Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gin schweizer,, eyk- Strafgesetzbuch

leidenschaftlicher Aufwallung, nach oben bis zu lebenslänglichem Zuchthaus
(die Todesstrafe ist ihm unbekannt) je nach der Niederträchtigkeit der Beweg¬
gründe, der Begehungsart oder des Zwecks der Tötung.

Es ist hier nicht der Ort, auf die einzelnen strafbaren Handlungen näher
einzugehen, obwohl sie Stooß einschließlich der Strafbestimmungen gegen den
Wucher, die Dyuamitverbrechen, die Nahrungsmittelfülschungen, den unlautern
Wettbewerb, sowie einschließlich der sogenannten I^ox Heintze und der poli¬
zeilichen Übertretungen nur in 162 kurzgefaßten Artikeln (gegen 291 Para¬
graphen allein des deutschen Strafgesetzbuchs) behandelt. Bloß auf einzelne
Vergehen, die wegen ihrer Beziehungen zum politischen Leben auch bei uus
allgemeineres Interesse haben, wollen wir noch etwas näher eingehen. Da
die zunehmende Verfeinerung der politischen Sitten in Deutschland auch den
Zweikampf als Verkehrsform für den politischen Meinungsaustausch, wenigstens
innerhalb des Kreises der berufnen Vorkämpfer für Religion, Sitte und Ord¬
nung, mit sich zu bringen scheint, so sei vorausgeschickt, daß Stooß den Zwei¬
kampf nur mit Gefängnis (Festungsstrafe ist dem Entwurf überhaupt un¬
bekannt) von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Dagegen läßt er
Geldstrafe von hundert bis zehntausend Franken zu, wenn sich die Kümpfenden,
wie bei den sogenannten Schlügermensuren, dnrch geeignete Vorkehrungen gegen
Lebensgefahr schützen.

Der Artikel 93 des Stooßschen Entwurfs hat den zweifelhaften Vorzug
genossen, von den Verfassern der verflossenen Umsturzvorlage als Eideshelfer
herangezogen zu werden. Er lautet in seinem ersten Absatz: "Wer einen Teil
der Bevölkerung böswillig gegen einen andern Teil der Bevölkerung aufsetzt
und damit den bürgerlichen Frieden gefährdet oder stört, wird mit Gefängnis
oder Geldstrafe bis zu fünftausend Franken bestraft. Fordert der Thäter
öffentlich zu Gewalt auf, so kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt
werden." Dieser Wortlaut ist in der That bedenklich. Wenn ein Bevölkerungs¬
teil, der sich einem andern gegenüber im Staate zurückgesetzt glaubt, sagen
wir der Berufsstand der Landwirte, der Handwerker, der ländlichen oder in¬
dustriellen Lohnarbeiter, eine bessere Berücksichtigung seiner Interessen erreichen
will, so wird sich seine "Agitation" mit Notwendigkeit gegen andre, ver¬
meintlich bevorzugte Bevölkerungsteile, sagen wir gegen die Industrie über¬
haupt, oder gegen die Großindustrie, den Großhandel, den Großgrundbesitz,
die Börse, die Juden u. s. w. richten müssen. Wird diese Agitation auch nur
einigermaßen leidenschaftlich geführt, und Agitation ohne Leidenschaft ist keine
Agitation, so werden die davon betroffnen außerordentlich leicht geneigt sein,
darin ein "böswilliges Aufsetzen" zu erblicken und eine "Gefährdung oder
Störung des bürgerlichen Friedens," d. h. des behagliche" Bewußtseins, daß
ihnen ihre befriedigende Lage nicht streitig gemacht werden dürfe. Käme aber
bei der "öffentlichen Aufforderung zur Gewalt" eine Gesetzesauslegung hinzu,


Gin schweizer,, eyk- Strafgesetzbuch

leidenschaftlicher Aufwallung, nach oben bis zu lebenslänglichem Zuchthaus
(die Todesstrafe ist ihm unbekannt) je nach der Niederträchtigkeit der Beweg¬
gründe, der Begehungsart oder des Zwecks der Tötung.

