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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Das Kapital von Rarl Marx

den Arbeitenden gar nichts. Der Leinwandfabrikant kann samt seinen Arbeitern
verhungern, wenn ihm niemand die Leinwand abkauft. Nur der Landwirt be¬
findet sich in einer etwas bessern und nicht ganz so närrischen Lage, aber der
Landwirte werden heute im Verhältnis zu den übrigen Arbeitenden immer
weniger. Und die Steigerung der Produktion gebiert mehr Verlegenheiten als
Segcnssrüchte. Um in den Besitz von Gebrauchsgütern zu kommen, muß jeder
die Waren verkaufen, die er selbst produzirt. Das Maß der Güter aber, die
er sich verschaffen kann, steigt um so hoher, je weniger Tauschwert die Waren
haben, die er kaufen muß, und je mehr die, die er selbst verkauft. Daraus
entsteht ein Interessenkonflikt zwischen jedem einzelnen und allen übrigen, und
zwar ein doppelter. Erstens haben alle Verkäufer einer bestimmten Ware,
z. B. von Tuch, das Interesse, daß Tuch möglichst teuer und die Gesamtheit
aller übrigen Waren möglichst billig sei. Zweitens aber hat jeder einzelne
Tuchverkäufer das höchste Interesse daran, daß er sein Tuch billiger ver¬
kaufen könne als alle seine Konkurrenten. Jeder will also alle Waren mit
Ausnahme seines eignen Fabrikats billig machen, d. h. die Produktivität der
darauf verwendeten Arbeit steigern. Gleichzeitig aber will er seine Ware
hoch im Preise halten, was nur dadurch geschehen kann, daß entweder denen,
die sich darauf verlegen wollen, der Zugang gesperrt, oder der technische Fort¬
schritt in diesem Arbeitszweige gehemmt wird. Und zu diesem Widerspruch
tritt der zweite, daß jeder einzelne Fabrikant eines bestimmten Gcwerbszweiges
diese Hemmung des technischen Fortschritts bloß für seine Konkurrenten wünscht,
während er in seiner eignen Fabrik den Fortschritt aufs höchste steigern möchte.
Alle Unternehmer zusammen aber treten in feindlichen Gegensatz zu den Lohn¬
arbeitern, weil ihr Profit in dem Grade wächst, als der Arbeitslohn kleiner
wird, oder vielmehr wachsen würde, wenn nicht -- und das setzt dem Unsinn
die Krone auf -- die Absatzstockungen eben hauptsächlich durch die Verkürzung
des Arbeitslohns hervorgerufen würden. Und je höher der technische Fort¬
schritt steigt, desto mehr verschürft sich dieser allseitige Interessengegensatz, desto
erbitterter entbrennt dieser Konkurrenz- und Klassenkampf, der zur Benutzung
der unedelsten Waffen zwingt, aus den ehrlichsten Menschen Betrüger, aus
den sanftmütigsten gierige Wölfe, aus den gutmütigsten hartherzige "Aus¬
beuter" macht. In der alten Gutswirtschaft bestand ursprünglich allerdings
auch ein Interessenkonflikt, der zwischen dem Herrn und den Sklaven, indem der
Herr desto mehr Güter und Bequemlichkeiten genoß, je härter die Sklaven arbei¬
teten und je karger sie gehalten wurden. Allein dieser Gegensatz milderte sich mit
fortschreitender Technik beständig und würde zuguderletzt, wenn der Herr ohne
Beschwerung der Sklaven alles wünschenswerte gehabt und die Güterfülle für
alle hingereicht hätte, weggefallen sein. Unsre auf den Warcntausch gegründete
Wirtschaftsordnung aber hindert die Erzeugung der notwendigen Gütermenge
und erzeugt jenen Zustand, der, wie schon Carlyle sagte, als das Werk eines


