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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Auf der Hohen Salzburg

es einmal bis zur Bischofswürde zu bringen, oder ob ihm solcher Ehrgeiz
fern gelegen habe. Nicht daß die Erörterung dieser Frage zum Verständnis
der Lebensweise und Anschauungen unsrer Ahnen, der Ereignisse der großen
Welt oder der Entwicklung der Kultur irgend etwas hätte beitragen können. Es
wurde alles ängstlich vermieden, was nicht streng sachlich zur Lösung der
wichtigen Frage gehörte, besonders fiel es niemand ein, sich mit jenen
kleinen Zügen zu befassen, die das Leben der Zeit so anschaulich vor
Augen führen; das wäre ja ganz unwissenschaftlich gewesen. Auch die Per¬
sönlichkeiten des Abts und seiner Mönche waren nicht geeignet, irgend welches
menschliche Interesse zu erregen. Was wäre nun damit gewonnen gewesen,
wenn man sich wirklich über die Absichten des seligen Abts geeinigt hätte,
was sich natürlich nur durch Abstimmung hätte erreichen lassen? Ist diese
Art des Geschichtsstudiums irgend etwas andres als die Befriedigung einer
gewissen Neugierde, eine Art von Wichtigthuerei, oder höchstens ein unklarer
Drang, sich mit gelehrten Dingen zu beschäftigen? Sie mag sein, was sie
will, jedenfalls hat sie wenig oder nichts zu thun mit ernstem Streben nach
wissenschaftlicher Erkenntnis; ganz sicher ist, daß man sich so niemals auch
nur einen Funken Begeisterung aus der Geschichte holt, die doch Goethe be¬
kanntlich für das beste erklärt, was wir von der Geschichte haben. Nun
freilich fehlt es auch nicht an solchen, die sich gerade aus der Geschichte des
Mittelalters Begeisterung genug holen, um dann das Geschlecht der Gegen¬
wart im Vergleich mit unsern kraftvollen Vorfahren als entnervt, verkümmert,
kläglich ansehen zu können. Und gewiß wendet sich der Blick nur allzu gern
von so manchem, was uns das Leben der Gegenwart in hunderttausendfacher
ekler Wiederholung an jedem Ort und zu jeder Stunde zudringlich vor die
Augen führt, zu einer nebelhaft leuchtenden Vergangenheit zurück. Ein Grauen
befällt den Beobachter, wenn er sieht, wie es überall und überall die aller-
niedrigste, allergemeinste Schlauheit ist, die zuletzt über alles Edle und Schöne
triumphirt, die alle Früchte laufender von ernsten, arbeitsvollen Menschen¬
leben zu wüstem Genuß und geblähten Dünkel um sich anhäuft, und er
atmet auf, wenn er von einer andern Seite her einen frischen, fröhlichen
Kampfruf gegen diese Rotte geschwollener Molochs vernimmt; aber auch von
dn, wo er diesen Trompetenstoß hört, wendet er den Blick mit Grausen, denn
vor ihm auf springt die wohlbekannte Gestalt des Rektors aller Deutschen,
sie hüpft aus der Höhle des Gefängnisses, wie ein Kobold aus dem Kasten,
ste steht in der Volksversammlung und läßt sich auf hohem Podium von
Weib und Kind in die Arme schließen, vor vielen Hunderten von gerührten
Zuschauern, die ihr Eintrittsgeld bezahlt haben, und wieder wird die Brust
des Beobachters mit Schmerz und Abscheu erfüllt, er richtet den Blick nach
oben, wo die Auserwählten wohnen, die Tag und Nacht über des Volkes
Wohlfahrt grübeln in heißem Bemühen, nicht sorgend der eignen Beförderung


