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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste

und stelle nun die Bücher drauf, die ich gern beisammen und zum häusigsten
Gebrauch in der Nähe des Schreibtisches habe. Es ist dir doch recht?

Sie gab ihm die Hand.

Bei alledem ist mir eins unbegreiflich, fügte sie hinzu, indem sie sich von
neuem umsah. Wie hat dein Bruder das alles machen können? Denn wenn
du anch alles vorher bestimmt und abgemessen hattest, es war doch jedes
Stück noch an seinem Platze zu Hause, als wir abreisten, und wie konnte er
alles so genau wissen, wo und wie alles hingehörte? Er kam ja doch erst
zur Trauung angefahren, und nachher wird ihm auch nicht viel Zeit ge¬
blieben sein.

Hans, der wieder in der Thür stand, lächelte. Allein hätte mir das
auch schwer fallen follen. Aber mit Hilfe deiner Mama ging das famos --

Mama! schrie Margarete auf -- Mama ist hier? Sie hat sich versteckt,
wo ist sie?

Ungestüm riß sie die Thür zum nächsten Zimmer auf. Niemand drin.
Ein stiller, schlichter Raum, von einer grün beschirmten Lampe auf dem großen
Schreibtisch matt erleuchtet. Bücher, Kupferstiche an den Wänden, ein paar
Ledersessel, ein lederner Divan. Tiefe Stille, keine Mama.

Wo steckt sie? fragte Margarete von neuem, sich umwendend. O Fritz,
das ist die schönste Überraschung --

Die verlegner Gesichter der beiden Brüder unterbrachen sie jählings.

Liebes Kind, sagte Fritz, das hast du mißverstanden. Deine Mutter war
hier während unsrer Reise und hat Hans geholfen.

War hier, wiederholte Margarete mit wankender Stimme. Ihr freude¬
glühendes Gesicht hatte alle Farbe verloren; sie lehnte sich an das Sofa¬
tischchen, das sie hinter sich fühlte, und sah stumm und starr geradaus.

Es entstand eine ungemütliche kleine Pause; Fritz runzelte die Stirn.
Dann hob Margarete den Kopf. Wann war Mama hier? fragte sie ziemlich
tonlos und ohne jemand bestimmt anzusehen.

Sie reiste mit mir zusammen hierher, antwortete Hans, zwei Tage nach
eurer Hochzeit, nachdem wir alles verpackt und als Eilgut aufgegeben hatten.
Hier haben wir uns dann ordentlich drangehalten, um alles so gemütlich und
nett zu machen, daß man glauben konnte, du wärest nie weg gewesen. Fritz
wollte, daß es nicht wie neu eingezogen aussehen sollte, und ich denke, es ist
uns geglückt. -- Fritz gab feinem Bruder freundlich die Hand. -- Wenn ich
unes nun auch im großen an Fritzens sorgsam aufgezeichneten Pläne halten
konnte, so fehlte es mir doch im kleinen, und bei den inwendigen Dingen
war ich ganz ratlos. Ich hätte mich nimmermehr mit all dem Krimskrams
zurechtgefunden. Da hat denn Fritz beizeiten alles mit deiner Mutter be¬
sprochen, und sie war auch sehr einverstanden, mit mir herzufahren.

Und wie lange war sie hier? fragte Margarete, wieder ohne jemand an¬
zusehen.

Bis vorgestern früh.

Und warum ist sie dann abgereist? Warum hat sie mich nicht mehr
erwartet?

Sie wollte nicht.

leso? fragte Margarete schroff.

Liebes Kind, nahm Fritz jetzt das Wort, das alles war zwischen deiner
Mutter und mir besprochen und abgemacht. Ihr Aufenthalt hier war kein


Der erste Beste

und stelle nun die Bücher drauf, die ich gern beisammen und zum häusigsten
Gebrauch in der Nähe des Schreibtisches habe. Es ist dir doch recht?

Sie gab ihm die Hand.

Bei alledem ist mir eins unbegreiflich, fügte sie hinzu, indem sie sich von
neuem umsah. Wie hat dein Bruder das alles machen können? Denn wenn
du anch alles vorher bestimmt und abgemessen hattest, es war doch jedes
Stück noch an seinem Platze zu Hause, als wir abreisten, und wie konnte er
alles so genau wissen, wo und wie alles hingehörte? Er kam ja doch erst
zur Trauung angefahren, und nachher wird ihm auch nicht viel Zeit ge¬
blieben sein.

Hans, der wieder in der Thür stand, lächelte. Allein hätte mir das
auch schwer fallen follen. Aber mit Hilfe deiner Mama ging das famos —

Mama! schrie Margarete auf — Mama ist hier? Sie hat sich versteckt,
wo ist sie?

Ungestüm riß sie die Thür zum nächsten Zimmer auf. Niemand drin.
Ein stiller, schlichter Raum, von einer grün beschirmten Lampe auf dem großen
Schreibtisch matt erleuchtet. Bücher, Kupferstiche an den Wänden, ein paar
Ledersessel, ein lederner Divan. Tiefe Stille, keine Mama.

Wo steckt sie? fragte Margarete von neuem, sich umwendend. O Fritz,
das ist die schönste Überraschung —

Die verlegner Gesichter der beiden Brüder unterbrachen sie jählings.

Liebes Kind, sagte Fritz, das hast du mißverstanden. Deine Mutter war
hier während unsrer Reise und hat Hans geholfen.

