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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste

Aber die so wütend thun und einen so frech die Zähne zeigen, das sind nich
die schlimmsten; über die steigt man rüber. Bloß wenn sie gerade vorm Boot
das Platzen kriegen, denn giebts en Ruck, denn wird man naß -- August,
paß up!

Klatsch! das war eine.

Nielsen, der am meisten Aufgesetzte, hatte sich schnell hinter seine große
Lederjacke geduckt, die er ausgebreitet auf den Knieen hielt.

Der ist schlau, rief Fritz lachend, als ihnen der Fischer sein Hakenprofil
zuwandte, während er stumm seine nasse Schutzdecke abklopfte.

Margarete blickte mit strahlenden Augen dem lustigen Weitertreiben ent¬
gegen; mit der freien Hand hielt sie sich an der Bank fest, die Füße stemmte
sie gegen einen der großen Ballaststeine, und mit dem Oberkörper begleitete
sie biegsam jede Bewegung des Bootes. Auf und nieder, auf und nieder, jetzt
mit Stampfen und Stoßen, mit Spritzen und sprühen, jetzt wieder in großem
Schwunge auf- und abwärts. So schön war sie noch nie gesegelt. Ein paar
mal jubelte sie beinahe laut auf. Alles Herzeleid schien vergessen, alle Bitter¬
keit von dem frischen, reinen Wind verweht, die heißen Augen gekühlt und
geklärt in dem stäubenden Wasserdunst.

Fritz betrachtete sie mit stillem Glück von der Seite. Gottlob, dachte er,
sie ist nicht umsonst achtzehn Jahre alt. Heute thuts das große Wasser, ein
andermal wirds die liebe Sonne thun. Mutter Natur ist doch der beste Not¬
helfer. Nur hinein mit dir ins Leben, du Kind, es wird schon gehen. Am
liebsten hätte er sie beim Kopfe genommen und abgeküßt. Es lockte ihn, das
kleine, strahlende Gesichtchen in beide Hände zu nehmen und die Lippen auf
den warmen, roten Mund zu drücken. Aber er hütete sich wohl, den Zauber
Neptuns zu stören.

Seht doch, wie schön, rief sie, auf eine breite, hohe Welle deutend, die
wirbelnd, schäumend von fern daherkam.

Ja, nickte er, Poseidons Rosse. Wie Recht hatten die Alten mit dem
Bild, nicht wahr? Sollte man nicht wirklich glauben, dieses schäumende Ge-
wirbel wäre eine Reihe weißer, langmähniger Rosse, die dcchergerast kommen?
Ich sehe ordentlich den alten Meergott, der sie führt, mit hochgeschwungnem
Dreizack.

Margarete nickte ihm zu. Ja, da hast du Recht. -- Es war das erstemal,
daß sie ihn wieder ansah, isle wurde rot.

Aber du wirst ja so naß am Halse, rief sie dann, indem sie ihn unruhig
betrachtete. Knopf doch deinen Rock zu! Ist dir nicht kalt?

Keine Spur, Kindchen.

Knopf nur zu und schlage den Rockkragen herauf.

Er gehorchte lächelnd. Wenns dir Spaß macht -- ich bin zwar nicht
von Zucker.

Und dein Hut?

Den hab ich unter die Bank gelegt. Er wäre mir sonst noch weggeflogen.
Wetter nochmal, sieh hin, die Welle! Nielsen, es giebt was!

Es gab was, aber etwas Unerwartetes: ein splitterndes, knisterndes
Krachen. Der Mast, von oben bis unten schütternd, neigte sich schräg etwas
nach vorn.

Wat is dat? rief Sellentien erschrocken.

Nielsen sprang auf. De Mast is broken!


Der erste Beste

Aber die so wütend thun und einen so frech die Zähne zeigen, das sind nich
die schlimmsten; über die steigt man rüber. Bloß wenn sie gerade vorm Boot
das Platzen kriegen, denn giebts en Ruck, denn wird man naß — August,
paß up!

Klatsch! das war eine.

Nielsen, der am meisten Aufgesetzte, hatte sich schnell hinter seine große
Lederjacke geduckt, die er ausgebreitet auf den Knieen hielt.

Der ist schlau, rief Fritz lachend, als ihnen der Fischer sein Hakenprofil
zuwandte, während er stumm seine nasse Schutzdecke abklopfte.

Margarete blickte mit strahlenden Augen dem lustigen Weitertreiben ent¬
gegen; mit der freien Hand hielt sie sich an der Bank fest, die Füße stemmte
sie gegen einen der großen Ballaststeine, und mit dem Oberkörper begleitete
sie biegsam jede Bewegung des Bootes. Auf und nieder, auf und nieder, jetzt
mit Stampfen und Stoßen, mit Spritzen und sprühen, jetzt wieder in großem
Schwunge auf- und abwärts. So schön war sie noch nie gesegelt. Ein paar
mal jubelte sie beinahe laut auf. Alles Herzeleid schien vergessen, alle Bitter¬
keit von dem frischen, reinen Wind verweht, die heißen Augen gekühlt und
geklärt in dem stäubenden Wasserdunst.

Fritz betrachtete sie mit stillem Glück von der Seite. Gottlob, dachte er,
sie ist nicht umsonst achtzehn Jahre alt. Heute thuts das große Wasser, ein
andermal wirds die liebe Sonne thun. Mutter Natur ist doch der beste Not¬
helfer. Nur hinein mit dir ins Leben, du Kind, es wird schon gehen. Am
liebsten hätte er sie beim Kopfe genommen und abgeküßt. Es lockte ihn, das
kleine, strahlende Gesichtchen in beide Hände zu nehmen und die Lippen auf
den warmen, roten Mund zu drücken. Aber er hütete sich wohl, den Zauber
Neptuns zu stören.

Seht doch, wie schön, rief sie, auf eine breite, hohe Welle deutend, die
wirbelnd, schäumend von fern daherkam.

Ja, nickte er, Poseidons Rosse. Wie Recht hatten die Alten mit dem
Bild, nicht wahr? Sollte man nicht wirklich glauben, dieses schäumende Ge-
wirbel wäre eine Reihe weißer, langmähniger Rosse, die dcchergerast kommen?
Ich sehe ordentlich den alten Meergott, der sie führt, mit hochgeschwungnem
Dreizack.

Margarete nickte ihm zu. Ja, da hast du Recht. — Es war das erstemal,
daß sie ihn wieder ansah, isle wurde rot.

Aber du wirst ja so naß am Halse, rief sie dann, indem sie ihn unruhig
betrachtete. Knopf doch deinen Rock zu! Ist dir nicht kalt?

Keine Spur, Kindchen.

Knopf nur zu und schlage den Rockkragen herauf.

Er gehorchte lächelnd. Wenns dir Spaß macht — ich bin zwar nicht
von Zucker.

Und dein Hut?

Den hab ich unter die Bank gelegt. Er wäre mir sonst noch weggeflogen.
Wetter nochmal, sieh hin, die Welle! Nielsen, es giebt was!

Es gab was, aber etwas Unerwartetes: ein splitterndes, knisterndes
Krachen. Der Mast, von oben bis unten schütternd, neigte sich schräg etwas
nach vorn.

Wat is dat? rief Sellentien erschrocken.

Nielsen sprang auf. De Mast is broken!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/390>, abgerufen am 01.07.2024.