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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Gindrücke

jährlich Tausende und Abertausende hinüber nach Südamerika ziehen -- im
einzigen Hafen von Neapel lagen Ende April drei große Dampfer mit Aus¬
wandrern zur Abfahrt bereit --, hat doch Italien allein uuter allen romanischen
Ländern Westeuropas eine starke Volksvermehrung. Einzelne Anläufe sind ja
gemacht worden; in einigen Teilen der Maremmen, um Orbetello, Grossetto
und nach Pisa hin sieht man zahlreiche neue Gehöfte, von der Campcrgna wird
jetzt immerhin der zehnte Teil angebaut, es giebt landwirtschaftliche Vereine
u. dergl. Aber eine gründliche Änderung zum bessern wird gerade hier äußerst
schwer werden. Denn der landesübliche Parlamentarismus, das unvermeidliche
Ergebnis der politischen Entwicklung, legt die Regierungsgewalt in die Hände
der Signori, der größern Grundbesitzer, und die auf dem "Volkswillen" beru¬
hende Monarchie des Hauses Savohen ist bei weitem nicht stark genug, den
Eigennutz dieser Aristokratie zu brechen. Daher auch die radikale Färbung,
die in manchen Strichen Italiens, wie in der von Alters her unruhigen Ro-
magna, die agrarischen Bestrebungen gern annehmen. Mir wurde z. B. von
einem katholischen Geistlichen aus Nassau erzählt, in Ancona habe die Stadt¬
behörde am 1. Mai, der in Mittel- und Süditalien ziemlich unbemerkt blieb,
den gesamten Fahrverkehr in der Stadt völlig eingestellt, um Massenansamm¬
lungen möglichst zu verhindern, und er, der Berichterstatter, sei, da er sich
durch seine geistliche Tracht kenntlich machte, mehrmals mit dem lauten Rufe
begrüßt worden: DvvivA 1'g,n<iiLd.ig.!

Diese Verhältnisse sind um so ungünstiger, als der Landbau für Italien
ganz ohne Vergleich das Hauptgewerbe bildet und es hoffentlich auch bleiben
wird, denn dazu ist es durch die üppige Fruchtbarkeit des Bodens bestimmt,
der dem Lande, in Verbindung mit der Kunstindustrie, die wichtigsten Aus¬
fuhrgegenstände liefert. In der Weinausfuhr müßte Italien eine der ersten
Rollen spielen, wenn nicht die erste, denn vom Fuße der Alpen bis zur Süd-
spitze Siziliens ist es sozusagen mit Weinpflanzungen bedeckt, nur daß die jetzt
meist noch herrschende Behandlung das Getränk nicht haltbar genug macht. Für
den eignen Verbrauch -- und dort ist der Wein wirklich das Nationalgetränk --
würde immer uoch mehr als genug übrig bleiben. Ob er freilich bei ge¬
steigerter Ausfuhr so gut, rein und wohlfeil sein würde, wie er heute ist?

Die Besitzverhältnisse, die dem italienischen Landbau zu Grunde liegen,
hängen aber noch mit einer andern Erbschaft des römischen Altertums zu¬
sammen, mit der wirtschaftlichen und politischen Herrschaft der Städte über
das gesamte Land. Seitdem sich in der ältesten Zeit aus Gründen der Sicher¬
heit die Besiedlung in festen, womöglich auf einer Höhe angelegten Städten
konzentriren mußte, besteht dieses Verhältnis ununterbrochen fort. Auch die
germanischen Eroberungen haben daran auf die Dauer nichts geändert; der lango-
bardische Adel, von dem die spätere italienische Aristokratie der Hauptsache
uach abstammt, hat vielmehr gerade durch seine Vereinigung mit der städtischen


Italienische Gindrücke

jährlich Tausende und Abertausende hinüber nach Südamerika ziehen — im
einzigen Hafen von Neapel lagen Ende April drei große Dampfer mit Aus¬
wandrern zur Abfahrt bereit —, hat doch Italien allein uuter allen romanischen
Ländern Westeuropas eine starke Volksvermehrung. Einzelne Anläufe sind ja
gemacht worden; in einigen Teilen der Maremmen, um Orbetello, Grossetto
und nach Pisa hin sieht man zahlreiche neue Gehöfte, von der Campcrgna wird
jetzt immerhin der zehnte Teil angebaut, es giebt landwirtschaftliche Vereine
u. dergl. Aber eine gründliche Änderung zum bessern wird gerade hier äußerst
schwer werden. Denn der landesübliche Parlamentarismus, das unvermeidliche
Ergebnis der politischen Entwicklung, legt die Regierungsgewalt in die Hände
der Signori, der größern Grundbesitzer, und die auf dem „Volkswillen" beru¬
hende Monarchie des Hauses Savohen ist bei weitem nicht stark genug, den
Eigennutz dieser Aristokratie zu brechen. Daher auch die radikale Färbung,
die in manchen Strichen Italiens, wie in der von Alters her unruhigen Ro-
magna, die agrarischen Bestrebungen gern annehmen. Mir wurde z. B. von
einem katholischen Geistlichen aus Nassau erzählt, in Ancona habe die Stadt¬
behörde am 1. Mai, der in Mittel- und Süditalien ziemlich unbemerkt blieb,
den gesamten Fahrverkehr in der Stadt völlig eingestellt, um Massenansamm¬
lungen möglichst zu verhindern, und er, der Berichterstatter, sei, da er sich
durch seine geistliche Tracht kenntlich machte, mehrmals mit dem lauten Rufe
begrüßt worden: DvvivA 1'g,n<iiLd.ig.!