Es ist hier nicht der Ort, auf die einzelnen strafbaren Handlungen näher
einzugehen, obwohl sie Stooß einschließlich der Strafbestimmungen gegen den
Wucher, die Dyuamitverbrechen, die Nahrungsmittelfülschungen, den unlautern
Wettbewerb, sowie einschließlich der sogenannten I^ox Heintze und der poli¬
zeilichen Übertretungen nur in 162 kurzgefaßten Artikeln (gegen 291 Para¬
graphen allein des deutschen Strafgesetzbuchs) behandelt. Bloß auf einzelne
Vergehen, die wegen ihrer Beziehungen zum politischen Leben auch bei uus
allgemeineres Interesse haben, wollen wir noch etwas näher eingehen. Da
die zunehmende Verfeinerung der politischen Sitten in Deutschland auch den
Zweikampf als Verkehrsform für den politischen Meinungsaustausch, wenigstens
innerhalb des Kreises der berufnen Vorkämpfer für Religion, Sitte und Ord¬
nung, mit sich zu bringen scheint, so sei vorausgeschickt, daß Stooß den Zwei¬
kampf nur mit Gefängnis (Festungsstrafe ist dem Entwurf überhaupt un¬
bekannt) von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Dagegen läßt er
Geldstrafe von hundert bis zehntausend Franken zu, wenn sich die Kümpfenden,
wie bei den sogenannten Schlügermensuren, dnrch geeignete Vorkehrungen gegen
Lebensgefahr schützen.

