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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik

englischen Meilen von Melbourne einen Staat, der Australien mit die tüch¬
tigsten Einwandrer gesandt hatte, mit einer jungen, natürlich schwachen Ko¬
lonie nicht dulden zu wollen, erschien selbst den Engländern zu stark. Da¬
mals sagte einer der leitenden Politiker in London einem Australier -- es
war in der Zeit nach den ersten Beratungen über die Vereinigung der Ko¬
lonien --: Wie gut, daß ihr eure konföderirte Flotte noch nicht beisammen
habt, ihr hättet ein paar Schiffe nach Neuguinea geschickt auf die Gefahr hin, daß
das Reich in Stücke ginge! Wo Deutschland mit den thörichtsten Schimpf¬
reden bedacht wurde, wurden die englischen Minister nicht geschont. Diese
ungerechtfertigte Entrüstung reicht bis zu den höchsten, verantwortungsvollsten
Staatsmännern der Kolonien hinauf, deren von Unwissenheit und Vorurteil
strotzende Reden glücklicherweise in Europa uicht die Beachtung fanden,
auf die sie Anspruch erhoben. Es war so ziemlich derselbe Ton, der ge¬
legentlich gegen China bei einer Chinesenhetze angeschlagen wird, und das
trotz des entscheidenden Anteils, den Deutschland an den ersten australischen
Ausstellungen gehabt hat. Dabei fehlt, auch bei der immer wiederholten
Anfeindung der französischen Niederlassung in Neukaledonien, jede vernünftige
Rücksicht auf die Machtverhältnisse. Es ist die Form des jugendlichen, be¬
schränkten insularen Egoismus. Wir haben früher die Erklärung des neu¬
seeländischen Premierministers Sheldon gestreift, der im Dezember 1894 vor
einer Versammlung in Hokidada sagte: "Alle australischen Kolonien wünschen
die Verwaltung Smnoas durch Neuseeland, auch die Deutschen in Australiens!);
Amerika ist gleichgiltig, England scheint widerstehen zu wollen, weil es Deutsch¬
land nicht verletzen will, aber es wird einsehen müssen, daß es für die Gegen¬
wart und Zukunft Australasicns höchst wichtig ist, daß die Inseln des Stillen
Ozeans von der britischen Rasse bewohnt werden und nicht, wie Neukaledonien,
den verbrecherischen Abschaum aller Völker aufnehmen." Das beste an den
brutal-egoistischen Äußerungen dieses Staatsmanns war seine Hervorhebung des
Lächerlichen und Beschämenden des Zustandes in Scnnoa, wo die Kriegsschiffe
dreier großen Nationen den dummen Parteistreitigkeiten der Eingebornen folgen
müssen, als ob es ein Stück Weltgeschichte wäre. Der englische Premier
hatte vorher ebenfalls in einer öffentlichen Versammlung die Ansicht aus¬
gesprochen, Neuseeland wünsche nicht die Verwaltung von Samoa zu über¬
nehmen. Nicht genug also, daß er sich in einem Briefe an die Zeitungen
selbst berichtigen mußte, es wurde ihm zugemutet, Deutschland und den Ver¬
einigten Staaten gegenüber noch ganz andre Forderungen dieses künftigen
Großbritanniens der Südsee zu vertreten, das allerdings einstweilen nur
650000 Einwohner auszuweisen hat.

Im stillen mag das Mutterland solche weitgehenden Forderungen will¬
kommen heißen, denn sie entsprechen ja der Grundströmung seiner eignen Politik,
in allen Ländern und auf allen Inseln Fuß zu fassen, wenn auch keine Not-


Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik

englischen Meilen von Melbourne einen Staat, der Australien mit die tüch¬
tigsten Einwandrer gesandt hatte, mit einer jungen, natürlich schwachen Ko¬
lonie nicht dulden zu wollen, erschien selbst den Engländern zu stark. Da¬
mals sagte einer der leitenden Politiker in London einem Australier — es
war in der Zeit nach den ersten Beratungen über die Vereinigung der Ko¬
lonien —: Wie gut, daß ihr eure konföderirte Flotte noch nicht beisammen
habt, ihr hättet ein paar Schiffe nach Neuguinea geschickt auf die Gefahr hin, daß
das Reich in Stücke ginge! Wo Deutschland mit den thörichtsten Schimpf¬
reden bedacht wurde, wurden die englischen Minister nicht geschont. Diese
ungerechtfertigte Entrüstung reicht bis zu den höchsten, verantwortungsvollsten
Staatsmännern der Kolonien hinauf, deren von Unwissenheit und Vorurteil
strotzende Reden glücklicherweise in Europa uicht die Beachtung fanden,
auf die sie Anspruch erhoben. Es war so ziemlich derselbe Ton, der ge¬
legentlich gegen China bei einer Chinesenhetze angeschlagen wird, und das
trotz des entscheidenden Anteils, den Deutschland an den ersten australischen
Ausstellungen gehabt hat. Dabei fehlt, auch bei der immer wiederholten
Anfeindung der französischen Niederlassung in Neukaledonien, jede vernünftige
Rücksicht auf die Machtverhältnisse. Es ist die Form des jugendlichen, be¬
schränkten insularen Egoismus. Wir haben früher die Erklärung des neu¬
seeländischen Premierministers Sheldon gestreift, der im Dezember 1894 vor
einer Versammlung in Hokidada sagte: „Alle australischen Kolonien wünschen
die Verwaltung Smnoas durch Neuseeland, auch die Deutschen in Australiens!);
Amerika ist gleichgiltig, England scheint widerstehen zu wollen, weil es Deutsch¬
land nicht verletzen will, aber es wird einsehen müssen, daß es für die Gegen¬
wart und Zukunft Australasicns höchst wichtig ist, daß die Inseln des Stillen
Ozeans von der britischen Rasse bewohnt werden und nicht, wie Neukaledonien,
den verbrecherischen Abschaum aller Völker aufnehmen." Das beste an den
brutal-egoistischen Äußerungen dieses Staatsmanns war seine Hervorhebung des
Lächerlichen und Beschämenden des Zustandes in Scnnoa, wo die Kriegsschiffe
dreier großen Nationen den dummen Parteistreitigkeiten der Eingebornen folgen
müssen, als ob es ein Stück Weltgeschichte wäre. Der englische Premier
hatte vorher ebenfalls in einer öffentlichen Versammlung die Ansicht aus¬
gesprochen, Neuseeland wünsche nicht die Verwaltung von Samoa zu über¬
nehmen. Nicht genug also, daß er sich in einem Briefe an die Zeitungen
selbst berichtigen mußte, es wurde ihm zugemutet, Deutschland und den Ver¬
einigten Staaten gegenüber noch ganz andre Forderungen dieses künftigen
Großbritanniens der Südsee zu vertreten, das allerdings einstweilen nur
650000 Einwohner auszuweisen hat.

