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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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List und Larey

Carey einen Konfusiomrius und Phantasten. Mag er das sein, aber an keim¬
kräftigen Gedanken fehlt es ihm nicht. Das Wesen von Ricardos Renten¬
theorie hat er allerdings verkannt. Daraus kommt nämlich nichts an. ob der
gute Boden zuerst oder zuletzt angebaut wird (in Wirklichkeit geschieht je nach
Umständen bald das eine, bald das andre), aber daß die Rente der Überschuß
des Ertrags des bessern Bodens über den des schlechtern ist. bleibt richtig.
In dieser Form allerdings konnte die Rententheorie nicht zur Begründung des
Malthusianismus dienen, dazu war die Annahme nötig, die Menschen fingen
überall und immer mit dem besten Boden an und gingen nur, durch Not ge¬
zwungen, allmählich zum schlechtern über. Wie steht nun die Sache zwischen
Malthus und Carey? Wagner schließt (a. a. O. S. 665) den Abschnitt über
die Bevölkerung mit dem Satze: "Robert Malthus behält somit in allem
wesentlichen Recht!" Das können wir nicht zugeben. Malthus hat nur Recht
für geschlossene Staaten und für Staatensysteme mit Grenzsperre, aber er hat
nicht Recht für die Menschheit im ganzen. Gerade in unsern Tagen wird er durch
die Thatsachen aufs glänzendste widerlegt, da ja die Landwirte aller Kultur¬
staaten über die Menge des Getreides klagen. Und dabei sind die frucht¬
barsten Gegenden der Erde, die Ebnen des Orinoko und des Amazonas, noch
uncmgebaut, die übrigen fruchtbaren Landschaften Südamerikas dünn bevölkert,
die ehedem fruchtbaren Länder Vorderasiens, Nordafrikas, sowie Sizilien, Süd¬
italien und Spanien verwahrlost, nud auf den fruchtbaren Ebnen Nordamerikas
und Rußlands wird Raubbau getrieben. Der Hunger wird also, wo er heute
noch vorkommt, künstlich dadurch erzeugt, daß die Menschen von den Staats¬
regierungen an der Kolonisation fruchtbarer Länder gehindert und gezwungen
werden, das durch hohe Produktionskosten verteuerte Getreide ihres eignen
Staates zu kaufen. Unbeschränkte internationale Freizügigkeit kann allerdings
nicht gestattet, das Ineinanderfließen aller Völker in einen Allerweltsbrei muß
verhütet, insbesondre die Eigenart des deutschen Volkes gewahrt und die Macht
seines Staates vergrößert werden, und bei dem allmählichen Vordringen, das
durch diese Rücksichten geboten ist. wird sich von Zeit zu Zeit immer wieder
eine Spannung einstellen, die die Ansicht des englischen Pessimisten vorüber¬
gehend rechtfertigt, aber für die Menschheit im ganzen ist er, wie gesagt, durch
die Thatsachen widerlegt. . ^ ^

Darin jedoch irrt Carey wieder, daß er meint, die Produktivität der
Landwirtschaft steige mit der fortschreitenden Kultur ebenso unbegrenzt wie
die der Industrie. Die Steigerung der Bebauung hat ihre Grenzen und die
natürlichen Unterschiede des Klimas und der Bodenbeschaffenheit se"d memalv
ganz aufzuheben. Thatsächlich steigt die Bodenrenke mit der Volksdicht.gtelt
nach dem von Ricardo entworfnen Schema. Aber diese Steigerung kann acht
bis ins unendliche gehen Neu besiedelte Länder treten in die Konkurrenz ein
und stoßen den künstlichen, durch die Staatsgewalt aufrecht erhaltnen Vermögens-


List und Larey

Carey einen Konfusiomrius und Phantasten. Mag er das sein, aber an keim¬
kräftigen Gedanken fehlt es ihm nicht. Das Wesen von Ricardos Renten¬
theorie hat er allerdings verkannt. Daraus kommt nämlich nichts an. ob der
gute Boden zuerst oder zuletzt angebaut wird (in Wirklichkeit geschieht je nach
Umständen bald das eine, bald das andre), aber daß die Rente der Überschuß
des Ertrags des bessern Bodens über den des schlechtern ist. bleibt richtig.
In dieser Form allerdings konnte die Rententheorie nicht zur Begründung des
Malthusianismus dienen, dazu war die Annahme nötig, die Menschen fingen
überall und immer mit dem besten Boden an und gingen nur, durch Not ge¬
zwungen, allmählich zum schlechtern über. Wie steht nun die Sache zwischen
Malthus und Carey? Wagner schließt (a. a. O. S. 665) den Abschnitt über
die Bevölkerung mit dem Satze: „Robert Malthus behält somit in allem
wesentlichen Recht!" Das können wir nicht zugeben. Malthus hat nur Recht
für geschlossene Staaten und für Staatensysteme mit Grenzsperre, aber er hat
nicht Recht für die Menschheit im ganzen. Gerade in unsern Tagen wird er durch
die Thatsachen aufs glänzendste widerlegt, da ja die Landwirte aller Kultur¬
staaten über die Menge des Getreides klagen. Und dabei sind die frucht¬
barsten Gegenden der Erde, die Ebnen des Orinoko und des Amazonas, noch
uncmgebaut, die übrigen fruchtbaren Landschaften Südamerikas dünn bevölkert,
die ehedem fruchtbaren Länder Vorderasiens, Nordafrikas, sowie Sizilien, Süd¬
italien und Spanien verwahrlost, nud auf den fruchtbaren Ebnen Nordamerikas
und Rußlands wird Raubbau getrieben. Der Hunger wird also, wo er heute
noch vorkommt, künstlich dadurch erzeugt, daß die Menschen von den Staats¬
regierungen an der Kolonisation fruchtbarer Länder gehindert und gezwungen
werden, das durch hohe Produktionskosten verteuerte Getreide ihres eignen
Staates zu kaufen. Unbeschränkte internationale Freizügigkeit kann allerdings
nicht gestattet, das Ineinanderfließen aller Völker in einen Allerweltsbrei muß
verhütet, insbesondre die Eigenart des deutschen Volkes gewahrt und die Macht
seines Staates vergrößert werden, und bei dem allmählichen Vordringen, das
durch diese Rücksichten geboten ist. wird sich von Zeit zu Zeit immer wieder
eine Spannung einstellen, die die Ansicht des englischen Pessimisten vorüber¬
gehend rechtfertigt, aber für die Menschheit im ganzen ist er, wie gesagt, durch
die Thatsachen widerlegt. . ^ ^

