Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Kapital von Aarl Marx

Zwei Seiten weiter heißt es bei Knies in einer Anmerkung: "In der
bürgerlichen Gesellschaft herrscht die lletio M-is, daß jeder Mensch als Waren-
Verkäufer ^nein! als Warenkäufer schreibt Marx S. 2. Anm. eine ency¬
klopädische Warenkenntnis besitze," so muß bemerkt werden, wie es eine viel
größere Fiktion ist, daß jeder Mensch als Warenküufer eine entsprechende
Kenntnis der zur Produktion der Ware gesellschaftlich notwendigen einfachen
Arbeitszeit habe." Aber wozu wäre denn diese Kenntnis nötig? Der Käufer
bietet wenig, wenn der Markt überfüllt, und muß viel bieten, wenn er leer ist.
Daß er heute gewöhnlich überfüllt ist, bewirkt die gesteigerte Produktivität
der Arbeit. Dieses aber zu wissen, hat der Käufer so wenig nötig, wie er
z. B. beim Kirschenkaufen zu wissen braucht, daß Lucullus den Kirschbaum
aus Kleinasien nach Italien gebracht hat.

Machen wir uns nun die Bedeutung des von Marx aufgedeckten Zu¬
sammenhangs zwischen Tauschwert und Arbeit und des Umstandes klar, daß
heute nur noch ausnahmsweise für den Gebrauch, fast allgemein für den Tausch
produzirt wird, die Güter vorher Marktwaren sein müssen, ehe sie Gebrauchs¬
güter werden können. Nehmen wir an, die Arbeitsverfassung wäre seit den
Zeiten des Odhsfeus dieselbe geblieben, die Technik aber so fortgeschritten, wie
sie es wirklich ist; dann wären die Früchte dieses Fortschritts der Menschheit
vollständig zu gute gekommen, ohne daß solche Übel wie Handelskrisen oder
Nöte der Landwirtschaft oder Arbeiterelend daraus entstanden wären. Der
Früchte wären nicht alle in gleichem Maße teilhaft geworden, die Herren in
größerm als die Knechte, aber bis zum letzten Knechte wären sie gedrungen,
und irgend welche Übelstände, wenigstens Übelstände wirtschaftlicher Art, hätten
nimmermehr daraus entstehen können. Wäre Getreide und Vieh genug da¬
gewesen, alle Gutsangehörigen ausreichend zu ernähren, und der Vorrat über
das Bedürfnis hinaus gewachsen, so Hütte sich ein Teil der Sklaven auf den
Anbau von Wein, Obst und Gemüse verlegt, zuerst für den Herrentisch, bis
anch diese feinern Erzeugnisse bei weiterer Produktivität für alle hingereicht
Hütten. Wäre für Wohnung und Kleidung gesorgt, aber noch gewerbliche
Arbeitskraft übrig gewesen, so Hütte man Geräte für die Bequemlichkeit, dann
Gegenstände für den Luxus hergestellt. Hütte dann die Maschinentechnik die
Produktivität "och weiter gesteigert, sodaß alle wünschenswerten Dinge in sechs
täglichen Arbeitsstunden hätten angefertigt werden können, so würde eben nicht
länger gearbeitet worden sein, und die Sklaven hätten den Rest des Tages
mit studiren oder turnen oder spielen oder schlafen zubringen können. Von
einer Mehrarbeit Hütte der Herr, der ja, wie vorausgesetzt wird, mit allem
wünschenswerten überreichlich versehen gewesen wäre, keinen Vorteil gehabt,
und die Leute aus reiner Bosheit zu plagen, wäre eine unnatürliche Ver¬
schrobenheit, die nur ausnahmsweise vorkommen kann.

