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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

ltalien die Linie von Bologna über Florenz, Perugia, Assisi, Spoleto, Temi und
Narni nach Rom und rückwärts längs der Küste über Civitaveechia und Orbe-
tello nach Pisa, Lucca und Pistoja, von Süditalien Neapel mit seiner Um¬
gebung bis Miseno, Capri und Pästum. Ohne besondre wissenschaftliche Zwecke
bin ich ins Land gegangen, nur als ein gebildeter Mann, der nicht nur dem
gewesenen und in seinen Denkmälern noch zu uns sprechenden Italien, sondern
auch dem heutigen, dem lebendigen Italien, das häufig zu kurz kommt, seine
Aufmerksamkeit schenken wollte; ich bin allein gereist, ohne Begleitung, mit
dem ehrlichen Bestreben, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und dem Volkstum
gerecht zu werden, gerecht dadurch, daß ich ohne Vorurteile und Voreingenommen¬
heit hinging und mich bemühte, dort mit den Italienern zu leben und nicht
überallhin meine deutschen Gewohnheiten und Bedürfnisse mitzuschleppen.

Das alles scheint selbstverständlich und wird doch oft sehr wenig beachtet.
Die Ausländer, die heute die Hauptmasse der nordischen Welschlandfahrer
bilden, sind die Engländer und die Deutschen. Die Engländer bringen überall
ihre nationalen Sitten mit hin, sie wohnen nnr in Hotels von englischer Art,
haben auch, weil es ihnen nicht an den nötigen Mitteln fehlt, solche überall
eingerichtet, nicht nur in großen Mittelpunkten, wie Florenz, Rom und Neapel,
sondern auch in abliegenden, aber schön gelegnen Orten, wie Perugia, sie wollen
von ihren alltäglichen Bedürfnissen nichts entbehren vom Lunch bis zum lips-
0'v1ve,1i>t,eÄ, haben ihre eignen Zeitungen (in Florenz die Morsnos ^is^of, in
Rom den Lowan Hsralö) und ihre Kirchen, finden zuweilen auch, z. B. in
Rom, Geschäfte mit ausschließlich englischen Artikeln und Theehäuser mit eng¬
lischem Gebäck, sprechen neben ihrem Englisch gewöhnlich höchstens noch Fran¬
zösisch, selten Italienisch und siud geneigt, überall wie die Herren aufzutreten,
auch wenn sichs darum handelt, umfängliches Handgepäck im Kupee so unter¬
zubringen, daß zwei Menschen so ziemlich den ganzen Platz belegen. In Summa,
eine Nation, deren Angehörige sich von allen selbstgenügsam abschließen und
vielleicht am wenigsten geeignet sind, ein Verhältnis zu den Italienern zu ge¬
winnen. Auch unsrer deutschen Landsleute freut man sich in Italien nicht
immer. Zahlreich genug waren sie in diesem Frühjahr; um Ostern hörte man
in Rom in den Museen und Kirchen zuweilen fast nur Deutsch sprechen, und
als die große Flut abgelaufen war, traf ein starker Pilgerzng aus dein
Nassauischen dort ein, Männlein und Weiblein, Priester und Laien, die unter
mehr oder weniger sachverständiger Führung eifrig die Kirchen besuchten und
auf dem Monte Testaccio die Aussicht bewunderten. Ziemlich zahlreich aber
sind leider die deutschen Reisenden, die am besten thäten, gar nicht nach Italien
zu gehen, oder sich höchstens auf die internationale Riviera zu beschränken,
Leute aus unserm Mittelstande ohne die nötigste Vorbildung, ohne Sprach¬
kenntnis, ohne jede Fähigkeit und Neigung, das eigentümliche Volkstum, in¬
mitten dessen sie auf einige Wochen leben, zu verstehen, nnr zu sehr geneigt,


Italienische Lindrücke

ltalien die Linie von Bologna über Florenz, Perugia, Assisi, Spoleto, Temi und
Narni nach Rom und rückwärts längs der Küste über Civitaveechia und Orbe-
tello nach Pisa, Lucca und Pistoja, von Süditalien Neapel mit seiner Um¬
gebung bis Miseno, Capri und Pästum. Ohne besondre wissenschaftliche Zwecke
bin ich ins Land gegangen, nur als ein gebildeter Mann, der nicht nur dem
gewesenen und in seinen Denkmälern noch zu uns sprechenden Italien, sondern
auch dem heutigen, dem lebendigen Italien, das häufig zu kurz kommt, seine
Aufmerksamkeit schenken wollte; ich bin allein gereist, ohne Begleitung, mit
dem ehrlichen Bestreben, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und dem Volkstum
gerecht zu werden, gerecht dadurch, daß ich ohne Vorurteile und Voreingenommen¬
heit hinging und mich bemühte, dort mit den Italienern zu leben und nicht
überallhin meine deutschen Gewohnheiten und Bedürfnisse mitzuschleppen.

