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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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List und Larey

Volk auch für sein Wirtschaftsleben haben, aber nicht jedes Ideal paßt für
alle Völker, und die anzuwendenden Mittel wechseln mit den Zeitverhältnissen,
Den Auslandshandel machen schon die klimatischen Verschiedenheiten, dann auch
die verschiednen Kulturstufen der gleichzeitig lebenden Völker unentbehrlich, und
je nach Bodengestalt, Lage und Kulturstufe ist das eine Land auf diese, das
andre auf jene Handelsartikel angewiesen. Auch Ccirey rät, vorzugsweise
Fabrikate aus- und Rohstoffe einzuführen, namentlich weil mit dem Umfange
der Ware die Transportkosten größer und die Gewinne kleiner werden. Aber
wenn alle Staaten den Rat befolgen wollten, wo sollten denn da die Fa¬
brikate abgesetzt und die Rohstoffe hergenommen werden? Internationale
Arbeitsteilung ist also unvermeidlich. Und durch ihre Lage sind gewisse Staaten
vorzugsweise zum Handel berufen; Phönizien, Karthago, Venedig, Holland,
England haben jedes nur den durch ihre Lage und die Zeitumstünde gewiesenen
Beruf erfüllt. Wenn die Bewohner des zuletzt genannten Landes in der Ver¬
folgung ihres natürlichen Berufs Maß und Ziel überschritten und Ungerechtig¬
keiten verübt haben, die zu ihrem eignen Unheil aufgeschlagen sind und noch
ferner ausschlagen werden, so liegt darin eine ernste Mahnung für andre
Völker. Auch von den Lehren Lifts und Careys heißt es also: Prüfet alles,
und das gute, d. h. in diesem Falle das bei unsrer heutigen Lage anwendbare,
behaltet.

Zum Schluß wollen wir das Urteil des lange unbeachtet gebliebner, in
neuerer Zeit aber zur Anerkennung gelangten Begründers der historischen
Schule der Nationalöknnomie, Karl Knies, über List erwähnen. Er erkennt
die Verdienste an, die sich List durch seine patriotische Thätigkeit, durch die
Hervorhebung der Wichtigkeit der Nationalität und der Politik in der Volks¬
wirtschaft und durch seine historische Methode erworben habe, findet aber,
gleich andern bedeutenden Nationalökonomen, seine geschichtlichen Kenntnisse
"sehr mittelmüßig" und beschuldigt ihn, er habe "die Geschichte nach einem
von vornherein adoptirten Thema verlaufen" lassen und, "statt bei ihr in die
Lehre zu gehen, ihre Lehren nach dem Bedürfnis seiner Theorie" eingerichtet.
(Die politische Ökonomie vom geschichtlichen Standpunkte. Neue Auflage
1883. S. 15 bis 16 und S. 284). Lifts Stufenfolge der ökonomischen Ent¬
wicklung : Fischer- und Jägerleben, Nomadenleben, Ackerbau, Gewerbe, Handel,
Agrikultur-Manufaktur-Handelsperiode, erklärt er für falsch. Jäger blieben Jäger
und würden niemals Ackerbauer, nicht überall sei dem Ackerbau nomadische
Viehzucht vorhergegangen; die edlern Kulturvölker Hütten schon auf den frühesten
Stufen sowohl Ackerbau als Gewerbe und Handel getrieben. List gehe in
Hegelscher Manier von der Ansicht aus, daß die Entwicklung aller Völker
demselben Ziele zustrebe, und entnehme dieses Ziel der Gegenwart, indem er
die volkswirtschaftlichen Zustände Englands für das höchste erreichbare halte.
Aber weder sei ein solches Ziel zu erkennen, noch sei es wahrscheinlich, daß


List und Larey

Volk auch für sein Wirtschaftsleben haben, aber nicht jedes Ideal paßt für
alle Völker, und die anzuwendenden Mittel wechseln mit den Zeitverhältnissen,
Den Auslandshandel machen schon die klimatischen Verschiedenheiten, dann auch
die verschiednen Kulturstufen der gleichzeitig lebenden Völker unentbehrlich, und
je nach Bodengestalt, Lage und Kulturstufe ist das eine Land auf diese, das
andre auf jene Handelsartikel angewiesen. Auch Ccirey rät, vorzugsweise
Fabrikate aus- und Rohstoffe einzuführen, namentlich weil mit dem Umfange
der Ware die Transportkosten größer und die Gewinne kleiner werden. Aber
wenn alle Staaten den Rat befolgen wollten, wo sollten denn da die Fa¬
brikate abgesetzt und die Rohstoffe hergenommen werden? Internationale
Arbeitsteilung ist also unvermeidlich. Und durch ihre Lage sind gewisse Staaten
vorzugsweise zum Handel berufen; Phönizien, Karthago, Venedig, Holland,
England haben jedes nur den durch ihre Lage und die Zeitumstünde gewiesenen
Beruf erfüllt. Wenn die Bewohner des zuletzt genannten Landes in der Ver¬
folgung ihres natürlichen Berufs Maß und Ziel überschritten und Ungerechtig¬
keiten verübt haben, die zu ihrem eignen Unheil aufgeschlagen sind und noch
ferner ausschlagen werden, so liegt darin eine ernste Mahnung für andre
Völker. Auch von den Lehren Lifts und Careys heißt es also: Prüfet alles,
und das gute, d. h. in diesem Falle das bei unsrer heutigen Lage anwendbare,
behaltet.

