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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Behandlung des Verbrechers

nicht durch etwas andres gehemmt wird, was der Staat nicht geben und be¬
einflussen kann. So sind ja auch nicht alle Kranken imstande, ihre Gelüste
nach einer verbotenen Speise zu unterdrücken, obwohl sie wissen, daß ihre
Schwäche ihnen den Tod oder doch große Schmerzen verursachen kann. Das
würde aber doch noch nicht die Nutzlosigkeit der ärztlichen Warnung beweisen,
da sich im Gegenteil viele andre aus Furcht vor den angedrohten Übeln be¬
zwingen lernen. So gänzlich vergeblich und so vollständig gerichtet ist also
die Abschrcckungstheorie doch wohl nicht, sonst hätten ja die leider immer
zahlreicher werdenden Strafandrohungen nur den Zweck, die Zuchthäuser und
Gefängnisse nicht leer stehen zu lassen. Man vergegenwärtige sich nur einmal,
alle deu Diebstahl unter Strase stellenden Bestimmungen würden plötzlich
aufgehoben, so fürchte ich bei aller Achtung vor dem sittlichen Gefühl vieler,
es würde das ein großes Zusammenraffen geben, und es würde sich im stillen
eine gewaltige Umwälzung der Eigentumsverhältnisse vollziehen. Oder man
denke sich, es wäre nicht mehr strafbar, sein altes, baufälliges Häuschen an¬
zuzünden, wie viele würden sich dann schnell dazu entschließen, die bisher
nicht aus sittlichen Gründen, sondern aus Furcht vor dem Zuchthaus das
Zündholz in der Tasche behalten haben! Ich glaube.es würde das ein FeuÄ
geben, bei dem einem doch Wohl die Bedeutung des durch die Strafandrohung
ausgeübten Zwanges einleuchten würde. Damit soll keineswegs die blutige
Abschrecknngstheorie verteidigt werden, die früher als Evangelium galt und
die auch jetzt noch oft genug strenge Anhänger andrer Theorien ganz harmlos
zwischendurch einmal empfehlen, denn das thun sie doch wohl, wenn sie ein über
das andremal rufen: Prügel, Prügel, nur Prügel helfen und flößen noch Furcht
und Schrecken ein! Die alte Abschreckungstheorie ist gerichtet, weil sie einseitig
der Sicherung der Gesellschaft dienen wollte und darum unmenschlich, grau¬
sam und brutal war. Feuerbach sagt: "Man braucht das Blut des Ver¬
urteilten zum psychologischen Experiment. So nagelt der Landmann den Raub¬
vogel an die Thür seiner Scheune, nicht zur Strafe, sondern zum Scheusal
für andre." So verfährt man allerdings mit Raubvögeln, aber lebendige
Menschen soll man doch wohl nicht zu Experimenten verbrauchen! Allmählich
erinnerte man sich denn auch daran, daß man bei der Strafe nicht bloß an
die menschliche Gesellschaft zu denken habe, sondern auch an den Verbrecher,
und diesen Gedanken, daß durch die Strafe ein nützlicher Zweck erreicht werden
solle, entweder für die Gesellschaft oder für den Verbrecher oder endlich für
beide, bringen die verschiednen relativen Theorien zum Ausdruck. Wenn es
aber der Staat durch seine Strafmacht dahin bringt, daß eine große Anzahl
von Gesetzesübertretungen unterbleiben und eine Menge Menschen, wenn nicht
aus Pflichtgefühl, so doch aus Furcht gesetzlich handeln, wenn er ferner alle,
die ihre Freiheit zum Schaden der Gesellschaft mißbraucht haben, so weit er
ihrer habhaft werden kann, für kürzere oder längere Zeit unschädlich macht,


