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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

Parteien, im Strafprozeß dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft die
Befugnis, Thatsachen vorzubringen, die im einzelnen Fall aus besondern
Gründen eine Vereidigung des Zeugen oder Sachverständigen zweckmäßig er¬
scheinen lassen. Aber dem Gericht übertrage man auch hierüber die Ent¬
scheidung nach freiem, pflichtmäßigem Ermessen. Weist es die vorgebrachten
Gründe zurück, dann steht ohnehin die Berufung offen, wo auch dieser Punkt
nachgeprüft werden kann und soll. Es ist bei Einbringung der Umsturzvorlage
und auch bei andrer Gelegenheit soviel davon die Rede gewesen und von der
Regierung darauf hingewiesen worden, man möge Vertrauen zu unserm Nichter-
stande beiden: hier ist die Stelle, wo sie zeigen kann, ob sie selbst Vertrauen
zu ihm hat, ein Vertrauen, durch das, ohne schwer errungne Rechte und Frei¬
heiten des Volkes zu gefährde", die Heiligkeit des Eides gehoben und ein
nicht scharf genug zu verurteilender Mißbrauch, der mit dem Namen Gottes
und dadurch mit der Religion getrieben wird, wenigstens eingeschränkt würde.

Denn für zahllose Fälle würde dadurch zunächst der Eid gespart werden;
je seltener er aber wird, um so mehr wird seine Bedeutung und die Sehen vor
seiner Verletzung steigen. Zugleich werden die Erfahrungen, die man auf diese
Weise sammelt, eine sichere Handhabe bieten, ob es sich empfiehlt, auf dem
betretenen Wege weiterzugehen und auch den Parteieid zu beseitigen oder nicht.
Will man auch dann noch schrittweise vorgehen, dann kann man diesen ja
zunächst für die geringern Sachen -- etwa für die innerhalb der Zuständigkeit
der Amtsgerichte liegenden -- beseitigen und später erst auch für die wich¬
tigern Rechtsstreitigkeiten, die den höhern Gerichten überwiesen sind.

"Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg," und hier ist ein Weg, den
zu betreten wahrlich kein Wagnis ist. Wer aufruft zum Kampfe für die
Religion, der gehe hier voran!




Italienische Gindrücke

er Leser befürchte nicht, in diesen Blättern eine Reisebeschreibung
auf Grund von Bädeker oder Gsell-Fels zu erhalten. Ich be¬
absichtige nur, einige Eindrücke wiederzugeben, die ich während
einer Reihe von Wochen von Land und Volk empfangen habe,
unbekümmert darum, was andre Leute darüber gesagt haben.
Sie beschränken sich auf einige Teile des Landes, wollen also auch nur für
diese gelten. Ich habe vou Oberitalien nur deu Osten gesehen, von Mittel-


Italienische Eindrücke

Parteien, im Strafprozeß dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft die
Befugnis, Thatsachen vorzubringen, die im einzelnen Fall aus besondern
Gründen eine Vereidigung des Zeugen oder Sachverständigen zweckmäßig er¬
scheinen lassen. Aber dem Gericht übertrage man auch hierüber die Ent¬
scheidung nach freiem, pflichtmäßigem Ermessen. Weist es die vorgebrachten
Gründe zurück, dann steht ohnehin die Berufung offen, wo auch dieser Punkt
nachgeprüft werden kann und soll. Es ist bei Einbringung der Umsturzvorlage
und auch bei andrer Gelegenheit soviel davon die Rede gewesen und von der
Regierung darauf hingewiesen worden, man möge Vertrauen zu unserm Nichter-
stande beiden: hier ist die Stelle, wo sie zeigen kann, ob sie selbst Vertrauen
zu ihm hat, ein Vertrauen, durch das, ohne schwer errungne Rechte und Frei¬
heiten des Volkes zu gefährde», die Heiligkeit des Eides gehoben und ein
nicht scharf genug zu verurteilender Mißbrauch, der mit dem Namen Gottes
und dadurch mit der Religion getrieben wird, wenigstens eingeschränkt würde.