Das Kapital von Rarl Marx

den Arbeitenden gar nichts. Der Leinwandfabrikant kann samt seinen Arbeitern
verhungern, wenn ihm niemand die Leinwand abkauft. Nur der Landwirt be¬
findet sich in einer etwas bessern und nicht ganz so närrischen Lage, aber der
Landwirte werden heute im Verhältnis zu den übrigen Arbeitenden immer
weniger. Und die Steigerung der Produktion gebiert mehr Verlegenheiten als
Segcnssrüchte. Um in den Besitz von Gebrauchsgütern zu kommen, muß jeder
die Waren verkaufen, die er selbst produzirt. Das Maß der Güter aber, die
er sich verschaffen kann, steigt um so hoher, je weniger Tauschwert die Waren
haben, die er kaufen muß, und je mehr die, die er selbst verkauft. Daraus
entsteht ein Interessenkonflikt zwischen jedem einzelnen und allen übrigen, und
zwar ein doppelter. Erstens haben alle Verkäufer einer bestimmten Ware,
z. B. von Tuch, das Interesse, daß Tuch möglichst teuer und die Gesamtheit
aller übrigen Waren möglichst billig sei. Zweitens aber hat jeder einzelne
Tuchverkäufer das höchste Interesse daran, daß er sein Tuch billiger ver¬
kaufen könne als alle seine Konkurrenten. Jeder will also alle Waren mit
Ausnahme seines eignen Fabrikats billig machen, d. h. die Produktivität der
darauf verwendeten Arbeit steigern. Gleichzeitig aber will er seine Ware
hoch im Preise halten, was nur dadurch geschehen kann, daß entweder denen,
die sich darauf verlegen wollen, der Zugang gesperrt, oder der technische Fort¬
schritt in diesem Arbeitszweige gehemmt wird. Und zu diesem Widerspruch
tritt der zweite, daß jeder einzelne Fabrikant eines bestimmten Gcwerbszweiges
diese Hemmung des technischen Fortschritts bloß für seine Konkurrenten wünscht,
während er in seiner eignen Fabrik den Fortschritt aufs höchste steigern möchte.
Alle Unternehmer zusammen aber treten in feindlichen Gegensatz zu den Lohn¬
arbeitern, weil ihr Profit in dem Grade wächst, als der Arbeitslohn kleiner
wird, oder vielmehr wachsen würde, wenn nicht — und das setzt dem Unsinn
die Krone auf — die Absatzstockungen eben hauptsächlich durch die Verkürzung
des Arbeitslohns hervorgerufen würden. Und je höher der technische Fort¬
schritt steigt, desto mehr verschürft sich dieser allseitige Interessengegensatz, desto
erbitterter entbrennt dieser Konkurrenz- und Klassenkampf, der zur Benutzung
der unedelsten Waffen zwingt, aus den ehrlichsten Menschen Betrüger, aus
den sanftmütigsten gierige Wölfe, aus den gutmütigsten hartherzige „Aus¬
beuter" macht. In der alten Gutswirtschaft bestand ursprünglich allerdings
auch ein Interessenkonflikt, der zwischen dem Herrn und den Sklaven, indem der
Herr desto mehr Güter und Bequemlichkeiten genoß, je härter die Sklaven arbei¬
teten und je karger sie gehalten wurden. Allein dieser Gegensatz milderte sich mit
fortschreitender Technik beständig und würde zuguderletzt, wenn der Herr ohne
Beschwerung der Sklaven alles wünschenswerte gehabt und die Güterfülle für
alle hingereicht hätte, weggefallen sein. Unsre auf den Warcntausch gegründete
Wirtschaftsordnung aber hindert die Erzeugung der notwendigen Gütermenge
und erzeugt jenen Zustand, der, wie schon Carlyle sagte, als das Werk eines


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[0036] Das Kapital von Rarl Marx den Arbeitenden gar nichts. Der Leinwandfabrikant kann samt seinen Arbeitern verhungern, wenn ihm niemand die Leinwand abkauft. Nur der Landwirt be¬ findet sich in einer etwas bessern und nicht ganz so närrischen Lage, aber der Landwirte werden heute im Verhältnis zu den übrigen Arbeitenden immer weniger. Und die Steigerung der Produktion gebiert mehr Verlegenheiten als Segcnssrüchte. Um in den Besitz von Gebrauchsgütern zu kommen, muß jeder die Waren verkaufen, die er selbst produzirt. Das Maß der Güter aber, die er sich verschaffen kann, steigt um so hoher, je weniger Tauschwert die Waren haben, die er kaufen muß, und je mehr die, die er selbst verkauft. Daraus entsteht ein Interessenkonflikt zwischen jedem einzelnen und allen übrigen, und zwar ein doppelter. Erstens haben alle Verkäufer einer bestimmten Ware, z. B. von Tuch, das Interesse, daß Tuch möglichst teuer und die Gesamtheit aller übrigen Waren möglichst billig sei. Zweitens aber hat jeder einzelne Tuchverkäufer das höchste Interesse daran, daß er sein Tuch billiger ver¬ kaufen könne als alle seine Konkurrenten. Jeder will also alle Waren mit Ausnahme seines eignen Fabrikats billig machen, d. h. die Produktivität der darauf verwendeten Arbeit steigern. Gleichzeitig aber will er seine Ware hoch im Preise halten, was nur dadurch geschehen kann, daß entweder denen, die sich darauf verlegen wollen, der Zugang gesperrt, oder der technische Fort¬ schritt in diesem Arbeitszweige gehemmt wird. Und zu diesem Widerspruch tritt der zweite, daß jeder einzelne Fabrikant eines bestimmten Gcwerbszweiges diese Hemmung des technischen Fortschritts bloß für seine Konkurrenten wünscht, während er in seiner eignen Fabrik den Fortschritt aufs höchste steigern möchte. Alle Unternehmer zusammen aber treten in feindlichen Gegensatz zu den Lohn¬ arbeitern, weil ihr Profit in dem Grade wächst, als der Arbeitslohn kleiner wird, oder vielmehr wachsen würde, wenn nicht — und das setzt dem Unsinn die Krone auf — die Absatzstockungen eben hauptsächlich durch die Verkürzung des Arbeitslohns hervorgerufen würden. Und je höher der technische Fort¬ schritt steigt, desto mehr verschürft sich dieser allseitige Interessengegensatz, desto erbitterter entbrennt dieser Konkurrenz- und Klassenkampf, der zur Benutzung der unedelsten Waffen zwingt, aus den ehrlichsten Menschen Betrüger, aus den sanftmütigsten gierige Wölfe, aus den gutmütigsten hartherzige „Aus¬ beuter" macht. In der alten Gutswirtschaft bestand ursprünglich allerdings auch ein Interessenkonflikt, der zwischen dem Herrn und den Sklaven, indem der Herr desto mehr Güter und Bequemlichkeiten genoß, je härter die Sklaven arbei¬ teten und je karger sie gehalten wurden. Allein dieser Gegensatz milderte sich mit fortschreitender Technik beständig und würde zuguderletzt, wenn der Herr ohne Beschwerung der Sklaven alles wünschenswerte gehabt und die Güterfülle für alle hingereicht hätte, weggefallen sein. Unsre auf den Warcntausch gegründete Wirtschaftsordnung aber hindert die Erzeugung der notwendigen Gütermenge und erzeugt jenen Zustand, der, wie schon Carlyle sagte, als das Werk eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/36>, abgerufen am 27.07.2024.