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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

unabsehbaren Steppe, wo soviel Raum für Glück und Frieden wäre. Die
wenigen bessern Elemente dieser Gesellschaft sind die, die das gemeinsame Lager
unter dem Welleilblechdach des Schlafschuppens verschmähen, um ein einsames
Kamp draußen in der Steppe aufzuschlagen, wo sie beim Petrolenmlämpchen
die Evangelien von Henry George und die Phantasien von Bellamy lesen.
Nirgends in der Welt sind diese Schriften so verbreitet wie hier. Aber frei¬
lich, es führt auch der letzte Großstadtarbeiter ein genußreiches Leben im Ver¬
gleich mit dem wandernden Schafscherer Australiens. Bon diesem, jeder ge¬
sunden Freude baren, zwischen Absetzung und Langweile schwankenden Dasein
sagt ein englischer Beobachter: Dieses Leben ist so roh, daß das Hinabsinken
zur vollen Brutalität ganz unbewußt eintritt.

Diese Arbeitermasse" sind keine kleine Gefahr in einem so dünnbevölkerten
Lande, dessen Haupterwerb sich gerade dadurch auszeichnet, daß er mit wenig
"Händen," aber mit großem Kapital gewonnen wird. Es ist der alte Noma¬
dismus, der für wenig Menschen viel Raum verlangt. Eine kleine "Station"
hat auf einem Raum von 500 bis 600 Quadratkilometern, also ans dem eines
deutschen Fürstentums, bei einem Schafbestand von 70000, acht Angestellte.
Eine Erhebung vom Jahre 1893 wies als die größte Station eine in Queens-
land nach, die mit 8 Millionen Mark Kapital und -- siebzig Angestellten
arbeitete. Was darüber hinaus nötig ist, bringt der Zuzug jener Wanderer.
Wie anders schon die Zuckerrohrpflanzungen, die durchschnittlich auf dem Qua¬
dratkilometer zwanzig bis fünfundzwanzig Arbeiter dauernd nötig haben! Der
ganze weltgeschichtliche Unterschied zwischen dem Ackerbauer und Hirten, dem
sich eingrabcnden und dem sich ausbreitenden, dem friedlichen Hüttenbauer und
dem erobernden Zeltbewohner liegt in diesem gewaltigen Abstände. Natürlich
kann er in demselben Lande nicht dauernd sein. Nichts ist berechtigter als
der Wunsch dieser in die Steppe hinausgeworfnen Arbeiter, daß zwischen die
Weideländer Unterbezirke gelegt werden, wo sich der Mann, der dort drei Mo¬
nate im Jahre mit Schafscheren 2000 Mark verdienen kann, ein Heim und eine
Familie gründet, der er auf freiem Lande seine übrige Arbeit widmet. Die
Lösung des Problems ist allerdings nicht ausschließlich sozial, sie hängt mit
der Bodenbeschaffenheit Australiens dadurch zusammen, daß der für Ackerbau
passende Boden und besonders das unentbehrliche Wasser höchst unregel¬
mäßig verteilt sind. Die Aussichten der artesischen Brunnen, die oft viele
hundert Meter tief das Wasser suchen müssen -- der tiefste scheint jetzt der von
Muchadilla in Queensland zu sein, der (1893) Wasser bei 3262 englischen Fuß
gewann --, werden wahrscheinlich, wie im Anfang überall, zu optimistisch be¬
trachtet, zweifellos wird aber ihre Verbindung mit großen künstlich aufge¬
dämmten Seen, von denen aus der Überfluß des Regenwassers verteilt werden
kann, vielen jetzt noch öden Strichen Fruchtbarkeit zuführen. Haben die
Wanderer erst einmal auf einem anbaufähigen Stück Boden Fuß gefaßt, so haben


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

unabsehbaren Steppe, wo soviel Raum für Glück und Frieden wäre. Die
wenigen bessern Elemente dieser Gesellschaft sind die, die das gemeinsame Lager
unter dem Welleilblechdach des Schlafschuppens verschmähen, um ein einsames
Kamp draußen in der Steppe aufzuschlagen, wo sie beim Petrolenmlämpchen
die Evangelien von Henry George und die Phantasien von Bellamy lesen.
Nirgends in der Welt sind diese Schriften so verbreitet wie hier. Aber frei¬
lich, es führt auch der letzte Großstadtarbeiter ein genußreiches Leben im Ver¬
gleich mit dem wandernden Schafscherer Australiens. Bon diesem, jeder ge¬
sunden Freude baren, zwischen Absetzung und Langweile schwankenden Dasein
sagt ein englischer Beobachter: Dieses Leben ist so roh, daß das Hinabsinken
zur vollen Brutalität ganz unbewußt eintritt.