Im stillen mag das Mutterland solche weitgehenden Forderungen will¬
kommen heißen, denn sie entsprechen ja der Grundströmung seiner eignen Politik,
in allen Ländern und auf allen Inseln Fuß zu fassen, wenn auch keine Not-


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[0461] Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik englischen Meilen von Melbourne einen Staat, der Australien mit die tüch¬ tigsten Einwandrer gesandt hatte, mit einer jungen, natürlich schwachen Ko¬ lonie nicht dulden zu wollen, erschien selbst den Engländern zu stark. Da¬ mals sagte einer der leitenden Politiker in London einem Australier — es war in der Zeit nach den ersten Beratungen über die Vereinigung der Ko¬ lonien —: Wie gut, daß ihr eure konföderirte Flotte noch nicht beisammen habt, ihr hättet ein paar Schiffe nach Neuguinea geschickt auf die Gefahr hin, daß das Reich in Stücke ginge! Wo Deutschland mit den thörichtsten Schimpf¬ reden bedacht wurde, wurden die englischen Minister nicht geschont. Diese ungerechtfertigte Entrüstung reicht bis zu den höchsten, verantwortungsvollsten Staatsmännern der Kolonien hinauf, deren von Unwissenheit und Vorurteil strotzende Reden glücklicherweise in Europa uicht die Beachtung fanden, auf die sie Anspruch erhoben. Es war so ziemlich derselbe Ton, der ge¬ legentlich gegen China bei einer Chinesenhetze angeschlagen wird, und das trotz des entscheidenden Anteils, den Deutschland an den ersten australischen Ausstellungen gehabt hat. Dabei fehlt, auch bei der immer wiederholten Anfeindung der französischen Niederlassung in Neukaledonien, jede vernünftige Rücksicht auf die Machtverhältnisse. Es ist die Form des jugendlichen, be¬ schränkten insularen Egoismus. Wir haben früher die Erklärung des neu¬ seeländischen Premierministers Sheldon gestreift, der im Dezember 1894 vor einer Versammlung in Hokidada sagte: „Alle australischen Kolonien wünschen die Verwaltung Smnoas durch Neuseeland, auch die Deutschen in Australiens!); Amerika ist gleichgiltig, England scheint widerstehen zu wollen, weil es Deutsch¬ land nicht verletzen will, aber es wird einsehen müssen, daß es für die Gegen¬ wart und Zukunft Australasicns höchst wichtig ist, daß die Inseln des Stillen Ozeans von der britischen Rasse bewohnt werden und nicht, wie Neukaledonien, den verbrecherischen Abschaum aller Völker aufnehmen." Das beste an den brutal-egoistischen Äußerungen dieses Staatsmanns war seine Hervorhebung des Lächerlichen und Beschämenden des Zustandes in Scnnoa, wo die Kriegsschiffe dreier großen Nationen den dummen Parteistreitigkeiten der Eingebornen folgen müssen, als ob es ein Stück Weltgeschichte wäre. Der englische Premier hatte vorher ebenfalls in einer öffentlichen Versammlung die Ansicht aus¬ gesprochen, Neuseeland wünsche nicht die Verwaltung von Samoa zu über¬ nehmen. Nicht genug also, daß er sich in einem Briefe an die Zeitungen selbst berichtigen mußte, es wurde ihm zugemutet, Deutschland und den Ver¬ einigten Staaten gegenüber noch ganz andre Forderungen dieses künftigen Großbritanniens der Südsee zu vertreten, das allerdings einstweilen nur 650000 Einwohner auszuweisen hat. Im stillen mag das Mutterland solche weitgehenden Forderungen will¬ kommen heißen, denn sie entsprechen ja der Grundströmung seiner eignen Politik, in allen Ländern und auf allen Inseln Fuß zu fassen, wenn auch keine Not-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/461>, abgerufen am 25.08.2024.