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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste

Aber auf unsrer Fahrt ist es doch geschehen, und wir haben den Ruhm
davon.

So is es. Den haben Sie.

Stolz schössen sie bald darauf mit ihrem "havarirten Schiff" in den
Hafen hinein, leider fast ohne Molenpublikum, da die vorgerückte Mittags¬
stunde den größten Teil der Badegäste an den Futterplützen gesammelt hielt.

4

Mein Magen hängt bedenklich schief, sagte Fritz, nachdem sie ausgestiegen
waren und er Margarete aus ihren verschiednen Hüllen gewickelt hatte. Hoffent¬
lich kriegen wir nun was Gescheites zu essen.

Aber die frische Harmlosigkeit ihrer Segelfahrtstimmung schien Margarete
wieder gänzlich abhanden gekommen zu sein. Sie ging eilig, ohne seinen dar-
gebotnen Arm anzunehmen, behauptete plötzlich zu frösteln und antwortete auf
seine Anreden nur karg. Mit verschlossener Miene schaute sie geradeaus. Fritz
beobachtete sie von der Seite und ließ sie dann gewähren.

Stumm kamen sie in ihren Zimmern an. Zieh du dich nur zuerst um,
sagte Margarete kühl. Du bist ja ganz durchnäßt. Damit setzte sie sich in
die Sofaecke und nahm eine Zeitung zur Hand.

Kann geschehen, antwortete Fritz ruhig. Ich bin schnell fertig.

Als er zurückkam, ging sie sofort hinaus. Ich werde mich beeilen, mur¬
melte sie vor sich hiu und schloß die Thür hinter sich ab.

Fritz sah ihr nach und seufzte leise. Dann trat er ans Fenster und
blickte auf das graue Wasser hinaus, auf seine "alte Ostsee," die unter dem
verdunkelten Himmel trübselig öde in kurzen, hastigen Wellen rauschte. Was
sie etwa eben erzählte, war traurig genng, und frohe Gedanken nahm sie wohl
auch nicht hin von dem, der ihr zuzuhören gewohnt war.

Ich bin fertig, sagte Margarete.

Fritz drehte sich schnell um. Also komm!

Sie aßen in der großen Glasveranda, deren Schiebfenster der zunehmenden
Kühle wegen geschlossen waren. Außer ihnen saßen noch mehrere Parteien
an deu kleinen Tischen, die an der Fensterwand entlang standen.

Die Mahlzeit verlief unerfreulich. Trotz Fritzens immer wiederholten Ver¬
suchen kam keine gemütliche und harmlose Unterhaltung zu stände. Margarete
hörte zu und antwortete, aber ohne Teilnahme; anscheinend nnr aus Höflich¬
keit. In ihrem Gesicht rührte sich nichts.

In Fritz stieg nach und nach ein finstrer Verdruß auf. Wir "machen
Konversation," dachte er im stillen; reizender Zustand! Er verstummte end¬
lich, und so saßen sie sich gegenüber wie Leute, die sich nichts zu sagen haben,
weil sie im Herzen meilenweit von einander entfernt find. Und das nach vier¬
zehn Tagen, dachte Fritz und sah mit einem Blick, der aus Trauer und Zorn
gemischt war, zu der Frau hinüber, die blaß und trübsinnig vor sich hin¬
starrte. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht herunter und zog den Bart
durch die Finger. Geduld! ermahnte er sich selbst; dann standen sie auf.

Wir gehen wohl am besten wieder zu uns hinauf, uicht wahr? fragte er
freundlich. Es hat angefangen zu regnen. Unternehmen können wir ja doch
nichts. Vielleicht hast 'du Lust, einen Brief zu schreiben; ich hätte auch noch
einiges zu erledigen. Komm!


Der erste Beste

Aber auf unsrer Fahrt ist es doch geschehen, und wir haben den Ruhm
davon.

So is es. Den haben Sie.

Stolz schössen sie bald darauf mit ihrem „havarirten Schiff" in den
Hafen hinein, leider fast ohne Molenpublikum, da die vorgerückte Mittags¬
stunde den größten Teil der Badegäste an den Futterplützen gesammelt hielt.

4

Mein Magen hängt bedenklich schief, sagte Fritz, nachdem sie ausgestiegen
waren und er Margarete aus ihren verschiednen Hüllen gewickelt hatte. Hoffent¬
lich kriegen wir nun was Gescheites zu essen.

Aber die frische Harmlosigkeit ihrer Segelfahrtstimmung schien Margarete
wieder gänzlich abhanden gekommen zu sein. Sie ging eilig, ohne seinen dar-
gebotnen Arm anzunehmen, behauptete plötzlich zu frösteln und antwortete auf
seine Anreden nur karg. Mit verschlossener Miene schaute sie geradeaus. Fritz
beobachtete sie von der Seite und ließ sie dann gewähren.

Stumm kamen sie in ihren Zimmern an. Zieh du dich nur zuerst um,
sagte Margarete kühl. Du bist ja ganz durchnäßt. Damit setzte sie sich in
die Sofaecke und nahm eine Zeitung zur Hand.

Kann geschehen, antwortete Fritz ruhig. Ich bin schnell fertig.

Als er zurückkam, ging sie sofort hinaus. Ich werde mich beeilen, mur¬
melte sie vor sich hiu und schloß die Thür hinter sich ab.

Fritz sah ihr nach und seufzte leise. Dann trat er ans Fenster und
blickte auf das graue Wasser hinaus, auf seine „alte Ostsee," die unter dem
verdunkelten Himmel trübselig öde in kurzen, hastigen Wellen rauschte. Was
sie etwa eben erzählte, war traurig genng, und frohe Gedanken nahm sie wohl
auch nicht hin von dem, der ihr zuzuhören gewohnt war.