Das alles scheint selbstverständlich und wird doch oft sehr wenig beachtet.
Die Ausländer, die heute die Hauptmasse der nordischen Welschlandfahrer
bilden, sind die Engländer und die Deutschen. Die Engländer bringen überall
ihre nationalen Sitten mit hin, sie wohnen nnr in Hotels von englischer Art,
haben auch, weil es ihnen nicht an den nötigen Mitteln fehlt, solche überall
eingerichtet, nicht nur in großen Mittelpunkten, wie Florenz, Rom und Neapel,
sondern auch in abliegenden, aber schön gelegnen Orten, wie Perugia, sie wollen
von ihren alltäglichen Bedürfnissen nichts entbehren vom Lunch bis zum lips-
0'v1ve,1i>t,eÄ, haben ihre eignen Zeitungen (in Florenz die Morsnos ^is^of, in
Rom den Lowan Hsralö) und ihre Kirchen, finden zuweilen auch, z. B. in
Rom, Geschäfte mit ausschließlich englischen Artikeln und Theehäuser mit eng¬
lischem Gebäck, sprechen neben ihrem Englisch gewöhnlich höchstens noch Fran¬
zösisch, selten Italienisch und siud geneigt, überall wie die Herren aufzutreten,
auch wenn sichs darum handelt, umfängliches Handgepäck im Kupee so unter¬
zubringen, daß zwei Menschen so ziemlich den ganzen Platz belegen. In Summa,
eine Nation, deren Angehörige sich von allen selbstgenügsam abschließen und
vielleicht am wenigsten geeignet sind, ein Verhältnis zu den Italienern zu ge¬
winnen. Auch unsrer deutschen Landsleute freut man sich in Italien nicht
immer. Zahlreich genug waren sie in diesem Frühjahr; um Ostern hörte man
in Rom in den Museen und Kirchen zuweilen fast nur Deutsch sprechen, und
als die große Flut abgelaufen war, traf ein starker Pilgerzng aus dein
Nassauischen dort ein, Männlein und Weiblein, Priester und Laien, die unter
mehr oder weniger sachverständiger Führung eifrig die Kirchen besuchten und
auf dem Monte Testaccio die Aussicht bewunderten. Ziemlich zahlreich aber
sind leider die deutschen Reisenden, die am besten thäten, gar nicht nach Italien
zu gehen, oder sich höchstens auf die internationale Riviera zu beschränken,
Leute aus unserm Mittelstande ohne die nötigste Vorbildung, ohne Sprach¬
kenntnis, ohne jede Fähigkeit und Neigung, das eigentümliche Volkstum, in¬
mitten dessen sie auf einige Wochen leben, zu verstehen, nnr zu sehr geneigt,


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[0515] Italienische Lindrücke ltalien die Linie von Bologna über Florenz, Perugia, Assisi, Spoleto, Temi und Narni nach Rom und rückwärts längs der Küste über Civitaveechia und Orbe- tello nach Pisa, Lucca und Pistoja, von Süditalien Neapel mit seiner Um¬ gebung bis Miseno, Capri und Pästum. Ohne besondre wissenschaftliche Zwecke bin ich ins Land gegangen, nur als ein gebildeter Mann, der nicht nur dem gewesenen und in seinen Denkmälern noch zu uns sprechenden Italien, sondern auch dem heutigen, dem lebendigen Italien, das häufig zu kurz kommt, seine Aufmerksamkeit schenken wollte; ich bin allein gereist, ohne Begleitung, mit dem ehrlichen Bestreben, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und dem Volkstum gerecht zu werden, gerecht dadurch, daß ich ohne Vorurteile und Voreingenommen¬ heit hinging und mich bemühte, dort mit den Italienern zu leben und nicht überallhin meine deutschen Gewohnheiten und Bedürfnisse mitzuschleppen. Das alles scheint selbstverständlich und wird doch oft sehr wenig beachtet. Die Ausländer, die heute die Hauptmasse der nordischen Welschlandfahrer bilden, sind die Engländer und die Deutschen. Die Engländer bringen überall ihre nationalen Sitten mit hin, sie wohnen nnr in Hotels von englischer Art, haben auch, weil es ihnen nicht an den nötigen Mitteln fehlt, solche überall eingerichtet, nicht nur in großen Mittelpunkten, wie Florenz, Rom und Neapel, sondern auch in abliegenden, aber schön gelegnen Orten, wie Perugia, sie wollen von ihren alltäglichen Bedürfnissen nichts entbehren vom Lunch bis zum lips- 0'v1ve,1i>t,eÄ, haben ihre eignen Zeitungen (in Florenz die Morsnos ^is^of, in Rom den Lowan Hsralö) und ihre Kirchen, finden zuweilen auch, z. B. in Rom, Geschäfte mit ausschließlich englischen Artikeln und Theehäuser mit eng¬ lischem Gebäck, sprechen neben ihrem Englisch gewöhnlich höchstens noch Fran¬ zösisch, selten Italienisch und siud geneigt, überall wie die Herren aufzutreten, auch wenn sichs darum handelt, umfängliches Handgepäck im Kupee so unter¬ zubringen, daß zwei Menschen so ziemlich den ganzen Platz belegen. In Summa, eine Nation, deren Angehörige sich von allen selbstgenügsam abschließen und vielleicht am wenigsten geeignet sind, ein Verhältnis zu den Italienern zu ge¬ winnen. Auch unsrer deutschen Landsleute freut man sich in Italien nicht immer. Zahlreich genug waren sie in diesem Frühjahr; um Ostern hörte man in Rom in den Museen und Kirchen zuweilen fast nur Deutsch sprechen, und als die große Flut abgelaufen war, traf ein starker Pilgerzng aus dein Nassauischen dort ein, Männlein und Weiblein, Priester und Laien, die unter mehr oder weniger sachverständiger Führung eifrig die Kirchen besuchten und auf dem Monte Testaccio die Aussicht bewunderten. Ziemlich zahlreich aber sind leider die deutschen Reisenden, die am besten thäten, gar nicht nach Italien zu gehen, oder sich höchstens auf die internationale Riviera zu beschränken, Leute aus unserm Mittelstande ohne die nötigste Vorbildung, ohne Sprach¬ kenntnis, ohne jede Fähigkeit und Neigung, das eigentümliche Volkstum, in¬ mitten dessen sie auf einige Wochen leben, zu verstehen, nnr zu sehr geneigt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/515>, abgerufen am 22.12.2024.