Ganz anders steht die Sache heute. Alles arbeiten nützt an und für sich


Das Kapital von Aarl Marx

Zwei Seiten weiter heißt es bei Knies in einer Anmerkung: „In der
bürgerlichen Gesellschaft herrscht die lletio M-is, daß jeder Mensch als Waren-
Verkäufer ^nein! als Warenkäufer schreibt Marx S. 2. Anm. eine ency¬
klopädische Warenkenntnis besitze," so muß bemerkt werden, wie es eine viel
größere Fiktion ist, daß jeder Mensch als Warenküufer eine entsprechende
Kenntnis der zur Produktion der Ware gesellschaftlich notwendigen einfachen
Arbeitszeit habe." Aber wozu wäre denn diese Kenntnis nötig? Der Käufer
bietet wenig, wenn der Markt überfüllt, und muß viel bieten, wenn er leer ist.
Daß er heute gewöhnlich überfüllt ist, bewirkt die gesteigerte Produktivität
der Arbeit. Dieses aber zu wissen, hat der Käufer so wenig nötig, wie er
z. B. beim Kirschenkaufen zu wissen braucht, daß Lucullus den Kirschbaum
aus Kleinasien nach Italien gebracht hat.

Machen wir uns nun die Bedeutung des von Marx aufgedeckten Zu¬
sammenhangs zwischen Tauschwert und Arbeit und des Umstandes klar, daß
heute nur noch ausnahmsweise für den Gebrauch, fast allgemein für den Tausch
produzirt wird, die Güter vorher Marktwaren sein müssen, ehe sie Gebrauchs¬
güter werden können. Nehmen wir an, die Arbeitsverfassung wäre seit den
Zeiten des Odhsfeus dieselbe geblieben, die Technik aber so fortgeschritten, wie
sie es wirklich ist; dann wären die Früchte dieses Fortschritts der Menschheit
vollständig zu gute gekommen, ohne daß solche Übel wie Handelskrisen oder
Nöte der Landwirtschaft oder Arbeiterelend daraus entstanden wären. Der
Früchte wären nicht alle in gleichem Maße teilhaft geworden, die Herren in
größerm als die Knechte, aber bis zum letzten Knechte wären sie gedrungen,
und irgend welche Übelstände, wenigstens Übelstände wirtschaftlicher Art, hätten
nimmermehr daraus entstehen können. Wäre Getreide und Vieh genug da¬
gewesen, alle Gutsangehörigen ausreichend zu ernähren, und der Vorrat über
das Bedürfnis hinaus gewachsen, so Hütte sich ein Teil der Sklaven auf den
Anbau von Wein, Obst und Gemüse verlegt, zuerst für den Herrentisch, bis
anch diese feinern Erzeugnisse bei weiterer Produktivität für alle hingereicht
Hütten. Wäre für Wohnung und Kleidung gesorgt, aber noch gewerbliche
Arbeitskraft übrig gewesen, so Hütte man Geräte für die Bequemlichkeit, dann
Gegenstände für den Luxus hergestellt. Hütte dann die Maschinentechnik die
Produktivität »och weiter gesteigert, sodaß alle wünschenswerten Dinge in sechs
täglichen Arbeitsstunden hätten angefertigt werden können, so würde eben nicht
länger gearbeitet worden sein, und die Sklaven hätten den Rest des Tages
mit studiren oder turnen oder spielen oder schlafen zubringen können. Von
einer Mehrarbeit Hütte der Herr, der ja, wie vorausgesetzt wird, mit allem
wünschenswerten überreichlich versehen gewesen wäre, keinen Vorteil gehabt,
und die Leute aus reiner Bosheit zu plagen, wäre eine unnatürliche Ver¬
schrobenheit, die nur ausnahmsweise vorkommen kann.

