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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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ein solches den Völkern gesteckt sei, da ihre Entwicklung offenbar nicht nach
einer und derselben Schablone, sondern sehr verschieden verlaufe, noch sei es
vernünftig, anzunehmen, daß die Völker, nachdem sie die vermeintlich höchste
Stufe erreicht hätten, nun in alle Ewigkeit darauf würden verharren müssen.
(S. 368 bis 369.) Wir fügen noch hinzu, daß wir die englischen Zustände
überhaupt nicht für ideal halten können. Von Careys Ideal meint Knies
(S. 442), daß seine Verwirklichung "den Umfang und die geographische Lage
eines Landesterritoriums (sie!) voraussetze, wie sie das Gebiet der nordameri¬
kanischen Union mit seiner Erstreckung über die verschieden klimatischen Zonen
aufweist."




Eduard Hanslicks Lebenserinnerungen
(Schluß)

en größten Raum in Hanslicks Lebenserinnerungen nehmen seine
Berichte über bedeutende Männer und Frauen ein, die er per¬
sönlich hat keimen lernen. Meist ist das, was er giebt, anek¬
dotischer Art, aber gerade dadurch ist es geeignet, uns die großen
--.Künstler, die uns sonst fast nur aus ihren Werken oder aus ihren
Leistungen in der Öffentlichkeit bekannt sind, auch menschlich näher zu bringen.
Natürlich ist nicht alles gleich interessant, was Hanslick erzählt. Er selbst
weist auf die Schwierigkeit hin, die dem Selbstbiographen daraus erwächst,
daß er unmöglich immer wissen kaun, ob das, was große Wichtigkeit für ihn
persönlich gehabt hat. auch auf gleiches Interesse beim Leser rechnen dürfe.
Nach unserm Empfinden hat Hanslick diese Schwierigkeit nicht immer besiegt,
n erzählt manches, was in so breiter Form nicht mehr zu fesseln vermag.

Die Galerie seiner Bekanntschaften und Beziehungen reicht von Schumann,
Wagner und Berlioz bis zu Masecigni und Levncavallo. umfaßt also die
ganze Periode musikalischer Entwicklung, die wir alle zum Teil mit erlebt und
"ut durchgekämpft haben.

Vor allem fesselt das, was Hanslick über sein Verhältnis zu Richard
Wagner berichtet. Nachdem er Wagner 1845 in Marienbad kennen gelernt
Mte, besuchte er ihn bei einem Aufenthalt in Dresden: "Neben dem Glück.
Schumann kennen zu lernen, stand mir ein Besuch bei Richard Wagner in
angenehmer Aussicht." (Man beachte den feinen Unterschied der Ausdrucks¬
weise.) Schumann und Wagner verstanden aber einander schlecht. Schumann


ein solches den Völkern gesteckt sei, da ihre Entwicklung offenbar nicht nach
einer und derselben Schablone, sondern sehr verschieden verlaufe, noch sei es
vernünftig, anzunehmen, daß die Völker, nachdem sie die vermeintlich höchste
Stufe erreicht hätten, nun in alle Ewigkeit darauf würden verharren müssen.
(S. 368 bis 369.) Wir fügen noch hinzu, daß wir die englischen Zustände
überhaupt nicht für ideal halten können. Von Careys Ideal meint Knies
(S. 442), daß seine Verwirklichung „den Umfang und die geographische Lage
eines Landesterritoriums (sie!) voraussetze, wie sie das Gebiet der nordameri¬
kanischen Union mit seiner Erstreckung über die verschieden klimatischen Zonen
aufweist."




Eduard Hanslicks Lebenserinnerungen
(Schluß)

en größten Raum in Hanslicks Lebenserinnerungen nehmen seine
Berichte über bedeutende Männer und Frauen ein, die er per¬
sönlich hat keimen lernen. Meist ist das, was er giebt, anek¬
dotischer Art, aber gerade dadurch ist es geeignet, uns die großen
--.Künstler, die uns sonst fast nur aus ihren Werken oder aus ihren
Leistungen in der Öffentlichkeit bekannt sind, auch menschlich näher zu bringen.
Natürlich ist nicht alles gleich interessant, was Hanslick erzählt. Er selbst
weist auf die Schwierigkeit hin, die dem Selbstbiographen daraus erwächst,
daß er unmöglich immer wissen kaun, ob das, was große Wichtigkeit für ihn
persönlich gehabt hat. auch auf gleiches Interesse beim Leser rechnen dürfe.
Nach unserm Empfinden hat Hanslick diese Schwierigkeit nicht immer besiegt,
n erzählt manches, was in so breiter Form nicht mehr zu fesseln vermag.

Die Galerie seiner Bekanntschaften und Beziehungen reicht von Schumann,
Wagner und Berlioz bis zu Masecigni und Levncavallo. umfaßt also die
ganze Periode musikalischer Entwicklung, die wir alle zum Teil mit erlebt und
"ut durchgekämpft haben.

Vor allem fesselt das, was Hanslick über sein Verhältnis zu Richard
Wagner berichtet. Nachdem er Wagner 1845 in Marienbad kennen gelernt
Mte, besuchte er ihn bei einem Aufenthalt in Dresden: „Neben dem Glück.
Schumann kennen zu lernen, stand mir ein Besuch bei Richard Wagner in
angenehmer Aussicht." (Man beachte den feinen Unterschied der Ausdrucks¬
weise.) Schumann und Wagner verstanden aber einander schlecht. Schumann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/375>, abgerufen am 27.08.2024.