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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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alles, was dort anders ist als daheim, schlechter zu finden. Sie räsonniren über
Bettelei und Faulheit, über Schmutz und Tierquälerei, über hohe Preise und Über¬
vorteilung und sind außer sich, wenn sie abends nicht ihren gewohnten Schoppen
trinken können, oder wenn sie ihn wenigstens doppelt so hoch bezahlen müssen
wie zu Hause. Das, was sie suchen, finden sie nicht, und das, was sie finden,
sehen sie nicht, einfach, weil sie zu unwissend sind. In Florenz traf ich
einmal einen Geschäftsmann aus Sachsen, Inhaber einer bekannten Firma.
Der Manu war seit ein paar Stunden da, und zwar bei Regenwetter, sah an
Florenz nichts besondres, begriff nicht, wie man Dresden Elbflorenz nennen
könne, da dies doch eine ganz andre Stadt sei, fand an dem Dome nichts
weiter bemerkenswert als die Raumverschwendung, vermißte die Industrie,
wollte auch nach so niederdrückenden Erfahrungen gleich am nächsten Nachmittag
wieder abreisen, und fragte mich nur noch, ob in Bologna "was los" sei.
"Nein, sagte ich ihm wohlmeinend, in Bologna ist für Sie nichts los; die
beiden schiefen Türme sehen aus wie hohe Fabrikessen, und die können Sie auch
von der Bahn aus sehen; fahren Sie nur gleich durch bis Venedig." Das
hat er dann auch gethan. Als ich später an einem wundervollen Tage auf
dem Dampfschiff von der Blauen Grotte längs der steilen Felswände nach
der Marina (Hafen) von Capri fuhr, und die malerische Gestalt der Insel immer
mehr hervortrat, da unterhielt mich eine Berlinerin von teuern Preisen und
nahm sich vor, bei der Landung nicht den "kostspieligen" Hotelomnibus zu be¬
nutzen, sondern mit einem Droschkenkutscher zu handeln (was ihr auch wirklich
25 Centesimi ersparte), und dieselbe Dame ärgerte sich.am nächsten Morgen auf
der Villa des Tiberius über die überall aufgestellten Vogelfallen so, daß sie gar
keinen Sinn für die Aussicht hatte und sich die Laune gänzlich verdarb. Wes¬
halb gehen solche Leute nach Italien? Nur, "um darüber mitsprechen zu können."
Hinterher wird dann am Bier- oder Kaffeetisch der Stab über Italien und
die Italiener gebrochen und etwaige Einwände mit dem siegreichen: "Wir sind
dort gewesen" abgewiesen. Wie oft habe ich an Frau Wilhelmine Buchholz
denken müssen, und die ist immer noch besser als manche meiner Reisebekannt¬
schaften. Unter den wissenschaftlich gebildeten Reisenden kommt jetzt auch eine
neue nicht immer erfreuliche Gattung vor, Studenten der Kunstgeschichte, die
von "ihrem Professor" dorthin geschickt werden, um irgend welche Kunstwerke
näher zu studiren. Einer hat mich wirklich gedauert, weil er vou der Freude
und Erhebung, die ich empfand, so gar nichts fühlte, sondern eben die Sache
als ein aufgetragnes Geschüft betrachtete, das erledigt werden müßte wie jedes
andre. Und der Jüngling war zum erstenmale in Florenz!

Es versteht sich von selbst, daß derartige Erfahrungen mit deutschen
Landsleuten keineswegs die einzigen waren, daß im Gegenteil sehr viele Deutsche,
und zwar nicht nur "studirte" Leute, sehr wohl wissen, wie man in Italien
mit Genuß und Gewinn reisen soll. Ich erinnere mich z. B. mit besonderm


alles, was dort anders ist als daheim, schlechter zu finden. Sie räsonniren über
Bettelei und Faulheit, über Schmutz und Tierquälerei, über hohe Preise und Über¬
vorteilung und sind außer sich, wenn sie abends nicht ihren gewohnten Schoppen
trinken können, oder wenn sie ihn wenigstens doppelt so hoch bezahlen müssen
wie zu Hause. Das, was sie suchen, finden sie nicht, und das, was sie finden,
sehen sie nicht, einfach, weil sie zu unwissend sind. In Florenz traf ich
einmal einen Geschäftsmann aus Sachsen, Inhaber einer bekannten Firma.
Der Manu war seit ein paar Stunden da, und zwar bei Regenwetter, sah an
Florenz nichts besondres, begriff nicht, wie man Dresden Elbflorenz nennen
könne, da dies doch eine ganz andre Stadt sei, fand an dem Dome nichts
weiter bemerkenswert als die Raumverschwendung, vermißte die Industrie,
wollte auch nach so niederdrückenden Erfahrungen gleich am nächsten Nachmittag
wieder abreisen, und fragte mich nur noch, ob in Bologna „was los" sei.
„Nein, sagte ich ihm wohlmeinend, in Bologna ist für Sie nichts los; die
beiden schiefen Türme sehen aus wie hohe Fabrikessen, und die können Sie auch
von der Bahn aus sehen; fahren Sie nur gleich durch bis Venedig." Das
hat er dann auch gethan. Als ich später an einem wundervollen Tage auf
dem Dampfschiff von der Blauen Grotte längs der steilen Felswände nach
der Marina (Hafen) von Capri fuhr, und die malerische Gestalt der Insel immer
mehr hervortrat, da unterhielt mich eine Berlinerin von teuern Preisen und
nahm sich vor, bei der Landung nicht den „kostspieligen" Hotelomnibus zu be¬
nutzen, sondern mit einem Droschkenkutscher zu handeln (was ihr auch wirklich
25 Centesimi ersparte), und dieselbe Dame ärgerte sich.am nächsten Morgen auf
der Villa des Tiberius über die überall aufgestellten Vogelfallen so, daß sie gar
keinen Sinn für die Aussicht hatte und sich die Laune gänzlich verdarb. Wes¬
halb gehen solche Leute nach Italien? Nur, „um darüber mitsprechen zu können."
Hinterher wird dann am Bier- oder Kaffeetisch der Stab über Italien und
die Italiener gebrochen und etwaige Einwände mit dem siegreichen: „Wir sind
dort gewesen" abgewiesen. Wie oft habe ich an Frau Wilhelmine Buchholz
denken müssen, und die ist immer noch besser als manche meiner Reisebekannt¬
schaften. Unter den wissenschaftlich gebildeten Reisenden kommt jetzt auch eine
neue nicht immer erfreuliche Gattung vor, Studenten der Kunstgeschichte, die
von „ihrem Professor" dorthin geschickt werden, um irgend welche Kunstwerke
näher zu studiren. Einer hat mich wirklich gedauert, weil er vou der Freude
und Erhebung, die ich empfand, so gar nichts fühlte, sondern eben die Sache
als ein aufgetragnes Geschüft betrachtete, das erledigt werden müßte wie jedes
andre. Und der Jüngling war zum erstenmale in Florenz!

