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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Anabenerziehung und Anabenunterricht im alten Hellas

Zeit nur zum Betrieb von Leibesübungen, und zweitens waren sie nicht aus¬
schließlich für die reifere Jugend bestimmt, sondern Tnrnstütten für alle
Bürger. Wurden sie doch schließlich in Kleinasien zu Gesellschaftslokalen, zu
"Bürgerkasinos und Ressource","*) in Syrien zu Lokalen für Schmausereien
und Gelage.

Diese Gymnasien, deren Umfang immer mehr zunahm, waren im Freien
gelegen, wenn auch meist nahe bei der Stadtmauer, und zwar so, daß
Gelegenheit zum Baden und Schwimmen in der Nähe war. Sie waren reich
geschmückt mit Götterbildern und den Statuen verdienter Bürger, Gelehrten,
Lehrer und Wohlthäter, die oft auch in ihnen ihre Grabstätte hatten. Gärten
mit schattigen Vanmgängen, besonders von Platanen, umgaben sie. Sie galten
mit Recht als besondre Zierden der griechischen Städte und fehlten Wohl in
keiner; Athen z. B. zählte schließlich sieben. Sie hatten auch Bibliotheken,
die wie die Bibliothek im athenischen Ptolemüosgymnasinm wohl alljährlich
durch bestimmte Bücherzuwendungen von selten der Epheben vermehrt wurden,
serner Tempel und Räume, wo Naturmerkwürdigkeiten aufbewahrt und ge¬
zeigt wurden. Benutze wurden sie außerdem zu Volksversammlungen, zur
Abhaltung gymnischer Wettkämpfe und öffentlicher Schulprüfuugen, zu Schul¬
festen und zu Musterungen der kriegspflichtigen Mannschaft.

Von besondrer Wichtigkeit aber waren in Athen und überall, wo die
Einrichtung der Ephebie bestand -- und wir haben Ephebenlisten selbst aus
den ferner Kaukasusländern und andern Endpunkten griechischer Kolonisation --,
die Gymnasien als Ausbildungsstätten der Epheben, d. h. der Jünglinge
zwischen achtzehn und zwanzig Jahren. Ursprünglich hatten alle athenischen
Bürgersöhne dieses Alters den Epheben angehört; erst in der makedonischer
und römischen Zeit werden Epheben nur noch die Söhne wohlhabender Bürger
und angesehener Fremden, deren Eltern entweder dauernd in Athen wohnten,
oder die ihre Söhne dort studiren ließen. Zu Ciceros Zeit finden wir unter
den attischen Epheben sogar die beiden Söhne eines kappadvkischen Königs.
Den Bewohnern der Insel Kos sollen die Athener, um der Verdienste des
berühmten koischen Arztes Hippokmtes willen, als ersten Fremden die Er¬
laubnis erteilt haben, ihre Söhne unter die athenischen Epheben aufnehmen
zu lassen. So lange Athen seine Bürger zum Kriegsdienste aufbot, dauerte
die Ephebie zwei Jahre; später, als ueben die militärische und leibliche Aus¬
bildung dieser Jünglinge die geistige mittels eines geregelten Besuchs von
Vorlesungen dazu angestellter Grammatiker, Rhetoren und Philosophen trat,
d.h. spätestens seit Beginn des ersten Jahrhunderts vor Christus, erschien
ein Jahr genügend, den Ephebenkursus durchzumachen. Jeder, der antike



") Mommsen, Römische Geschichte, Band 6. Vergleichen läßt sich die ähnliche Ent¬
artung unsrer mittelalterlichen "Ballhäuser."
Anabenerziehung und Anabenunterricht im alten Hellas

Zeit nur zum Betrieb von Leibesübungen, und zweitens waren sie nicht aus¬
schließlich für die reifere Jugend bestimmt, sondern Tnrnstütten für alle
Bürger. Wurden sie doch schließlich in Kleinasien zu Gesellschaftslokalen, zu
„Bürgerkasinos und Ressource»,"*) in Syrien zu Lokalen für Schmausereien
und Gelage.

Diese Gymnasien, deren Umfang immer mehr zunahm, waren im Freien
gelegen, wenn auch meist nahe bei der Stadtmauer, und zwar so, daß
Gelegenheit zum Baden und Schwimmen in der Nähe war. Sie waren reich
geschmückt mit Götterbildern und den Statuen verdienter Bürger, Gelehrten,
Lehrer und Wohlthäter, die oft auch in ihnen ihre Grabstätte hatten. Gärten
mit schattigen Vanmgängen, besonders von Platanen, umgaben sie. Sie galten
mit Recht als besondre Zierden der griechischen Städte und fehlten Wohl in
keiner; Athen z. B. zählte schließlich sieben. Sie hatten auch Bibliotheken,
die wie die Bibliothek im athenischen Ptolemüosgymnasinm wohl alljährlich
durch bestimmte Bücherzuwendungen von selten der Epheben vermehrt wurden,
serner Tempel und Räume, wo Naturmerkwürdigkeiten aufbewahrt und ge¬
zeigt wurden. Benutze wurden sie außerdem zu Volksversammlungen, zur
Abhaltung gymnischer Wettkämpfe und öffentlicher Schulprüfuugen, zu Schul¬
festen und zu Musterungen der kriegspflichtigen Mannschaft.

