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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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List und Larey

das ganze Weltall umfassenden Systems der Harmonie aller Interessen. Carey
ist gottgläubiger Optimist (auch darin mit Smith seelenverwandt) und fühlt
sich im innersten Herzen empört durch den Ricardo-Malthusianismus, den er
sich bemüht zu widerlegen. Ricardo hatte bekanntlich gelehrt, daß die Menschen
mit der Bebauung des besten Bodens anfingen, dann, durch den Bevölkerungs¬
zuwachs gezwungen, zu Boden zweiter Klasse übergingen, wodurch die Be¬
sitzer von Boden erster Klasse, die nun ihr mit geringern Kosten gewonnenes
Getreide zu demselben Preise los würden wie die neuen Ansiedler, einen Über¬
schuß herausschlügen, der Grundrente genannt werde, daß man sich bei weiteren
Volkszuwachs genötigt sehe, auch Boden dritter Klasse unter den Pflug zu
nehmen, was den Besitzern des Bodens zweiter Klasse Grundrente eintrage
und die vom Boden erster Klasse erhöhe u. s. w. Wie nun aber, hatte Malthus
gefolgert, wenn auch der schlechteste Boden schon angebaut ist, und die Be¬
völkerung trotzdem noch steigt? Dann steige auch der Getreidepreis so hoch,
daß selbst der schlechteste Boden Grundrente abwerfe, dann blieben eben für
den ärmsten Teil der Bevölkerung keine Nahrungsmittel mehr übrig, und die
unberechtigterweise ins Leben eingetretenen hätten, durch Hunger hinweggerafft,
wieder zu verschwinden. Aus dem, was Malthus in seinem Vaterlande vor
Augen sah. schloß er, dieses sei der gewöhnliche Gang der Dinge überall: die
Menschen hätten die Tendenz, sich in stärkeren Maße zu vermehren als die
Nahrungsmittel, deshalb müsse, wenn nicht vernünftige Überlegung der Volks¬
vermehrung Einhalt thue, das Gleichgewicht zwischen Volkszahl und Boden¬
fläche immer wieder durch Hungersnöte und Seuchen hergestellt werden.

Carey hält diese Lehre für gotteslästerlich. Sie habe aber darum großen
Anklang gefunden, weil Malthus die herrschenden Klaffen von aller Verant¬
wortung entlaste und das, was ihre Habsucht verschuldet habe, für die Wir¬
kung eines unabänderlichen Naturgesetzes erkläre. Es sei nicht wahr, daß der
Anbau auf dem fruchtbarsten Boden beginne. Dieser liege in der Ebne und
sei Überschwemmungen ausgesetzt. Der unzivilisirte, mit sehr unvollkommnen
Werkzeugen ausgerüstete, den Naturgewalten gegenüber ohnmächtige erste An¬
siedler lasse sich an den vor Überschwemmung geschützten Bergabhängen nieder,
deren leichterer Boden zugleich den Anbau erleichtere. Wie in allen Dingen,
so sei auch hier der erste Schritt der schwierigste, die erste Arbeit die un¬
ergiebigste. Mit fortschreitender Kultur und Volkszahl wachse die Macht der
Menschen, werde der schwerer zu bedauerte schwere Boden überwältigt, der
schlechtere verbessert, steige der Ertrag. Nicht bloß die Industrie, sondern auch
die Landwirtschaft werde bei fortschreitender Kultur und Volksdichtigkeit immer
leichter und ergiebiger. Deshalb steige die Landrente keineswegs mit steigender
Bevölkerung, sondern sie falle. Das heißt, sie falle im Verhältnis zum
Arbeitslohn; an sich steige sie, weil der Arbeitsertrag, der Nationalreichtnm
steige, daher eine kleinere Geldsumme eine größere Gütermasse verschaffe. Wenn


Grenzboten II 1895 46
List und Larey

das ganze Weltall umfassenden Systems der Harmonie aller Interessen. Carey
ist gottgläubiger Optimist (auch darin mit Smith seelenverwandt) und fühlt
sich im innersten Herzen empört durch den Ricardo-Malthusianismus, den er
sich bemüht zu widerlegen. Ricardo hatte bekanntlich gelehrt, daß die Menschen
mit der Bebauung des besten Bodens anfingen, dann, durch den Bevölkerungs¬
zuwachs gezwungen, zu Boden zweiter Klasse übergingen, wodurch die Be¬
sitzer von Boden erster Klasse, die nun ihr mit geringern Kosten gewonnenes
Getreide zu demselben Preise los würden wie die neuen Ansiedler, einen Über¬
schuß herausschlügen, der Grundrente genannt werde, daß man sich bei weiteren
Volkszuwachs genötigt sehe, auch Boden dritter Klasse unter den Pflug zu
nehmen, was den Besitzern des Bodens zweiter Klasse Grundrente eintrage
und die vom Boden erster Klasse erhöhe u. s. w. Wie nun aber, hatte Malthus
gefolgert, wenn auch der schlechteste Boden schon angebaut ist, und die Be¬
völkerung trotzdem noch steigt? Dann steige auch der Getreidepreis so hoch,
daß selbst der schlechteste Boden Grundrente abwerfe, dann blieben eben für
den ärmsten Teil der Bevölkerung keine Nahrungsmittel mehr übrig, und die
unberechtigterweise ins Leben eingetretenen hätten, durch Hunger hinweggerafft,
wieder zu verschwinden. Aus dem, was Malthus in seinem Vaterlande vor
Augen sah. schloß er, dieses sei der gewöhnliche Gang der Dinge überall: die
Menschen hätten die Tendenz, sich in stärkeren Maße zu vermehren als die
Nahrungsmittel, deshalb müsse, wenn nicht vernünftige Überlegung der Volks¬
vermehrung Einhalt thue, das Gleichgewicht zwischen Volkszahl und Boden¬
fläche immer wieder durch Hungersnöte und Seuchen hergestellt werden.

