Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Der gerichtliche Lid Recht. In einer gar nicht mißzuverstehender Weise wird hier die Entschei¬ Wenn uns heutzutage eine derartige Hereinziehung der Gottheit in den Wie der römische Bürger sein besondres Recht, sein ^jus eivils hatte, ver¬ Ein wesentlicher Grundzug aller Volksgemeinschaft aber ist ursprünglich Grenzboten II 1395 63
Der gerichtliche Lid Recht. In einer gar nicht mißzuverstehender Weise wird hier die Entschei¬ Wenn uns heutzutage eine derartige Hereinziehung der Gottheit in den Wie der römische Bürger sein besondres Recht, sein ^jus eivils hatte, ver¬ Ein wesentlicher Grundzug aller Volksgemeinschaft aber ist ursprünglich Grenzboten II 1395 63
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Der gerichtliche Lid
Recht. In einer gar nicht mißzuverstehender Weise wird hier die Entschei¬
dung über die Richtigkeit des Urteils des Königsgerichts in die Hand der
Gottheit als einer noch höhern Instanz gelegt. Erst der mit dem Ausgange
des Mittelalters vollendete Sieg des römischen und kanonischen Rechts über
das volkstümliche beseitigte vollständig den gerichtlichen Zweikampf.
Wenn uns heutzutage eine derartige Hereinziehung der Gottheit in den
Rechtsstreit, wie sie der altrömische und der ältere deutsche Prozeß zeigen,
fremdartig, ja unverständlich ist, so rührt das daher, daß uns fast ganz das
Gefühl dafür abhanden gekommen ist, was von Haus aus das wahrhaft Natür¬
liche und jedenfalls der Ausgangspunkt jeder Nechtsentwicklung ist: daß näm¬
lich die Rechtsgenossenschaft sich auf die Volksgemeinschaft beschränkt, und diese
wieder ursprünglich und vor anderm religiöse Gemeinschaft ist.
Wie der römische Bürger sein besondres Recht, sein ^jus eivils hatte, ver¬
möge dessen nur er eine nach römischen Begriffen wirksame Ehe eingehen, nur
er Eigentum auf bestimmte Arten erwerben konnte, die es vor römischem Ge¬
richt gegen Anfechtung schützten, wie erst spät die Anerkennung eines neben
diesem Ms civile- hergehenden internationalen Rechts, des ^us gsntinnr als einer
auch für Rom und römische Gerichte wirksamen Rechtsquelle erfolgte, so be¬
stand auch in Deutschland bis ins Mittelalter hinein der Grundsatz der soge¬
nannten Personalität der Rechte, d. h. das Recht bezog sich (wenigstens
ursprünglich) nicht auf einen bestimmten Bezirk und erst vermöge dessen auf
die Inwohner dieses Bezirks, sondern es bezog sich auf einen Stamm und
dessen Angehörige, uicht auch auf die zu einem fremden Volke gehörigen, die
sich in dem Gebiete jenes Stammes vorübergehend oder dauernd aufhielten.
Darum beginnt noch der Sachsenspiegel damit, die Grafen, Freiherren und
schöffenbar Freien im Lande Sachsen aufzuzählen, die nicht sächsischer Herkunft
und deshalb auch nicht sächsischen Rechts, sondern Schwaben oder Franken sind.
Ein wesentlicher Grundzug aller Volksgemeinschaft aber ist ursprünglich
und vor allem auch religiöse Gemeinschaft, gemeinsame Verehrung der Gott¬
heit. So war es jahrhundertelang im altrömischen Bauernstaat, so war es
auch von Alters her in Deutschland. Noch in der Reformationszeit zeigt sich,
wie kräftig der alte Gedanke die Geister beherrschte, daß die staatliche Gemein¬
schaft, die mit dem Ausgange des Mittelalters an die Stelle der alten Volks¬
genossenschaft getreten war, auch eine einheitliche Religionsgenossenschaft voraus¬
setze. Ist auch der Grundsatz: Ousns rsZio, e-sus rsliZio zunächst und der
Form nach nur ein Ausfluß des absolutistisch-despotischen Fürstentums, so gilt
er doch in der Sache selbst nicht bloß in den Fürstentümern, sondern wird
ebenso in den freien Reichsstädten, ja selbst in den freien Kantonen der Schweiz
durchgeführt oder doch durchzuführen gesucht. Erst der westfälische Friede
lockerte diese kirchliche Einheit der einzelnen Staaten für die seit 1624 und
namentlich durch den Frieden selbst eingetretnen Gebietserweiterungen; die Auf-
Grenzboten II 1395 63
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