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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Rnabenerziehung und Knabenunterricht im alten Hellas

Ebenso verlangen Plato und Aristoteles eine gleiche, gesetzlich geordnete Er¬
ziehung aus Staatsmitteln, wie sie sich dann auch gelegentlich in makedonischer
und nachmakedonischer Zeit, z. B. in Teos findet. Nach einer Inschrift sollen
dort von den Zinsen eines Kapitals, das ein reicher Bürger zu diesem
Zwecke gestiftet hat, für alle Bürgerkinder von Staats wegen Lehrer angestellt
werden, und zwar drei Elementarlehrer mit Gehalten von 600,550,500 Drachmen,
zwei Turnlehrer für je 500 Drachmen, ein Musiklehrer für 700 Drachmen,
und ein Fechtlehrer, sowie ein Lehrer für Speerwurf und Bogenschießen, der
eine für 300, der andre für 250 Drachmen, da ihr Unterricht nur für zwei
Monate angesetzt wird. Und von den Nhodiern berichtet Polybios, daß sie
sich um dieselbe Zeit von dem pergamenischen Könige Eumenes II. eine große
Getreideschenkung hätten machen lassen, um von den Zinsen des beim Verkauf
gelösten Geldes fortan die Lehrer ihrer Söhne zu bezahlen. In Athen aber
ist, wie Schömann gewiß richtig bemerkt, das Fehlen des Schulzwangs eher
ein Beweis dafür, "daß der Unterricht der Jugend dem Athener als ein Gegen¬
stand erschien, der jedem von selbst so nahe am Herzen lag, daß es gar keiner
besondern Verordnung und keines Zwangs bedürfte, um Eltern und Kinder
anzuhalten, die dargebotnen Gelegenheiten zur Ausbildung zu benutzen." Für
wie nötig man schon frühzeitig einen solchen Unterricht hielt, dafür zeugt das
Beispiel der Trözenier, die den zu ihnen vor den Persern geflüchteten Frauen
und Kindern der Athener ein Tagegeld aussetzten und sür die Kinder Lehrer
bestellten. Sicherlich hat es schon zu Perikles Zeit unter den athenischen
Bürgern weniger Leute gegeben, die nicht wenigstens lesen und schreiben konnten,
als in unsern modernen Kulturstaaten, und ein Hyperbolos, der, wie Aristo-
phanes spottet, nichts von Musik noch von Litteratur verstand und in den
Barbierstubcn -- wir würden sagen: aus dem Tageblatt -- seine geistige Bil¬
dung geholt hatte, dürfte in so manchem reich gewordnen Emporkömmling
unsrer Tage sein modernes Gegenstück finden. Aber es fehlte auch in Athen
nicht an sittlicher Nötigung. Das beweist Solons gesetzliche Verfügung, daß
ein Vater, der seinen Sohn ohne Unterricht aufwachsen lasse, im Alter keinen
Anspruch erheben könne, vom Sohn unterstützt zu werden. Ferner wachte aber
auch der Areopag über eine angemessene Erziehung der Knaben. "Er lenkte
die ürmern -- nach genossenem Elementarunterricht -- zum Landbau und Handel,
weil er wußte, daß Armut eine Folge der Trägheit und Missethaten eine Folge
der Armut sind. Die wohlhabenden dagegen wollte er durch den Betrieb
edler Beschäftigungen und durch Anstrengungen in Verbindung mit Vergnü¬
gungen erzogen wissen und nötigte sie, sich mit Reiten, Leibesübungen, der
Jagd und der Philosophie zu beschäftigen." Gaben junge Leute mehr aus,
als ihre Mittel zu erlauben schienen, so wurden sie vom Areopag darüber
vernommen. Wo Mittellosigkeit nachgewiesen wurde, erhielten sie wohl auch
von ihm ein Geldgeschenk zur Fortsetzung ihres Studiums. Besonders wachte