Der Artikel 93 des Stooßschen Entwurfs hat den zweifelhaften Vorzug
genossen, von den Verfassern der verflossenen Umsturzvorlage als Eideshelfer
herangezogen zu werden. Er lautet in seinem ersten Absatz: „Wer einen Teil
der Bevölkerung böswillig gegen einen andern Teil der Bevölkerung aufsetzt
und damit den bürgerlichen Frieden gefährdet oder stört, wird mit Gefängnis
oder Geldstrafe bis zu fünftausend Franken bestraft. Fordert der Thäter
öffentlich zu Gewalt auf, so kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt
werden." Dieser Wortlaut ist in der That bedenklich. Wenn ein Bevölkerungs¬
teil, der sich einem andern gegenüber im Staate zurückgesetzt glaubt, sagen
wir der Berufsstand der Landwirte, der Handwerker, der ländlichen oder in¬
dustriellen Lohnarbeiter, eine bessere Berücksichtigung seiner Interessen erreichen
will, so wird sich seine „Agitation" mit Notwendigkeit gegen andre, ver¬
meintlich bevorzugte Bevölkerungsteile, sagen wir gegen die Industrie über¬
haupt, oder gegen die Großindustrie, den Großhandel, den Großgrundbesitz,
die Börse, die Juden u. s. w. richten müssen. Wird diese Agitation auch nur
einigermaßen leidenschaftlich geführt, und Agitation ohne Leidenschaft ist keine
Agitation, so werden die davon betroffnen außerordentlich leicht geneigt sein,
darin ein „böswilliges Aufsetzen" zu erblicken und eine „Gefährdung oder
Störung des bürgerlichen Friedens," d. h. des behagliche» Bewußtseins, daß
ihnen ihre befriedigende Lage nicht streitig gemacht werden dürfe. Käme aber
bei der „öffentlichen Aufforderung zur Gewalt" eine Gesetzesauslegung hinzu,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220337"/>
          <fw type="header" place="top"> Gin schweizer,, eyk- Strafgesetzbuch</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_6" prev="#ID_5"> leidenschaftlicher Aufwallung, nach oben bis zu lebenslänglichem Zuchthaus<lb/>
(die Todesstrafe ist ihm unbekannt) je nach der Niederträchtigkeit der Beweg¬<lb/>
gründe, der Begehungsart oder des Zwecks der Tötung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_7"> Es ist hier nicht der Ort, auf die einzelnen strafbaren Handlungen näher<lb/>
einzugehen, obwohl sie Stooß einschließlich der Strafbestimmungen gegen den<lb/>
Wucher, die Dyuamitverbrechen, die Nahrungsmittelfülschungen, den unlautern<lb/>
Wettbewerb, sowie einschließlich der sogenannten I^ox Heintze und der poli¬<lb/>
zeilichen Übertretungen nur in 162 kurzgefaßten Artikeln (gegen 291 Para¬<lb/>
graphen allein des deutschen Strafgesetzbuchs) behandelt. Bloß auf einzelne<lb/>
Vergehen, die wegen ihrer Beziehungen zum politischen Leben auch bei uus<lb/>
allgemeineres Interesse haben, wollen wir noch etwas näher eingehen. Da<lb/>
die zunehmende Verfeinerung der politischen Sitten in Deutschland auch den<lb/>
Zweikampf als Verkehrsform für den politischen Meinungsaustausch, wenigstens<lb/>
innerhalb des Kreises der berufnen Vorkämpfer für Religion, Sitte und Ord¬<lb/>
nung, mit sich zu bringen scheint, so sei vorausgeschickt, daß Stooß den Zwei¬<lb/>
kampf nur mit Gefängnis (Festungsstrafe ist dem Entwurf überhaupt un¬<lb/>
bekannt) von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Dagegen läßt er<lb/>
Geldstrafe von hundert bis zehntausend Franken zu, wenn sich die Kümpfenden,<lb/>
wie bei den sogenannten Schlügermensuren, dnrch geeignete Vorkehrungen gegen<lb/>
Lebensgefahr schützen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8" next="#ID_9"> Der Artikel 93 des Stooßschen Entwurfs hat den zweifelhaften Vorzug<lb/>
genossen, von den Verfassern der verflossenen Umsturzvorlage als Eideshelfer<lb/>
herangezogen zu werden. Er lautet in seinem ersten Absatz: &#x201E;Wer einen Teil<lb/>
der Bevölkerung böswillig gegen einen andern Teil der Bevölkerung aufsetzt<lb/>
und damit den bürgerlichen Frieden gefährdet oder stört, wird mit Gefängnis<lb/>
oder Geldstrafe bis zu fünftausend Franken bestraft. Fordert der Thäter<lb/>
öffentlich zu Gewalt auf, so kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt<lb/>
werden." Dieser Wortlaut ist in der That bedenklich. Wenn ein Bevölkerungs¬<lb/>
teil, der sich einem andern gegenüber im Staate zurückgesetzt glaubt, sagen<lb/>
