Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Italienische Lindrücke Kaufmannschaft jenes Patriziat begründet, das im elften und zwölften Jahr¬ Italienische Lindrücke Kaufmannschaft jenes Patriziat begründet, das im elften und zwölften Jahr¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0606" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220282"/> <fw type="header" place="top"> Italienische Lindrücke</fw><lb/> <p xml:id="ID_2359" prev="#ID_2358"> Kaufmannschaft jenes Patriziat begründet, das im elften und zwölften Jahr¬<lb/> hundert die freie Verfassung der Städte in Mittel- und Oberitalien und damit die<lb/> Vorbedingungen zu der glänzenden Kulturentwicklung schuf, deren Denkmäler<lb/> wir noch heute bewundern. Den einzigen ernsten Versuch, diese Vorherrschaft<lb/> der Städte zu brechen, machte Friedrich Barbarossa, und es ist ihm bekanntlich<lb/> gelungen, im Frieden von Konstanz 1183, den man oft genug fälschlich als<lb/> eine Niederlage des Kaisertums aufgefaßt hat, das Landgebiet, die „Grafschaft,"<lb/> politisch von den Stadtgemeinden zu trennen und seine Verwaltung an kaiser¬<lb/> liche Beamte zu bringen. Hätte dies längern Bestand gehabt, so hätte sich<lb/> in Ober- und Mittelitalien ein ähnlicher Zustand gebildet wie in Deutschland<lb/> und vielleicht auch ein freier Bauernstand; aber die Schöpfung des Hohen-<lb/> staufen brach nach kaum fünfzig Jahren wieder zusammen, und das alte Ver¬<lb/> hältnis stellte sich wieder her. Seitdem giebt es keine Selbständigkeit des<lb/> platten Landes in Italien. Zwar wird unmittelbar von den Städten aus nur<lb/> ein verhältnismäßig kleiner Teil des Grund und Bodens bewirtschaftet, nament¬<lb/> lich von weniger bedeutenden Orten aus, wo man morgens die Feldarbeiter<lb/> ausziehen und abends heimkehren sieht. Im übrigen giebt es zahlreiche dorf¬<lb/> artige Ansiedlungen (villaMi). die z. B. in großen Teilen Toscanas vor¬<lb/> herrschen, oder zahllose Einzelhöfe, die den Charakter der Potiefebne bestimmen;<lb/> aber politisch selbständige Landgemeinden, also Dörfer nach deutscher Art,<lb/> hat Italien nicht, alle jene Ansiedlungen sind eben sozusagen nur örtlicher<lb/> Natur, politisch gehören sie zu irgend einer Stadt, bilden mit ihr zusammen<lb/> das (üomniuns. Bei Angaben von Einwohnerzahlen italienischer Städte muß<lb/> deshalb stets zwischen der Stadt als solcher («zitiÄ) und als politischer Bezirk<lb/> (oowinunö) unterschieden werden. Bologna hat z. V. als Stadt 116000, als<lb/> Kommune 139000 Einwohner, Ravenna 12000 und 60000 u. s. f. Das<lb/> kleine, hochgelegne Fiesole beherrscht noch heute weithin das Arnothal, dessen<lb/> ländliche Bewohner es nach Florenz viel bequemer hätten. Auch äußerlich<lb/> tragen die ländlichen Ortschaften nach unserm Begriff einen städtischen Cha¬<lb/> rakter, denn sie bestehen durchweg aus eng aneinandergebauten Steinhäusern,<lb/> die im Süden großen, fast fensterlosen Kasten mit backofenähnlichen Dächern<lb/> gleichen und etwas ganz afrikanisches haben. Äußerlich sperrt sich die Stadt<lb/> gegen das Land viel mehr ab als in Deutschland, denn meist sind die alten,<lb/> malerischen, zinnengekrönten Mauern noch erhalten, und an ihren Thoren wird<lb/> die Verbrauchssteuer auf alle Lebensmittel lMsiio oonsumo) erhoben, eine sehr<lb/> ergiebige Einnahmequelle. Innerlich aber ist der Zusammenhang sehr viel<lb/> enger als bei uus; der Landmann (oontMiiiv) steht in der Stadt nicht nur<lb/> den wirtschaftlichen, sondern auch den politischen Mittelpunkt der ganzen Gegend<lb/> und ist gewöhnt, mindestens an allen Markt-, Sonn- und Festtagen dort zu<lb/> verkehren, was dem städtischen Straßenleben einen großen Teil seiner Eigen¬<lb/> tümlichkeit giebt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0606]
