das reiche Kanaan Baiern wieder mit ihren Steppen zu<lb/>
vertauschen, ließ sich damals wie später bei jeder Gelegenheit hören. Am Hofe<lb/>
befehdeten sich die französische und die österreichische Partei, und da er bald</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0366] (Z 195) Der Staat hat auf sein Dasein und auf die Existenz derjenigen Einrichtungen, ohne welche er aufhören würde, als Staat überhaupt oder als dieser bestimmte Staat zu existiren, ein ursprüngliches und notwendiges Recht. Der es verletzt, ist Feind des Staats; ein Unterthan, welcher es verletzt, ist der größte Verbrecher und wird Hochverräter genannt. G 344) Daß die Gottheit injuriirt werde, ist unmöglich, daß sie wegen Injurien sich an Menschen räche, ist undenkbar, daß man sie durch Strafen ihrer Beleidiger rächen müsse, ist Thorheit. Aber die Kirche hat als moralische Person ein Recht auf Ehre. Sie existirt als Gesellschaft durch ihren Zweck. Wer diesen entwürdigt, der entwürdigt die Gesellschaft selbst u. s. w. Zu dem ersten Satze fügt er in einer Anmerkung hinzu: Ein Gesetzgeber kann uns nicht nötigen, einen undenkbaren und ungereimten Grund des Gesetzes zu denken. Von der Folter sagt er 613): Die Vernunft verwirft sie, Gesetze haben sie sanktionirt, der Gebrauch oder Partikulargesetze haben sie entweder aufgehoben oder gemildert. Ob solcher Sprache sträubten sich die Zöpfe der alten Praktiker vor Ent¬ setzen, während sie das junge Geschlecht mit Jubel aufnahm. Vier Universi¬ täten suchten ihn kurz nach einander für sich zu gewinnen. Er ging zuerst nach Kiel, wohin sein verehrter Lehrer Reinhold einige Jahre zuvor über¬ gesiedelt war, folgte dann aber bald einem Rufe nach Landshut als kurpfcilz- bairischer Hofrat und Professor. Diesen Ruf verdankte er hauptsächlich seiner gründlichen Kritik des Kleinschrvdschen Entwurfs eines Strafgesetzbuchs für die kurpfalz-bairischen Staaten, dessen selbständige Ausarbeitung ihm daraufhin übertragen wurde. In Landshut fand er sehr unerquickliche Verhältnisse, und besonders waren es die Ränke seines begabten, aber charakterlosen Kollegen Gönner, die ihm den Aufenthalt gründlich verleideten. Ende 1805, kurz vor der Erhebung Baierns zum Königreich, trat er als Geheimer Referendar in das Justizministerium in München und damit in die praktische Thätigkeit des Gesetzgebers über. In dieser Stellung hat er in den folgenden acht Jahren fast Übermensch¬ liches geleistet. Zu der Abfassung des neuen Strafgesetzbuchs kam bald der Auftrag hinzu — als „Hausarbeit," schreibt er an den Vater —, den Ooäs vivit als Gesetzbuch für das junge Nheinbundskönigreich umzugestalten; sodann die Übergangsgesetze für die neuerworbnen Landesteile und eine „Reichskon¬ stitution" zu entwerfen, endlich der Vortrag beim König über sämtliche Gnaden¬ gesuche. Und das alles unter den schwierigsten Verhältnissen. Als Protestant stieß er allenthalben auf Mißtrauen und Übelwollen, und der freundliche Rat an die „Ausländer," das reiche Kanaan Baiern wieder mit ihren Steppen zu vertauschen, ließ sich damals wie später bei jeder Gelegenheit hören. Am Hofe befehdeten sich die französische und die österreichische Partei, und da er bald

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/366
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/366>, abgerufen am 28.07.2024.