Es versteht sich von selbst, daß derartige Erfahrungen mit deutschen
Landsleuten keineswegs die einzigen waren, daß im Gegenteil sehr viele Deutsche,
und zwar nicht nur „studirte" Leute, sehr wohl wissen, wie man in Italien
mit Genuß und Gewinn reisen soll. Ich erinnere mich z. B. mit besonderm


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[0516] alles, was dort anders ist als daheim, schlechter zu finden. Sie räsonniren über Bettelei und Faulheit, über Schmutz und Tierquälerei, über hohe Preise und Über¬ vorteilung und sind außer sich, wenn sie abends nicht ihren gewohnten Schoppen trinken können, oder wenn sie ihn wenigstens doppelt so hoch bezahlen müssen wie zu Hause. Das, was sie suchen, finden sie nicht, und das, was sie finden, sehen sie nicht, einfach, weil sie zu unwissend sind. In Florenz traf ich einmal einen Geschäftsmann aus Sachsen, Inhaber einer bekannten Firma. Der Manu war seit ein paar Stunden da, und zwar bei Regenwetter, sah an Florenz nichts besondres, begriff nicht, wie man Dresden Elbflorenz nennen könne, da dies doch eine ganz andre Stadt sei, fand an dem Dome nichts weiter bemerkenswert als die Raumverschwendung, vermißte die Industrie, wollte auch nach so niederdrückenden Erfahrungen gleich am nächsten Nachmittag wieder abreisen, und fragte mich nur noch, ob in Bologna „was los" sei. „Nein, sagte ich ihm wohlmeinend, in Bologna ist für Sie nichts los; die beiden schiefen Türme sehen aus wie hohe Fabrikessen, und die können Sie auch von der Bahn aus sehen; fahren Sie nur gleich durch bis Venedig." Das hat er dann auch gethan. Als ich später an einem wundervollen Tage auf dem Dampfschiff von der Blauen Grotte längs der steilen Felswände nach der Marina (Hafen) von Capri fuhr, und die malerische Gestalt der Insel immer mehr hervortrat, da unterhielt mich eine Berlinerin von teuern Preisen und nahm sich vor, bei der Landung nicht den „kostspieligen" Hotelomnibus zu be¬ nutzen, sondern mit einem Droschkenkutscher zu handeln (was ihr auch wirklich 25 Centesimi ersparte), und dieselbe Dame ärgerte sich.am nächsten Morgen auf der Villa des Tiberius über die überall aufgestellten Vogelfallen so, daß sie gar keinen Sinn für die Aussicht hatte und sich die Laune gänzlich verdarb. Wes¬ halb gehen solche Leute nach Italien? Nur, „um darüber mitsprechen zu können." Hinterher wird dann am Bier- oder Kaffeetisch der Stab über Italien und die Italiener gebrochen und etwaige Einwände mit dem siegreichen: „Wir sind dort gewesen" abgewiesen. Wie oft habe ich an Frau Wilhelmine Buchholz denken müssen, und die ist immer noch besser als manche meiner Reisebekannt¬ schaften. Unter den wissenschaftlich gebildeten Reisenden kommt jetzt auch eine neue nicht immer erfreuliche Gattung vor, Studenten der Kunstgeschichte, die von „ihrem Professor" dorthin geschickt werden, um irgend welche Kunstwerke näher zu studiren. Einer hat mich wirklich gedauert, weil er vou der Freude und Erhebung, die ich empfand, so gar nichts fühlte, sondern eben die Sache als ein aufgetragnes Geschüft betrachtete, das erledigt werden müßte wie jedes andre. Und der Jüngling war zum erstenmale in Florenz! Es versteht sich von selbst, daß derartige Erfahrungen mit deutschen Landsleuten keineswegs die einzigen waren, daß im Gegenteil sehr viele Deutsche, und zwar nicht nur „studirte" Leute, sehr wohl wissen, wie man in Italien mit Genuß und Gewinn reisen soll. Ich erinnere mich z. B. mit besonderm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/516>, abgerufen am 26.08.2024.