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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hanslicks Lebenserinnerungen

antwortete auf die Frage, ob er viel mit Wagner verkehre: "Nein, für mich
ist Wagner unmöglich; er ist gewiß ein geistreicher Mensch, aber er redet in
einem fort. Man kann doch nicht immer reden." Wagner aber sagte, als er
auf Schumann zu sprechen kam: "Wir stehen äußerlich gut mit einander, aber
mit Schumann kann man nicht verkehren, er ist ein unmöglicher Mensch, er
redet gar nichts."

Wagner ist Hanslick weder als Mensch noch als Künstler sympathisch.
Dem Künstler zollt er, wenn auch mit einem gewissen Widerstreben oder Mi߬
behagen, einige Bewunderung, den Menschen aber weist er ganz von der Hand:
"Je mehr ich von Wagner wußte und erfuhr, im Laufe der Jahre von ihm
und über ihn las, desto mehr verminderte sich mein Respekt vor seinem Cha¬
rakter." Hanslick ist der Ansicht, daß Wagner in seiner leidenschaftlichen Ge¬
reiztheit jeder Ungerechtigkeit fähig gewesen sei; er sieht in ihm den personi-
fizirten Egoismus, der rastlos nur sür sich selbst thätig und gegen andre teil¬
nahmlos und rücksichtslos ist. Er zeiht ihn der Anmaßung und des Größen¬
wahns, der Ungerechtigkeit und Mißgunst. Daß ihm Wagner nach seiner
wenig günstigen Kritik des Lohengrin kühl entgegengetreten sei, habe ihn wenig
überrascht; er sei ja an derartigen Wechsel in den Gesinnungen der Künstler
gewöhnt. Daß ihn Wagner zum Juden gemacht habe, sei noch weniger kränkend,
denn es könne nur eine Ehre sein, mit Mendelssohn und Meyerbeer auf dem
gleichen Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Daß aber Wagner seine Ab¬
handlung über das musikalisch Schöne ein "mit außerordentlichem Geschick sür
den Zweck des Musikjudentums verfaßtes Libell" genannt habe, sei, gelinde
gesagt, so unglaublich kindisch, daß höchstens seine Feinde, nicht aber er selbst
Grund habe, sich darüber zu ärgern. In den letzten Punkten hat Hanslick
sicher Recht. Wie es aber um Wagners persönliche Eigenschaften bestellt war,
ob Wagner wirklich eine in der Hauptsache unsympathische Natur genannt
werden darf, ist eine Frage sür sich, deren endgiltige Beantwortung erst einer
über den jetzt noch streitenden Parteien stehenden Kritik zufallen wird. Hanslick
bezieht sich zur Bekräftigung seiner Ansicht auf Ferdinand Prägers Buch:
"Wagner, wie ich ihn kannte." Aber dieses Buch ist neuerdings aus dem
Buchhandel zurückgezogen worden, nachdem Chamberlain nachgewiesen hat,
daß es Unwahrheiten und Fälschungen enthält. Dem, der diesen rein per¬
sönlichen Fragen fernsteht, bleibt nichts andres übrig, als das Urteil
einer sachkundigen und unparteiischen Forschung abzuwarten. Wagners Cha¬
rakter, so wie er sich in seinen Schriften spiegelt, ist sicher nicht frei von hä߬
lichen Flecken; man sollte aber meinen, der Mann, der an Webers Grab solche
Worte gefunden hat, und der seinen Freunden Fischer und Schmorr von Carols-
feld so innige Freundschaft übers Grab hinaus bewahrt hat, kann nicht ganz
herzlos gewesen sein.

Wagners Künstlertum zollt Hanslick anfangs hohe Bewunderung. Die


Eduard Hanslicks Lebenserinnerungen

antwortete auf die Frage, ob er viel mit Wagner verkehre: „Nein, für mich
ist Wagner unmöglich; er ist gewiß ein geistreicher Mensch, aber er redet in
einem fort. Man kann doch nicht immer reden." Wagner aber sagte, als er
auf Schumann zu sprechen kam: „Wir stehen äußerlich gut mit einander, aber
mit Schumann kann man nicht verkehren, er ist ein unmöglicher Mensch, er
redet gar nichts."

