Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
List und Larey

Vor tausend Jahren der Gutsherr auch dem Hörigen die Hälfte seines Arbeits¬
ertrages abgenommen, also eine Bodenrenke von 50 Prozent bezogen habe, so
sei die von ihm so gewonnene Gütermasse doch geringer gewesen als die, die
er sich jetzt mit einer Bodenrenke von 5 Prozent verschaffen könne. Der
Arbeitslohn aber steige nicht bloß absolut, sondern auch relativ, und diese
starke Steigerung seines Einkommens mache den Arbeiter unabhängig von der
Willkür des Herrn, also die Sklaverei in einem Zeitalter unentwickelter
Technik unmöglich. (Rodbertus und die Sozialisten behaupten im Gegenteil,
daß der Arbeitslohn bisher wenigstens nicht mit der Produktivität der Arbeit
gestiegen sei.) Der Kulturfortschritt verbillige alle Güter, entwerte sie also,
denn der Wert sei nichts anders, als die auf ihre Herstellung (Reproduktion,
sagt Carey) verwendete Mühe, und diese werde immer geringer. Aber die
Entwertung sei kein Verlust, sondern ein Zeichen zunehmenden Reichtums. In
einem Volke von Analphabeten habe die Kunst des Lesens und Schreibens
einen hohen, in einem gebildeten Volke beinahe gar keinen Wert, darum sei
aber das gebildete Volk nicht etwa ärmer als das ungebildete, sondern im
Gegenteil reicher. Der natürliche Weg führe also zum größten Reichtum aller
Güter, zur höchsten Ausbildung der menschlichen Gesellschaft und zugleich des
Einzelnen, da nur die vollkommenste soziale Gliederung die höchste Entfaltung
der Persönlichkeit möglich mache. So entwickle sich der Mensch, als höchstes
Erzeugnis des Stoffwechsels und der formenden Naturkräfte, nach den all¬
gemeinen Naturgesetzen allmählich zur Krone der Schöpfung. Wir fügen uoch
ergänzend hinzu, daß Carey, wie sich von seinem Standpunkte aus von selbst
versteht, der freien Vodenteilung das Wort redet und den Zuständen des
mittlern und westlichen Deutschlands vor denen des nordöstlichen den Vorzug
giebt. Zur Utopie ausgestaltet findet man sein Ideal bei William Morris
und Hertzka wieder, nur daß diese von Schutzzöllen nichts wissen wollen und
überhaupt die Staatsgrenzen aufheben. In einem Punkte war er entschiedner
Gegner Smiths. Smith betrachtet das Geld bloß als das Rad. das die
Güter umtreibt, und meint, es würde zweckmäßiger sein, das teure Gold- und
Silberrad durch ein billiges Rad ans Papier zu ersetzen, auch hält er jede
Vermehrung der Tauschmittel über den Bedarf für schädlich. Carey dagegen
legt dem Geld einen viel höhern Wert bei; er glaubt, daß die Vorsehung das
Gold und Silber besonders für den Verkehr bereitet habe, und lehrt: Metall¬
geld sei für die Gesellschaft dasselbe, was die Kohle für die Maschine und die
Speise für den Menschen sei. So hat er ohne Zweifel viel dazu beigetragen,
in Nordamerika die inflationistische Sekte großzuziehen, die so viel Unheil über
das Volk gebracht hat. Nur bedingungsweise hat er Recht, wenn er (Bd. 2,
S. 394) lehrt, daß hohe Dividenden Sklaverei und Tod für das Volk bedeu¬
teten, und daß steigender Zinsfuß ein Anzeichen sinkenden Volkswohlstandes sei.

Adolf Wagner nennt (Grundlegung der politischen Ökonomie Bd.1, S.455)