War hier, wiederholte Margarete mit wankender Stimme. Ihr freude¬
glühendes Gesicht hatte alle Farbe verloren; sie lehnte sich an das Sofa¬
tischchen, das sie hinter sich fühlte, und sah stumm und starr geradaus.

Es entstand eine ungemütliche kleine Pause; Fritz runzelte die Stirn.
Dann hob Margarete den Kopf. Wann war Mama hier? fragte sie ziemlich
tonlos und ohne jemand bestimmt anzusehen.

Sie reiste mit mir zusammen hierher, antwortete Hans, zwei Tage nach
eurer Hochzeit, nachdem wir alles verpackt und als Eilgut aufgegeben hatten.
Hier haben wir uns dann ordentlich drangehalten, um alles so gemütlich und
nett zu machen, daß man glauben konnte, du wärest nie weg gewesen. Fritz
wollte, daß es nicht wie neu eingezogen aussehen sollte, und ich denke, es ist
uns geglückt. — Fritz gab feinem Bruder freundlich die Hand. — Wenn ich
unes nun auch im großen an Fritzens sorgsam aufgezeichneten Pläne halten
konnte, so fehlte es mir doch im kleinen, und bei den inwendigen Dingen
war ich ganz ratlos. Ich hätte mich nimmermehr mit all dem Krimskrams
zurechtgefunden. Da hat denn Fritz beizeiten alles mit deiner Mutter be¬
sprochen, und sie war auch sehr einverstanden, mit mir herzufahren.

Und wie lange war sie hier? fragte Margarete, wieder ohne jemand an¬
zusehen.

Bis vorgestern früh.

Und warum ist sie dann abgereist? Warum hat sie mich nicht mehr
erwartet?

Sie wollte nicht.

leso? fragte Margarete schroff.

Liebes Kind, nahm Fritz jetzt das Wort, das alles war zwischen deiner
Mutter und mir besprochen und abgemacht. Ihr Aufenthalt hier war kein


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[0439] Der erste Beste und stelle nun die Bücher drauf, die ich gern beisammen und zum häusigsten Gebrauch in der Nähe des Schreibtisches habe. Es ist dir doch recht? Sie gab ihm die Hand. Bei alledem ist mir eins unbegreiflich, fügte sie hinzu, indem sie sich von neuem umsah. Wie hat dein Bruder das alles machen können? Denn wenn du anch alles vorher bestimmt und abgemessen hattest, es war doch jedes Stück noch an seinem Platze zu Hause, als wir abreisten, und wie konnte er alles so genau wissen, wo und wie alles hingehörte? Er kam ja doch erst zur Trauung angefahren, und nachher wird ihm auch nicht viel Zeit ge¬ blieben sein. Hans, der wieder in der Thür stand, lächelte. Allein hätte mir das auch schwer fallen follen. Aber mit Hilfe deiner Mama ging das famos — Mama! schrie Margarete auf — Mama ist hier? Sie hat sich versteckt, wo ist sie? Ungestüm riß sie die Thür zum nächsten Zimmer auf. Niemand drin. Ein stiller, schlichter Raum, von einer grün beschirmten Lampe auf dem großen Schreibtisch matt erleuchtet. Bücher, Kupferstiche an den Wänden, ein paar Ledersessel, ein lederner Divan. Tiefe Stille, keine Mama. Wo steckt sie? fragte Margarete von neuem, sich umwendend. O Fritz, das ist die schönste Überraschung — Die verlegner Gesichter der beiden Brüder unterbrachen sie jählings. Liebes Kind, sagte Fritz, das hast du mißverstanden. Deine Mutter war hier während unsrer Reise und hat Hans geholfen. War hier, wiederholte Margarete mit wankender Stimme. Ihr freude¬ glühendes Gesicht hatte alle Farbe verloren; sie lehnte sich an das Sofa¬ tischchen, das sie hinter sich fühlte, und sah stumm und starr geradaus. Es entstand eine ungemütliche kleine Pause; Fritz runzelte die Stirn. Dann hob Margarete den Kopf. Wann war Mama hier? fragte sie ziemlich tonlos und ohne jemand bestimmt anzusehen. Sie reiste mit mir zusammen hierher, antwortete Hans, zwei Tage nach eurer Hochzeit, nachdem wir alles verpackt und als Eilgut aufgegeben hatten. Hier haben wir uns dann ordentlich drangehalten, um alles so gemütlich und nett zu machen, daß man glauben konnte, du wärest nie weg gewesen. Fritz wollte, daß es nicht wie neu eingezogen aussehen sollte, und ich denke, es ist uns geglückt. — Fritz gab feinem Bruder freundlich die Hand. — Wenn ich unes nun auch im großen an Fritzens sorgsam aufgezeichneten Pläne halten konnte, so fehlte es mir doch im kleinen, und bei den inwendigen Dingen war ich ganz ratlos. Ich hätte mich nimmermehr mit all dem Krimskrams zurechtgefunden. Da hat denn Fritz beizeiten alles mit deiner Mutter be¬ sprochen, und sie war auch sehr einverstanden, mit mir herzufahren. Und wie lange war sie hier? fragte Margarete, wieder ohne jemand an¬ zusehen. Bis vorgestern früh. Und warum ist sie dann abgereist? Warum hat sie mich nicht mehr erwartet? Sie wollte nicht. leso? fragte Margarete schroff. Liebes Kind, nahm Fritz jetzt das Wort, das alles war zwischen deiner Mutter und mir besprochen und abgemacht. Ihr Aufenthalt hier war kein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/439>, abgerufen am 25.08.2024.