von der Gottheit auszugehen scheine, so weist uns diese Angabe auch hier auf das religiöse Gebiet als den Ursprung des Rechts hin. Auch für die nord¬ germanischen Stämme ist durch die Berichte über die Anfänge des isländischen Staatswesens, die uns bis in die Einzelheiten hinein genau überliefert sind, der ursprüngliche enge Zusammenhang zwischen der Staats- und Gerichts¬ verfassung einerseits und dem Priestertum und dem Dienst der Götter andrer¬ seits nachgewiesen.
Verfolgt man die Nechtsentwickluug von solchen Anfängen an bis zur Gegenwart, so stellt sich als ein Grundzug der Entwicklung die zunehmende Verweltlichung des Rechts dar. Ganz dem entsprechend tritt much auf dem Gebiete des Prozesses die Beziehung zur Gottheit um so stärker in den Vorder¬ grund, je weiter wir zurückgehen.
Die älteste Klageform des römischen Rechts ist die sogenannte Isg'is actio xer L^omllisnwin. Sie hat ihren Namen davon, daß bei Beginn des Pro¬ zesses der Kläger und, wenn er sich auf den Prozeß einlassen wollte, auch der Beklagte im Tempel eine Summe -- das 8g.orain6uwnr -- hinterlegen mußten. Vor den Göttern selbst wurde so gewissermaßen der Rechtsstreit ausgetragen, sie waren die Urteiler, und wer den Prozeß verlor, dessen 8Äoriuri"ziituirr fiel als Buße und zugleich als Entschädigung für ihre Mühewaltung beim Prozeß den Göttern zu. Nicht der Staat, das a<zrg,riuin, sondern die Götter erhoben also die Prozeßkvsten.
Auch bei unsern Vorfahren war der Glaube lebendig, daß der Gang des Rechtsstreits unter der Obhut der Gottheit stehe, und in ihrer Hand die Ent¬ scheidung ruhe. Es genügt, zum Beleg dafür auf eine allbekannte Einrichtung hinzuweisen, deren Name schon diesen Glaube" deutlich kundthut: auf die Gottesurteile. Bereits die ältesten deutschen Volksrechte erwähnen sie; das west¬ gotische, das salfrünkische, das sächsische kennen den gerichtlichen Zweikampf, das salfrünkische den sogenannten Kesselfcmg, das rheinfränkische die Feuer¬ probe. Nach der Bekehrung zum Christentum kamen auch besondre christliche Arten von Gottesurteilen auf: die Nbendmahlsprobe (auch die Probe des ge¬ weihten Bissens genannt) und die Kreuzesprobe. Der Einfluß der Kirche drängte zwar diese alte Nechtssitte nach und nach zurück, doch bestand das Gottes¬ urteil des gerichtlichen Zweikampfs noch bis in das späte Mittelalter. Einen besondern Fall dieser Art erwähnen der Sachsenspiegel und der Schwaben¬ spiegel als ein besondres Recht, das die Sachsen behalten hätten wider Karls des Großen Willen: ein Sachse hatte das Recht, auch noch das Urteil des höchsten Richters, das vom Königsgericht im Sachsenland gefundne, zu "schelten" (als unrichtig zu bezeichnen) und die Entscheidung des Rechtsstreits (wie sich die Rechtsbücher ausdrücken) "an seine rechte Hand und die meiste Menge zu ziehen." Der Scheltende mußte dann selbsiebent gegen sieben Mann der Gegen¬ partei fechten; der, auf dessen Seite die größere Anzahl Sieger waren, behielt
Der gerichtliche Lid
von der Gottheit auszugehen scheine, so weist uns diese Angabe auch hier auf das religiöse Gebiet als den Ursprung des Rechts hin. Auch für die nord¬ germanischen Stämme ist durch die Berichte über die Anfänge des isländischen Staatswesens, die uns bis in die Einzelheiten hinein genau überliefert sind, der ursprüngliche enge Zusammenhang zwischen der Staats- und Gerichts¬ verfassung einerseits und dem Priestertum und dem Dienst der Götter andrer¬ seits nachgewiesen.
Verfolgt man die Nechtsentwickluug von solchen Anfängen an bis zur Gegenwart, so stellt sich als ein Grundzug der Entwicklung die zunehmende Verweltlichung des Rechts dar. Ganz dem entsprechend tritt much auf dem Gebiete des Prozesses die Beziehung zur Gottheit um so stärker in den Vorder¬ grund, je weiter wir zurückgehen.
Die älteste Klageform des römischen Rechts ist die sogenannte Isg'is actio xer L^omllisnwin. Sie hat ihren Namen davon, daß bei Beginn des Pro¬ zesses der Kläger und, wenn er sich auf den Prozeß einlassen wollte, auch der Beklagte im Tempel eine Summe — das 8g.orain6uwnr — hinterlegen mußten. Vor den Göttern selbst wurde so gewissermaßen der Rechtsstreit ausgetragen, sie waren die Urteiler, und wer den Prozeß verlor, dessen 8Äoriuri«ziituirr fiel als Buße und zugleich als Entschädigung für ihre Mühewaltung beim Prozeß den Göttern zu. Nicht der Staat, das a<zrg,riuin, sondern die Götter erhoben also die Prozeßkvsten.
