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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

wendigkeit dazu treibt, nur um des Vorrechts halber. Ihrer Durchführung
stehen aber Rücksichten auf andre Mächte im Wege. Wenn auch die Ko¬
lonien selbst schou in solchen weitausschauenden Fragen mit Abfall drohen,
die großen Mächte in Europa, Asien und Amerika halten sich an England,
das dann zuletzt nachgiebt, da es auf ernste Verwicklungen in den Kolonien
durchaus nicht vorbereitet ist. Kein deutlicherer Beweis für die Sicher¬
heit Englands in seinem überseeischen Besitz als die Schutzlosigkeit der wich¬
tigsten Stellungen in Australien und Neuseeland. Der ostasiatische Krieg,
der bis nach Australien hin die Machtverhältnisse im Stillen Ozean verschieben
wird, wird auch zum erstenmal das Bedürfnis einer australischen Kriegsmacht
so dringend machen, daß es gehört werden muß. Einen schwachen Anfang
haben die Kolonien mit der Ausbesserung der Befestigungen im König-Georgs-
sund und in der Torresstraße gemacht, die bald nach dem Ausbruch des
chinesisch-japanischen Krieges vorgenommen worden sind. Das ans gemein¬
samen Mitteln des Mutterlandes und der Kolonien begründete australische
Kolouialgeschwader (fünf Schnellkreuzer und zwei Torpedoboote) bedeutet noch
nicht viel. Die britischen Garnisonen sind aus den autonomen Kolonien
zurückgezogen. Eigentlich bleibt also auch heute wie seit Jahren nur das süd-
pacifische Geschwader der englischen Kriegsflotte der einzige zuverlässige Schutz
dieser einen Erdteil umfassenden Kolonien samt Neuseeland, Britisch-Neu¬
guinea und den übrigen Inseln des südlichen Stillen Ozeans, über denen die
britische Flagge weht. Man braucht nur diese Thatsache zu erwägen, um
den Eindruck zu begreifen, den die japanischen Seesiege auf England gemacht
haben. Auch wird mit jedem Jahre das Schutzbedürfnis stärker auf die Ko¬
lonien drücken, die sich dem Föderationsgedauken etwa noch verschließen sollten.
Der beliebte Spruch: Die Flotte hat das Reich gegründet, die Flotte muß
das Reich erhalten, hält auch hier uicht mehr Stich. 1Z00 Reguläre und
7800 Milizen reichen aber nicht hin, Ansprüche zu vertreten, wie sie von den
jungen Ländern Australiens erhoben werden. Man hat von der Befestigung
von Thursday Island gesprochen, dem Gibraltar der Torresstraße, aber woher
die Garnison der geplanten Seefeste nehmen? Es wird Australien nicht erspart
bleiben, auch in Kriegssachen einen Schritt rückwärts zu den Einrichtungen
des alten Europas zu machen, um so weniger, als es den Gedanken einer
Flotten- und Heersteuer an England für bestimmte Leistungen, der ja praktisch
aussieht, entschieden zurückweist. Man darf gespannt sein, wie die Föderation
diese Aufgabe lösen wird.

Australien ist durch die Natur selbst zur Selbständigkeit und zu einer
großen Stellung im Süden berufen. Während Südafrikas Entwicklung durch
die ausgedehnte Wüsten- und Steppeubildung beschränkt ist, öffnet Australien
durch sein tieferes Hineinragen in die gemäßigte Zone der Südhalbkugel den
europäischen Kulturablegern ein weiteres Feld, das besonders im Südosten


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

wendigkeit dazu treibt, nur um des Vorrechts halber. Ihrer Durchführung
stehen aber Rücksichten auf andre Mächte im Wege. Wenn auch die Ko¬
lonien selbst schou in solchen weitausschauenden Fragen mit Abfall drohen,
die großen Mächte in Europa, Asien und Amerika halten sich an England,
das dann zuletzt nachgiebt, da es auf ernste Verwicklungen in den Kolonien
durchaus nicht vorbereitet ist. Kein deutlicherer Beweis für die Sicher¬
heit Englands in seinem überseeischen Besitz als die Schutzlosigkeit der wich¬
tigsten Stellungen in Australien und Neuseeland. Der ostasiatische Krieg,
der bis nach Australien hin die Machtverhältnisse im Stillen Ozean verschieben
wird, wird auch zum erstenmal das Bedürfnis einer australischen Kriegsmacht
so dringend machen, daß es gehört werden muß. Einen schwachen Anfang
haben die Kolonien mit der Ausbesserung der Befestigungen im König-Georgs-
sund und in der Torresstraße gemacht, die bald nach dem Ausbruch des
chinesisch-japanischen Krieges vorgenommen worden sind. Das ans gemein¬
samen Mitteln des Mutterlandes und der Kolonien begründete australische
Kolouialgeschwader (fünf Schnellkreuzer und zwei Torpedoboote) bedeutet noch
nicht viel. Die britischen Garnisonen sind aus den autonomen Kolonien
zurückgezogen. Eigentlich bleibt also auch heute wie seit Jahren nur das süd-
pacifische Geschwader der englischen Kriegsflotte der einzige zuverlässige Schutz
dieser einen Erdteil umfassenden Kolonien samt Neuseeland, Britisch-Neu¬
guinea und den übrigen Inseln des südlichen Stillen Ozeans, über denen die
britische Flagge weht. Man braucht nur diese Thatsache zu erwägen, um
den Eindruck zu begreifen, den die japanischen Seesiege auf England gemacht
haben. Auch wird mit jedem Jahre das Schutzbedürfnis stärker auf die Ko¬
lonien drücken, die sich dem Föderationsgedauken etwa noch verschließen sollten.
Der beliebte Spruch: Die Flotte hat das Reich gegründet, die Flotte muß
das Reich erhalten, hält auch hier uicht mehr Stich. 1Z00 Reguläre und
7800 Milizen reichen aber nicht hin, Ansprüche zu vertreten, wie sie von den
jungen Ländern Australiens erhoben werden. Man hat von der Befestigung
von Thursday Island gesprochen, dem Gibraltar der Torresstraße, aber woher
die Garnison der geplanten Seefeste nehmen? Es wird Australien nicht erspart
bleiben, auch in Kriegssachen einen Schritt rückwärts zu den Einrichtungen
des alten Europas zu machen, um so weniger, als es den Gedanken einer
Flotten- und Heersteuer an England für bestimmte Leistungen, der ja praktisch
aussieht, entschieden zurückweist. Man darf gespannt sein, wie die Föderation
diese Aufgabe lösen wird.

