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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Auf der Hohen Salzburg

nsre Zeit steht außer in manchen andern Zeichen in dem der
Vereine. Sie steht nämlich wie jede Zeit in einer beträchtlichen
Anzahl von Zeichen. Wozu sind Vereine da? Die Frage ist
nicht klein. Es läßt sich viel bedeutendes, gedankenschweres
darüber sagen: wie sich die Menschheit dadurch über die Mit¬
geschöpfe erhoben hat, daß sie sich von jeher zu Vereinen zusammengethan hat,
und dergleichen mehr. Nach meiner Meinung haben Vereine jeder Art nur
die Bestimmung, daß Reden in ihnen gehalten werden. Denn alles andre,
singen eingeschlossen, kann der Mensch besser allein -- wenn er es überhaupt
kann. Umgekehrt hält man Reden umso besser, je größer die Zahl der Zu¬
hörer ist; am besten, wenn sich unter dem lieben freien Himmel so viele zu-
sammendrängen, daß niemand etwas andres als vereinzelte, stark hervor-
hobne Kernwörter versteht, als da sind "unentwegt" und das treffliche
"voll und ganz." Vielleicht die angesehensten Vereine von allen sind die Ge-
schichts- und Altertumsvereiue. Es gab eine Zeit, wo Gelehrte seitab von
der Welt saßen, forschten und sannen und viel gutes und wahres erdachten;
aber was kann der Einzelne leisten? Die Panacee ist auch hier der Verein.
Die Leistungen des Einzelnen sind begrenzt, die der Vereine ohne jedes Maß.
So ein Geschichtsverein hat etwas demokratisches, weil hier nicht etwa nur
die Zunftgelehrten, sondern jedermann zu Worte kommt, der kraft seiner ge¬
sellschaftlichen Stellung die nötige Bildung hat und seinen Beitrag bezahlt.
Dies wird dadurch ermöglicht, daß jeder Vortrag rechtzeitig vorher angekün¬
digt werden muß, sodaß sich jeder aus Büchern über den Gegenstand gehörig
unterrichten kaun und keine Überrumpelung zu befürchten hat. Es läßt sich
nicht verkennen, daß diese Art des Geschichtsstudiums etwas ungemein be¬
hagliches hat. Die Vereinsabende unterscheiden sich nur dadurch von den
gewöhnlichen Bierabenden, daß man sich hier über die Erlebnisse und den
guten oder schlechten Ruf von Leuten unterhält, die lange begraben und ver¬
modert sind, während man sich sonst lieber mit den lebendigen Menschen be¬
schäftigt. Ich habe es mit angehört, daß an einem solchen Abend einige
Stunden lang darüber disputirt wurde, ob ein gewisser Herr, der im sech¬
zehnten Jahrhundert Abt eines gewissen Klosters war, den Plan gehabt habe,




