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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

empfiehlt es sich, einen Esel oder ein Pferd zu mieten, was allerdings ohne
handeln nicht abgeht; aber wer die mit dem Reiten verbundne Anstrengung
nicht scheut, wird das bald bequem und nebenher auch keineswegs teuer finden,
namentlich wenn man bedenkt, daß der Führer mitläuft.

Den Fremden gegenüber, die alljährlich sein schönes Land überfluten, ist
der gebildete Italiener höflich, aber zunächst sehr zurückhaltend. Erst wenn
er merkt, daß man sich bemüht, seine Sprache zu sprechen, wird er rasch
mitteilsam, versucht, salls er selbst etwas Deutsch versteht, was nicht gar so
selten ist, es auch zu reden, ist aber gewöhnlich dankbar, wenn der Fremde
italienisch spricht. Er bemüht sich dann selbst, langsam und deutlich zu sprechen,
saßt sehr schnell auf, verbessert Sprachfehler, indem er den gebrauchten Aus¬
druck richtig wiederholt, und wird niemals darüber lachen. Zu den höflichsten
gehören die geistlichen Herren; es ist mir vorgekommen, daß ein solcher, ein
schon älterer Mann, den ich in Pistoja nach dem Wege fragte, mit mir ein
Stück zurückging, bis ich nicht mehr fehlen konnte, und ein andrer kam mir
einmal nach, als er sah, daß ich trotz einer bei ihm eingezognen Erkundigung,
da es schon dunkelte, eine falsche Richtung einschlug. Die Leute aus dem
"Volke" betrachten den torsstisrö, wie es scheint, wesentlich als ein Ausbeutungs¬
objekt, obwohl die Sache nicht so schlimm ist, als es klingt. Bettelei und
geschäftliche Zudringlichkeit nehmen vom Norden uach dem Süden zu und
sind am ausgebildetsten in Neapel. Alle Lebensalter und Geschlechter beteiligen
sich daran. An den Kirchthüren wird das Geschäft gewerbsmäßig betrieben,
damit der Christ der Varmherzigkeitspflicht gedenke; an der Scala senta in Rom
saßen und standen am Karfreitag die Bettler reihenweise. Auch sonst passen
sie jede denkbare Gelegenheit ab. Auf der kurzen Strecke vom Bahnhof in
Pompeji bis zum "Hotel Suisse," kaum zweihundert Schritt, hatte ich einmal
sechs bis acht Bettler um mich, und selbst wenn man fährt, und die Land¬
straße steigt, wissen sie den Augenblick vorzüglich abzulauern und tauchen oft
so überraschend auf, daß man kaum begreift, woher sie kommen. Eine Spe¬
zialität bilden "arme Witwen" mit Säuglingen, eine andre, oft geradezu ekel¬
erregende Krüppel oder Kranke, die ihr Gebrechen zur Schau stellen, was
mich eher zu einem weiten Bogen veranlaßte. "Wie die Alten sungen, so
zwitschern auch die Jungen." Ganze Nudel von Jungen und Müdeln habe
ich gelegentlich z. B. in Assise, im Albanergebirge, auf Capri um mich gehabt,
wenn ich zu Fuße ging; dann laufen einem die Bengel nach oder entgegen,
halten den rechten Zeigefinger bedeutsam empor und rufen immer und immer
wieder: Hu soläo, siguors! (in Neapel: un solcio, Wussti! rasch hervorgestoßen).
Mitunter macht ihnen die Sache selber augenscheinlich Vergnügen. Auf dem
Wege von Sorrent nach Capodimonte lief mir einmal ein ganzer Schwarm
halbwüchsiger brauner Mädchen in den Weg, die sich vor Lachen kaum halten
konnten, daß ihnen die Überrumpelung so gut gelungen war, und dabei einzeln


Italienische Eindrücke

empfiehlt es sich, einen Esel oder ein Pferd zu mieten, was allerdings ohne
handeln nicht abgeht; aber wer die mit dem Reiten verbundne Anstrengung
nicht scheut, wird das bald bequem und nebenher auch keineswegs teuer finden,
namentlich wenn man bedenkt, daß der Führer mitläuft.

Den Fremden gegenüber, die alljährlich sein schönes Land überfluten, ist
der gebildete Italiener höflich, aber zunächst sehr zurückhaltend. Erst wenn
er merkt, daß man sich bemüht, seine Sprache zu sprechen, wird er rasch
mitteilsam, versucht, salls er selbst etwas Deutsch versteht, was nicht gar so
selten ist, es auch zu reden, ist aber gewöhnlich dankbar, wenn der Fremde
italienisch spricht. Er bemüht sich dann selbst, langsam und deutlich zu sprechen,
saßt sehr schnell auf, verbessert Sprachfehler, indem er den gebrauchten Aus¬
druck richtig wiederholt, und wird niemals darüber lachen. Zu den höflichsten
gehören die geistlichen Herren; es ist mir vorgekommen, daß ein solcher, ein
schon älterer Mann, den ich in Pistoja nach dem Wege fragte, mit mir ein
Stück zurückging, bis ich nicht mehr fehlen konnte, und ein andrer kam mir
einmal nach, als er sah, daß ich trotz einer bei ihm eingezognen Erkundigung,
da es schon dunkelte, eine falsche Richtung einschlug. Die Leute aus dem
„Volke" betrachten den torsstisrö, wie es scheint, wesentlich als ein Ausbeutungs¬
objekt, obwohl die Sache nicht so schlimm ist, als es klingt. Bettelei und
geschäftliche Zudringlichkeit nehmen vom Norden uach dem Süden zu und
sind am ausgebildetsten in Neapel. Alle Lebensalter und Geschlechter beteiligen
sich daran. An den Kirchthüren wird das Geschäft gewerbsmäßig betrieben,
damit der Christ der Varmherzigkeitspflicht gedenke; an der Scala senta in Rom
saßen und standen am Karfreitag die Bettler reihenweise. Auch sonst passen
sie jede denkbare Gelegenheit ab. Auf der kurzen Strecke vom Bahnhof in
Pompeji bis zum „Hotel Suisse," kaum zweihundert Schritt, hatte ich einmal
sechs bis acht Bettler um mich, und selbst wenn man fährt, und die Land¬
straße steigt, wissen sie den Augenblick vorzüglich abzulauern und tauchen oft
so überraschend auf, daß man kaum begreift, woher sie kommen. Eine Spe¬
zialität bilden „arme Witwen" mit Säuglingen, eine andre, oft geradezu ekel¬
erregende Krüppel oder Kranke, die ihr Gebrechen zur Schau stellen, was
mich eher zu einem weiten Bogen veranlaßte. „Wie die Alten sungen, so
zwitschern auch die Jungen." Ganze Nudel von Jungen und Müdeln habe
ich gelegentlich z. B. in Assise, im Albanergebirge, auf Capri um mich gehabt,
wenn ich zu Fuße ging; dann laufen einem die Bengel nach oder entgegen,
halten den rechten Zeigefinger bedeutsam empor und rufen immer und immer
wieder: Hu soläo, siguors! (in Neapel: un solcio, Wussti! rasch hervorgestoßen).
Mitunter macht ihnen die Sache selber augenscheinlich Vergnügen. Auf dem
Wege von Sorrent nach Capodimonte lief mir einmal ein ganzer Schwarm
halbwüchsiger brauner Mädchen in den Weg, die sich vor Lachen kaum halten
konnten, daß ihnen die Überrumpelung so gut gelungen war, und dabei einzeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/519>, abgerufen am 27.08.2024.