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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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bau der alten Länder um. Aussaugung des Bodens und die Notwendigkeit,
den Verlust durch fernher bezoguen Dünger zu ersetzen, tritt allerdings in
Careys Idealstaat nicht ein, da hier die Menschen gleichmäßig über das ganze
Land verteilt sind, die Bodenfrüchte an Ort und Stelle verzehrt werden, und
der Acker unmittelbar wieder erhält, was er gespendet hat; ein Punkt, auf den
Carey mit Recht großes Gewicht legt.

Diese gleichmäßige Verteilung der Menschen nun, diese Mischung der
verschiedensten Gewerbe an jedem Orte, dieser unmittelbare Güteraustausch,
dieser Ausschluß unnötiger Vermittler, diese gleichmäßige Verstreuung un¬
zähliger kleiner Kulturmittelpunkte über das Land ist auch unser Ideal,
wie das von vielen Tausenden unsrer Zeitgenossen. Um seine Ver¬
breitung machen sich namentlich die Bodenreformer verdient und ähnliche
kleine Gruppen, die sich im allgemeinen zur konservativen Partei halten,
ihr auch wohl mitunter unbequem werden. Denn die Verwirklichung
dieses Ideals bei uns würde eine sehr starke innere Kolonisation for¬
dern, die sich nicht auf die Ansiedlung von Gutstagelöhnern zu beschränken,
sondern den größten Teil des ostelbischen Großgrundbesitzes durch Bauern¬
schaften zu verdrängen hätte. So muß die konservative Partei bei ihrer Zu¬
sammensetzung zwei Seelen in ihrer Brust dulden, und es ist beachtenswert,
daß sich die latifundienfeindliche Seele schon einmal in dem Organ des Bundes
der Landwirte, in der Deutschen Tageszeitung, hat äußern dürfen. Dies Blatt
schrieb vor einigen Wochen: "Der Antrag Kanitz, der dem Bauern die Früchte
von dessen Arbeit wieder sichert ftas ist freilich Einbildung), setzt einen selbst
arbeitenden Landwirtstand von der Art des deutschen voraus. Er wird eine
weitergehende Aufteilung der großen, in Abwesenheit der Herren bewirtschaf¬
teten Güterkomplexe höchst wahrscheinlich nach sich ziehen müssen, da der
Staat im großen und ganzen viel eher das Recht auf Bebauung des heimischen
Bodens und Erzeugung der notwendigen Nahrungsmittel durch harte Arbeit
(durch Erstattung mindestens der Produktionskosten) als das Recht auf eine
arbeitslose Rente gewähren kann." Der Sinn dieses ungeschickten Satzes ist
ohne Zweifel: durch künstliche Preiserhöhung dein selbstarbeitenden Bauern
die Erstattung der Produktionskosten sichern, ist erlaubt; dagegen würde der
Staat ein Unrecht begehen, wenn er durch dasselbe Mittel bloß den Gro߬
grundbesitzern ihre ohne eigne Arbeit gewonnene Rente sichern wollte; die An¬
nahme des Antrags Kanitz setzt daher die Pcirzellirnng des Großgrundbesitzes
voraus. Wir bezweifeln, daß die Herren Grafen Kanitz und Mirbach ihren
berühmten Antrag in dieser Meinung eingebracht haben. Jedenfalls aber könnten
die den Konservativen verhaßten großen Städte nur beseitigt werden, wenn
gleichzeitig auch der Großgrundbesitz beseitigt würde. Beide sind Lebens-
bedingungen für einander, fordern einander gegenseitig, wachsen und ver¬
schwinden mit einander: die Großstadt muß ohne den Großgrundbesitz er-


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bau der alten Länder um. Aussaugung des Bodens und die Notwendigkeit,
den Verlust durch fernher bezoguen Dünger zu ersetzen, tritt allerdings in
Careys Idealstaat nicht ein, da hier die Menschen gleichmäßig über das ganze
Land verteilt sind, die Bodenfrüchte an Ort und Stelle verzehrt werden, und
der Acker unmittelbar wieder erhält, was er gespendet hat; ein Punkt, auf den
Carey mit Recht großes Gewicht legt.