wir der Berufsstand der Landwirte, der Handwerker, der ländlichen oder in¬<lb/>
dustriellen Lohnarbeiter, eine bessere Berücksichtigung seiner Interessen erreichen<lb/>
will, so wird sich seine &#x201E;Agitation" mit Notwendigkeit gegen andre, ver¬<lb/>
meintlich bevorzugte Bevölkerungsteile, sagen wir gegen die Industrie über¬<lb/>
haupt, oder gegen die Großindustrie, den Großhandel, den Großgrundbesitz,<lb/>
die Börse, die Juden u. s. w. richten müssen. Wird diese Agitation auch nur<lb/>
einigermaßen leidenschaftlich geführt, und Agitation ohne Leidenschaft ist keine<lb/>
Agitation, so werden die davon betroffnen außerordentlich leicht geneigt sein,<lb/>
darin ein &#x201E;böswilliges Aufsetzen" zu erblicken und eine &#x201E;Gefährdung oder<lb/>
Störung des bürgerlichen Friedens," d. h. des behagliche» Bewußtseins, daß<lb/>
ihnen ihre befriedigende Lage nicht streitig gemacht werden dürfe. Käme aber<lb/>
bei der &#x201E;öffentlichen Aufforderung zur Gewalt" eine Gesetzesauslegung hinzu,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] Gin schweizer,, eyk- Strafgesetzbuch leidenschaftlicher Aufwallung, nach oben bis zu lebenslänglichem Zuchthaus (die Todesstrafe ist ihm unbekannt) je nach der Niederträchtigkeit der Beweg¬ gründe, der Begehungsart oder des Zwecks der Tötung. Es ist hier nicht der Ort, auf die einzelnen strafbaren Handlungen näher einzugehen, obwohl sie Stooß einschließlich der Strafbestimmungen gegen den Wucher, die Dyuamitverbrechen, die Nahrungsmittelfülschungen, den unlautern Wettbewerb, sowie einschließlich der sogenannten I^ox Heintze und der poli¬ zeilichen Übertretungen nur in 162 kurzgefaßten Artikeln (gegen 291 Para¬ graphen allein des deutschen Strafgesetzbuchs) behandelt. Bloß auf einzelne Vergehen, die wegen ihrer Beziehungen zum politischen Leben auch bei uus allgemeineres Interesse haben, wollen wir noch etwas näher eingehen. Da die zunehmende Verfeinerung der politischen Sitten in Deutschland auch den Zweikampf als Verkehrsform für den politischen Meinungsaustausch, wenigstens innerhalb des Kreises der berufnen Vorkämpfer für Religion, Sitte und Ord¬ nung, mit sich zu bringen scheint, so sei vorausgeschickt, daß Stooß den Zwei¬ kampf nur mit Gefängnis (Festungsstrafe ist dem Entwurf überhaupt un¬ bekannt) von drei Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Dagegen läßt er Geldstrafe von hundert bis zehntausend Franken zu, wenn sich die Kümpfenden, wie bei den sogenannten Schlügermensuren, dnrch geeignete Vorkehrungen gegen Lebensgefahr schützen. Der Artikel 93 des Stooßschen Entwurfs hat den zweifelhaften Vorzug genossen, von den Verfassern der verflossenen Umsturzvorlage als Eideshelfer herangezogen zu werden. Er lautet in seinem ersten Absatz: „Wer einen Teil der Bevölkerung böswillig gegen einen andern Teil der Bevölkerung aufsetzt und damit den bürgerlichen Frieden gefährdet oder stört, wird mit Gefängnis oder Geldstrafe bis zu fünftausend Franken bestraft. Fordert der Thäter öffentlich zu Gewalt auf, so kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt werden." Dieser Wortlaut ist in der That bedenklich. Wenn ein Bevölkerungs¬ teil, der sich einem andern gegenüber im Staate zurückgesetzt glaubt, sagen wir der Berufsstand der Landwirte, der Handwerker, der ländlichen oder in¬ dustriellen Lohnarbeiter, eine bessere Berücksichtigung seiner Interessen erreichen will, so wird sich seine „Agitation" mit Notwendigkeit gegen andre, ver¬ meintlich bevorzugte Bevölkerungsteile, sagen wir gegen die Industrie über¬ haupt, oder gegen die Großindustrie, den Großhandel, den Großgrundbesitz, die Börse, die Juden u. s. w. richten müssen. Wird diese Agitation auch nur einigermaßen leidenschaftlich geführt, und Agitation ohne Leidenschaft ist keine Agitation, so werden die davon betroffnen außerordentlich leicht geneigt sein, darin ein „böswilliges Aufsetzen" zu erblicken und eine „Gefährdung oder Störung des bürgerlichen Friedens," d. h. des behagliche» Bewußtseins, daß ihnen ihre befriedigende Lage nicht streitig gemacht werden dürfe. Käme aber bei der „öffentlichen Aufforderung zur Gewalt" eine Gesetzesauslegung hinzu,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/11
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/11>, abgerufen am 28.06.2024.