List und Larey

Vor tausend Jahren der Gutsherr auch dem Hörigen die Hälfte seines Arbeits¬
ertrages abgenommen, also eine Bodenrenke von 50 Prozent bezogen habe, so
sei die von ihm so gewonnene Gütermasse doch geringer gewesen als die, die
er sich jetzt mit einer Bodenrenke von 5 Prozent verschaffen könne. Der
Arbeitslohn aber steige nicht bloß absolut, sondern auch relativ, und diese
starke Steigerung seines Einkommens mache den Arbeiter unabhängig von der
Willkür des Herrn, also die Sklaverei in einem Zeitalter unentwickelter
Technik unmöglich. (Rodbertus und die Sozialisten behaupten im Gegenteil,
daß der Arbeitslohn bisher wenigstens nicht mit der Produktivität der Arbeit
gestiegen sei.) Der Kulturfortschritt verbillige alle Güter, entwerte sie also,
denn der Wert sei nichts anders, als die auf ihre Herstellung (Reproduktion,
sagt Carey) verwendete Mühe, und diese werde immer geringer. Aber die
Entwertung sei kein Verlust, sondern ein Zeichen zunehmenden Reichtums. In
einem Volke von Analphabeten habe die Kunst des Lesens und Schreibens
einen hohen, in einem gebildeten Volke beinahe gar keinen Wert, darum sei
aber das gebildete Volk nicht etwa ärmer als das ungebildete, sondern im
Gegenteil reicher. Der natürliche Weg führe also zum größten Reichtum aller
Güter, zur höchsten Ausbildung der menschlichen Gesellschaft und zugleich des
Einzelnen, da nur die vollkommenste soziale Gliederung die höchste Entfaltung
der Persönlichkeit möglich mache. So entwickle sich der Mensch, als höchstes
Erzeugnis des Stoffwechsels und der formenden Naturkräfte, nach den all¬
gemeinen Naturgesetzen allmählich zur Krone der Schöpfung. Wir fügen uoch
ergänzend hinzu, daß Carey, wie sich von seinem Standpunkte aus von selbst
versteht, der freien Vodenteilung das Wort redet und den Zuständen des
mittlern und westlichen Deutschlands vor denen des nordöstlichen den Vorzug
giebt. Zur Utopie ausgestaltet findet man sein Ideal bei William Morris
und Hertzka wieder, nur daß diese von Schutzzöllen nichts wissen wollen und
überhaupt die Staatsgrenzen aufheben. In einem Punkte war er entschiedner
Gegner Smiths. Smith betrachtet das Geld bloß als das Rad. das die
Güter umtreibt, und meint, es würde zweckmäßiger sein, das teure Gold- und
Silberrad durch ein billiges Rad ans Papier zu ersetzen, auch hält er jede
Vermehrung der Tauschmittel über den Bedarf für schädlich. Carey dagegen
legt dem Geld einen viel höhern Wert bei; er glaubt, daß die Vorsehung das
Gold und Silber besonders für den Verkehr bereitet habe, und lehrt: Metall¬
geld sei für die Gesellschaft dasselbe, was die Kohle für die Maschine und die
Speise für den Menschen sei. So hat er ohne Zweifel viel dazu beigetragen,
in Nordamerika die inflationistische Sekte großzuziehen, die so viel Unheil über
das Volk gebracht hat. Nur bedingungsweise hat er Recht, wenn er (Bd. 2,
S. 394) lehrt, daß hohe Dividenden Sklaverei und Tod für das Volk bedeu¬
teten, und daß steigender Zinsfuß ein Anzeichen sinkenden Volkswohlstandes sei.

Adolf Wagner nennt (Grundlegung der politischen Ökonomie Bd.1, S.455)