Zum Schluß wollen wir das Urteil des lange unbeachtet gebliebner, in
neuerer Zeit aber zur Anerkennung gelangten Begründers der historischen
Schule der Nationalöknnomie, Karl Knies, über List erwähnen. Er erkennt
die Verdienste an, die sich List durch seine patriotische Thätigkeit, durch die
Hervorhebung der Wichtigkeit der Nationalität und der Politik in der Volks¬
wirtschaft und durch seine historische Methode erworben habe, findet aber,
gleich andern bedeutenden Nationalökonomen, seine geschichtlichen Kenntnisse
„sehr mittelmüßig" und beschuldigt ihn, er habe „die Geschichte nach einem
von vornherein adoptirten Thema verlaufen" lassen und, „statt bei ihr in die
Lehre zu gehen, ihre Lehren nach dem Bedürfnis seiner Theorie" eingerichtet.
(Die politische Ökonomie vom geschichtlichen Standpunkte. Neue Auflage
1883. S. 15 bis 16 und S. 284). Lifts Stufenfolge der ökonomischen Ent¬
wicklung : Fischer- und Jägerleben, Nomadenleben, Ackerbau, Gewerbe, Handel,
Agrikultur-Manufaktur-Handelsperiode, erklärt er für falsch. Jäger blieben Jäger
und würden niemals Ackerbauer, nicht überall sei dem Ackerbau nomadische
Viehzucht vorhergegangen; die edlern Kulturvölker Hütten schon auf den frühesten
Stufen sowohl Ackerbau als Gewerbe und Handel getrieben. List gehe in
Hegelscher Manier von der Ansicht aus, daß die Entwicklung aller Völker
demselben Ziele zustrebe, und entnehme dieses Ziel der Gegenwart, indem er
die volkswirtschaftlichen Zustände Englands für das höchste erreichbare halte.
Aber weder sei ein solches Ziel zu erkennen, noch sei es wahrscheinlich, daß


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[0374] List und Larey Volk auch für sein Wirtschaftsleben haben, aber nicht jedes Ideal paßt für alle Völker, und die anzuwendenden Mittel wechseln mit den Zeitverhältnissen, Den Auslandshandel machen schon die klimatischen Verschiedenheiten, dann auch die verschiednen Kulturstufen der gleichzeitig lebenden Völker unentbehrlich, und je nach Bodengestalt, Lage und Kulturstufe ist das eine Land auf diese, das andre auf jene Handelsartikel angewiesen. Auch Ccirey rät, vorzugsweise Fabrikate aus- und Rohstoffe einzuführen, namentlich weil mit dem Umfange der Ware die Transportkosten größer und die Gewinne kleiner werden. Aber wenn alle Staaten den Rat befolgen wollten, wo sollten denn da die Fa¬ brikate abgesetzt und die Rohstoffe hergenommen werden? Internationale Arbeitsteilung ist also unvermeidlich. Und durch ihre Lage sind gewisse Staaten vorzugsweise zum Handel berufen; Phönizien, Karthago, Venedig, Holland, England haben jedes nur den durch ihre Lage und die Zeitumstünde gewiesenen Beruf erfüllt. Wenn die Bewohner des zuletzt genannten Landes in der Ver¬ folgung ihres natürlichen Berufs Maß und Ziel überschritten und Ungerechtig¬ keiten verübt haben, die zu ihrem eignen Unheil aufgeschlagen sind und noch ferner ausschlagen werden, so liegt darin eine ernste Mahnung für andre Völker. Auch von den Lehren Lifts und Careys heißt es also: Prüfet alles, und das gute, d. h. in diesem Falle das bei unsrer heutigen Lage anwendbare, behaltet. Zum Schluß wollen wir das Urteil des lange unbeachtet gebliebner, in neuerer Zeit aber zur Anerkennung gelangten Begründers der historischen Schule der Nationalöknnomie, Karl Knies, über List erwähnen. Er erkennt die Verdienste an, die sich List durch seine patriotische Thätigkeit, durch die Hervorhebung der Wichtigkeit der Nationalität und der Politik in der Volks¬ wirtschaft und durch seine historische Methode erworben habe, findet aber, gleich andern bedeutenden Nationalökonomen, seine geschichtlichen Kenntnisse „sehr mittelmüßig" und beschuldigt ihn, er habe „die Geschichte nach einem von vornherein adoptirten Thema verlaufen" lassen und, „statt bei ihr in die Lehre zu gehen, ihre Lehren nach dem Bedürfnis seiner Theorie" eingerichtet. (Die politische Ökonomie vom geschichtlichen Standpunkte. Neue Auflage 1883. S. 15 bis 16 und S. 284). Lifts Stufenfolge der ökonomischen Ent¬ wicklung : Fischer- und Jägerleben, Nomadenleben, Ackerbau, Gewerbe, Handel, Agrikultur-Manufaktur-Handelsperiode, erklärt er für falsch. Jäger blieben Jäger und würden niemals Ackerbauer, nicht überall sei dem Ackerbau nomadische Viehzucht vorhergegangen; die edlern Kulturvölker Hütten schon auf den frühesten Stufen sowohl Ackerbau als Gewerbe und Handel getrieben. List gehe in Hegelscher Manier von der Ansicht aus, daß die Entwicklung aller Völker demselben Ziele zustrebe, und entnehme dieses Ziel der Gegenwart, indem er die volkswirtschaftlichen Zustände Englands für das höchste erreichbare halte. Aber weder sei ein solches Ziel zu erkennen, noch sei es wahrscheinlich, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/374>, abgerufen am 27.08.2024.