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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

oder im Chor riefen: Non g-vets xiooola Ilionetg,, siZvors? (Haben Sie kein
Kleingeld?). Man lernt bald, mit der Gesellschaft fertig zu werden. In
den meisten Fällen giebt man gar nichts, wie die Italiener fast immer thun,
sondern geht ruhig weiter, bis es das heischende Gefolge satt bekommt und
zurückbleibt -- obwohl sie zuweilen große Ausdauer haben --, die Kinder lacht
man am besten aus, worauf sie dann mitlachen. Denn bei alledem sind sie
uicht roh oder bösartig. Moralische Entrüstung und Scheltworte helfen gar
nichts, das belustigt sie nur. Eine andre Sorte von Zudringlichkeit ist die
geschäftliche. Am Pantheon, am Forum, am Konstantinsbogen in Rom lauern
die Photographien- und Mosaikenhändler auf den Wandrer, der andächtig die
gewaltigen Reste einer großen Vergangenheit betrachten möchte. "Ganz Rom
für zwei Franken, mein Herr!" ruft der eine deutsch, ein Album entfaltend,
das er am Ende um fünfzig Ceutesimi anbietet; sooo dslli nos^loi, siMvrs!
schreit ein andrer. Sobald man ihre Ware auch nur flüchtig ansieht, ist man
verloren, dann kommt man nicht mehr los. Ein Händler mit prächtigen
Schildkrot- und Jntarsiasachcn machte sogar die Fahrt von Capri nach Neapel
mit und bot unterwegs seine Waren aus. Die Droschkenkutscher in Ober- und
Mittelitalien begnügen sich gewöhnlich damit, dem Fremden, der an ihrer
Station vorübergeht, fragend zuzurufen: 'Vuols? (Wollen Sie?); im Süden
rufen sie laut: I^ca! (Sie da!) und fahren einem wohl geradezu nach. In
Frascati hatte ich, als ich in einer Trattoria frühstückte, was man von außen
durch die Glasthür sehen konnte, eine regelrechte Belagerung auszuhalten, denn
draußen warteten mindestens ein halbes Dutzend Droschken, Reitpferde und
Esel. Die Leute können es eben gar nicht begreifen, daß man zu Fuße geht,
am wenigsten einen Berg hinauf. Ein Trinkgeld (eng,n"zig,, vuong. mano) ist
bei allen selbstverständlich, obwohl es uicht gerade hoch zu sein braucht. Selbst
wenn man etwa mit einem Kutscher vorher akkordirt und ausdrücklich gesagt
hat: IXUW eomxreso (alles eingeschlossen), dann kommt er zuweilen doch
hinterher und sagt: "Ja, das war für den Wagen, aber uicht für mich." In
solchem Falle bleibt das beste ein kurzes, bestimmtes "Nein!" Beim Verkauf
einen höhern Preis zu nennen, als den der Verkäufer schließlich bewilligen
will, "vorzuschlagen," ist auch in den Läden noch vielfach üblich, in kleinern
Geschäften immer; doch bestehen bei größern Handlungen schon feste Preise (vrLWi
llssi) wie bei uns. Daß die Jugend dem nacheifert, versteht sich von selbst.
Äußerst betriebsam sind die Blumenmädchen, zuweilen auch älterer Jahrgänge,
vor denen man geradezu auf der Hut sein muß, wenn man nicht unversehens
ein Sträußchen in der Seitentasche oder im Knopfloch haben will, und höchst
drollig ist es, wie sich mitunter barfüßige Jungen von zehn bis zwölf Jahren
als Führer anbieten. "Ich bin ein guter Führer," sagte mir mit treuherzigem
Selbstbewußtsein ein solcher Schlingel auf Anaeapri, der mich durchaus auf
den Monte Salaro bringen wollte; ein andrer wollte mir schlechterdings uns.


Italienische Eindrücke

oder im Chor riefen: Non g-vets xiooola Ilionetg,, siZvors? (Haben Sie kein
Kleingeld?). Man lernt bald, mit der Gesellschaft fertig zu werden. In
den meisten Fällen giebt man gar nichts, wie die Italiener fast immer thun,
sondern geht ruhig weiter, bis es das heischende Gefolge satt bekommt und
zurückbleibt — obwohl sie zuweilen große Ausdauer haben —, die Kinder lacht
man am besten aus, worauf sie dann mitlachen. Denn bei alledem sind sie
uicht roh oder bösartig. Moralische Entrüstung und Scheltworte helfen gar
nichts, das belustigt sie nur. Eine andre Sorte von Zudringlichkeit ist die
geschäftliche. Am Pantheon, am Forum, am Konstantinsbogen in Rom lauern
die Photographien- und Mosaikenhändler auf den Wandrer, der andächtig die
gewaltigen Reste einer großen Vergangenheit betrachten möchte. „Ganz Rom
für zwei Franken, mein Herr!" ruft der eine deutsch, ein Album entfaltend,
das er am Ende um fünfzig Ceutesimi anbietet; sooo dslli nos^loi, siMvrs!
schreit ein andrer. Sobald man ihre Ware auch nur flüchtig ansieht, ist man
verloren, dann kommt man nicht mehr los. Ein Händler mit prächtigen
Schildkrot- und Jntarsiasachcn machte sogar die Fahrt von Capri nach Neapel
mit und bot unterwegs seine Waren aus. Die Droschkenkutscher in Ober- und
Mittelitalien begnügen sich gewöhnlich damit, dem Fremden, der an ihrer
Station vorübergeht, fragend zuzurufen: 'Vuols? (Wollen Sie?); im Süden
rufen sie laut: I^ca! (Sie da!) und fahren einem wohl geradezu nach. In
Frascati hatte ich, als ich in einer Trattoria frühstückte, was man von außen
durch die Glasthür sehen konnte, eine regelrechte Belagerung auszuhalten, denn
draußen warteten mindestens ein halbes Dutzend Droschken, Reitpferde und
Esel. Die Leute können es eben gar nicht begreifen, daß man zu Fuße geht,
am wenigsten einen Berg hinauf. Ein Trinkgeld (eng,n«zig,, vuong. mano) ist
bei allen selbstverständlich, obwohl es uicht gerade hoch zu sein braucht. Selbst
wenn man etwa mit einem Kutscher vorher akkordirt und ausdrücklich gesagt
hat: IXUW eomxreso (alles eingeschlossen), dann kommt er zuweilen doch
hinterher und sagt: „Ja, das war für den Wagen, aber uicht für mich." In
solchem Falle bleibt das beste ein kurzes, bestimmtes „Nein!" Beim Verkauf
einen höhern Preis zu nennen, als den der Verkäufer schließlich bewilligen
will, „vorzuschlagen," ist auch in den Läden noch vielfach üblich, in kleinern
Geschäften immer; doch bestehen bei größern Handlungen schon feste Preise (vrLWi
llssi) wie bei uns. Daß die Jugend dem nacheifert, versteht sich von selbst.
Äußerst betriebsam sind die Blumenmädchen, zuweilen auch älterer Jahrgänge,
vor denen man geradezu auf der Hut sein muß, wenn man nicht unversehens
ein Sträußchen in der Seitentasche oder im Knopfloch haben will, und höchst
drollig ist es, wie sich mitunter barfüßige Jungen von zehn bis zwölf Jahren
als Führer anbieten. „Ich bin ein guter Führer," sagte mir mit treuherzigem
Selbstbewußtsein ein solcher Schlingel auf Anaeapri, der mich durchaus auf
den Monte Salaro bringen wollte; ein andrer wollte mir schlechterdings uns.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/520>, abgerufen am 27.08.2024.