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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eugen Dühring und die Größen der modernen Litteratur

in denen er seine höchsten dichterischen Mittel einsetzt." Auch hier tritt die
schlecht verhehlte Geringschätzung für die Poesie zu Tage. Und wenn das am
grünen Holze geschieht, so läßt sich leicht voraussagen, was am dürren ge¬
schehen wird. Die Urteile, die Dühring im Verlaufe seiner Darstellung und
namentlich im zweiten Bande über eine Reihe von litterarischen Auszeichnungen
füllt (so nennt er die Talente zweiten Ranges im Gegensatz zu den eigent¬
lichen "Größen" der Litteratur), sind scheinbar von einer unglaublichen Willkür.
Aber sie entsprechen alle der dargelegten Grundanschauung des Verfassers.
Freilich genügt ihm der bloße Anschluß an den "Freisinn" im landläufigen
Sinne nicht; bei wem Dühring Geschüftsliberalismus, flache Schmeichelei für
die schlechten Instinkte der Masse, Korruption und "Hebräertum" wie bei
Börne und Heine wittert, mit dem geht er so erbarmungslos ins Gericht, wie
mit allen Unglücklichen, die in dem Verdacht stehen, sich dem "göttischen" Aber¬
glauben unterzuordnen. Selbst Shelley, bei dem es doch wahrlich nicht an
revolutionären Elementen fehlt, muß sich fugen lassen, daß er nicht der Mann
dazu sei, "die Menschheitsgeschäfte von Leben und Tod angemessen zu wür¬
digen. Da ist bei ihm zuviel Schönheitsdraperie in weichem Stoff und so
gut wie gar kein Knochengerüst und kein Eisengestell." Er wird hart ge¬
scholten, daß er zwar der Religion den Rücken gekehrt habe, aber dafür der
Trugmetaphysik verfallen, sei. Wer in Dührings Buche nur blättert, wird
weder ergründen, warum Dichter wie Uhland, Lenau, Hoffmann von Fallers-
leben mit äußerster Verachtung behandelt, noch warum an verschiednen Stellen
Friedrich von Sattel, Henry Rochefort, der Russe Gogol u. a. aus der Masse
emporgehoben werden. Wer sich aber mit dem subjektiven Rigorismus des
Verfassers, mit der leidenschaftlichen Verbitterung, die ihn erfüllt, vertraut
gemacht und sie in allen seinen Auseinandersetzungen wieder erkannt hat, wird
nicht nur die Urteile über die Dichter, die er nennt, vollkommen verstehen,
sondern auch begreifen, warum die Auswahl unter den Auszeichnungen gar so
dürftig und unzulänglich ist. Es würde nichts nützen, ein paar Reihen von
Namen, hinter denen charaktervolle Persönlichkeiten stehen, dem Kritiker ent¬
gegenzusetzen. Dühring würde einem Grillparzer, Hebbel, Keller, Otto Ludwig,
Storm, einem Anzengruber wie andern gegenüber eben dabei verharren, daß
sein Maßstab für die Messung solcher Nichtgrößen, die sich nicht einmal zur
litterarischen Auszeichnung erhöben, viel zu groß sei. Und am Ende würde
für sie alle, auch die edelsten und männlichsten von ihnen, der Satz gelten,
mit dem Dühring alle poetische Freude an der Fülle der Welt und jede außer
seiner Lebensauffassung liegende Empfindung zu Boden schlägt: "Ein Dichter,
der dem allgemeinen Kampf um Menschenfreiheit und Menschenwohl ohne posi¬
tive und entschiedne Teilnahme gegenüberstünde, wäre, trotz einiger rhythmischen
Formgewandtheit und trotz vieler Liebchenlyrik, fast so gut wie keiner. Wenigstens
könnte er, wie besonders der Fall Goethes zeigt, nur darauf Anspruch machen,