Auf der Hohen Salzburg

nsre Zeit steht außer in manchen andern Zeichen in dem der
Vereine. Sie steht nämlich wie jede Zeit in einer beträchtlichen
Anzahl von Zeichen. Wozu sind Vereine da? Die Frage ist
nicht klein. Es läßt sich viel bedeutendes, gedankenschweres
darüber sagen: wie sich die Menschheit dadurch über die Mit¬
geschöpfe erhoben hat, daß sie sich von jeher zu Vereinen zusammengethan hat,
und dergleichen mehr. Nach meiner Meinung haben Vereine jeder Art nur
die Bestimmung, daß Reden in ihnen gehalten werden. Denn alles andre,
singen eingeschlossen, kann der Mensch besser allein — wenn er es überhaupt
kann. Umgekehrt hält man Reden umso besser, je größer die Zahl der Zu¬
hörer ist; am besten, wenn sich unter dem lieben freien Himmel so viele zu-
sammendrängen, daß niemand etwas andres als vereinzelte, stark hervor-
hobne Kernwörter versteht, als da sind „unentwegt" und das treffliche
„voll und ganz." Vielleicht die angesehensten Vereine von allen sind die Ge-
schichts- und Altertumsvereiue. Es gab eine Zeit, wo Gelehrte seitab von
der Welt saßen, forschten und sannen und viel gutes und wahres erdachten;
aber was kann der Einzelne leisten? Die Panacee ist auch hier der Verein.
Die Leistungen des Einzelnen sind begrenzt, die der Vereine ohne jedes Maß.
So ein Geschichtsverein hat etwas demokratisches, weil hier nicht etwa nur
die Zunftgelehrten, sondern jedermann zu Worte kommt, der kraft seiner ge¬
sellschaftlichen Stellung die nötige Bildung hat und seinen Beitrag bezahlt.
Dies wird dadurch ermöglicht, daß jeder Vortrag rechtzeitig vorher angekün¬
digt werden muß, sodaß sich jeder aus Büchern über den Gegenstand gehörig
unterrichten kaun und keine Überrumpelung zu befürchten hat. Es läßt sich
nicht verkennen, daß diese Art des Geschichtsstudiums etwas ungemein be¬
hagliches hat. Die Vereinsabende unterscheiden sich nur dadurch von den
gewöhnlichen Bierabenden, daß man sich hier über die Erlebnisse und den
guten oder schlechten Ruf von Leuten unterhält, die lange begraben und ver¬
modert sind, während man sich sonst lieber mit den lebendigen Menschen be¬
schäftigt. Ich habe es mit angehört, daß an einem solchen Abend einige
Stunden lang darüber disputirt wurde, ob ein gewisser Herr, der im sech¬
zehnten Jahrhundert Abt eines gewissen Klosters war, den Plan gehabt habe,


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[0466] [Abbildung] Auf der Hohen Salzburg nsre Zeit steht außer in manchen andern Zeichen in dem der Vereine. Sie steht nämlich wie jede Zeit in einer beträchtlichen Anzahl von Zeichen. Wozu sind Vereine da? Die Frage ist nicht klein. Es läßt sich viel bedeutendes, gedankenschweres darüber sagen: wie sich die Menschheit dadurch über die Mit¬ geschöpfe erhoben hat, daß sie sich von jeher zu Vereinen zusammengethan hat, und dergleichen mehr. Nach meiner Meinung haben Vereine jeder Art nur die Bestimmung, daß Reden in ihnen gehalten werden. Denn alles andre, singen eingeschlossen, kann der Mensch besser allein — wenn er es überhaupt kann. Umgekehrt hält man Reden umso besser, je größer die Zahl der Zu¬ hörer ist; am besten, wenn sich unter dem lieben freien Himmel so viele zu- sammendrängen, daß niemand etwas andres als vereinzelte, stark hervor- hobne Kernwörter versteht, als da sind „unentwegt" und das treffliche „voll und ganz." Vielleicht die angesehensten Vereine von allen sind die Ge- schichts- und Altertumsvereiue. Es gab eine Zeit, wo Gelehrte seitab von der Welt saßen, forschten und sannen und viel gutes und wahres erdachten; aber was kann der Einzelne leisten? Die Panacee ist auch hier der Verein. Die Leistungen des Einzelnen sind begrenzt, die der Vereine ohne jedes Maß. So ein Geschichtsverein hat etwas demokratisches, weil hier nicht etwa nur die Zunftgelehrten, sondern jedermann zu Worte kommt, der kraft seiner ge¬ sellschaftlichen Stellung die nötige Bildung hat und seinen Beitrag bezahlt. Dies wird dadurch ermöglicht, daß jeder Vortrag rechtzeitig vorher angekün¬ digt werden muß, sodaß sich jeder aus Büchern über den Gegenstand gehörig unterrichten kaun und keine Überrumpelung zu befürchten hat. Es läßt sich nicht verkennen, daß diese Art des Geschichtsstudiums etwas ungemein be¬ hagliches hat. Die Vereinsabende unterscheiden sich nur dadurch von den gewöhnlichen Bierabenden, daß man sich hier über die Erlebnisse und den guten oder schlechten Ruf von Leuten unterhält, die lange begraben und ver¬ modert sind, während man sich sonst lieber mit den lebendigen Menschen be¬ schäftigt. Ich habe es mit angehört, daß an einem solchen Abend einige Stunden lang darüber disputirt wurde, ob ein gewisser Herr, der im sech¬ zehnten Jahrhundert Abt eines gewissen Klosters war, den Plan gehabt habe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/466>, abgerufen am 25.08.2024.