Diese Verhältnisse sind um so ungünstiger, als der Landbau für Italien
ganz ohne Vergleich das Hauptgewerbe bildet und es hoffentlich auch bleiben
wird, denn dazu ist es durch die üppige Fruchtbarkeit des Bodens bestimmt,
der dem Lande, in Verbindung mit der Kunstindustrie, die wichtigsten Aus¬
fuhrgegenstände liefert. In der Weinausfuhr müßte Italien eine der ersten
Rollen spielen, wenn nicht die erste, denn vom Fuße der Alpen bis zur Süd-
spitze Siziliens ist es sozusagen mit Weinpflanzungen bedeckt, nur daß die jetzt
meist noch herrschende Behandlung das Getränk nicht haltbar genug macht. Für
den eignen Verbrauch — und dort ist der Wein wirklich das Nationalgetränk —
würde immer uoch mehr als genug übrig bleiben. Ob er freilich bei ge¬
steigerter Ausfuhr so gut, rein und wohlfeil sein würde, wie er heute ist?

Die Besitzverhältnisse, die dem italienischen Landbau zu Grunde liegen,
hängen aber noch mit einer andern Erbschaft des römischen Altertums zu¬
sammen, mit der wirtschaftlichen und politischen Herrschaft der Städte über
das gesamte Land. Seitdem sich in der ältesten Zeit aus Gründen der Sicher¬
heit die Besiedlung in festen, womöglich auf einer Höhe angelegten Städten
konzentriren mußte, besteht dieses Verhältnis ununterbrochen fort. Auch die
germanischen Eroberungen haben daran auf die Dauer nichts geändert; der lango-
bardische Adel, von dem die spätere italienische Aristokratie der Hauptsache
uach abstammt, hat vielmehr gerade durch seine Vereinigung mit der städtischen


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[0605] Italienische Gindrücke jährlich Tausende und Abertausende hinüber nach Südamerika ziehen — im einzigen Hafen von Neapel lagen Ende April drei große Dampfer mit Aus¬ wandrern zur Abfahrt bereit —, hat doch Italien allein uuter allen romanischen Ländern Westeuropas eine starke Volksvermehrung. Einzelne Anläufe sind ja gemacht worden; in einigen Teilen der Maremmen, um Orbetello, Grossetto und nach Pisa hin sieht man zahlreiche neue Gehöfte, von der Campcrgna wird jetzt immerhin der zehnte Teil angebaut, es giebt landwirtschaftliche Vereine u. dergl. Aber eine gründliche Änderung zum bessern wird gerade hier äußerst schwer werden. Denn der landesübliche Parlamentarismus, das unvermeidliche Ergebnis der politischen Entwicklung, legt die Regierungsgewalt in die Hände der Signori, der größern Grundbesitzer, und die auf dem „Volkswillen" beru¬ hende Monarchie des Hauses Savohen ist bei weitem nicht stark genug, den Eigennutz dieser Aristokratie zu brechen. Daher auch die radikale Färbung, die in manchen Strichen Italiens, wie in der von Alters her unruhigen Ro- magna, die agrarischen Bestrebungen gern annehmen. Mir wurde z. B. von einem katholischen Geistlichen aus Nassau erzählt, in Ancona habe die Stadt¬ behörde am 1. Mai, der in Mittel- und Süditalien ziemlich unbemerkt blieb, den gesamten Fahrverkehr in der Stadt völlig eingestellt, um Massenansamm¬ lungen möglichst zu verhindern, und er, der Berichterstatter, sei, da er sich durch seine geistliche Tracht kenntlich machte, mehrmals mit dem lauten Rufe begrüßt worden: DvvivA 1'g,n<iiLd.ig.! Diese Verhältnisse sind um so ungünstiger, als der Landbau für Italien ganz ohne Vergleich das Hauptgewerbe bildet und es hoffentlich auch bleiben wird, denn dazu ist es durch die üppige Fruchtbarkeit des Bodens bestimmt, der dem Lande, in Verbindung mit der Kunstindustrie, die wichtigsten Aus¬ fuhrgegenstände liefert. In der Weinausfuhr müßte Italien eine der ersten Rollen spielen, wenn nicht die erste, denn vom Fuße der Alpen bis zur Süd- spitze Siziliens ist es sozusagen mit Weinpflanzungen bedeckt, nur daß die jetzt meist noch herrschende Behandlung das Getränk nicht haltbar genug macht. Für den eignen Verbrauch — und dort ist der Wein wirklich das Nationalgetränk — würde immer uoch mehr als genug übrig bleiben. Ob er freilich bei ge¬ steigerter Ausfuhr so gut, rein und wohlfeil sein würde, wie er heute ist? Die Besitzverhältnisse, die dem italienischen Landbau zu Grunde liegen, hängen aber noch mit einer andern Erbschaft des römischen Altertums zu¬ sammen, mit der wirtschaftlichen und politischen Herrschaft der Städte über das gesamte Land. Seitdem sich in der ältesten Zeit aus Gründen der Sicher¬ heit die Besiedlung in festen, womöglich auf einer Höhe angelegten Städten konzentriren mußte, besteht dieses Verhältnis ununterbrochen fort. Auch die germanischen Eroberungen haben daran auf die Dauer nichts geändert; der lango- bardische Adel, von dem die spätere italienische Aristokratie der Hauptsache uach abstammt, hat vielmehr gerade durch seine Vereinigung mit der städtischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/605>, abgerufen am 22.12.2024.