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220046"/>
          <fw type="header" place="top"> List und Larey</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1354" prev="#ID_1353"> Vor tausend Jahren der Gutsherr auch dem Hörigen die Hälfte seines Arbeits¬<lb/>
ertrages abgenommen, also eine Bodenrenke von 50 Prozent bezogen habe, so<lb/>
sei die von ihm so gewonnene Gütermasse doch geringer gewesen als die, die<lb/>
er sich jetzt mit einer Bodenrenke von 5 Prozent verschaffen könne. Der<lb/>
Arbeitslohn aber steige nicht bloß absolut, sondern auch relativ, und diese<lb/>
starke Steigerung seines Einkommens mache den Arbeiter unabhängig von der<lb/>
Willkür des Herrn, also die Sklaverei in einem Zeitalter unentwickelter<lb/>
Technik unmöglich. (Rodbertus und die Sozialisten behaupten im Gegenteil,<lb/>
daß der Arbeitslohn bisher wenigstens nicht mit der Produktivität der Arbeit<lb/>
gestiegen sei.) Der Kulturfortschritt verbillige alle Güter, entwerte sie also,<lb/>
denn der Wert sei nichts anders, als die auf ihre Herstellung (Reproduktion,<lb/>
sagt Carey) verwendete Mühe, und diese werde immer geringer. Aber die<lb/>
Entwertung sei kein Verlust, sondern ein Zeichen zunehmenden Reichtums. In<lb/>
einem Volke von Analphabeten habe die Kunst des Lesens und Schreibens<lb/>
einen hohen, in einem gebildeten Volke beinahe gar keinen Wert, darum sei<lb/>
aber das gebildete Volk nicht etwa ärmer als das ungebildete, sondern im<lb/>
Gegenteil reicher. Der natürliche Weg führe also zum größten Reichtum aller<lb/>
Güter, zur höchsten Ausbildung der menschlichen Gesellschaft und zugleich des<lb/>
Einzelnen, da nur die vollkommenste soziale Gliederung die höchste Entfaltung<lb/>
der Persönlichkeit möglich mache. So entwickle sich der Mensch, als höchstes<lb/>
Erzeugnis des Stoffwechsels und der formenden Naturkräfte, nach den all¬<lb/>
gemeinen Naturgesetzen allmählich zur Krone der Schöpfung. Wir fügen uoch<lb/>
ergänzend hinzu, daß Carey, wie sich von seinem Standpunkte aus von selbst<lb/>
versteht, der freien Vodenteilung das Wort redet und den Zuständen des<lb/>
mittlern und westlichen Deutschlands vor denen des nordöstlichen den Vorzug<lb/>
giebt. Zur Utopie ausgestaltet findet man sein Ideal bei William Morris<lb/>
und Hertzka wieder, nur daß diese von Schutzzöllen nichts wissen wollen und<lb/>
überhaupt die Staatsgrenzen aufheben. In einem Punkte war er entschiedner<lb/>
Gegner Smiths. Smith betrachtet das Geld bloß als das Rad. das die<lb/>
Güter umtreibt, und meint, es würde zweckmäßiger sein, das teure Gold- und<lb/>
Silberrad durch ein billiges Rad ans Papier zu ersetzen, auch hält er jede<lb/>
Vermehrung der Tauschmittel über den Bedarf für schädlich. Carey dagegen<lb/>
legt dem Geld einen viel höhern Wert bei; er glaubt, daß die Vorsehung das<lb/>
Gold und Silber besonders für den Verkehr bereitet habe, und lehrt: Metall¬<lb/>
geld sei für die Gesellschaft dasselbe, was die Kohle für die Maschine und die<lb/>
Speise für den Menschen sei. So hat er ohne Zweifel viel dazu beigetragen,<lb/>
in Nordamerika die inflationistische Sekte großzuziehen, die so viel Unheil über<lb/>
das Volk gebracht hat. Nur bedingungsweise hat er Recht, wenn er (Bd. 2,<lb/>
S. 394) lehrt, daß hohe Dividenden Sklaverei und Tod für das Volk bedeu¬<lb/>
teten, und daß steigender Zinsfuß ein Anzeichen sinkenden Volkswohlstandes sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1355" next="#ID_1356"> Adolf Wagner nennt (Grundlegung der politischen Ökonomie Bd.1, S.455)</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] List und Larey Vor tausend Jahren der Gutsherr auch dem Hörigen die Hälfte seines Arbeits¬ ertrages abgenommen, also eine Bodenrenke von 50 Prozent bezogen habe, so sei die von ihm so gewonnene Gütermasse doch geringer gewesen als die, die er sich jetzt mit einer Bodenrenke von 5 Prozent verschaffen könne. Der Arbeitslohn aber steige nicht bloß absolut, sondern auch relativ, und diese starke Steigerung seines Einkommens mache den Arbeiter unabhängig von der Willkür des Herrn, also die Sklaverei in einem Zeitalter unentwickelter Technik unmöglich. (Rodbertus und die Sozialisten behaupten im Gegenteil, daß der Arbeitslohn bisher wenigstens nicht mit der Produktivität der Arbeit gestiegen sei.) Der Kulturfortschritt verbillige alle Güter, entwerte sie also, denn der Wert sei nichts anders, als die auf ihre Herstellung (Reproduktion, sagt Carey) verwendete Mühe, und diese werde immer geringer. Aber die Entwertung sei kein Verlust, sondern ein Zeichen zunehmenden Reichtums. In einem Volke von Analphabeten habe die Kunst des Lesens und Schreibens einen hohen, in einem gebildeten Volke beinahe gar keinen Wert, darum sei aber das gebildete Volk nicht etwa ärmer als das ungebildete, sondern im Gegenteil reicher. Der natürliche Weg führe also zum größten Reichtum aller Güter, zur höchsten Ausbildung der menschlichen Gesellschaft und zugleich des Einzelnen, da nur die vollkommenste soziale Gliederung die höchste Entfaltung der Persönlichkeit möglich mache. So entwickle sich der Mensch, als höchstes Erzeugnis des Stoffwechsels und der formenden Naturkräfte, nach den all¬ gemeinen Naturgesetzen allmählich zur Krone der Schöpfung. Wir fügen uoch ergänzend hinzu, daß Carey, wie sich von seinem Standpunkte aus von selbst versteht, der freien Vodenteilung das Wort redet und den Zuständen des mittlern und westlichen Deutschlands vor denen des nordöstlichen den Vorzug giebt. Zur Utopie ausgestaltet findet man sein Ideal bei William Morris und Hertzka wieder, nur daß diese von Schutzzöllen nichts wissen wollen und überhaupt die Staatsgrenzen aufheben. In einem Punkte war er entschiedner Gegner Smiths. Smith betrachtet das Geld bloß als das Rad. das die Güter umtreibt, und meint, es würde zweckmäßiger sein, das teure Gold- und Silberrad durch ein billiges Rad ans Papier zu ersetzen, auch hält er jede Vermehrung der Tauschmittel über den Bedarf für schädlich. Carey dagegen legt dem Geld einen viel höhern Wert bei; er glaubt, daß die Vorsehung das Gold und Silber besonders für den Verkehr bereitet habe, und lehrt: Metall¬ geld sei für die Gesellschaft dasselbe, was die Kohle für die Maschine und die Speise für den Menschen sei. So hat er ohne Zweifel viel dazu beigetragen, in Nordamerika die inflationistische Sekte großzuziehen, die so viel Unheil über das Volk gebracht hat. Nur bedingungsweise hat er Recht, wenn er (Bd. 2, S. 394) lehrt, daß hohe Dividenden Sklaverei und Tod für das Volk bedeu¬ teten, und daß steigender Zinsfuß ein Anzeichen sinkenden Volkswohlstandes sei. Adolf Wagner nennt (Grundlegung der politischen Ökonomie Bd.1, S.455)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/370>, abgerufen am 22.12.2024.