Denn für zahllose Fälle würde dadurch zunächst der Eid gespart werden;
je seltener er aber wird, um so mehr wird seine Bedeutung und die Sehen vor
seiner Verletzung steigen. Zugleich werden die Erfahrungen, die man auf diese
Weise sammelt, eine sichere Handhabe bieten, ob es sich empfiehlt, auf dem
betretenen Wege weiterzugehen und auch den Parteieid zu beseitigen oder nicht.
Will man auch dann noch schrittweise vorgehen, dann kann man diesen ja
zunächst für die geringern Sachen — etwa für die innerhalb der Zuständigkeit
der Amtsgerichte liegenden — beseitigen und später erst auch für die wich¬
tigern Rechtsstreitigkeiten, die den höhern Gerichten überwiesen sind.

„Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg," und hier ist ein Weg, den
zu betreten wahrlich kein Wagnis ist. Wer aufruft zum Kampfe für die
Religion, der gehe hier voran!




Italienische Gindrücke

er Leser befürchte nicht, in diesen Blättern eine Reisebeschreibung
auf Grund von Bädeker oder Gsell-Fels zu erhalten. Ich be¬
absichtige nur, einige Eindrücke wiederzugeben, die ich während
einer Reihe von Wochen von Land und Volk empfangen habe,
unbekümmert darum, was andre Leute darüber gesagt haben.
Sie beschränken sich auf einige Teile des Landes, wollen also auch nur für
diese gelten. Ich habe vou Oberitalien nur deu Osten gesehen, von Mittel-


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[0514] Italienische Eindrücke Parteien, im Strafprozeß dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft die Befugnis, Thatsachen vorzubringen, die im einzelnen Fall aus besondern Gründen eine Vereidigung des Zeugen oder Sachverständigen zweckmäßig er¬ scheinen lassen. Aber dem Gericht übertrage man auch hierüber die Ent¬ scheidung nach freiem, pflichtmäßigem Ermessen. Weist es die vorgebrachten Gründe zurück, dann steht ohnehin die Berufung offen, wo auch dieser Punkt nachgeprüft werden kann und soll. Es ist bei Einbringung der Umsturzvorlage und auch bei andrer Gelegenheit soviel davon die Rede gewesen und von der Regierung darauf hingewiesen worden, man möge Vertrauen zu unserm Nichter- stande beiden: hier ist die Stelle, wo sie zeigen kann, ob sie selbst Vertrauen zu ihm hat, ein Vertrauen, durch das, ohne schwer errungne Rechte und Frei¬ heiten des Volkes zu gefährde», die Heiligkeit des Eides gehoben und ein nicht scharf genug zu verurteilender Mißbrauch, der mit dem Namen Gottes und dadurch mit der Religion getrieben wird, wenigstens eingeschränkt würde. Denn für zahllose Fälle würde dadurch zunächst der Eid gespart werden; je seltener er aber wird, um so mehr wird seine Bedeutung und die Sehen vor seiner Verletzung steigen. Zugleich werden die Erfahrungen, die man auf diese Weise sammelt, eine sichere Handhabe bieten, ob es sich empfiehlt, auf dem betretenen Wege weiterzugehen und auch den Parteieid zu beseitigen oder nicht. Will man auch dann noch schrittweise vorgehen, dann kann man diesen ja zunächst für die geringern Sachen — etwa für die innerhalb der Zuständigkeit der Amtsgerichte liegenden — beseitigen und später erst auch für die wich¬ tigern Rechtsstreitigkeiten, die den höhern Gerichten überwiesen sind. „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg," und hier ist ein Weg, den zu betreten wahrlich kein Wagnis ist. Wer aufruft zum Kampfe für die Religion, der gehe hier voran! Italienische Gindrücke er Leser befürchte nicht, in diesen Blättern eine Reisebeschreibung auf Grund von Bädeker oder Gsell-Fels zu erhalten. Ich be¬ absichtige nur, einige Eindrücke wiederzugeben, die ich während einer Reihe von Wochen von Land und Volk empfangen habe, unbekümmert darum, was andre Leute darüber gesagt haben. Sie beschränken sich auf einige Teile des Landes, wollen also auch nur für diese gelten. Ich habe vou Oberitalien nur deu Osten gesehen, von Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/514>, abgerufen am 26.08.2024.