Darin jedoch irrt Carey wieder, daß er meint, die Produktivität der
Landwirtschaft steige mit der fortschreitenden Kultur ebenso unbegrenzt wie
die der Industrie. Die Steigerung der Bebauung hat ihre Grenzen und die
natürlichen Unterschiede des Klimas und der Bodenbeschaffenheit se»d memalv
ganz aufzuheben. Thatsächlich steigt die Bodenrenke mit der Volksdicht.gtelt
nach dem von Ricardo entworfnen Schema. Aber diese Steigerung kann acht
bis ins unendliche gehen Neu besiedelte Länder treten in die Konkurrenz ein
und stoßen den künstlichen, durch die Staatsgewalt aufrecht erhaltnen Vermögens-


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[0371] List und Larey Carey einen Konfusiomrius und Phantasten. Mag er das sein, aber an keim¬ kräftigen Gedanken fehlt es ihm nicht. Das Wesen von Ricardos Renten¬ theorie hat er allerdings verkannt. Daraus kommt nämlich nichts an. ob der gute Boden zuerst oder zuletzt angebaut wird (in Wirklichkeit geschieht je nach Umständen bald das eine, bald das andre), aber daß die Rente der Überschuß des Ertrags des bessern Bodens über den des schlechtern ist. bleibt richtig. In dieser Form allerdings konnte die Rententheorie nicht zur Begründung des Malthusianismus dienen, dazu war die Annahme nötig, die Menschen fingen überall und immer mit dem besten Boden an und gingen nur, durch Not ge¬ zwungen, allmählich zum schlechtern über. Wie steht nun die Sache zwischen Malthus und Carey? Wagner schließt (a. a. O. S. 665) den Abschnitt über die Bevölkerung mit dem Satze: „Robert Malthus behält somit in allem wesentlichen Recht!" Das können wir nicht zugeben. Malthus hat nur Recht für geschlossene Staaten und für Staatensysteme mit Grenzsperre, aber er hat nicht Recht für die Menschheit im ganzen. Gerade in unsern Tagen wird er durch die Thatsachen aufs glänzendste widerlegt, da ja die Landwirte aller Kultur¬ staaten über die Menge des Getreides klagen. Und dabei sind die frucht¬ barsten Gegenden der Erde, die Ebnen des Orinoko und des Amazonas, noch uncmgebaut, die übrigen fruchtbaren Landschaften Südamerikas dünn bevölkert, die ehedem fruchtbaren Länder Vorderasiens, Nordafrikas, sowie Sizilien, Süd¬ italien und Spanien verwahrlost, nud auf den fruchtbaren Ebnen Nordamerikas und Rußlands wird Raubbau getrieben. Der Hunger wird also, wo er heute noch vorkommt, künstlich dadurch erzeugt, daß die Menschen von den Staats¬ regierungen an der Kolonisation fruchtbarer Länder gehindert und gezwungen werden, das durch hohe Produktionskosten verteuerte Getreide ihres eignen Staates zu kaufen. Unbeschränkte internationale Freizügigkeit kann allerdings nicht gestattet, das Ineinanderfließen aller Völker in einen Allerweltsbrei muß verhütet, insbesondre die Eigenart des deutschen Volkes gewahrt und die Macht seines Staates vergrößert werden, und bei dem allmählichen Vordringen, das durch diese Rücksichten geboten ist. wird sich von Zeit zu Zeit immer wieder eine Spannung einstellen, die die Ansicht des englischen Pessimisten vorüber¬ gehend rechtfertigt, aber für die Menschheit im ganzen ist er, wie gesagt, durch die Thatsachen widerlegt. . ^ ^ Darin jedoch irrt Carey wieder, daß er meint, die Produktivität der Landwirtschaft steige mit der fortschreitenden Kultur ebenso unbegrenzt wie die der Industrie. Die Steigerung der Bebauung hat ihre Grenzen und die natürlichen Unterschiede des Klimas und der Bodenbeschaffenheit se»d memalv ganz aufzuheben. Thatsächlich steigt die Bodenrenke mit der Volksdicht.gtelt nach dem von Ricardo entworfnen Schema. Aber diese Steigerung kann acht bis ins unendliche gehen Neu besiedelte Länder treten in die Konkurrenz ein und stoßen den künstlichen, durch die Staatsgewalt aufrecht erhaltnen Vermögens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/371>, abgerufen am 26.08.2024.