Auf der Hohen Salzburg

es einmal bis zur Bischofswürde zu bringen, oder ob ihm solcher Ehrgeiz
fern gelegen habe. Nicht daß die Erörterung dieser Frage zum Verständnis
der Lebensweise und Anschauungen unsrer Ahnen, der Ereignisse der großen
Welt oder der Entwicklung der Kultur irgend etwas hätte beitragen können. Es
wurde alles ängstlich vermieden, was nicht streng sachlich zur Lösung der
wichtigen Frage gehörte, besonders fiel es niemand ein, sich mit jenen
kleinen Zügen zu befassen, die das Leben der Zeit so anschaulich vor
Augen führen; das wäre ja ganz unwissenschaftlich gewesen. Auch die Per¬
sönlichkeiten des Abts und seiner Mönche waren nicht geeignet, irgend welches
menschliche Interesse zu erregen. Was wäre nun damit gewonnen gewesen,
wenn man sich wirklich über die Absichten des seligen Abts geeinigt hätte,
was sich natürlich nur durch Abstimmung hätte erreichen lassen? Ist diese
Art des Geschichtsstudiums irgend etwas andres als die Befriedigung einer
gewissen Neugierde, eine Art von Wichtigthuerei, oder höchstens ein unklarer
Drang, sich mit gelehrten Dingen zu beschäftigen? Sie mag sein, was sie
will, jedenfalls hat sie wenig oder nichts zu thun mit ernstem Streben nach
wissenschaftlicher Erkenntnis; ganz sicher ist, daß man sich so niemals auch
nur einen Funken Begeisterung aus der Geschichte holt, die doch Goethe be¬
kanntlich für das beste erklärt, was wir von der Geschichte haben. Nun
freilich fehlt es auch nicht an solchen, die sich gerade aus der Geschichte des
Mittelalters Begeisterung genug holen, um dann das Geschlecht der Gegen¬
wart im Vergleich mit unsern kraftvollen Vorfahren als entnervt, verkümmert,
kläglich ansehen zu können. Und gewiß wendet sich der Blick nur allzu gern
von so manchem, was uns das Leben der Gegenwart in hunderttausendfacher
ekler Wiederholung an jedem Ort und zu jeder Stunde zudringlich vor die
Augen führt, zu einer nebelhaft leuchtenden Vergangenheit zurück. Ein Grauen
befällt den Beobachter, wenn er sieht, wie es überall und überall die aller-
niedrigste, allergemeinste Schlauheit ist, die zuletzt über alles Edle und Schöne
triumphirt, die alle Früchte laufender von ernsten, arbeitsvollen Menschen¬
leben zu wüstem Genuß und geblähten Dünkel um sich anhäuft, und er
atmet auf, wenn er von einer andern Seite her einen frischen, fröhlichen
Kampfruf gegen diese Rotte geschwollener Molochs vernimmt; aber auch von
dn, wo er diesen Trompetenstoß hört, wendet er den Blick mit Grausen, denn
vor ihm auf springt die wohlbekannte Gestalt des Rektors aller Deutschen,
sie hüpft aus der Höhle des Gefängnisses, wie ein Kobold aus dem Kasten,
ste steht in der Volksversammlung und läßt sich auf hohem Podium von
Weib und Kind in die Arme schließen, vor vielen Hunderten von gerührten
Zuschauern, die ihr Eintrittsgeld bezahlt haben, und wieder wird die Brust
des Beobachters mit Schmerz und Abscheu erfüllt, er richtet den Blick nach
oben, wo die Auserwählten wohnen, die Tag und Nacht über des Volkes
Wohlfahrt grübeln in heißem Bemühen, nicht sorgend der eignen Beförderung


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[0467] Auf der Hohen Salzburg es einmal bis zur Bischofswürde zu bringen, oder ob ihm solcher Ehrgeiz fern gelegen habe. Nicht daß die Erörterung dieser Frage zum Verständnis der Lebensweise und Anschauungen unsrer Ahnen, der Ereignisse der großen Welt oder der Entwicklung der Kultur irgend etwas hätte beitragen können. Es wurde alles ängstlich vermieden, was nicht streng sachlich zur Lösung der wichtigen Frage gehörte, besonders fiel es niemand ein, sich mit jenen kleinen Zügen zu befassen, die das Leben der Zeit so anschaulich vor Augen führen; das wäre ja ganz unwissenschaftlich gewesen. Auch die Per¬ sönlichkeiten des Abts und seiner Mönche waren nicht geeignet, irgend welches menschliche Interesse zu erregen. Was wäre nun damit gewonnen gewesen, wenn man sich wirklich über die Absichten des seligen Abts geeinigt hätte, was sich natürlich nur durch Abstimmung hätte erreichen lassen? Ist diese Art des Geschichtsstudiums irgend etwas andres als die Befriedigung einer gewissen Neugierde, eine Art von Wichtigthuerei, oder höchstens ein unklarer Drang, sich mit gelehrten Dingen zu beschäftigen? Sie mag sein, was sie will, jedenfalls hat sie wenig oder nichts zu thun mit ernstem Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis; ganz sicher ist, daß man sich so niemals auch nur einen Funken Begeisterung aus der Geschichte holt, die doch Goethe be¬ kanntlich für das beste erklärt, was wir von der Geschichte haben. Nun freilich fehlt es auch nicht an solchen, die sich gerade aus der Geschichte des Mittelalters Begeisterung genug holen, um dann das Geschlecht der Gegen¬ wart im Vergleich mit unsern kraftvollen Vorfahren als entnervt, verkümmert, kläglich ansehen zu können. Und gewiß wendet sich der Blick nur allzu gern von so manchem, was uns das Leben der Gegenwart in hunderttausendfacher ekler Wiederholung an jedem Ort und zu jeder Stunde zudringlich vor die Augen führt, zu einer nebelhaft leuchtenden Vergangenheit zurück. Ein Grauen befällt den Beobachter, wenn er sieht, wie es überall und überall die aller- niedrigste, allergemeinste Schlauheit ist, die zuletzt über alles Edle und Schöne triumphirt, die alle Früchte laufender von ernsten, arbeitsvollen Menschen¬ leben zu wüstem Genuß und geblähten Dünkel um sich anhäuft, und er atmet auf, wenn er von einer andern Seite her einen frischen, fröhlichen Kampfruf gegen diese Rotte geschwollener Molochs vernimmt; aber auch von dn, wo er diesen Trompetenstoß hört, wendet er den Blick mit Grausen, denn vor ihm auf springt die wohlbekannte Gestalt des Rektors aller Deutschen, sie hüpft aus der Höhle des Gefängnisses, wie ein Kobold aus dem Kasten, ste steht in der Volksversammlung und läßt sich auf hohem Podium von Weib und Kind in die Arme schließen, vor vielen Hunderten von gerührten Zuschauern, die ihr Eintrittsgeld bezahlt haben, und wieder wird die Brust des Beobachters mit Schmerz und Abscheu erfüllt, er richtet den Blick nach oben, wo die Auserwählten wohnen, die Tag und Nacht über des Volkes Wohlfahrt grübeln in heißem Bemühen, nicht sorgend der eignen Beförderung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/467>, abgerufen am 25.08.2024.