Italienische Lindrücke
Kaufmannschaft jenes Patriziat begründet, das im elften und zwölften Jahr¬
hundert die freie Verfassung der Städte in Mittel- und Oberitalien und damit die
Vorbedingungen zu der glänzenden Kulturentwicklung schuf, deren Denkmäler
wir noch heute bewundern. Den einzigen ernsten Versuch, diese Vorherrschaft
der Städte zu brechen, machte Friedrich Barbarossa, und es ist ihm bekanntlich
gelungen, im Frieden von Konstanz 1183, den man oft genug fälschlich als
eine Niederlage des Kaisertums aufgefaßt hat, das Landgebiet, die „Grafschaft,"
politisch von den Stadtgemeinden zu trennen und seine Verwaltung an kaiser¬
liche Beamte zu bringen. Hätte dies längern Bestand gehabt, so hätte sich
in Ober- und Mittelitalien ein ähnlicher Zustand gebildet wie in Deutschland
und vielleicht auch ein freier Bauernstand; aber die Schöpfung des Hohen-
staufen brach nach kaum fünfzig Jahren wieder zusammen, und das alte Ver¬
hältnis stellte sich wieder her. Seitdem giebt es keine Selbständigkeit des
platten Landes in Italien. Zwar wird unmittelbar von den Städten aus nur
ein verhältnismäßig kleiner Teil des Grund und Bodens bewirtschaftet, nament¬
lich von weniger bedeutenden Orten aus, wo man morgens die Feldarbeiter
ausziehen und abends heimkehren sieht. Im übrigen giebt es zahlreiche dorf¬
artige Ansiedlungen (villaMi). die z. B. in großen Teilen Toscanas vor¬
herrschen, oder zahllose Einzelhöfe, die den Charakter der Potiefebne bestimmen;
aber politisch selbständige Landgemeinden, also Dörfer nach deutscher Art,
hat Italien nicht, alle jene Ansiedlungen sind eben sozusagen nur örtlicher
Natur, politisch gehören sie zu irgend einer Stadt, bilden mit ihr zusammen
das (üomniuns. Bei Angaben von Einwohnerzahlen italienischer Städte muß
deshalb stets zwischen der Stadt als solcher («zitiÄ) und als politischer Bezirk
(oowinunö) unterschieden werden. Bologna hat z. V. als Stadt 116000, als
Kommune 139000 Einwohner, Ravenna 12000 und 60000 u. s. f. Das
kleine, hochgelegne Fiesole beherrscht noch heute weithin das Arnothal, dessen
ländliche Bewohner es nach Florenz viel bequemer hätten. Auch äußerlich
tragen die ländlichen Ortschaften nach unserm Begriff einen städtischen Cha¬
rakter, denn sie bestehen durchweg aus eng aneinandergebauten Steinhäusern,
die im Süden großen, fast fensterlosen Kasten mit backofenähnlichen Dächern
gleichen und etwas ganz afrikanisches haben. Äußerlich sperrt sich die Stadt
gegen das Land viel mehr ab als in Deutschland, denn meist sind die alten,
malerischen, zinnengekrönten Mauern noch erhalten, und an ihren Thoren wird
die Verbrauchssteuer auf alle Lebensmittel lMsiio oonsumo) erhoben, eine sehr
ergiebige Einnahmequelle. Innerlich aber ist der Zusammenhang sehr viel
enger als bei uus; der Landmann (oontMiiiv) steht in der Stadt nicht nur
den wirtschaftlichen, sondern auch den politischen Mittelpunkt der ganzen Gegend
und ist gewöhnt, mindestens an allen Markt-, Sonn- und Festtagen dort zu
verkehren, was dem städtischen Straßenleben einen großen Teil seiner Eigen¬
tümlichkeit giebt.
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