Ich bin fertig, sagte Margarete.

Fritz drehte sich schnell um. Also komm!

Sie aßen in der großen Glasveranda, deren Schiebfenster der zunehmenden
Kühle wegen geschlossen waren. Außer ihnen saßen noch mehrere Parteien
an deu kleinen Tischen, die an der Fensterwand entlang standen.

Die Mahlzeit verlief unerfreulich. Trotz Fritzens immer wiederholten Ver¬
suchen kam keine gemütliche und harmlose Unterhaltung zu stände. Margarete
hörte zu und antwortete, aber ohne Teilnahme; anscheinend nnr aus Höflich¬
keit. In ihrem Gesicht rührte sich nichts.

In Fritz stieg nach und nach ein finstrer Verdruß auf. Wir „machen
Konversation," dachte er im stillen; reizender Zustand! Er verstummte end¬
lich, und so saßen sie sich gegenüber wie Leute, die sich nichts zu sagen haben,
weil sie im Herzen meilenweit von einander entfernt find. Und das nach vier¬
zehn Tagen, dachte Fritz und sah mit einem Blick, der aus Trauer und Zorn
gemischt war, zu der Frau hinüber, die blaß und trübsinnig vor sich hin¬
starrte. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht herunter und zog den Bart
durch die Finger. Geduld! ermahnte er sich selbst; dann standen sie auf.

Wir gehen wohl am besten wieder zu uns hinauf, uicht wahr? fragte er
freundlich. Es hat angefangen zu regnen. Unternehmen können wir ja doch
nichts. Vielleicht hast 'du Lust, einen Brief zu schreiben; ich hätte auch noch
einiges zu erledigen. Komm!


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[0392] Der erste Beste Aber auf unsrer Fahrt ist es doch geschehen, und wir haben den Ruhm davon. So is es. Den haben Sie. Stolz schössen sie bald darauf mit ihrem „havarirten Schiff" in den Hafen hinein, leider fast ohne Molenpublikum, da die vorgerückte Mittags¬ stunde den größten Teil der Badegäste an den Futterplützen gesammelt hielt. 4 Mein Magen hängt bedenklich schief, sagte Fritz, nachdem sie ausgestiegen waren und er Margarete aus ihren verschiednen Hüllen gewickelt hatte. Hoffent¬ lich kriegen wir nun was Gescheites zu essen. Aber die frische Harmlosigkeit ihrer Segelfahrtstimmung schien Margarete wieder gänzlich abhanden gekommen zu sein. Sie ging eilig, ohne seinen dar- gebotnen Arm anzunehmen, behauptete plötzlich zu frösteln und antwortete auf seine Anreden nur karg. Mit verschlossener Miene schaute sie geradeaus. Fritz beobachtete sie von der Seite und ließ sie dann gewähren. Stumm kamen sie in ihren Zimmern an. Zieh du dich nur zuerst um, sagte Margarete kühl. Du bist ja ganz durchnäßt. Damit setzte sie sich in die Sofaecke und nahm eine Zeitung zur Hand. Kann geschehen, antwortete Fritz ruhig. Ich bin schnell fertig. Als er zurückkam, ging sie sofort hinaus. Ich werde mich beeilen, mur¬ melte sie vor sich hiu und schloß die Thür hinter sich ab. Fritz sah ihr nach und seufzte leise. Dann trat er ans Fenster und blickte auf das graue Wasser hinaus, auf seine „alte Ostsee," die unter dem verdunkelten Himmel trübselig öde in kurzen, hastigen Wellen rauschte. Was sie etwa eben erzählte, war traurig genng, und frohe Gedanken nahm sie wohl auch nicht hin von dem, der ihr zuzuhören gewohnt war. Ich bin fertig, sagte Margarete. Fritz drehte sich schnell um. Also komm! Sie aßen in der großen Glasveranda, deren Schiebfenster der zunehmenden Kühle wegen geschlossen waren. Außer ihnen saßen noch mehrere Parteien an deu kleinen Tischen, die an der Fensterwand entlang standen. Die Mahlzeit verlief unerfreulich. Trotz Fritzens immer wiederholten Ver¬ suchen kam keine gemütliche und harmlose Unterhaltung zu stände. Margarete hörte zu und antwortete, aber ohne Teilnahme; anscheinend nnr aus Höflich¬ keit. In ihrem Gesicht rührte sich nichts. In Fritz stieg nach und nach ein finstrer Verdruß auf. Wir „machen Konversation," dachte er im stillen; reizender Zustand! Er verstummte end¬ lich, und so saßen sie sich gegenüber wie Leute, die sich nichts zu sagen haben, weil sie im Herzen meilenweit von einander entfernt find. Und das nach vier¬ zehn Tagen, dachte Fritz und sah mit einem Blick, der aus Trauer und Zorn gemischt war, zu der Frau hinüber, die blaß und trübsinnig vor sich hin¬ starrte. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht herunter und zog den Bart durch die Finger. Geduld! ermahnte er sich selbst; dann standen sie auf. Wir gehen wohl am besten wieder zu uns hinauf, uicht wahr? fragte er freundlich. Es hat angefangen zu regnen. Unternehmen können wir ja doch nichts. Vielleicht hast 'du Lust, einen Brief zu schreiben; ich hätte auch noch einiges zu erledigen. Komm!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/392>, abgerufen am 26.06.2024.