Rnabenerziehung und Knabenunterricht im alten Hellas

Ebenso verlangen Plato und Aristoteles eine gleiche, gesetzlich geordnete Er¬
ziehung aus Staatsmitteln, wie sie sich dann auch gelegentlich in makedonischer
und nachmakedonischer Zeit, z. B. in Teos findet. Nach einer Inschrift sollen
dort von den Zinsen eines Kapitals, das ein reicher Bürger zu diesem
Zwecke gestiftet hat, für alle Bürgerkinder von Staats wegen Lehrer angestellt
werden, und zwar drei Elementarlehrer mit Gehalten von 600,550,500 Drachmen,
zwei Turnlehrer für je 500 Drachmen, ein Musiklehrer für 700 Drachmen,
und ein Fechtlehrer, sowie ein Lehrer für Speerwurf und Bogenschießen, der
eine für 300, der andre für 250 Drachmen, da ihr Unterricht nur für zwei
Monate angesetzt wird. Und von den Nhodiern berichtet Polybios, daß sie
sich um dieselbe Zeit von dem pergamenischen Könige Eumenes II. eine große
Getreideschenkung hätten machen lassen, um von den Zinsen des beim Verkauf
gelösten Geldes fortan die Lehrer ihrer Söhne zu bezahlen. In Athen aber
ist, wie Schömann gewiß richtig bemerkt, das Fehlen des Schulzwangs eher
ein Beweis dafür, „daß der Unterricht der Jugend dem Athener als ein Gegen¬
stand erschien, der jedem von selbst so nahe am Herzen lag, daß es gar keiner
besondern Verordnung und keines Zwangs bedürfte, um Eltern und Kinder
anzuhalten, die dargebotnen Gelegenheiten zur Ausbildung zu benutzen." Für
wie nötig man schon frühzeitig einen solchen Unterricht hielt, dafür zeugt das
Beispiel der Trözenier, die den zu ihnen vor den Persern geflüchteten Frauen
und Kindern der Athener ein Tagegeld aussetzten und sür die Kinder Lehrer
bestellten. Sicherlich hat es schon zu Perikles Zeit unter den athenischen
Bürgern weniger Leute gegeben, die nicht wenigstens lesen und schreiben konnten,
als in unsern modernen Kulturstaaten, und ein Hyperbolos, der, wie Aristo-
phanes spottet, nichts von Musik noch von Litteratur verstand und in den
Barbierstubcn — wir würden sagen: aus dem Tageblatt — seine geistige Bil¬
dung geholt hatte, dürfte in so manchem reich gewordnen Emporkömmling
unsrer Tage sein modernes Gegenstück finden. Aber es fehlte auch in Athen
nicht an sittlicher Nötigung. Das beweist Solons gesetzliche Verfügung, daß
ein Vater, der seinen Sohn ohne Unterricht aufwachsen lasse, im Alter keinen
Anspruch erheben könne, vom Sohn unterstützt zu werden. Ferner wachte aber
auch der Areopag über eine angemessene Erziehung der Knaben. „Er lenkte
die ürmern — nach genossenem Elementarunterricht — zum Landbau und Handel,
weil er wußte, daß Armut eine Folge der Trägheit und Missethaten eine Folge
der Armut sind. Die wohlhabenden dagegen wollte er durch den Betrieb
edler Beschäftigungen und durch Anstrengungen in Verbindung mit Vergnü¬
gungen erzogen wissen und nötigte sie, sich mit Reiten, Leibesübungen, der
Jagd und der Philosophie zu beschäftigen." Gaben junge Leute mehr aus,
als ihre Mittel zu erlauben schienen, so wurden sie vom Areopag darüber
vernommen. Wo Mittellosigkeit nachgewiesen wurde, erhielten sie wohl auch
von ihm ein Geldgeschenk zur Fortsetzung ihres Studiums. Besonders wachte


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[0086] Rnabenerziehung und Knabenunterricht im alten Hellas Ebenso verlangen Plato und Aristoteles eine gleiche, gesetzlich geordnete Er¬ ziehung aus Staatsmitteln, wie sie sich dann auch gelegentlich in makedonischer und nachmakedonischer Zeit, z. B. in Teos findet. Nach einer Inschrift sollen dort von den Zinsen eines Kapitals, das ein reicher Bürger zu diesem Zwecke gestiftet hat, für alle Bürgerkinder von Staats wegen Lehrer angestellt werden, und zwar drei Elementarlehrer mit Gehalten von 600,550,500 Drachmen, zwei Turnlehrer für je 500 Drachmen, ein Musiklehrer für 700 Drachmen, und ein Fechtlehrer, sowie ein Lehrer für Speerwurf und Bogenschießen, der eine für 300, der andre für 250 Drachmen, da ihr Unterricht nur für zwei Monate angesetzt wird. Und von den Nhodiern berichtet Polybios, daß sie sich um dieselbe Zeit von dem pergamenischen Könige Eumenes II. eine große Getreideschenkung hätten machen lassen, um von den Zinsen des beim Verkauf gelösten Geldes fortan die Lehrer ihrer Söhne zu bezahlen. In Athen aber ist, wie Schömann gewiß richtig bemerkt, das Fehlen des Schulzwangs eher ein Beweis dafür, „daß der Unterricht der Jugend dem Athener als ein Gegen¬ stand erschien, der jedem von selbst so nahe am Herzen lag, daß es gar keiner besondern Verordnung und keines Zwangs bedürfte, um Eltern und Kinder anzuhalten, die dargebotnen Gelegenheiten zur Ausbildung zu benutzen." Für wie nötig man schon frühzeitig einen solchen Unterricht hielt, dafür zeugt das Beispiel der Trözenier, die den zu ihnen vor den Persern geflüchteten Frauen und Kindern der Athener ein Tagegeld aussetzten und sür die Kinder Lehrer bestellten. Sicherlich hat es schon zu Perikles Zeit unter den athenischen Bürgern weniger Leute gegeben, die nicht wenigstens lesen und schreiben konnten, als in unsern modernen Kulturstaaten, und ein Hyperbolos, der, wie Aristo- phanes spottet, nichts von Musik noch von Litteratur verstand und in den Barbierstubcn — wir würden sagen: aus dem Tageblatt — seine geistige Bil¬ dung geholt hatte, dürfte in so manchem reich gewordnen Emporkömmling unsrer Tage sein modernes Gegenstück finden. Aber es fehlte auch in Athen nicht an sittlicher Nötigung. Das beweist Solons gesetzliche Verfügung, daß ein Vater, der seinen Sohn ohne Unterricht aufwachsen lasse, im Alter keinen Anspruch erheben könne, vom Sohn unterstützt zu werden. Ferner wachte aber auch der Areopag über eine angemessene Erziehung der Knaben. „Er lenkte die ürmern — nach genossenem Elementarunterricht — zum Landbau und Handel, weil er wußte, daß Armut eine Folge der Trägheit und Missethaten eine Folge der Armut sind. Die wohlhabenden dagegen wollte er durch den Betrieb edler Beschäftigungen und durch Anstrengungen in Verbindung mit Vergnü¬ gungen erzogen wissen und nötigte sie, sich mit Reiten, Leibesübungen, der Jagd und der Philosophie zu beschäftigen." Gaben junge Leute mehr aus, als ihre Mittel zu erlauben schienen, so wurden sie vom Areopag darüber vernommen. Wo Mittellosigkeit nachgewiesen wurde, erhielten sie wohl auch von ihm ein Geldgeschenk zur Fortsetzung ihres Studiums. Besonders wachte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/86>, abgerufen am 25.08.2024.