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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltxolitik

und Osten günstige Bedingungen bietet. Zugleich ist es im Norden ein
Gebiet tropischer Kultivation, von dessen Entwicklungsfähigkeit das junge
Queensland im Nordosten des Erdteils eine sehr günstige Meinung erweckt.
Die Entwicklung Südamerikas ist älter und in Chile, Argentinien und Uruguay
weiter fortgeschritten als in den meisten Teilen von Australien, sie ist aber
durch einen so weiten Raum von Australien getrennt, daß diese Selbständig¬
keit gleichwohl wenig dadurch beeinträchtigt ist. Die beiden Gebiete wirken
auffallend wenig aus einander ein, wie überhaupt die Länder der Südhalb-
kugel alle immer noch viel mehr nach Norden blicken, von dorther Anregungen
empfangen und dorthin Wirkungen zu üben suchen. Was Südamerika dem
Stillen Ozean zukehrt, ist räumlich beschränkt oder bereits in der Kultur ent¬
wickelt. Australien mit Tasmanien und Neuseeland ist ganz auf den Stillen
Ozean angewiesen. So steht Australien in seinem riesigen Bezirk so gut wie
allein. Aus dieser besondern Lage heraus erhebt es mit Recht den Anspruch auf
besondre Geltung in diesem Gebiet, die ihm niemand verdenke. Wenn er sich
freilich dazu versteigt, alle Inseln dieses Riesenmeeres in Anspruch zu nehmen,
wird er zu jugendlichem Überschwang, den niemand politisch ernst nimmt. Daß
aber zunächst einmal wirtschaftlich Australien im Verkehr mit andern Ländern
des südlichen und äquatorialen Stillen Ozeans einen natürlichen Vorsprung
hat, liegt ans der Hand und ist auch schon längst nicht bloß mehr Anspruch.

Der Selbständigkeit des Landes steht die Kulturabhängigkeit des jungen
Volkes gegenüber, dessen festes Halten an englischen Überlieferungen auf solche
Entfernung den stärksten Beweis für deren Lebenskraft liefert. In dieser Be¬
ziehung sind Englands Leistungen gerade in Australien bewundcrnswcrt. Trotz
häufiger Trübungen ist das Verhältnis zwischen Mutterland und Kolonie so,
daß das Mutterland stolz darauf sein kann. Australien hat bis jetzt dem
Mutterland am wenigsten Verdruß bereitet. Es teilt ja mit ihm die insulare
Lage, die das Glück des einen wie des andern ist, die Verbindung von Auf¬
geschlossenheit und Selbständigkeit, und außerdem hat es nur eine englische
Geschichte, nicht wie Südafrika eine holländische Vorgeschichte oder wie Kanada
eine französische, deren Spuren sich nicht ausrotten lassen. In den zwei
ältern Kolonien, Neusüdwales und Viktoria, findet man wohl die englischste
Bevölkerung, die es überhaupt außerhalb Englands giebt. Die grnndbesitzende
Aristokratie, die sich hier gebildet hat, kommt dem englischen Landsauiretum
außerordentlich nahe, viel mehr als den Bürgern und Farmern Australiens
lieb ist. Manche "Squatterstation" ist wie die Kopie eines alten englischen
Landsitzes. Selbst die Sprache der Angloanstralier weicht viel weniger als
die der Nordamerikaner von dem Englischen ab, wie es in London ge¬
sprochen wird. England ohne die Schranken des Raumes! schrieb Fronde in
Adelaide in sein Tagebuch. Wenn wir aber in den Briefen dieses Weltreich¬
schwärmers von der Enttäuschung lesen, daß die Eichen Englands neben den


Zur Kenntnis der englischen Weltxolitik

und Osten günstige Bedingungen bietet. Zugleich ist es im Norden ein
Gebiet tropischer Kultivation, von dessen Entwicklungsfähigkeit das junge
Queensland im Nordosten des Erdteils eine sehr günstige Meinung erweckt.
Die Entwicklung Südamerikas ist älter und in Chile, Argentinien und Uruguay
weiter fortgeschritten als in den meisten Teilen von Australien, sie ist aber
durch einen so weiten Raum von Australien getrennt, daß diese Selbständig¬
keit gleichwohl wenig dadurch beeinträchtigt ist. Die beiden Gebiete wirken
auffallend wenig aus einander ein, wie überhaupt die Länder der Südhalb-
kugel alle immer noch viel mehr nach Norden blicken, von dorther Anregungen
empfangen und dorthin Wirkungen zu üben suchen. Was Südamerika dem
Stillen Ozean zukehrt, ist räumlich beschränkt oder bereits in der Kultur ent¬
wickelt. Australien mit Tasmanien und Neuseeland ist ganz auf den Stillen
Ozean angewiesen. So steht Australien in seinem riesigen Bezirk so gut wie
allein. Aus dieser besondern Lage heraus erhebt es mit Recht den Anspruch auf
besondre Geltung in diesem Gebiet, die ihm niemand verdenke. Wenn er sich
freilich dazu versteigt, alle Inseln dieses Riesenmeeres in Anspruch zu nehmen,
wird er zu jugendlichem Überschwang, den niemand politisch ernst nimmt. Daß
aber zunächst einmal wirtschaftlich Australien im Verkehr mit andern Ländern
des südlichen und äquatorialen Stillen Ozeans einen natürlichen Vorsprung
hat, liegt ans der Hand und ist auch schon längst nicht bloß mehr Anspruch.