Ganz anders steht die Sache heute. Alles arbeiten nützt an und für sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220361"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Kapital von Aarl Marx</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_59"> Zwei Seiten weiter heißt es bei Knies in einer Anmerkung: &#x201E;In der<lb/>
bürgerlichen Gesellschaft herrscht die lletio M-is, daß jeder Mensch als Waren-<lb/>
Verkäufer ^nein! als Warenkäufer schreibt Marx S. 2. Anm. eine ency¬<lb/>
klopädische Warenkenntnis besitze," so muß bemerkt werden, wie es eine viel<lb/>
größere Fiktion ist, daß jeder Mensch als Warenküufer eine entsprechende<lb/>
Kenntnis der zur Produktion der Ware gesellschaftlich notwendigen einfachen<lb/>
Arbeitszeit habe." Aber wozu wäre denn diese Kenntnis nötig? Der Käufer<lb/>
bietet wenig, wenn der Markt überfüllt, und muß viel bieten, wenn er leer ist.<lb/>
Daß er heute gewöhnlich überfüllt ist, bewirkt die gesteigerte Produktivität<lb/>
der Arbeit. Dieses aber zu wissen, hat der Käufer so wenig nötig, wie er<lb/>
z. B. beim Kirschenkaufen zu wissen braucht, daß Lucullus den Kirschbaum<lb/>
aus Kleinasien nach Italien gebracht hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_60"> Machen wir uns nun die Bedeutung des von Marx aufgedeckten Zu¬<lb/>
sammenhangs zwischen Tauschwert und Arbeit und des Umstandes klar, daß<lb/>
heute nur noch ausnahmsweise für den Gebrauch, fast allgemein für den Tausch<lb/>
produzirt wird, die Güter vorher Marktwaren sein müssen, ehe sie Gebrauchs¬<lb/>
güter werden können. Nehmen wir an, die Arbeitsverfassung wäre seit den<lb/>
Zeiten des Odhsfeus dieselbe geblieben, die Technik aber so fortgeschritten, wie<lb/>
sie es wirklich ist; dann wären die Früchte dieses Fortschritts der Menschheit<lb/>
vollständig zu gute gekommen, ohne daß solche Übel wie Handelskrisen oder<lb/>
Nöte der Landwirtschaft oder Arbeiterelend daraus entstanden wären. Der<lb/>
Früchte wären nicht alle in gleichem Maße teilhaft geworden, die Herren in<lb/>
größerm als die Knechte, aber bis zum letzten Knechte wären sie gedrungen,<lb/>
und irgend welche Übelstände, wenigstens Übelstände wirtschaftlicher Art, hätten<lb/>
nimmermehr daraus entstehen können. Wäre Getreide und Vieh genug da¬<lb/>
gewesen, alle Gutsangehörigen ausreichend zu ernähren, und der Vorrat über<lb/>
das Bedürfnis hinaus gewachsen, so Hütte sich ein Teil der Sklaven auf den<lb/>
Anbau von Wein, Obst und Gemüse verlegt, zuerst für den Herrentisch, bis<lb/>
anch diese feinern Erzeugnisse bei weiterer Produktivität für alle hingereicht<lb/>
Hütten. Wäre für Wohnung und Kleidung gesorgt, aber noch gewerbliche<lb/>
Arbeitskraft übrig gewesen, so Hütte man Geräte für die Bequemlichkeit, dann<lb/>
Gegenstände für den Luxus hergestellt. Hütte dann die Maschinentechnik die<lb/>
Produktivität »och weiter gesteigert, sodaß alle wünschenswerten Dinge in sechs<lb/>
täglichen Arbeitsstunden hätten angefertigt werden können, so würde eben nicht<lb/>
länger gearbeitet worden sein, und die Sklaven hätten den Rest des Tages<lb/>
mit studiren oder turnen oder spielen oder schlafen zubringen können. Von<lb/>
einer Mehrarbeit Hütte der Herr, der ja, wie vorausgesetzt wird, mit allem<lb/>
wünschenswerten überreichlich versehen gewesen wäre, keinen Vorteil gehabt,<lb/>
und die Leute aus reiner Bosheit zu plagen, wäre eine unnatürliche Ver¬<lb/>