Grenzboten II 1895 12
Eugen Dühring und die Größen der modernen Litteratur

in denen er seine höchsten dichterischen Mittel einsetzt." Auch hier tritt die
schlecht verhehlte Geringschätzung für die Poesie zu Tage. Und wenn das am
grünen Holze geschieht, so läßt sich leicht voraussagen, was am dürren ge¬
schehen wird. Die Urteile, die Dühring im Verlaufe seiner Darstellung und
namentlich im zweiten Bande über eine Reihe von litterarischen Auszeichnungen
füllt (so nennt er die Talente zweiten Ranges im Gegensatz zu den eigent¬
lichen „Größen" der Litteratur), sind scheinbar von einer unglaublichen Willkür.
Aber sie entsprechen alle der dargelegten Grundanschauung des Verfassers.
Freilich genügt ihm der bloße Anschluß an den „Freisinn" im landläufigen
Sinne nicht; bei wem Dühring Geschüftsliberalismus, flache Schmeichelei für
die schlechten Instinkte der Masse, Korruption und „Hebräertum" wie bei
Börne und Heine wittert, mit dem geht er so erbarmungslos ins Gericht, wie
mit allen Unglücklichen, die in dem Verdacht stehen, sich dem „göttischen" Aber¬
glauben unterzuordnen. Selbst Shelley, bei dem es doch wahrlich nicht an
revolutionären Elementen fehlt, muß sich fugen lassen, daß er nicht der Mann
dazu sei, „die Menschheitsgeschäfte von Leben und Tod angemessen zu wür¬
digen. Da ist bei ihm zuviel Schönheitsdraperie in weichem Stoff und so
gut wie gar kein Knochengerüst und kein Eisengestell." Er wird hart ge¬
scholten, daß er zwar der Religion den Rücken gekehrt habe, aber dafür der
Trugmetaphysik verfallen, sei. Wer in Dührings Buche nur blättert, wird
weder ergründen, warum Dichter wie Uhland, Lenau, Hoffmann von Fallers-
leben mit äußerster Verachtung behandelt, noch warum an verschiednen Stellen
Friedrich von Sattel, Henry Rochefort, der Russe Gogol u. a. aus der Masse
emporgehoben werden. Wer sich aber mit dem subjektiven Rigorismus des
Verfassers, mit der leidenschaftlichen Verbitterung, die ihn erfüllt, vertraut
gemacht und sie in allen seinen Auseinandersetzungen wieder erkannt hat, wird
nicht nur die Urteile über die Dichter, die er nennt, vollkommen verstehen,
sondern auch begreifen, warum die Auswahl unter den Auszeichnungen gar so
dürftig und unzulänglich ist. Es würde nichts nützen, ein paar Reihen von
Namen, hinter denen charaktervolle Persönlichkeiten stehen, dem Kritiker ent¬
gegenzusetzen. Dühring würde einem Grillparzer, Hebbel, Keller, Otto Ludwig,
Storm, einem Anzengruber wie andern gegenüber eben dabei verharren, daß
sein Maßstab für die Messung solcher Nichtgrößen, die sich nicht einmal zur
litterarischen Auszeichnung erhöben, viel zu groß sei. Und am Ende würde
für sie alle, auch die edelsten und männlichsten von ihnen, der Satz gelten,
mit dem Dühring alle poetische Freude an der Fülle der Welt und jede außer
seiner Lebensauffassung liegende Empfindung zu Boden schlägt: „Ein Dichter,
der dem allgemeinen Kampf um Menschenfreiheit und Menschenwohl ohne posi¬
tive und entschiedne Teilnahme gegenüberstünde, wäre, trotz einiger rhythmischen
Formgewandtheit und trotz vieler Liebchenlyrik, fast so gut wie keiner. Wenigstens
könnte er, wie besonders der Fall Goethes zeigt, nur darauf Anspruch machen,


Grenzboten II 1895 12
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[0097] Eugen Dühring und die Größen der modernen Litteratur in denen er seine höchsten dichterischen Mittel einsetzt." Auch hier tritt die schlecht verhehlte Geringschätzung für die Poesie zu Tage. Und wenn das am grünen Holze geschieht, so läßt sich leicht voraussagen, was am dürren ge¬ schehen wird. Die Urteile, die Dühring im Verlaufe seiner Darstellung und namentlich im zweiten Bande über eine Reihe von litterarischen Auszeichnungen füllt (so nennt er die Talente zweiten Ranges im Gegensatz zu den eigent¬ lichen „Größen" der Litteratur), sind scheinbar von einer unglaublichen Willkür. Aber sie entsprechen alle der dargelegten Grundanschauung des Verfassers. Freilich genügt ihm der bloße Anschluß an den „Freisinn" im landläufigen Sinne nicht; bei wem Dühring Geschüftsliberalismus, flache Schmeichelei für die schlechten Instinkte der Masse, Korruption und „Hebräertum" wie bei Börne und Heine wittert, mit dem geht er so erbarmungslos ins Gericht, wie mit allen Unglücklichen, die in dem Verdacht stehen, sich dem „göttischen" Aber¬ glauben unterzuordnen. Selbst Shelley, bei dem es doch wahrlich nicht an revolutionären Elementen fehlt, muß sich fugen lassen, daß er nicht der Mann dazu sei, „die Menschheitsgeschäfte von Leben und Tod angemessen zu wür¬ digen. Da ist bei ihm zuviel Schönheitsdraperie in weichem Stoff und so gut wie gar kein Knochengerüst und kein Eisengestell." Er wird hart ge¬ scholten, daß er zwar der Religion den Rücken gekehrt habe, aber dafür der Trugmetaphysik verfallen, sei. Wer in Dührings Buche nur blättert, wird weder ergründen, warum Dichter wie Uhland, Lenau, Hoffmann von Fallers- leben mit äußerster Verachtung behandelt, noch warum an verschiednen Stellen Friedrich von Sattel, Henry Rochefort, der Russe Gogol u. a. aus der Masse emporgehoben werden. Wer sich aber mit dem subjektiven Rigorismus des Verfassers, mit der leidenschaftlichen Verbitterung, die ihn erfüllt, vertraut gemacht und sie in allen seinen Auseinandersetzungen wieder erkannt hat, wird nicht nur die Urteile über die Dichter, die er nennt, vollkommen verstehen, sondern auch begreifen, warum die Auswahl unter den Auszeichnungen gar so dürftig und unzulänglich ist. Es würde nichts nützen, ein paar Reihen von Namen, hinter denen charaktervolle Persönlichkeiten stehen, dem Kritiker ent¬ gegenzusetzen. Dühring würde einem Grillparzer, Hebbel, Keller, Otto Ludwig, Storm, einem Anzengruber wie andern gegenüber eben dabei verharren, daß sein Maßstab für die Messung solcher Nichtgrößen, die sich nicht einmal zur litterarischen Auszeichnung erhöben, viel zu groß sei. Und am Ende würde für sie alle, auch die edelsten und männlichsten von ihnen, der Satz gelten, mit dem Dühring alle poetische Freude an der Fülle der Welt und jede außer seiner Lebensauffassung liegende Empfindung zu Boden schlägt: „Ein Dichter, der dem allgemeinen Kampf um Menschenfreiheit und Menschenwohl ohne posi¬ tive und entschiedne Teilnahme gegenüberstünde, wäre, trotz einiger rhythmischen Formgewandtheit und trotz vieler Liebchenlyrik, fast so gut wie keiner. Wenigstens könnte er, wie besonders der Fall Goethes zeigt, nur darauf Anspruch machen, Grenzboten II 1895 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/97>, abgerufen am 25.07.2024.