Wagner ist Hanslick weder als Mensch noch als Künstler sympathisch.
Dem Künstler zollt er, wenn auch mit einem gewissen Widerstreben oder Mi߬
behagen, einige Bewunderung, den Menschen aber weist er ganz von der Hand:
„Je mehr ich von Wagner wußte und erfuhr, im Laufe der Jahre von ihm
und über ihn las, desto mehr verminderte sich mein Respekt vor seinem Cha¬
rakter." Hanslick ist der Ansicht, daß Wagner in seiner leidenschaftlichen Ge¬
reiztheit jeder Ungerechtigkeit fähig gewesen sei; er sieht in ihm den personi-
fizirten Egoismus, der rastlos nur sür sich selbst thätig und gegen andre teil¬
nahmlos und rücksichtslos ist. Er zeiht ihn der Anmaßung und des Größen¬
wahns, der Ungerechtigkeit und Mißgunst. Daß ihm Wagner nach seiner
wenig günstigen Kritik des Lohengrin kühl entgegengetreten sei, habe ihn wenig
überrascht; er sei ja an derartigen Wechsel in den Gesinnungen der Künstler
gewöhnt. Daß ihn Wagner zum Juden gemacht habe, sei noch weniger kränkend,
denn es könne nur eine Ehre sein, mit Mendelssohn und Meyerbeer auf dem
gleichen Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Daß aber Wagner seine Ab¬
handlung über das musikalisch Schöne ein „mit außerordentlichem Geschick sür
den Zweck des Musikjudentums verfaßtes Libell" genannt habe, sei, gelinde
gesagt, so unglaublich kindisch, daß höchstens seine Feinde, nicht aber er selbst
Grund habe, sich darüber zu ärgern. In den letzten Punkten hat Hanslick
sicher Recht. Wie es aber um Wagners persönliche Eigenschaften bestellt war,
ob Wagner wirklich eine in der Hauptsache unsympathische Natur genannt
werden darf, ist eine Frage sür sich, deren endgiltige Beantwortung erst einer
über den jetzt noch streitenden Parteien stehenden Kritik zufallen wird. Hanslick
bezieht sich zur Bekräftigung seiner Ansicht auf Ferdinand Prägers Buch:
„Wagner, wie ich ihn kannte." Aber dieses Buch ist neuerdings aus dem
Buchhandel zurückgezogen worden, nachdem Chamberlain nachgewiesen hat,
daß es Unwahrheiten und Fälschungen enthält. Dem, der diesen rein per¬
sönlichen Fragen fernsteht, bleibt nichts andres übrig, als das Urteil
einer sachkundigen und unparteiischen Forschung abzuwarten. Wagners Cha¬
rakter, so wie er sich in seinen Schriften spiegelt, ist sicher nicht frei von hä߬
lichen Flecken; man sollte aber meinen, der Mann, der an Webers Grab solche
Worte gefunden hat, und der seinen Freunden Fischer und Schmorr von Carols-
feld so innige Freundschaft übers Grab hinaus bewahrt hat, kann nicht ganz
herzlos gewesen sein.

Wagners Künstlertum zollt Hanslick anfangs hohe Bewunderung. Die


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[0376] Eduard Hanslicks Lebenserinnerungen antwortete auf die Frage, ob er viel mit Wagner verkehre: „Nein, für mich ist Wagner unmöglich; er ist gewiß ein geistreicher Mensch, aber er redet in einem fort. Man kann doch nicht immer reden." Wagner aber sagte, als er auf Schumann zu sprechen kam: „Wir stehen äußerlich gut mit einander, aber mit Schumann kann man nicht verkehren, er ist ein unmöglicher Mensch, er redet gar nichts." Wagner ist Hanslick weder als Mensch noch als Künstler sympathisch. Dem Künstler zollt er, wenn auch mit einem gewissen Widerstreben oder Mi߬ behagen, einige Bewunderung, den Menschen aber weist er ganz von der Hand: „Je mehr ich von Wagner wußte und erfuhr, im Laufe der Jahre von ihm und über ihn las, desto mehr verminderte sich mein Respekt vor seinem Cha¬ rakter." Hanslick ist der Ansicht, daß Wagner in seiner leidenschaftlichen Ge¬ reiztheit jeder Ungerechtigkeit fähig gewesen sei; er sieht in ihm den personi- fizirten Egoismus, der rastlos nur sür sich selbst thätig und gegen andre teil¬ nahmlos und rücksichtslos ist. Er zeiht ihn der Anmaßung und des Größen¬ wahns, der Ungerechtigkeit und Mißgunst. Daß ihm Wagner nach seiner wenig günstigen Kritik des Lohengrin kühl entgegengetreten sei, habe ihn wenig überrascht; er sei ja an derartigen Wechsel in den Gesinnungen der Künstler gewöhnt. Daß ihn Wagner zum Juden gemacht habe, sei noch weniger kränkend, denn es könne nur eine Ehre sein, mit Mendelssohn und Meyerbeer auf dem gleichen Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Daß aber Wagner seine Ab¬ handlung über das musikalisch Schöne ein „mit außerordentlichem Geschick sür den Zweck des Musikjudentums verfaßtes Libell" genannt habe, sei, gelinde gesagt, so unglaublich kindisch, daß höchstens seine Feinde, nicht aber er selbst Grund habe, sich darüber zu ärgern. In den letzten Punkten hat Hanslick sicher Recht. Wie es aber um Wagners persönliche Eigenschaften bestellt war, ob Wagner wirklich eine in der Hauptsache unsympathische Natur genannt werden darf, ist eine Frage sür sich, deren endgiltige Beantwortung erst einer über den jetzt noch streitenden Parteien stehenden Kritik zufallen wird. Hanslick bezieht sich zur Bekräftigung seiner Ansicht auf Ferdinand Prägers Buch: „Wagner, wie ich ihn kannte." Aber dieses Buch ist neuerdings aus dem Buchhandel zurückgezogen worden, nachdem Chamberlain nachgewiesen hat, daß es Unwahrheiten und Fälschungen enthält. Dem, der diesen rein per¬ sönlichen Fragen fernsteht, bleibt nichts andres übrig, als das Urteil einer sachkundigen und unparteiischen Forschung abzuwarten. Wagners Cha¬ rakter, so wie er sich in seinen Schriften spiegelt, ist sicher nicht frei von hä߬ lichen Flecken; man sollte aber meinen, der Mann, der an Webers Grab solche Worte gefunden hat, und der seinen Freunden Fischer und Schmorr von Carols- feld so innige Freundschaft übers Grab hinaus bewahrt hat, kann nicht ganz herzlos gewesen sein. Wagners Künstlertum zollt Hanslick anfangs hohe Bewunderung. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/376>, abgerufen am 27.08.2024.