Diese Arbeitermasse» sind keine kleine Gefahr in einem so dünnbevölkerten
Lande, dessen Haupterwerb sich gerade dadurch auszeichnet, daß er mit wenig
„Händen," aber mit großem Kapital gewonnen wird. Es ist der alte Noma¬
dismus, der für wenig Menschen viel Raum verlangt. Eine kleine „Station"
hat auf einem Raum von 500 bis 600 Quadratkilometern, also ans dem eines
deutschen Fürstentums, bei einem Schafbestand von 70000, acht Angestellte.
Eine Erhebung vom Jahre 1893 wies als die größte Station eine in Queens-
land nach, die mit 8 Millionen Mark Kapital und — siebzig Angestellten
arbeitete. Was darüber hinaus nötig ist, bringt der Zuzug jener Wanderer.
Wie anders schon die Zuckerrohrpflanzungen, die durchschnittlich auf dem Qua¬
dratkilometer zwanzig bis fünfundzwanzig Arbeiter dauernd nötig haben! Der
ganze weltgeschichtliche Unterschied zwischen dem Ackerbauer und Hirten, dem
sich eingrabcnden und dem sich ausbreitenden, dem friedlichen Hüttenbauer und
dem erobernden Zeltbewohner liegt in diesem gewaltigen Abstände. Natürlich
kann er in demselben Lande nicht dauernd sein. Nichts ist berechtigter als
der Wunsch dieser in die Steppe hinausgeworfnen Arbeiter, daß zwischen die
Weideländer Unterbezirke gelegt werden, wo sich der Mann, der dort drei Mo¬
nate im Jahre mit Schafscheren 2000 Mark verdienen kann, ein Heim und eine
Familie gründet, der er auf freiem Lande seine übrige Arbeit widmet. Die
Lösung des Problems ist allerdings nicht ausschließlich sozial, sie hängt mit
der Bodenbeschaffenheit Australiens dadurch zusammen, daß der für Ackerbau
passende Boden und besonders das unentbehrliche Wasser höchst unregel¬
mäßig verteilt sind. Die Aussichten der artesischen Brunnen, die oft viele
hundert Meter tief das Wasser suchen müssen — der tiefste scheint jetzt der von
Muchadilla in Queensland zu sein, der (1893) Wasser bei 3262 englischen Fuß
gewann —, werden wahrscheinlich, wie im Anfang überall, zu optimistisch be¬
trachtet, zweifellos wird aber ihre Verbindung mit großen künstlich aufge¬
dämmten Seen, von denen aus der Überfluß des Regenwassers verteilt werden
kann, vielen jetzt noch öden Strichen Fruchtbarkeit zuführen. Haben die
Wanderer erst einmal auf einem anbaufähigen Stück Boden Fuß gefaßt, so haben


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[0458] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik unabsehbaren Steppe, wo soviel Raum für Glück und Frieden wäre. Die wenigen bessern Elemente dieser Gesellschaft sind die, die das gemeinsame Lager unter dem Welleilblechdach des Schlafschuppens verschmähen, um ein einsames Kamp draußen in der Steppe aufzuschlagen, wo sie beim Petrolenmlämpchen die Evangelien von Henry George und die Phantasien von Bellamy lesen. Nirgends in der Welt sind diese Schriften so verbreitet wie hier. Aber frei¬ lich, es führt auch der letzte Großstadtarbeiter ein genußreiches Leben im Ver¬ gleich mit dem wandernden Schafscherer Australiens. Bon diesem, jeder ge¬ sunden Freude baren, zwischen Absetzung und Langweile schwankenden Dasein sagt ein englischer Beobachter: Dieses Leben ist so roh, daß das Hinabsinken zur vollen Brutalität ganz unbewußt eintritt. Diese Arbeitermasse» sind keine kleine Gefahr in einem so dünnbevölkerten Lande, dessen Haupterwerb sich gerade dadurch auszeichnet, daß er mit wenig „Händen," aber mit großem Kapital gewonnen wird. Es ist der alte Noma¬ dismus, der für wenig Menschen viel Raum verlangt. Eine kleine „Station" hat auf einem Raum von 500 bis 600 Quadratkilometern, also ans dem eines deutschen Fürstentums, bei einem Schafbestand von 70000, acht Angestellte. Eine Erhebung vom Jahre 1893 wies als die größte Station eine in Queens- land nach, die mit 8 Millionen Mark Kapital und — siebzig Angestellten arbeitete. Was darüber hinaus nötig ist, bringt der Zuzug jener Wanderer. Wie anders schon die Zuckerrohrpflanzungen, die durchschnittlich auf dem Qua¬ dratkilometer zwanzig bis fünfundzwanzig Arbeiter dauernd nötig haben! Der ganze weltgeschichtliche Unterschied zwischen dem Ackerbauer und Hirten, dem sich eingrabcnden und dem sich ausbreitenden, dem friedlichen Hüttenbauer und dem erobernden Zeltbewohner liegt in diesem gewaltigen Abstände. Natürlich kann er in demselben Lande nicht dauernd sein. Nichts ist berechtigter als der Wunsch dieser in die Steppe hinausgeworfnen Arbeiter, daß zwischen die Weideländer Unterbezirke gelegt werden, wo sich der Mann, der dort drei Mo¬ nate im Jahre mit Schafscheren 2000 Mark verdienen kann, ein Heim und eine Familie gründet, der er auf freiem Lande seine übrige Arbeit widmet. Die Lösung des Problems ist allerdings nicht ausschließlich sozial, sie hängt mit der Bodenbeschaffenheit Australiens dadurch zusammen, daß der für Ackerbau passende Boden und besonders das unentbehrliche Wasser höchst unregel¬ mäßig verteilt sind. Die Aussichten der artesischen Brunnen, die oft viele hundert Meter tief das Wasser suchen müssen — der tiefste scheint jetzt der von Muchadilla in Queensland zu sein, der (1893) Wasser bei 3262 englischen Fuß gewann —, werden wahrscheinlich, wie im Anfang überall, zu optimistisch be¬ trachtet, zweifellos wird aber ihre Verbindung mit großen künstlich aufge¬ dämmten Seen, von denen aus der Überfluß des Regenwassers verteilt werden kann, vielen jetzt noch öden Strichen Fruchtbarkeit zuführen. Haben die Wanderer erst einmal auf einem anbaufähigen Stück Boden Fuß gefaßt, so haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/458>, abgerufen am 25.08.2024.