schrobenheit, die nur ausnahmsweise vorkommen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_61" next="#ID_62"> Ganz anders steht die Sache heute. Alles arbeiten nützt an und für sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0035] Das Kapital von Aarl Marx Zwei Seiten weiter heißt es bei Knies in einer Anmerkung: „In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht die lletio M-is, daß jeder Mensch als Waren- Verkäufer ^nein! als Warenkäufer schreibt Marx S. 2. Anm. eine ency¬ klopädische Warenkenntnis besitze," so muß bemerkt werden, wie es eine viel größere Fiktion ist, daß jeder Mensch als Warenküufer eine entsprechende Kenntnis der zur Produktion der Ware gesellschaftlich notwendigen einfachen Arbeitszeit habe." Aber wozu wäre denn diese Kenntnis nötig? Der Käufer bietet wenig, wenn der Markt überfüllt, und muß viel bieten, wenn er leer ist. Daß er heute gewöhnlich überfüllt ist, bewirkt die gesteigerte Produktivität der Arbeit. Dieses aber zu wissen, hat der Käufer so wenig nötig, wie er z. B. beim Kirschenkaufen zu wissen braucht, daß Lucullus den Kirschbaum aus Kleinasien nach Italien gebracht hat. Machen wir uns nun die Bedeutung des von Marx aufgedeckten Zu¬ sammenhangs zwischen Tauschwert und Arbeit und des Umstandes klar, daß heute nur noch ausnahmsweise für den Gebrauch, fast allgemein für den Tausch produzirt wird, die Güter vorher Marktwaren sein müssen, ehe sie Gebrauchs¬ güter werden können. Nehmen wir an, die Arbeitsverfassung wäre seit den Zeiten des Odhsfeus dieselbe geblieben, die Technik aber so fortgeschritten, wie sie es wirklich ist; dann wären die Früchte dieses Fortschritts der Menschheit vollständig zu gute gekommen, ohne daß solche Übel wie Handelskrisen oder Nöte der Landwirtschaft oder Arbeiterelend daraus entstanden wären. Der Früchte wären nicht alle in gleichem Maße teilhaft geworden, die Herren in größerm als die Knechte, aber bis zum letzten Knechte wären sie gedrungen, und irgend welche Übelstände, wenigstens Übelstände wirtschaftlicher Art, hätten nimmermehr daraus entstehen können. Wäre Getreide und Vieh genug da¬ gewesen, alle Gutsangehörigen ausreichend zu ernähren, und der Vorrat über das Bedürfnis hinaus gewachsen, so Hütte sich ein Teil der Sklaven auf den Anbau von Wein, Obst und Gemüse verlegt, zuerst für den Herrentisch, bis anch diese feinern Erzeugnisse bei weiterer Produktivität für alle hingereicht Hütten. Wäre für Wohnung und Kleidung gesorgt, aber noch gewerbliche Arbeitskraft übrig gewesen, so Hütte man Geräte für die Bequemlichkeit, dann Gegenstände für den Luxus hergestellt. Hütte dann die Maschinentechnik die Produktivität »och weiter gesteigert, sodaß alle wünschenswerten Dinge in sechs täglichen Arbeitsstunden hätten angefertigt werden können, so würde eben nicht länger gearbeitet worden sein, und die Sklaven hätten den Rest des Tages mit studiren oder turnen oder spielen oder schlafen zubringen können. Von einer Mehrarbeit Hütte der Herr, der ja, wie vorausgesetzt wird, mit allem wünschenswerten überreichlich versehen gewesen wäre, keinen Vorteil gehabt, und die Leute aus reiner Bosheit zu plagen, wäre eine unnatürliche Ver¬ schrobenheit, die nur ausnahmsweise vorkommen kann. Ganz anders steht die Sache heute. Alles arbeiten nützt an und für sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/35
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/35>, abgerufen am 28.06.2024.