Auch bei unsern Vorfahren war der Glaube lebendig, daß der Gang des Rechtsstreits unter der Obhut der Gottheit stehe, und in ihrer Hand die Ent¬ scheidung ruhe. Es genügt, zum Beleg dafür auf eine allbekannte Einrichtung hinzuweisen, deren Name schon diesen Glaube« deutlich kundthut: auf die Gottesurteile. Bereits die ältesten deutschen Volksrechte erwähnen sie; das west¬ gotische, das salfrünkische, das sächsische kennen den gerichtlichen Zweikampf, das salfrünkische den sogenannten Kesselfcmg, das rheinfränkische die Feuer¬ probe. Nach der Bekehrung zum Christentum kamen auch besondre christliche Arten von Gottesurteilen auf: die Nbendmahlsprobe (auch die Probe des ge¬ weihten Bissens genannt) und die Kreuzesprobe. Der Einfluß der Kirche drängte zwar diese alte Nechtssitte nach und nach zurück, doch bestand das Gottes¬ urteil des gerichtlichen Zweikampfs noch bis in das späte Mittelalter. Einen besondern Fall dieser Art erwähnen der Sachsenspiegel und der Schwaben¬ spiegel als ein besondres Recht, das die Sachsen behalten hätten wider Karls des Großen Willen: ein Sachse hatte das Recht, auch noch das Urteil des höchsten Richters, das vom Königsgericht im Sachsenland gefundne, zu „schelten" (als unrichtig zu bezeichnen) und die Entscheidung des Rechtsstreits (wie sich die Rechtsbücher ausdrücken) „an seine rechte Hand und die meiste Menge zu ziehen." Der Scheltende mußte dann selbsiebent gegen sieben Mann der Gegen¬ partei fechten; der, auf dessen Seite die größere Anzahl Sieger waren, behielt
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Der gerichtliche Lid
von der Gottheit auszugehen scheine, so weist uns diese Angabe auch hier auf
das religiöse Gebiet als den Ursprung des Rechts hin. Auch für die nord¬
germanischen Stämme ist durch die Berichte über die Anfänge des isländischen
Staatswesens, die uns bis in die Einzelheiten hinein genau überliefert sind,
der ursprüngliche enge Zusammenhang zwischen der Staats- und Gerichts¬
verfassung einerseits und dem Priestertum und dem Dienst der Götter andrer¬
seits nachgewiesen.
Verfolgt man die Nechtsentwickluug von solchen Anfängen an bis zur
Gegenwart, so stellt sich als ein Grundzug der Entwicklung die zunehmende
Verweltlichung des Rechts dar. Ganz dem entsprechend tritt much auf dem
Gebiete des Prozesses die Beziehung zur Gottheit um so stärker in den Vorder¬
grund, je weiter wir zurückgehen.
Die älteste Klageform des römischen Rechts ist die sogenannte Isg'is actio
xer L^omllisnwin. Sie hat ihren Namen davon, daß bei Beginn des Pro¬
zesses der Kläger und, wenn er sich auf den Prozeß einlassen wollte, auch der
Beklagte im Tempel eine Summe — das 8g.orain6uwnr — hinterlegen mußten.
Vor den Göttern selbst wurde so gewissermaßen der Rechtsstreit ausgetragen,
sie waren die Urteiler, und wer den Prozeß verlor, dessen 8Äoriuri«ziituirr fiel
als Buße und zugleich als Entschädigung für ihre Mühewaltung beim Prozeß
den Göttern zu. Nicht der Staat, das a<zrg,riuin, sondern die Götter erhoben
also die Prozeßkvsten.
Auch bei unsern Vorfahren war der Glaube lebendig, daß der Gang des
Rechtsstreits unter der Obhut der Gottheit stehe, und in ihrer Hand die Ent¬
scheidung ruhe. Es genügt, zum Beleg dafür auf eine allbekannte Einrichtung
hinzuweisen, deren Name schon diesen Glaube« deutlich kundthut: auf die
Gottesurteile. Bereits die ältesten deutschen Volksrechte erwähnen sie; das west¬
gotische, das salfrünkische, das sächsische kennen den gerichtlichen Zweikampf,
das salfrünkische den sogenannten Kesselfcmg, das rheinfränkische die Feuer¬
probe. Nach der Bekehrung zum Christentum kamen auch besondre christliche
Arten von Gottesurteilen auf: die Nbendmahlsprobe (auch die Probe des ge¬
weihten Bissens genannt) und die Kreuzesprobe. Der Einfluß der Kirche
drängte zwar diese alte Nechtssitte nach und nach zurück, doch bestand das Gottes¬
urteil des gerichtlichen Zweikampfs noch bis in das späte Mittelalter. Einen
besondern Fall dieser Art erwähnen der Sachsenspiegel und der Schwaben¬
spiegel als ein besondres Recht, das die Sachsen behalten hätten wider Karls
des Großen Willen: ein Sachse hatte das Recht, auch noch das Urteil des
höchsten Richters, das vom Königsgericht im Sachsenland gefundne, zu „schelten"
(als unrichtig zu bezeichnen) und die Entscheidung des Rechtsstreits (wie sich
die Rechtsbücher ausdrücken) „an seine rechte Hand und die meiste Menge zu
ziehen." Der Scheltende mußte dann selbsiebent gegen sieben Mann der Gegen¬
partei fechten; der, auf dessen Seite die größere Anzahl Sieger waren, behielt
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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/504>, abgerufen am 30.12.2024.
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