Australien ist durch die Natur selbst zur Selbständigkeit und zu einer
großen Stellung im Süden berufen. Während Südafrikas Entwicklung durch
die ausgedehnte Wüsten- und Steppeubildung beschränkt ist, öffnet Australien
durch sein tieferes Hineinragen in die gemäßigte Zone der Südhalbkugel den
europäischen Kulturablegern ein weiteres Feld, das besonders im Südosten


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[0462] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik wendigkeit dazu treibt, nur um des Vorrechts halber. Ihrer Durchführung stehen aber Rücksichten auf andre Mächte im Wege. Wenn auch die Ko¬ lonien selbst schou in solchen weitausschauenden Fragen mit Abfall drohen, die großen Mächte in Europa, Asien und Amerika halten sich an England, das dann zuletzt nachgiebt, da es auf ernste Verwicklungen in den Kolonien durchaus nicht vorbereitet ist. Kein deutlicherer Beweis für die Sicher¬ heit Englands in seinem überseeischen Besitz als die Schutzlosigkeit der wich¬ tigsten Stellungen in Australien und Neuseeland. Der ostasiatische Krieg, der bis nach Australien hin die Machtverhältnisse im Stillen Ozean verschieben wird, wird auch zum erstenmal das Bedürfnis einer australischen Kriegsmacht so dringend machen, daß es gehört werden muß. Einen schwachen Anfang haben die Kolonien mit der Ausbesserung der Befestigungen im König-Georgs- sund und in der Torresstraße gemacht, die bald nach dem Ausbruch des chinesisch-japanischen Krieges vorgenommen worden sind. Das ans gemein¬ samen Mitteln des Mutterlandes und der Kolonien begründete australische Kolouialgeschwader (fünf Schnellkreuzer und zwei Torpedoboote) bedeutet noch nicht viel. Die britischen Garnisonen sind aus den autonomen Kolonien zurückgezogen. Eigentlich bleibt also auch heute wie seit Jahren nur das süd- pacifische Geschwader der englischen Kriegsflotte der einzige zuverlässige Schutz dieser einen Erdteil umfassenden Kolonien samt Neuseeland, Britisch-Neu¬ guinea und den übrigen Inseln des südlichen Stillen Ozeans, über denen die britische Flagge weht. Man braucht nur diese Thatsache zu erwägen, um den Eindruck zu begreifen, den die japanischen Seesiege auf England gemacht haben. Auch wird mit jedem Jahre das Schutzbedürfnis stärker auf die Ko¬ lonien drücken, die sich dem Föderationsgedauken etwa noch verschließen sollten. Der beliebte Spruch: Die Flotte hat das Reich gegründet, die Flotte muß das Reich erhalten, hält auch hier uicht mehr Stich. 1Z00 Reguläre und 7800 Milizen reichen aber nicht hin, Ansprüche zu vertreten, wie sie von den jungen Ländern Australiens erhoben werden. Man hat von der Befestigung von Thursday Island gesprochen, dem Gibraltar der Torresstraße, aber woher die Garnison der geplanten Seefeste nehmen? Es wird Australien nicht erspart bleiben, auch in Kriegssachen einen Schritt rückwärts zu den Einrichtungen des alten Europas zu machen, um so weniger, als es den Gedanken einer Flotten- und Heersteuer an England für bestimmte Leistungen, der ja praktisch aussieht, entschieden zurückweist. Man darf gespannt sein, wie die Föderation diese Aufgabe lösen wird. Australien ist durch die Natur selbst zur Selbständigkeit und zu einer großen Stellung im Süden berufen. Während Südafrikas Entwicklung durch die ausgedehnte Wüsten- und Steppeubildung beschränkt ist, öffnet Australien durch sein tieferes Hineinragen in die gemäßigte Zone der Südhalbkugel den europäischen Kulturablegern ein weiteres Feld, das besonders im Südosten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/462>, abgerufen am 25.08.2024.