Die Behandlung des Verbrechers

nicht durch etwas andres gehemmt wird, was der Staat nicht geben und be¬
einflussen kann. So sind ja auch nicht alle Kranken imstande, ihre Gelüste
nach einer verbotenen Speise zu unterdrücken, obwohl sie wissen, daß ihre
Schwäche ihnen den Tod oder doch große Schmerzen verursachen kann. Das
würde aber doch noch nicht die Nutzlosigkeit der ärztlichen Warnung beweisen,
da sich im Gegenteil viele andre aus Furcht vor den angedrohten Übeln be¬
zwingen lernen. So gänzlich vergeblich und so vollständig gerichtet ist also
die Abschrcckungstheorie doch wohl nicht, sonst hätten ja die leider immer
zahlreicher werdenden Strafandrohungen nur den Zweck, die Zuchthäuser und
Gefängnisse nicht leer stehen zu lassen. Man vergegenwärtige sich nur einmal,
alle deu Diebstahl unter Strase stellenden Bestimmungen würden plötzlich
aufgehoben, so fürchte ich bei aller Achtung vor dem sittlichen Gefühl vieler,
es würde das ein großes Zusammenraffen geben, und es würde sich im stillen
eine gewaltige Umwälzung der Eigentumsverhältnisse vollziehen. Oder man
denke sich, es wäre nicht mehr strafbar, sein altes, baufälliges Häuschen an¬
zuzünden, wie viele würden sich dann schnell dazu entschließen, die bisher
nicht aus sittlichen Gründen, sondern aus Furcht vor dem Zuchthaus das
Zündholz in der Tasche behalten haben! Ich glaube.es würde das ein FeuÄ
geben, bei dem einem doch Wohl die Bedeutung des durch die Strafandrohung
ausgeübten Zwanges einleuchten würde. Damit soll keineswegs die blutige
Abschrecknngstheorie verteidigt werden, die früher als Evangelium galt und
die auch jetzt noch oft genug strenge Anhänger andrer Theorien ganz harmlos
zwischendurch einmal empfehlen, denn das thun sie doch wohl, wenn sie ein über
das andremal rufen: Prügel, Prügel, nur Prügel helfen und flößen noch Furcht
und Schrecken ein! Die alte Abschreckungstheorie ist gerichtet, weil sie einseitig
der Sicherung der Gesellschaft dienen wollte und darum unmenschlich, grau¬
sam und brutal war. Feuerbach sagt: „Man braucht das Blut des Ver¬
urteilten zum psychologischen Experiment. So nagelt der Landmann den Raub¬
vogel an die Thür seiner Scheune, nicht zur Strafe, sondern zum Scheusal
für andre." So verfährt man allerdings mit Raubvögeln, aber lebendige
Menschen soll man doch wohl nicht zu Experimenten verbrauchen! Allmählich
erinnerte man sich denn auch daran, daß man bei der Strafe nicht bloß an
die menschliche Gesellschaft zu denken habe, sondern auch an den Verbrecher,
und diesen Gedanken, daß durch die Strafe ein nützlicher Zweck erreicht werden
solle, entweder für die Gesellschaft oder für den Verbrecher oder endlich für
beide, bringen die verschiednen relativen Theorien zum Ausdruck. Wenn es
aber der Staat durch seine Strafmacht dahin bringt, daß eine große Anzahl
von Gesetzesübertretungen unterbleiben und eine Menge Menschen, wenn nicht
aus Pflichtgefühl, so doch aus Furcht gesetzlich handeln, wenn er ferner alle,
die ihre Freiheit zum Schaden der Gesellschaft mißbraucht haben, so weit er
ihrer habhaft werden kann, für kürzere oder längere Zeit unschädlich macht,


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[0038] Die Behandlung des Verbrechers nicht durch etwas andres gehemmt wird, was der Staat nicht geben und be¬ einflussen kann. So sind ja auch nicht alle Kranken imstande, ihre Gelüste nach einer verbotenen Speise zu unterdrücken, obwohl sie wissen, daß ihre Schwäche ihnen den Tod oder doch große Schmerzen verursachen kann. Das würde aber doch noch nicht die Nutzlosigkeit der ärztlichen Warnung beweisen, da sich im Gegenteil viele andre aus Furcht vor den angedrohten Übeln be¬ zwingen lernen. So gänzlich vergeblich und so vollständig gerichtet ist also die Abschrcckungstheorie doch wohl nicht, sonst hätten ja die leider immer zahlreicher werdenden Strafandrohungen nur den Zweck, die Zuchthäuser und Gefängnisse nicht leer stehen zu lassen. Man vergegenwärtige sich nur einmal, alle deu Diebstahl unter Strase stellenden Bestimmungen würden plötzlich aufgehoben, so fürchte ich bei aller Achtung vor dem sittlichen Gefühl vieler, es würde das ein großes Zusammenraffen geben, und es würde sich im stillen eine gewaltige Umwälzung der Eigentumsverhältnisse vollziehen. Oder man denke sich, es wäre nicht mehr strafbar, sein altes, baufälliges Häuschen an¬ zuzünden, wie viele würden sich dann schnell dazu entschließen, die bisher nicht aus sittlichen Gründen, sondern aus Furcht vor dem Zuchthaus das Zündholz in der Tasche behalten haben! Ich glaube.es würde das ein FeuÄ geben, bei dem einem doch Wohl die Bedeutung des durch die Strafandrohung ausgeübten Zwanges einleuchten würde. Damit soll keineswegs die blutige Abschrecknngstheorie verteidigt werden, die früher als Evangelium galt und die auch jetzt noch oft genug strenge Anhänger andrer Theorien ganz harmlos zwischendurch einmal empfehlen, denn das thun sie doch wohl, wenn sie ein über das andremal rufen: Prügel, Prügel, nur Prügel helfen und flößen noch Furcht und Schrecken ein! Die alte Abschreckungstheorie ist gerichtet, weil sie einseitig der Sicherung der Gesellschaft dienen wollte und darum unmenschlich, grau¬ sam und brutal war. Feuerbach sagt: „Man braucht das Blut des Ver¬ urteilten zum psychologischen Experiment. So nagelt der Landmann den Raub¬ vogel an die Thür seiner Scheune, nicht zur Strafe, sondern zum Scheusal für andre." So verfährt man allerdings mit Raubvögeln, aber lebendige Menschen soll man doch wohl nicht zu Experimenten verbrauchen! Allmählich erinnerte man sich denn auch daran, daß man bei der Strafe nicht bloß an die menschliche Gesellschaft zu denken habe, sondern auch an den Verbrecher, und diesen Gedanken, daß durch die Strafe ein nützlicher Zweck erreicht werden solle, entweder für die Gesellschaft oder für den Verbrecher oder endlich für beide, bringen die verschiednen relativen Theorien zum Ausdruck. Wenn es aber der Staat durch seine Strafmacht dahin bringt, daß eine große Anzahl von Gesetzesübertretungen unterbleiben und eine Menge Menschen, wenn nicht aus Pflichtgefühl, so doch aus Furcht gesetzlich handeln, wenn er ferner alle, die ihre Freiheit zum Schaden der Gesellschaft mißbraucht haben, so weit er ihrer habhaft werden kann, für kürzere oder längere Zeit unschädlich macht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/38>, abgerufen am 25.08.2024.