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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Lügen Dühring und die Größen der modernen Litteratur

als das: bis auf die häßlichen Bemerkungen von der "privatistisch einge¬
pferchten kleinstaatlichen Ausschweifungsdomäne zu Weimar," über die Dühring
zu Gericht sitzt, sind alle, aber auch alle Anschuldigungen, Herabsetzungen und
Gehässigkeiten, die hier wieder auftauchen, ein Jahrhundert alt und werden
natürlich, wie sie in einem Jahrhundert nicht vermocht haben, die große Gestalt
in den Staub zu ziehen, auch in Zukunft nicht die Macht dazu haben. Seltsam
ist es nur, einen Geist wie Dühring im Bunde mit den armseligsten Gegnern des
Dichters, wie dem Trogalieufulda, wie dem Gothcicr Hofastrouomen von Zach, wie
C. F. Cramer, wie dem Verfasser des Peniger Goethebüchleins zu sehen. Und
noch seltsamer nimmt sich neben seinen Angriffen auf Goethe der panegyrische
Ton aus, in dem Bürger besprochen wird, wonach der Geist Bürgers den
Lesern "erscheinen soll, als wäre er kurz vor dem Jahrhundertstage seines
Todes erst geboren." An sich könnte man sich ja eines frischen Enthusiasmus
für den tapfern und genialen, ungerecht unterschätzten und von dem Göttinger
Professorendünkel bei seineu Lebzeiten schmählich mißhandelten Dichter der
"Lenore", des "Wilden Jägers" und des "Hohen Liedes" nur freuen. Doch
wenn es heißt, daß die "Unwahrheiten falscher Konvention und Idealität,
vornehm thuende Beschönigungen nach Goethischer Weise und in Schillerscher
Art schillernde Verzerrungen zurücktreten müssen, um dem Sohne der Natur
Platz zu machen," wenn der kleine Perlenkranz Bürgerscher Lyrik (von den
Balladen hält Dühring wenig, da ihm überhaupt die Wiedergabe der äußern
Welt und ihrer Mannichfaltigkeit nicht als Aufgabe der Poesie erscheint)
durchaus über alle lyrische Dichtung des achtzehnten und neunzehnten Jahr¬
hunderts hinausgehoben werden soll, wenn Bürgers Persönlichkeit als der
offne und ehrliche Charakter, den die Rivalen und deren Nachsetzlinge herab¬
gedrückt haben, in einen Gegensatz zur Persönlichkeit Goethes und Schillers
gebracht wird, der überreizt und gewaltsam erscheint, so bleibt eben die Wirkung
aus, die der Verfasser wünscht. Dühring preist Bürger, daß er mehrfache und
entschiedne Schritte zur "Wirklichkeitsdichtnng" hin gethan habe. Er fühlt natür¬
lich, daß auch Bürger aus dem Privatleben, aus einer allgemeinen geistigen
Macht heraus und ohne die geforderte "politische Initiative" gedichtet hat. Aber
er setzt voraus: "Hätte Bürger länger gelebt und, erstarkt durch seine Konflikte,
aber von den Verhältnissen mehr begünstigt, sich in ungestörter Gesundheit
weiter entwickeln können, so wäre er gerade der Charakter gewesen, auch in
der neuen, politisch bestimmten Richtung bedeutendes zu vertreten," und schließt
dies aus der größern Sympathie, die Bürger (wiederum im Gegensatz zu dem
"zahm gewordnen" Schiller) der französischen Revolution entgegengebracht
habe. Bei der Überzeugung Dührings von der charakteranfrischendeu und
menschheitbefreienden Wirkung der französischen Revolution würde es ver¬
geblich sein, ihm gegenüber geltend zu macheu, daß Goethe und Schiller
nicht aus Bedientensinn und "privatistischer" Selbstsucht Gegner der frau-


Lügen Dühring und die Größen der modernen Litteratur

als das: bis auf die häßlichen Bemerkungen von der „privatistisch einge¬
pferchten kleinstaatlichen Ausschweifungsdomäne zu Weimar," über die Dühring
zu Gericht sitzt, sind alle, aber auch alle Anschuldigungen, Herabsetzungen und
Gehässigkeiten, die hier wieder auftauchen, ein Jahrhundert alt und werden
natürlich, wie sie in einem Jahrhundert nicht vermocht haben, die große Gestalt
in den Staub zu ziehen, auch in Zukunft nicht die Macht dazu haben. Seltsam
ist es nur, einen Geist wie Dühring im Bunde mit den armseligsten Gegnern des
Dichters, wie dem Trogalieufulda, wie dem Gothcicr Hofastrouomen von Zach, wie
C. F. Cramer, wie dem Verfasser des Peniger Goethebüchleins zu sehen. Und
noch seltsamer nimmt sich neben seinen Angriffen auf Goethe der panegyrische
Ton aus, in dem Bürger besprochen wird, wonach der Geist Bürgers den
Lesern „erscheinen soll, als wäre er kurz vor dem Jahrhundertstage seines
Todes erst geboren." An sich könnte man sich ja eines frischen Enthusiasmus
für den tapfern und genialen, ungerecht unterschätzten und von dem Göttinger
Professorendünkel bei seineu Lebzeiten schmählich mißhandelten Dichter der
„Lenore", des „Wilden Jägers" und des „Hohen Liedes" nur freuen. Doch
wenn es heißt, daß die „Unwahrheiten falscher Konvention und Idealität,
vornehm thuende Beschönigungen nach Goethischer Weise und in Schillerscher
Art schillernde Verzerrungen zurücktreten müssen, um dem Sohne der Natur
Platz zu machen," wenn der kleine Perlenkranz Bürgerscher Lyrik (von den
Balladen hält Dühring wenig, da ihm überhaupt die Wiedergabe der äußern
Welt und ihrer Mannichfaltigkeit nicht als Aufgabe der Poesie erscheint)
durchaus über alle lyrische Dichtung des achtzehnten und neunzehnten Jahr¬
hunderts hinausgehoben werden soll, wenn Bürgers Persönlichkeit als der
offne und ehrliche Charakter, den die Rivalen und deren Nachsetzlinge herab¬
gedrückt haben, in einen Gegensatz zur Persönlichkeit Goethes und Schillers
gebracht wird, der überreizt und gewaltsam erscheint, so bleibt eben die Wirkung
aus, die der Verfasser wünscht. Dühring preist Bürger, daß er mehrfache und
entschiedne Schritte zur „Wirklichkeitsdichtnng" hin gethan habe. Er fühlt natür¬
lich, daß auch Bürger aus dem Privatleben, aus einer allgemeinen geistigen
Macht heraus und ohne die geforderte „politische Initiative" gedichtet hat. Aber
er setzt voraus: „Hätte Bürger länger gelebt und, erstarkt durch seine Konflikte,
aber von den Verhältnissen mehr begünstigt, sich in ungestörter Gesundheit
weiter entwickeln können, so wäre er gerade der Charakter gewesen, auch in
der neuen, politisch bestimmten Richtung bedeutendes zu vertreten," und schließt
dies aus der größern Sympathie, die Bürger (wiederum im Gegensatz zu dem
„zahm gewordnen" Schiller) der französischen Revolution entgegengebracht
habe. Bei der Überzeugung Dührings von der charakteranfrischendeu und
menschheitbefreienden Wirkung der französischen Revolution würde es ver¬
geblich sein, ihm gegenüber geltend zu macheu, daß Goethe und Schiller
nicht aus Bedientensinn und „privatistischer" Selbstsucht Gegner der frau-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/94>, abgerufen am 22.12.2024.