Carey hält diese Lehre für gotteslästerlich. Sie habe aber darum großen
Anklang gefunden, weil Malthus die herrschenden Klaffen von aller Verant¬
wortung entlaste und das, was ihre Habsucht verschuldet habe, für die Wir¬
kung eines unabänderlichen Naturgesetzes erkläre. Es sei nicht wahr, daß der
Anbau auf dem fruchtbarsten Boden beginne. Dieser liege in der Ebne und
sei Überschwemmungen ausgesetzt. Der unzivilisirte, mit sehr unvollkommnen
Werkzeugen ausgerüstete, den Naturgewalten gegenüber ohnmächtige erste An¬
siedler lasse sich an den vor Überschwemmung geschützten Bergabhängen nieder,
deren leichterer Boden zugleich den Anbau erleichtere. Wie in allen Dingen,
so sei auch hier der erste Schritt der schwierigste, die erste Arbeit die un¬
ergiebigste. Mit fortschreitender Kultur und Volkszahl wachse die Macht der
Menschen, werde der schwerer zu bedauerte schwere Boden überwältigt, der
schlechtere verbessert, steige der Ertrag. Nicht bloß die Industrie, sondern auch
die Landwirtschaft werde bei fortschreitender Kultur und Volksdichtigkeit immer
leichter und ergiebiger. Deshalb steige die Landrente keineswegs mit steigender
Bevölkerung, sondern sie falle. Das heißt, sie falle im Verhältnis zum
Arbeitslohn; an sich steige sie, weil der Arbeitsertrag, der Nationalreichtnm
steige, daher eine kleinere Geldsumme eine größere Gütermasse verschaffe. Wenn


Grenzboten II 1895 46
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[0369] List und Larey das ganze Weltall umfassenden Systems der Harmonie aller Interessen. Carey ist gottgläubiger Optimist (auch darin mit Smith seelenverwandt) und fühlt sich im innersten Herzen empört durch den Ricardo-Malthusianismus, den er sich bemüht zu widerlegen. Ricardo hatte bekanntlich gelehrt, daß die Menschen mit der Bebauung des besten Bodens anfingen, dann, durch den Bevölkerungs¬ zuwachs gezwungen, zu Boden zweiter Klasse übergingen, wodurch die Be¬ sitzer von Boden erster Klasse, die nun ihr mit geringern Kosten gewonnenes Getreide zu demselben Preise los würden wie die neuen Ansiedler, einen Über¬ schuß herausschlügen, der Grundrente genannt werde, daß man sich bei weiteren Volkszuwachs genötigt sehe, auch Boden dritter Klasse unter den Pflug zu nehmen, was den Besitzern des Bodens zweiter Klasse Grundrente eintrage und die vom Boden erster Klasse erhöhe u. s. w. Wie nun aber, hatte Malthus gefolgert, wenn auch der schlechteste Boden schon angebaut ist, und die Be¬ völkerung trotzdem noch steigt? Dann steige auch der Getreidepreis so hoch, daß selbst der schlechteste Boden Grundrente abwerfe, dann blieben eben für den ärmsten Teil der Bevölkerung keine Nahrungsmittel mehr übrig, und die unberechtigterweise ins Leben eingetretenen hätten, durch Hunger hinweggerafft, wieder zu verschwinden. Aus dem, was Malthus in seinem Vaterlande vor Augen sah. schloß er, dieses sei der gewöhnliche Gang der Dinge überall: die Menschen hätten die Tendenz, sich in stärkeren Maße zu vermehren als die Nahrungsmittel, deshalb müsse, wenn nicht vernünftige Überlegung der Volks¬ vermehrung Einhalt thue, das Gleichgewicht zwischen Volkszahl und Boden¬ fläche immer wieder durch Hungersnöte und Seuchen hergestellt werden. Carey hält diese Lehre für gotteslästerlich. Sie habe aber darum großen Anklang gefunden, weil Malthus die herrschenden Klaffen von aller Verant¬ wortung entlaste und das, was ihre Habsucht verschuldet habe, für die Wir¬ kung eines unabänderlichen Naturgesetzes erkläre. Es sei nicht wahr, daß der Anbau auf dem fruchtbarsten Boden beginne. Dieser liege in der Ebne und sei Überschwemmungen ausgesetzt. Der unzivilisirte, mit sehr unvollkommnen Werkzeugen ausgerüstete, den Naturgewalten gegenüber ohnmächtige erste An¬ siedler lasse sich an den vor Überschwemmung geschützten Bergabhängen nieder, deren leichterer Boden zugleich den Anbau erleichtere. Wie in allen Dingen, so sei auch hier der erste Schritt der schwierigste, die erste Arbeit die un¬ ergiebigste. Mit fortschreitender Kultur und Volkszahl wachse die Macht der Menschen, werde der schwerer zu bedauerte schwere Boden überwältigt, der schlechtere verbessert, steige der Ertrag. Nicht bloß die Industrie, sondern auch die Landwirtschaft werde bei fortschreitender Kultur und Volksdichtigkeit immer leichter und ergiebiger. Deshalb steige die Landrente keineswegs mit steigender Bevölkerung, sondern sie falle. Das heißt, sie falle im Verhältnis zum Arbeitslohn; an sich steige sie, weil der Arbeitsertrag, der Nationalreichtnm steige, daher eine kleinere Geldsumme eine größere Gütermasse verschaffe. Wenn Grenzboten II 1895 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/369>, abgerufen am 26.08.2024.