Diese gleichmäßige Verteilung der Menschen nun, diese Mischung der
verschiedensten Gewerbe an jedem Orte, dieser unmittelbare Güteraustausch,
dieser Ausschluß unnötiger Vermittler, diese gleichmäßige Verstreuung un¬
zähliger kleiner Kulturmittelpunkte über das Land ist auch unser Ideal,
wie das von vielen Tausenden unsrer Zeitgenossen. Um seine Ver¬
breitung machen sich namentlich die Bodenreformer verdient und ähnliche
kleine Gruppen, die sich im allgemeinen zur konservativen Partei halten,
ihr auch wohl mitunter unbequem werden. Denn die Verwirklichung
dieses Ideals bei uns würde eine sehr starke innere Kolonisation for¬
dern, die sich nicht auf die Ansiedlung von Gutstagelöhnern zu beschränken,
sondern den größten Teil des ostelbischen Großgrundbesitzes durch Bauern¬
schaften zu verdrängen hätte. So muß die konservative Partei bei ihrer Zu¬
sammensetzung zwei Seelen in ihrer Brust dulden, und es ist beachtenswert,
daß sich die latifundienfeindliche Seele schon einmal in dem Organ des Bundes
der Landwirte, in der Deutschen Tageszeitung, hat äußern dürfen. Dies Blatt
schrieb vor einigen Wochen: „Der Antrag Kanitz, der dem Bauern die Früchte
von dessen Arbeit wieder sichert ftas ist freilich Einbildung), setzt einen selbst
arbeitenden Landwirtstand von der Art des deutschen voraus. Er wird eine
weitergehende Aufteilung der großen, in Abwesenheit der Herren bewirtschaf¬
teten Güterkomplexe höchst wahrscheinlich nach sich ziehen müssen, da der
Staat im großen und ganzen viel eher das Recht auf Bebauung des heimischen
Bodens und Erzeugung der notwendigen Nahrungsmittel durch harte Arbeit
(durch Erstattung mindestens der Produktionskosten) als das Recht auf eine
arbeitslose Rente gewähren kann." Der Sinn dieses ungeschickten Satzes ist
ohne Zweifel: durch künstliche Preiserhöhung dein selbstarbeitenden Bauern
die Erstattung der Produktionskosten sichern, ist erlaubt; dagegen würde der
Staat ein Unrecht begehen, wenn er durch dasselbe Mittel bloß den Gro߬
grundbesitzern ihre ohne eigne Arbeit gewonnene Rente sichern wollte; die An¬
nahme des Antrags Kanitz setzt daher die Pcirzellirnng des Großgrundbesitzes
voraus. Wir bezweifeln, daß die Herren Grafen Kanitz und Mirbach ihren
berühmten Antrag in dieser Meinung eingebracht haben. Jedenfalls aber könnten
die den Konservativen verhaßten großen Städte nur beseitigt werden, wenn
gleichzeitig auch der Großgrundbesitz beseitigt würde. Beide sind Lebens-
bedingungen für einander, fordern einander gegenseitig, wachsen und ver¬
schwinden mit einander: die Großstadt muß ohne den Großgrundbesitz er-


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[0372] List und <Larey bau der alten Länder um. Aussaugung des Bodens und die Notwendigkeit, den Verlust durch fernher bezoguen Dünger zu ersetzen, tritt allerdings in Careys Idealstaat nicht ein, da hier die Menschen gleichmäßig über das ganze Land verteilt sind, die Bodenfrüchte an Ort und Stelle verzehrt werden, und der Acker unmittelbar wieder erhält, was er gespendet hat; ein Punkt, auf den Carey mit Recht großes Gewicht legt. Diese gleichmäßige Verteilung der Menschen nun, diese Mischung der verschiedensten Gewerbe an jedem Orte, dieser unmittelbare Güteraustausch, dieser Ausschluß unnötiger Vermittler, diese gleichmäßige Verstreuung un¬ zähliger kleiner Kulturmittelpunkte über das Land ist auch unser Ideal, wie das von vielen Tausenden unsrer Zeitgenossen. Um seine Ver¬ breitung machen sich namentlich die Bodenreformer verdient und ähnliche kleine Gruppen, die sich im allgemeinen zur konservativen Partei halten, ihr auch wohl mitunter unbequem werden. Denn die Verwirklichung dieses Ideals bei uns würde eine sehr starke innere Kolonisation for¬ dern, die sich nicht auf die Ansiedlung von Gutstagelöhnern zu beschränken, sondern den größten Teil des ostelbischen Großgrundbesitzes durch Bauern¬ schaften zu verdrängen hätte. So muß die konservative Partei bei ihrer Zu¬ sammensetzung zwei Seelen in ihrer Brust dulden, und es ist beachtenswert, daß sich die latifundienfeindliche Seele schon einmal in dem Organ des Bundes der Landwirte, in der Deutschen Tageszeitung, hat äußern dürfen. Dies Blatt schrieb vor einigen Wochen: „Der Antrag Kanitz, der dem Bauern die Früchte von dessen Arbeit wieder sichert ftas ist freilich Einbildung), setzt einen selbst arbeitenden Landwirtstand von der Art des deutschen voraus. Er wird eine weitergehende Aufteilung der großen, in Abwesenheit der Herren bewirtschaf¬ teten Güterkomplexe höchst wahrscheinlich nach sich ziehen müssen, da der Staat im großen und ganzen viel eher das Recht auf Bebauung des heimischen Bodens und Erzeugung der notwendigen Nahrungsmittel durch harte Arbeit (durch Erstattung mindestens der Produktionskosten) als das Recht auf eine arbeitslose Rente gewähren kann." Der Sinn dieses ungeschickten Satzes ist ohne Zweifel: durch künstliche Preiserhöhung dein selbstarbeitenden Bauern die Erstattung der Produktionskosten sichern, ist erlaubt; dagegen würde der Staat ein Unrecht begehen, wenn er durch dasselbe Mittel bloß den Gro߬ grundbesitzern ihre ohne eigne Arbeit gewonnene Rente sichern wollte; die An¬ nahme des Antrags Kanitz setzt daher die Pcirzellirnng des Großgrundbesitzes voraus. Wir bezweifeln, daß die Herren Grafen Kanitz und Mirbach ihren berühmten Antrag in dieser Meinung eingebracht haben. Jedenfalls aber könnten die den Konservativen verhaßten großen Städte nur beseitigt werden, wenn gleichzeitig auch der Großgrundbesitz beseitigt würde. Beide sind Lebens- bedingungen für einander, fordern einander gegenseitig, wachsen und ver¬ schwinden mit einander: die Großstadt muß ohne den Großgrundbesitz er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/372>, abgerufen am 26.08.2024.