Der Selbständigkeit des Landes steht die Kulturabhängigkeit des jungen
Volkes gegenüber, dessen festes Halten an englischen Überlieferungen auf solche
Entfernung den stärksten Beweis für deren Lebenskraft liefert. In dieser Be¬
ziehung sind Englands Leistungen gerade in Australien bewundcrnswcrt. Trotz
häufiger Trübungen ist das Verhältnis zwischen Mutterland und Kolonie so,
daß das Mutterland stolz darauf sein kann. Australien hat bis jetzt dem
Mutterland am wenigsten Verdruß bereitet. Es teilt ja mit ihm die insulare
Lage, die das Glück des einen wie des andern ist, die Verbindung von Auf¬
geschlossenheit und Selbständigkeit, und außerdem hat es nur eine englische
Geschichte, nicht wie Südafrika eine holländische Vorgeschichte oder wie Kanada
eine französische, deren Spuren sich nicht ausrotten lassen. In den zwei
ältern Kolonien, Neusüdwales und Viktoria, findet man wohl die englischste
Bevölkerung, die es überhaupt außerhalb Englands giebt. Die grnndbesitzende
Aristokratie, die sich hier gebildet hat, kommt dem englischen Landsauiretum
außerordentlich nahe, viel mehr als den Bürgern und Farmern Australiens
lieb ist. Manche „Squatterstation" ist wie die Kopie eines alten englischen
Landsitzes. Selbst die Sprache der Angloanstralier weicht viel weniger als
die der Nordamerikaner von dem Englischen ab, wie es in London ge¬
sprochen wird. England ohne die Schranken des Raumes! schrieb Fronde in
Adelaide in sein Tagebuch. Wenn wir aber in den Briefen dieses Weltreich¬
schwärmers von der Enttäuschung lesen, daß die Eichen Englands neben den


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[0463] Zur Kenntnis der englischen Weltxolitik und Osten günstige Bedingungen bietet. Zugleich ist es im Norden ein Gebiet tropischer Kultivation, von dessen Entwicklungsfähigkeit das junge Queensland im Nordosten des Erdteils eine sehr günstige Meinung erweckt. Die Entwicklung Südamerikas ist älter und in Chile, Argentinien und Uruguay weiter fortgeschritten als in den meisten Teilen von Australien, sie ist aber durch einen so weiten Raum von Australien getrennt, daß diese Selbständig¬ keit gleichwohl wenig dadurch beeinträchtigt ist. Die beiden Gebiete wirken auffallend wenig aus einander ein, wie überhaupt die Länder der Südhalb- kugel alle immer noch viel mehr nach Norden blicken, von dorther Anregungen empfangen und dorthin Wirkungen zu üben suchen. Was Südamerika dem Stillen Ozean zukehrt, ist räumlich beschränkt oder bereits in der Kultur ent¬ wickelt. Australien mit Tasmanien und Neuseeland ist ganz auf den Stillen Ozean angewiesen. So steht Australien in seinem riesigen Bezirk so gut wie allein. Aus dieser besondern Lage heraus erhebt es mit Recht den Anspruch auf besondre Geltung in diesem Gebiet, die ihm niemand verdenke. Wenn er sich freilich dazu versteigt, alle Inseln dieses Riesenmeeres in Anspruch zu nehmen, wird er zu jugendlichem Überschwang, den niemand politisch ernst nimmt. Daß aber zunächst einmal wirtschaftlich Australien im Verkehr mit andern Ländern des südlichen und äquatorialen Stillen Ozeans einen natürlichen Vorsprung hat, liegt ans der Hand und ist auch schon längst nicht bloß mehr Anspruch. Der Selbständigkeit des Landes steht die Kulturabhängigkeit des jungen Volkes gegenüber, dessen festes Halten an englischen Überlieferungen auf solche Entfernung den stärksten Beweis für deren Lebenskraft liefert. In dieser Be¬ ziehung sind Englands Leistungen gerade in Australien bewundcrnswcrt. Trotz häufiger Trübungen ist das Verhältnis zwischen Mutterland und Kolonie so, daß das Mutterland stolz darauf sein kann. Australien hat bis jetzt dem Mutterland am wenigsten Verdruß bereitet. Es teilt ja mit ihm die insulare Lage, die das Glück des einen wie des andern ist, die Verbindung von Auf¬ geschlossenheit und Selbständigkeit, und außerdem hat es nur eine englische Geschichte, nicht wie Südafrika eine holländische Vorgeschichte oder wie Kanada eine französische, deren Spuren sich nicht ausrotten lassen. In den zwei ältern Kolonien, Neusüdwales und Viktoria, findet man wohl die englischste Bevölkerung, die es überhaupt außerhalb Englands giebt. Die grnndbesitzende Aristokratie, die sich hier gebildet hat, kommt dem englischen Landsauiretum außerordentlich nahe, viel mehr als den Bürgern und Farmern Australiens lieb ist. Manche „Squatterstation" ist wie die Kopie eines alten englischen Landsitzes. Selbst die Sprache der Angloanstralier weicht viel weniger als die der Nordamerikaner von dem Englischen ab, wie es in London ge¬ sprochen wird. England ohne die Schranken des Raumes! schrieb Fronde in Adelaide in sein Tagebuch. Wenn wir aber in den Briefen dieses Weltreich¬ schwärmers von der Enttäuschung lesen, daß die Eichen Englands neben den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/463>, abgerufen am 25.08.2024.