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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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List und Larey

hungern, der Großgrundbesitz hat ohne die Großstadt keine Abnehmer seiner
Erzeugnisse. Machen beide einer gleichmäßig über das ganze Land verteilten
Anordnung von Dörfern und kleinen Städten Platz, so ist, wenn nur die
Volksdichtigkeit die Ertragsfähigkeit des Bodens nicht übersteigt, für die Bauern
kein künstlicher Schutz mehr notwendig: mit selbstarbeitenden Bauern, die den
größten Teil ihres Bvdenerzeugnisfes selbst verzehren, den Überschuß in nächster
Nähe unmittelbar an die Konsumenten absetzen, kann das Ausland nicht
konkurriren. Welche Übel und Gefahren das englische System, wie es Carey
nennt, mit sich bringt, haben wir schon zu oft auseinandergesetzt, als daß wir
nochmals dabei zu verweilen brauchten.

Nur muß man nicht glauben, daß, wenn einmal in einer Gegend das
"Kommerzsystem" hergestellt wäre, wie es das ja in Frankreich und Deutsch¬
land ehedem weithin war und teilweise heute noch ist, daß dann das Paradies
fertig und für alle Zeiten gesichert sein würde, und noch weniger darf man
sich auf die von Carey zur Verwirklichung des Ideals vorgeschlagnen Mittel:
Schutzzoll und Inflation, verlassen. Nordamerika hat beide reichlich angewandt,
aber der Erfolg ist nichts weniger als befriedigend; nicht zum eowrasros haben
diese Mittel geführt, sondern zur Anhäufung von Niesenvermögen, zur An¬
häufung proletarischer Fabrikbevölkerungen in großen Städten, und von Riesen-
farmen, auf denen besitzlose Wanderarbeiter sür ausländische Kapitalisten schaffen.
Und selbst wo die Menschenverteilung noch normal ist in Amerika wie in
Deutschland --, sichert sie den "Kommerz" noch nicht. Die Großbetriebe rücken
dem Handwerker bis in die entlegensten Dörfer hinein auf den Leib und machen
ihn mit ihrer Fabrikware überflüssig. Carey hat eine Zeichnung entworfen,
die er wohl ein Dutzend mal wiederholt. Sie besteht aus zwei kvnvergirendeu
Linien, in denen die eine die Urproduktion, die andre die Industrie vorstellen
soll. Auf der einen Seite stehen Rohstoffe und Fabrikate einander fern, auf
der andern nahe; dort herrschen Armut. Unwissenheit und Sklaverei, hier
Reichtum. Bildung und Freiheit. Merkwürdigerweise wählt er zu Vertretern
der Rohstoffe und Fabrikate rsAs -ma papor. Nun, heute fehlt es in keiner
Gegend Nordamerikas an Lumpen und Papier, und beide findet man überall
ganz nahe beisammen, aber schöner ist dadurch das Leben der Amerikaner nicht
geworden als damals, wo Adam Smith das Glück der Kolonisten pries.
Ohne Zweifel haben die Engländer ein schweres Unrecht begangen, indem sie
die Gewerbthätigkeit der Kolonisten gewaltsam unterdrückten, aber Smith hatte
Recht mit seiner Meinung, die Amerikaner würden unklug handeln, wenn sie
durch Schutzzölle die Industrie gewaltsam hervortreiben wollten, anstatt zu
warten, bis sie sich im natürlichen Laufe der Dinge von selber einstellen
würde.

Es giebt eben in der Volkswirtschaft weder unfehlbare Universalmittel
noch ideale Beharrungszustande. Ideale. Zielpunkte seines Strebens, muß ein


List und Larey

hungern, der Großgrundbesitz hat ohne die Großstadt keine Abnehmer seiner
Erzeugnisse. Machen beide einer gleichmäßig über das ganze Land verteilten
Anordnung von Dörfern und kleinen Städten Platz, so ist, wenn nur die
Volksdichtigkeit die Ertragsfähigkeit des Bodens nicht übersteigt, für die Bauern
kein künstlicher Schutz mehr notwendig: mit selbstarbeitenden Bauern, die den
größten Teil ihres Bvdenerzeugnisfes selbst verzehren, den Überschuß in nächster
Nähe unmittelbar an die Konsumenten absetzen, kann das Ausland nicht
konkurriren. Welche Übel und Gefahren das englische System, wie es Carey
nennt, mit sich bringt, haben wir schon zu oft auseinandergesetzt, als daß wir
nochmals dabei zu verweilen brauchten.

Nur muß man nicht glauben, daß, wenn einmal in einer Gegend das
„Kommerzsystem" hergestellt wäre, wie es das ja in Frankreich und Deutsch¬
land ehedem weithin war und teilweise heute noch ist, daß dann das Paradies
fertig und für alle Zeiten gesichert sein würde, und noch weniger darf man
sich auf die von Carey zur Verwirklichung des Ideals vorgeschlagnen Mittel:
Schutzzoll und Inflation, verlassen. Nordamerika hat beide reichlich angewandt,
aber der Erfolg ist nichts weniger als befriedigend; nicht zum eowrasros haben
diese Mittel geführt, sondern zur Anhäufung von Niesenvermögen, zur An¬
häufung proletarischer Fabrikbevölkerungen in großen Städten, und von Riesen-
farmen, auf denen besitzlose Wanderarbeiter sür ausländische Kapitalisten schaffen.
Und selbst wo die Menschenverteilung noch normal ist in Amerika wie in
Deutschland —, sichert sie den „Kommerz" noch nicht. Die Großbetriebe rücken
dem Handwerker bis in die entlegensten Dörfer hinein auf den Leib und machen
ihn mit ihrer Fabrikware überflüssig. Carey hat eine Zeichnung entworfen,
die er wohl ein Dutzend mal wiederholt. Sie besteht aus zwei kvnvergirendeu
Linien, in denen die eine die Urproduktion, die andre die Industrie vorstellen
soll. Auf der einen Seite stehen Rohstoffe und Fabrikate einander fern, auf
der andern nahe; dort herrschen Armut. Unwissenheit und Sklaverei, hier
Reichtum. Bildung und Freiheit. Merkwürdigerweise wählt er zu Vertretern
der Rohstoffe und Fabrikate rsAs -ma papor. Nun, heute fehlt es in keiner
Gegend Nordamerikas an Lumpen und Papier, und beide findet man überall
ganz nahe beisammen, aber schöner ist dadurch das Leben der Amerikaner nicht
geworden als damals, wo Adam Smith das Glück der Kolonisten pries.
Ohne Zweifel haben die Engländer ein schweres Unrecht begangen, indem sie
die Gewerbthätigkeit der Kolonisten gewaltsam unterdrückten, aber Smith hatte
Recht mit seiner Meinung, die Amerikaner würden unklug handeln, wenn sie
durch Schutzzölle die Industrie gewaltsam hervortreiben wollten, anstatt zu
warten, bis sie sich im natürlichen Laufe der Dinge von selber einstellen
würde.

Es giebt eben in der Volkswirtschaft weder unfehlbare Universalmittel
noch ideale Beharrungszustande. Ideale. Zielpunkte seines Strebens, muß ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/373>, abgerufen am 26.08.2024.