Von besondrer Wichtigkeit aber waren in Athen und überall, wo die
Einrichtung der Ephebie bestand — und wir haben Ephebenlisten selbst aus
den ferner Kaukasusländern und andern Endpunkten griechischer Kolonisation —,
die Gymnasien als Ausbildungsstätten der Epheben, d. h. der Jünglinge
zwischen achtzehn und zwanzig Jahren. Ursprünglich hatten alle athenischen
Bürgersöhne dieses Alters den Epheben angehört; erst in der makedonischer
und römischen Zeit werden Epheben nur noch die Söhne wohlhabender Bürger
und angesehener Fremden, deren Eltern entweder dauernd in Athen wohnten,
oder die ihre Söhne dort studiren ließen. Zu Ciceros Zeit finden wir unter
den attischen Epheben sogar die beiden Söhne eines kappadvkischen Königs.
Den Bewohnern der Insel Kos sollen die Athener, um der Verdienste des
berühmten koischen Arztes Hippokmtes willen, als ersten Fremden die Er¬
laubnis erteilt haben, ihre Söhne unter die athenischen Epheben aufnehmen
zu lassen. So lange Athen seine Bürger zum Kriegsdienste aufbot, dauerte
die Ephebie zwei Jahre; später, als ueben die militärische und leibliche Aus¬
bildung dieser Jünglinge die geistige mittels eines geregelten Besuchs von
Vorlesungen dazu angestellter Grammatiker, Rhetoren und Philosophen trat,
d.h. spätestens seit Beginn des ersten Jahrhunderts vor Christus, erschien
ein Jahr genügend, den Ephebenkursus durchzumachen. Jeder, der antike



") Mommsen, Römische Geschichte, Band 6. Vergleichen läßt sich die ähnliche Ent¬
artung unsrer mittelalterlichen „Ballhäuser."
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[0420] Anabenerziehung und Anabenunterricht im alten Hellas Zeit nur zum Betrieb von Leibesübungen, und zweitens waren sie nicht aus¬ schließlich für die reifere Jugend bestimmt, sondern Tnrnstütten für alle Bürger. Wurden sie doch schließlich in Kleinasien zu Gesellschaftslokalen, zu „Bürgerkasinos und Ressource»,"*) in Syrien zu Lokalen für Schmausereien und Gelage. Diese Gymnasien, deren Umfang immer mehr zunahm, waren im Freien gelegen, wenn auch meist nahe bei der Stadtmauer, und zwar so, daß Gelegenheit zum Baden und Schwimmen in der Nähe war. Sie waren reich geschmückt mit Götterbildern und den Statuen verdienter Bürger, Gelehrten, Lehrer und Wohlthäter, die oft auch in ihnen ihre Grabstätte hatten. Gärten mit schattigen Vanmgängen, besonders von Platanen, umgaben sie. Sie galten mit Recht als besondre Zierden der griechischen Städte und fehlten Wohl in keiner; Athen z. B. zählte schließlich sieben. Sie hatten auch Bibliotheken, die wie die Bibliothek im athenischen Ptolemüosgymnasinm wohl alljährlich durch bestimmte Bücherzuwendungen von selten der Epheben vermehrt wurden, serner Tempel und Räume, wo Naturmerkwürdigkeiten aufbewahrt und ge¬ zeigt wurden. Benutze wurden sie außerdem zu Volksversammlungen, zur Abhaltung gymnischer Wettkämpfe und öffentlicher Schulprüfuugen, zu Schul¬ festen und zu Musterungen der kriegspflichtigen Mannschaft. Von besondrer Wichtigkeit aber waren in Athen und überall, wo die Einrichtung der Ephebie bestand — und wir haben Ephebenlisten selbst aus den ferner Kaukasusländern und andern Endpunkten griechischer Kolonisation —, die Gymnasien als Ausbildungsstätten der Epheben, d. h. der Jünglinge zwischen achtzehn und zwanzig Jahren. Ursprünglich hatten alle athenischen Bürgersöhne dieses Alters den Epheben angehört; erst in der makedonischer und römischen Zeit werden Epheben nur noch die Söhne wohlhabender Bürger und angesehener Fremden, deren Eltern entweder dauernd in Athen wohnten, oder die ihre Söhne dort studiren ließen. Zu Ciceros Zeit finden wir unter den attischen Epheben sogar die beiden Söhne eines kappadvkischen Königs. Den Bewohnern der Insel Kos sollen die Athener, um der Verdienste des berühmten koischen Arztes Hippokmtes willen, als ersten Fremden die Er¬ laubnis erteilt haben, ihre Söhne unter die athenischen Epheben aufnehmen zu lassen. So lange Athen seine Bürger zum Kriegsdienste aufbot, dauerte die Ephebie zwei Jahre; später, als ueben die militärische und leibliche Aus¬ bildung dieser Jünglinge die geistige mittels eines geregelten Besuchs von Vorlesungen dazu angestellter Grammatiker, Rhetoren und Philosophen trat, d.h. spätestens seit Beginn des ersten Jahrhunderts vor Christus, erschien ein Jahr genügend, den Ephebenkursus durchzumachen. Jeder, der antike ") Mommsen, Römische Geschichte, Band 6. Vergleichen läßt sich die ähnliche Ent¬ artung unsrer mittelalterlichen „Ballhäuser."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/420>, abgerufen am 25.08.2024.